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Direkte und indirekte Steuern. Die Budgetkommission des preußischen MgeordnetenhauseS er- ledigte am Donnerstagabend zunächst den Etat der direkten Steuern. Der Finanzminister legte dar, daß sich der Wohlstand der gesamten Bevölkerung außerordentlich gehoben habe. Die leistungsfähigen Kreise hätten die Krise mehr zu spüren gehabt, als die unteren, weil die Unternehmer eine Lohnkürzung nicht hätten eintreten lassen. 18S5 waren noch 68 Proz., 1900 noch immer 46 Proz. der Bevölkerung steuerfrei. Also: Daß 1909 noch fast die Hälfte der Bevölkerung unter 900 M. Ein­kommen hat, das soll kein Beweis für die Notlage des Volkes sein, trotz der sehr erheblichen Verteuerung der Lebensmittel! Es kam zu einer lebhaften Debatte über die Steuerveranlagung. Die Konservativen ließen erklären, daß sie beim neuen Steuer- gesetz die Fehler der jetzigen Veranlagung beseitigt zu sehen wün- scheu; das sei notwendig im Interesse der Festbesoldeten, die voll herangezogen würden. Dem schlössen sich die Nationalliberalen an, deren Redner ausführte: es sei nicht zutreffend, daß auf dem Lande unrichtig und in den Städten richtig geschätzt würde. Der Finanzmini st er erklärte, daß man noch nicht zu einer Erfassung aller Einkommen gelangt sei, aber mit aller Strenge vorgehe. Die Berechnungen Professor Delbrücks hätten sich als viel zu hoch erwiesen. Andere Statistiker, wie May und Claßen seien zu anderen Ergebnissen gekommen; der letztere behaupte, daß die industriellen Werte zu niedrig eingeschätzt wären. Bei der Vermögenssteuer sei die Regierung nur auf Schätzungen angewiesen, deSh ilb müsse auch bei dieser Steuer der Selbstdeklarativnszwang einge- führt werden I Eine Deklarationspflicht der Banken und Spar- fassen müsse man vermeiden, da sonst daS private Leben zu sehr beunruhigt würde und das Publikum sich unsoliden oder auslän- dischen Banken zuwendete, statt solide inländische Banken zu benutzen. Aus den Zahlen, die der Minister verlas, ging hervor, daß durch die Beanstandungen in den östlichen Kreisen auf dem Lande ver- hältnismätzig mehr Steuerbeträge nachträglich einzuziehen waren als in den Städten. In einzelnen Kreisen in der Mitte und im Westen Preußens war es umgekehrt. Von den Freisinnigen wurde dem Finanzminister darin bei- gepflichtet, daß es sich nicht empfehle, eine Offenlegung der Bank- und Sparkassengelder herbeizuführen, weil sonst das Kapital ins Ausland gehe. Damit stellten beide Freisinn und Finanz- minister dem Kapitel eine nette.patriotische" Note aus. Die Statistik des Finanzministers wünschte der Freisinn übrigens ge- sondert für Gutsbezirke und Gemeinden aufgestellt, weil nur dann der Wert der Anschuldigung gegen das agrarische Kapital erwiesen werden könne. Die Konservativen beschwerten sich darüber, daß der Finanz- minister in einem geheimen Erlaß gegen die Buchführung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft Stellung genommen habet '.' Bei Beratung der indirekten Steuern beschwerten sich die Freifinnigen: daß den großen, kapitalkräftigen, hohe Dividenden zahlenden Brauereien keine Steuerkredite nach Maßgabe des neuen BrausteuergesetzeS gewährt würden; die feien doch leistungsfähig und verdienten Vertrauen. Im Vorjahre sind in den Etat 500 000 M. für neue Zoll- beamte eingestellt, aber nicht verbraucht worden, da die Arbeit für die neue Reichssteuergesetzgebung von den vorhandenen Be- amten geleistet worden ist. Für die Mehrarbeit wollte man den Beamten eine Entschädigung geben. Da nun aber die 500 000 Mark für