Einzelbild herunterladen
 
wort auf feine immer dringender ausgesprochene Forderung nach einem gerechten Wahlrecht alsWahlreform" vorzulegen lvagt, ist keine Reform. Würde sie Gesetz, so bliebe doch in Preußen alles beim alten. Steine statt Brot will man dem Volke geben. Diese sogenannteReform" ist eine Verhöhnung des Volkes. Arbeiter, bleibt der Junker-Regienmg die gebührende Antwort Nicht schuldig. Bolkszeitung"(Düsseldorf  ): ,... Hat Fürst Bismarck einst das geltende Dreiklassenlvahl- fystem als das elendeste und erbärmlichste bezeichnet, so kann man der neuen Vorlage diesen Vorwurf mit noch viel größerem Rechte ins Gesicht schleudern, denn sie verewigt so ziemliche olle Schön- stem des Dreiklassenwahlsyms und treibt durch eine Reihe weiterer Bestimmungen die Entrechtung des Volkes auf die Spitze. Wird der Entwurf Gesetz, dann wird Preußen sich rühmen können, auf dem Gebiete reaktionärer Wahlrcchtsmachinationcn den Rekord behauptet zu haben. Man muß zweifeln, ob es die Regierung mit ihrer Vorlage überhaupt ernst meint oder ob sie sich nur einen allerdings recht schlecht angebrachten Fastnachtsscherz erlaubt hat. Glaubt die Re- gierung wirklich, daß das zu politischem Leben erwachte, daß das politisch reife preußische Volk sich eine solche Verhöhnung gefallen läßt? Oder hat sie'es vielleicht planmäßig darauf angelegt, die Empöruna deö Volkes zur Siedehitze zu steigern? Ist das der Fall, dann trifft sie eine schwere Verantwortung.... Sollte die Regierung glauben, daß sie mit dieser Vorlage das Versprechen der Thronrede eingelöst, daß sie dem Volke damit auch nur eine Abschlagszahlung geleistet hat, dann irrt sie. Das Volk erblickt in dem elenden Mackwerk nichts als eine Verhöhnung, die es schwer empfindet und durch die seine Kampfeslust nur noch gesteigert wird. Mag das Schicksal des Entwurfes sein, welches es wolle, das eine steht fest, daß das preußische Proletariat dadurch angefeuert wird, nun erst recht den Kamps um das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht aufzunehmen und nicht eher zu ruhen, als bis der Sieg errungen ist." ISKchtpreußifchc partdblattcr. Leipziger Bolkszeitung": ... Es gibt keine reaktionäre Niedertracht, die unZ an der preußischen Bureaukratie überraschen könnte. Dieser Dornenstrauch kann keine Feigen treiben, und wer von der preußischen Regierung historische Einficht oder auch nur soziales Pflichtgefühl erwartet, ist ein Narr. Sie iiihlt sich völlig als die Vertreterin des Junkertums, und diese angenehme Rasse liegt wie Fafner, der Drache, auf seinen aufgehäuften Schätzen nnd grunzt bei jedem Versuch, ihn zu tvecken, nur unwirsch: Ich lieg' und besitze! Laß mich schlafen! Immerhin ist es erfreulich, wenn man das. was man erwartet bat, nun schwarz auf weiß besitzt und nun auch anderen Leuten die Dokumente prcußisch-junkerlicher Unverfrorenheit und Herrschsucht vorlegen kann. In materieller Hinsicht wird am Wahlrecht so gut wie nichts geändert, nnd die geringen Aenderungen. die tatsächlich vorkommen,' haben lediglich den Zweck, den Einfluß der Arbeiter- klaffe noch tiefer herabzudrücker als er schon ist... Aller Augen blicken jetzt auf Preußens Proletariat. Man hat ihm als Antwort auf fein Verlangen nach Volksrechten einen räudigen Hund ins Lager gejagt. Es soll noch rechtloser, noch ohn- mächtiger werden. DaS nennt' man Wahlreform in Preußen, genau so wie man die Belastung der Massen durch neue indirelte Steuern im Reich eine Fiiianzreform nennt. Diese Wahlvorlage ist der Kriegsrus der Junker gegen das preußische Volk. Auch dem Blödesten ist jetzt klar, wo der wahre «innere Feind" steht. Ihn gilt es niederzuwerfen." Dresdener Bolkszeitung". Die Wahlvorlage der preußischen Regierung ist nicht eine Re- form, sondern vermehrte Reaktion. Sie bringt nicht, selbst nicht im allerbescheidensten Maße, Erfüllung der vieljährigen Forde- rungen und Wünsche des preußischen Volkes, sie bringt nichts als Hohn und Spott gegen diese Forderungeil und Wünsche. Man muß fragen: Was will diese Vorlage? Ihre Urheber in der preußischen Regierung wissen, daß diese Vorlage nicht die Einlösung der in der Thronrede vom 20. Oktober 1903 gegebenen Zusage und daß sie völlig ungeeignet ist, irgend- wie die Wahlrechtsfrage zu lösen. Sie wissen, daß, wenn diese Borlage oder eine ähnliche wirklich Gesetz werden könnte, der Kampf um das preußische Staatsbllrgerrecht erst recht fort- gehe» würde, daß von Beruhigung der Bevvlke- rung keine Rede sein wird. Warum also überhaupt diese Vorlage? Man kann nur zwei Möglichleiten erdenken: Entweder beabsichtigt die preußische Regierung lediglich einSchein- manöver, sie bringt eine Vorlage, die keine Aussicht ans An- nähme hat, un, das jetzige Gesetz beizubehalten, u», sagen zu können, sie habe eineReform" versucht, sie sei miß- glückt, also müsse alles beim alten bleiben. Oder die preußische Regierung sieht es auf die offene Provokation des Volkes ab. Sie will die Entrechteten zur Siedeglut treiben, sie Ivill Empörung und Groll zu verzweifelten Tale» entfesseln, um einen Vorwand zu finden zum gewaltsamen, blutigen Niederwerfen der ganzen Volks- bewegung! Es scheint, daß da« dreiste Sprüchlein des Junkers v. Oldenbulg-Januschau noch aus viel tieferen Gründen herkam, als man bisher annahm." Fränkische Tagespost"(Nürnberg  ): Tie preußische Herrenkaste fühlt' sich sicher. Eiwas wie diese Wahlreform des Herr» Majors v. Bethmann Hollweg