Besoldungen ausgeworfen waren, so konnten sie nicht für»Remunerationen" in Anspruch genommen werden. Schließlich einigte man sich dahin, daß der Finanzminister den Fonds für Remunerationen in den Ausgaben um 150 000 M. Uberschreiten dürfe. Lebhafte Klagen ertönten darüber, daß die ErhebungZkosten für die Reichssteuern durch die Finanzreform herabgesetzt sind. Preußen allem hat 4'ch Millionen Mark mehr auszugeben, als ihm vom Reiche vergütet wird. Die Konservativen, die mit dem Zentrum die famoseFinanzreform" zu verantworten haben, ver- langten vom Finanzminister, er solle im Bundesrat und im Reichs- tag für eine höhere Erhebungsvergütung eintreten. Das lehnte der Minister aber ab, weil alle seine dahin zielenden Bemühungen bei Beratung der Finanzreforni erfolglos geblieben sind. Eine weitere BescWerde über die Reichsfinanzreform brachten die Ko n s e r va t i v en vor: die nach ihrer Meinung sonderbare Art der Erhebung der Fideikommihsteuer. an der ihnen vornehm» lich mißfällt, daß Auskunft verlangt wird über den Wert jedes ein» zelnen Gebäudes, über Abnutzung jedes einzelnen Stückes Jnven- tar. den Wert jedes einzelnen Stückes usw.! Der Finanzminister erwiderte darauf, daß die Angaben verlangt würden im Interesse der Fideikommißbesttzer, weil ja nur der Grund und Boden ver- steuert würdet Er wolle natürlich es handelt sich ja um die lieben Agrarier die Sache prüfen, und wenn man zu weit gegangen sei, werde er Remedur eintreten lassen.... Damit war der Etat der indirekten Steuern erledigt. Der preußilche Staat als Meitgeber. In Nr. 10 besprachen wir, gestützt auf amtliches Material, die wenig mustergültigen Arbeits- und Lohnverhältnisse in den Betrieben der vereinigten preußischen und hessischen Staats- cisenbahncn. Inzwischen sind dem Preußischen Abgeordneten- Hause auch dieNachrichten von dem Betriebe der unter der preußischen Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung stehenden Staatswerke während des Etatsjahres 1903" zur Kenntnis ge- bracht worden. Auch dieser Teil königlich preußischer Muster- bctriebswirtschaft verdient es, in den breitesten Schichten des Volkes bekannt zu werden, und zwar um so mehr, als im Drei- klassenparlament die Ansicht vorherrscht,daß man in der Human «- tät den Arbeitern gegenüber zu weit geht und wirklich schon an der Grenze ist". Bedauerlich ist es, daß die Nachweisungen nicht auch Aufschluß geben über die Länge der Arbeitszeit in den betreffenden Staats- werken, denn erst so wäre man imstande, die gezahlten Löhne im Verhältnis zu der geleisteten Arbeit vollauf zu würdigen. Wie in allen kapitalistischen Betrieben ist auch in den Staats- betrieben der Profit die Hauptsache. Dieser betrug in den in Rede stehenden(65) Staatswerken 16 136710 M., das ist gegen- über dem Etatsvoranschlag ein Fehlbetrag von 9 070 870 M. AIS Ursache des sich seit einigen Jahren bemerkbar machenden Rück- ganges der Ergebnisse der Bcrgverwaltung werden diverse Um- stände angeführt, darunter,daß infolge der Hochkonjunktur der Jahre 1906 und 1907 fast alle Materialien im Preise erheblich gestiegen sind und daß, um der teurer gewordenen Lebenshaltung der Arbeiter Rechnung zu tragen, Lohnerhöhungen vorgenommen werden mußten". Vater Staat hat also ein Einsehen mit der trostlosen Lage seiner Arbeiter gehabt und entsprechend dem schamlosen Lebens- mittelwucher der Agrarier die Löhne erhöht. Und in welch frei- gebigcr Weife hat er hier erhöht!Im Jahre 1008 war der durchschnittliche Jahresarbeitsverdicnst der unterirdisch beschäftigten eigentlichen Bergarbeiter in Oberschlesien um 259 M-, in Westfalen um 275 M. und beim staatlichen Steinkohlenbergbau in Saar- brücken um 17? M. Wer als im Jahr? 1890... ' Glücklichekönigliche" Bergknappen? Wer wagt eS nun noch, i« Abrede zu stellen, daß der Staat in auskömmlicher Weise für seine Arbeiter sorgt?! Dank dieser Fürsorge beträgt der JahresarbeitS- verdienst eines unterirdisch beschäftigten königlichen Bergknappen in Oberschlesien 1146 M., in Niederschlesien 1083 M., im staatlichen Steinkohlenbergbau bei Saarbrücken 1333 M. und im Oberberg - amtsbezirk Dortmund 1766 M., und zwar nach Abzug aller Nebenkosten! Das sind doch noch Löhne! Die königlichen Bergknappen am Deister inachen eine unrühmliche Ausnahme; ihr Durchschnittsverdienst ging von rund 1111 M. im Jahre 1907 auf 1000 M. zurück, trotz der andauernden Teuerung, trotzdem das Werk(auf dem im Durchschnitt 2343 Mann beschäftigt wurden) einen Ueberschuh von 515 573 M.(gegen das Vorjahr 10 177 M. mehr) erzielte! AIS im Jahre 1907 die jetzige Betriebsabteilung Bantorf an den Fiskus durch Kauf überging, nahmen die reich- lich entschädigten Aktionäre Abschied mit dem Bewußtsein,daß von dem Staat dieses unser Unternehmen zum Heil und zum Segen der Industrie unserer Provinz und zum Nutzen der jcß- haften einheimischen Arbeiterbevölkerung weitergeführt wird". Wie am Deister , so ging auch in Obernkirchen der Durch- schnittSlohn zurück(von 903 auf 895), ebenso im OberbergamtS- bezirk Dortmund (von 1371 auf 1766), und zurzeit-ist er n o ch niedriger. Wenn die Löhne im Laufe der Jahre erhöht worden sind,um der teurer gewordenen Lebenshaltung der Arbeiter Rech­nung zu tragen", dann ist jetzt in all diesen Betrieben der Lohn unzulänglich, selbst im Oberbergamtsbezirk Dortmund ganz ab- gesehen davon, daß, gemessen an der mühe- und gefahrvollen Arbeit deS Bergmanns, der Lohn nicht der Leistung entspricht. Besonders unzureichend müssen die den im Oberharz be- schäftigten StaatSarbeitern gezahlten Löhne sein. Angaben darüber enthalten die Nachweisungen nicht, aber im Oberbergamtsbezirk Clausthal wurde zum gemeinschaftlichen Bezug von Lebens- Mitteln für 3926 Arbeiter aus bergfiskalischen Mitteln ein Zuschuß geleistet in Höhe von 155 305 M., und von der Hauptknappschafts- kasse in Clausthal ein solcher in Höhe von 5978 M. Bezeichnend ist ferner der Umstand, daß an 3611 StaatSarbeiter zum Ankauf von Kartoffeln ein Borschuß von insgesamt 109 952 M. gewährt werden mußte.... Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß der Staat auf seinen Werken in Ober- und Niederschlesien auch Frauen beschäftigt, und zwar bei einem Durchschnittslohn von 1,26 M. bezw. 1,61 M. pro Tag II Auch diese Staatsbetriebe also lassen noch sehr viel zu wünschen übrig, sind noch weit entfernt davon, Musterbetriebe im besten Sinne des Wortes zu sein, und den in ihnen beschäftigten 96 845 Personen kann eS kein verständiger Mensch verargen, wenn sie auf eine Besserung ihrer Lage bedacht sind. parlamcntarircbes. Aus der sozialdemokratischen Reichstagssraktion. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion beschloß in ihrer Sitzuirg am Freitag vormittag, dem Handels- abkommen mit Amerika zuzustimmen. Freitag abend fand eine freie Besprechung zwischen der Regierung und den Parteien statt. Zu dieser Besprechung, bei der es sich ebenfalls um das Handelsabkommen dreht, wurden die Genossen Singer. Stolle und Molken- buhr delegiert._ Serwaltungsreform-Anträge. Die sozialdemokratische Fraktion des preußischen Abgeordneten- Hauses hat mit Unterstützung der Polen einen Antrag eingebracht, wonach: 1. Verwaltung?- Zwangsverfügungen nur auf Grund einer mündlichen Verhandlungen unter Zuziehung der Interessenten zu erlassen sind, 2. alle VerwaltungSverfllgimgen bei Vermeidung ihrer Nichtig- kett mit einer eingehenden schriftlichen Begründung unter Angabe der Beweismittel zu versehen sind, 3. alle Verwaltungsinaßregeln der Kontrolle im Rechtswege unterliegen, 4. für alle Schäden, die fei es mit, sei eS ohne Ver- schulden eines Beamten durch objektiv ungerechtfertigte Ver- waltungsmaßregeln zugefügt werde««, der Staat de» vollen Schadenersatz zu leisten hat. V. der zivil- und strafrechtliche Konflikt beseitigt wird. Bus der partei* Schweizer ArbeiterbildnngSwesm. In origineller Weise wirkt seit einer Reihe von Jahren die Arbeitemnion W i n t e r t h u r für die geistige Vertiefung der Arbeiter. Sie setzt alljährlich eine Reihe kleiner Preise aus für die beste Beantwortung einer Anzahl praktischer Fragen. Bernfsjoitrnalisten sind vom Wettbewerb ausgeschlossen. Von den gestellten 16 Fragen, deren Beantwortung außer in den offizielle» Sprache» der Scbweiz, Deutsch . Französisch und Italienisch, auch in Esperanto zulässig ist, seien genannt: Wie läßt sich der U ebertritt von einer GeWerl- scha ft zur andern erleilbtern? Wie kann eine einheitliche Organisation der schweizerischen sozialdemokratischen Parte» erreicht werden? Welche Bedeutung hat der Boykott in Wirtschaft- lichen Kämpfe» der Arbeiterschaft und loie ist dessen Durchführung zu ermöglichen? Weitere Fragen betreffen die Beläinpfung der Schundliteratur, das Verhältnis der genossenschaftlichen z>lr g e w e r k- schaftlichen und politischen Bewegung, dieSchaffung gewerkschaftlicher Arbeits>« achweise. Es ist kein Zweifel, daß damit ein gutes Stück logischer und stilistischer Schulung geleistet werden kann. Voraussetzung ist freilich' eine ein- gehende Durcharbeiiuitg«md Kritik der eingegangenen Arbeiten. Ein neues Vezirksfekrctariat wird am 1. April für den Re- gierungöbezirk Erfurt errichtet. Zum Parteisekretär wurde Genosse Wilhelm Apel, Redakteur derNordhäuser B o l k ö z e i t l« n g gewählt. Soziales. Daß Reichsgericht gegen den Leipziger Aerztevertmnd und die Leipziger Kreishauptmannschaft. Als im Jahre 1904 während des Aerztekonflikts der zwischen der Kreishauptmannschaft und den Leipziger Aerzten vereinbarte Vertrag zwangsweise eingeführt wurde, erließ dieselbe Behörde. die damals im Sinne des§ 5öa deS Krankenverficheruiigsgiesetzes die Regelung der Arztfrage in die Hand genommen hatte, auch eine Verordnung, in der Vorschriften darüber gegeben wurden, wie die vorher von der Kasse angestellten festbesoldeten Aerzte nach Möglich- feit wieder abzuschieben seien. ES hieß n. a. in dieser Verordnung: Diejenigen AnstellungSverträge, gegen deren Rechtsgültigkeit nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Königlichen Krcishauptmannfchaft erhebliche Bedenken bestehen, find unverzüglich anzufechten pdcr sonst zu beseitigen. Und weiter: Aerzte, welche den übernommenen Verpflichtungen nach dem pflichtmäßigen Ermessen der Ltöniglichen Kreishauptmannschaft nicht genügen, sind, wenn mit ihnen nicht im Verhandlungswege zu einem befriedigenden Abkommen zu ge- langen ist, nach Wahl der Königlichen Kreishauptmannschaft durch Verzicht auf ihre Dienste oder auf sonstigem gesetzlichen Wege auS der Kassenpraxis zu entfernen. Der bei der Durchführung dieser Bestimmungen entstehende Aufwand an Prozeßkosten usw. ist zu- nächst aus Kassenmitteln zu verlegen und alsdann auf die ärztliche Pauschalsumme zu verrechnen. Darauf sind nicht nur zahlreiche Aerzte durch Abfindung be- seitigt worden. Die Kreishauptmannschast hat auch gegen einige Aerzte, die sich Kunstfehler zuschulden kommen liehen, die sofortige einseitige Auflösung der abgeschlossenen Verträge ausgesprochen. In denjenigen Fällen aber, in denen ein Rechtsstreit anhängig ge- macht und zum Austrag gebracht wurde, haben die Gerichte einen einzelnen Kunstfehler nicht als ausreichenden wichtigen Grund im Sinne des ß 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur sofortigen Ver- tragslösung angesehen. Ter letzte dieser Prozesse beschäftigte vor- gestern das Reichsgericht. Im Jahre 1904 hatte der damals an der Beratungsanstalt in Gohlis gegen 8000 M. festes JahreSgehalt tätige Arzt Dr. H. eine Mittelohreiterung erst in einem späteren Stadium erkannt, so daß schließlich in der Universitätsklinik zur schleunigen Operation geschritten werden mußte. Darauf sprach die Kreishauptmannschaft die sofortige Entlassung des Dr. H. aus. Dieser klagte und Landes- und Oberlandesgericht verurteilte die Ortskrankenkasse, die in dem Prozesse als Beklagte figurierte, ob- wohl die Entlassung von der Kreishauptmannschast ausging, zur Fortzahlung des Gehalts und zur Tragung her Kosten. Auch die eingelegte Revision ist nun vom Reichsgericht verworfen worden. Es sind an rückständigem Gehalt und Prozeßkosten rund 30 000 M. zu zahlen. Um denselben Betrag hat nun aber die Ortskranken- kasse das ärztliche Pauschalhonorar zu kürzen. Ostinärkisches WohnungSelenv. 'Geradezu gräßliche Zustände von dem WohnungSelend in Posen, insbesondere dem Schlasstellenwesen, hat eine Ermittelung zutage gefördert, die ein bekannter Posener Philanthrop, der frühere Stadtschulrat Radanski mit Hilfe der behördlichen Organe, wie Lehrer. Schwestern usw. vornahm. Folgende Fragen wurden gestellt und wie folgt beantwortet: 1. Wohnen Schlafgänger bei bestraften und sittlich bescholtencn Leuten? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mitJa!" 2. Schlafen Einlieger zusammen mit den sie beherbergenden Familienmitgliedern? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mit ja",sehr oft",meistenteils"! 3. Sind Witwen und sonstige weibliche Personen genügend getrennt? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mitnein.wohl niemals geniigend",oft nur durch Vorhang"! 4. Sind weibliche Einlieger hinreichend getrennt? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mitnein"! 5. Beherbergt eine Familie gleichzeitig männliche und weibliche Schlafgänger? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mitja",sehr oft",»nicht erfahren"! 6. Schlafen mehrere Einlieger in einem Bett zusammen? Antwort: Alle Vertraiienspersoneii mitja",kommt vor" l 7. Entfallen auf jeden Schlafgänger zehn Kubikmeter Luft­raum? Antwort: Alle Vertrauenspersonen mitnein",»oft auf drei Personen noch nicht"! 8. Welche Folgen zeitigt dieser Zustand? Antwort: Alle Ver- trauenSpersonenUnsittlichkeit",Sitte und Moral werden in den Staub getreten".Zunahme der unehelichen Kinder und Ge- schlechtSkrankheiten".Fast jede uneheliche Mutterschaft der Witwe ist hierauf zurückzuführen"! Diese Angaben von meist im behördlichen Verhältnis stehenden Leuten reden eine furchtbare Sprache. Es kommt aber noch ärger. Eine Schwester berichtet, daß zwischen den schulpflichtigen Kindern des Ouartiergebers und de» männlichen Einlieger« die sch«i«ul?ig- sten Sachen vorkommen. In einer gewöhnlichcn Stube, die gleich- zeitig als Küche dient, Hausen zwölf Personen, darunter vier Ein» lieger beiderlei Geschlechts, die alle zusammen in vier Bette«« schlafen. Auch wird konstatiert, daß Schlafburschen vielfach ihre Lagerstätten mit den Kindern der Vermieter teilen. Und so geht es weiter. Haarsträubende Zustände werden aufgedeckt. Dabei ist nicht zu vergessen, daß dieses Resultat von einem Stadtschnlrnt und städtischen Schwestern ermittelt wurde. Das ist die ostmärkische Kultur. für die ungeheure Summen verschwendet«vurden. Das Schlaf» stellenunwesen hat sich in den letzten fünf Jahren in Posen dazu noch erheblich verschlechtert.?Nit dem Gclde der Steuerzahler hat man in Posen ein prächtiges Schloß errichtet, da» viele Millionen kostet. Prachtvolle Staatsbauten sind überall entstanden, aber für das in seinem Elend verkommende Proletariat ist nichts geschehen. Einen erfolgreichen Milchkrieg hat die Arbeiterschaft von Stuttgart geführt. Die vom Bund der Landwirte gedrängten Milchhändler hatten dort vor einigen Wochen den Milchpreis plötzlich auf 22 Pf. pro Liter erhöht, was für die Milchkonsumenten von Stuttgart eine Neubelastung von 800 000 M. im Jahre bedeutet hätte. Die Partei- uitd Gewerkschaftsorganisa- Honen organisierten darauf mit Hilfe eines unabhängigen Groß- Händlers in den Arbeitergegenden einen eigenen?N«Ichvertrieb für 19 Pf. pro Liter. Das hatte die Wirkung, daß die Händler gleich auf den Preis von 21. dann 20 und am Freitag schließlich auf 19 Pf. zurückgegangen sind. Angesichts der emsigen Bemühungen des Bundes der Land- Wirte, den Arbeiterorganisationen die Bezugsquellen für ihre Milch zu unterbinden, ist dieser rasche Erfolg des Kampfes zu begrüßen. Die eigene Organisation deS Milchbezuges wird übrigens seitens der Arbeiterorganisationen beibehalten werden, schon um zu verhindern, daß binnen kurzem die Preistreiberei wieder von vorn ansängt._ Wem gehört be» Bogel ? Diese Frage sollte bor dem KaufmamtSgericht in seiner gestri, gen Sitzung entschieden loerden. Der Beklagte N., Geschäftsführer derA. B. C."-Gcsellschaft, entließ die Klägerin Lina M., die bei ihm Kontoristin war, aus folgendem©runde: Er bestimmte eines Tages, daß wegen des flotten Geschäftsganges an dem Tage bis um 9 Uhr gearbeitet werden solle, und schickte eine jüngere An- gestellte B. zur Klägerin vor, damit sie diese von der Bestimmung des Chefs unterrichte. Kaum hatte Fräulein B. ihre Bestellung ausgerichtet, als die Klägerin mit dem Zeigefinger auf ihre Stirn zeigte. Zufälligerweise war der Prinzipal der Bestellerin gefolgt und wurde so Augenzeuge dieses vielsagenden Zeichens. Er bezog es auf sich und entließ die Kontoristin init den Worten:Na, wenn ich einen Vogel habe, dann fliegen Sie sofort." Die Klägerinflog" zwar nicht, aber sie ging und strengte die Klage auf das Restgehalt an. In der Verhandluiig behauptete sie, daß der Fingerzeig auf die Stirn ettva bedeuten sollte: Ich müßte ja einen Vogel haben, wenn ich solange arbeiten loollte. Die als Zeugin vernommene Mitangestellte erklärte auf Befragen, sie wußte selbst nicht, wem derVogel " gelten sollte; sie hätte ihn auch auf sich beziehen können. Der Beklagte führt noch aus, die Klägerin hätte, als sie merkte, daß er sich getroffen fühlte, ihn über seinen Irrtum sofort auf, klären müssen. Das Kaufmannsgericht sprach der Klägerin 141 M. Restgehalt Z», indem eS die Entlassung als ungerechtfertigt ansah. ES ist der Klägerin zu glauben, daß sie«mt der volkstümlichen Gebcrde sich selber meinte, und hätte sie der Beklagte zur Rede gestellt, wäre es allerding« ihre Pflicht gewesen, letzteren aufzuklären. Der Be« klagte ließ aber der Klägerin dazu gar Um Zeit, indem xx ohne weiteres die Entlassung aussprach.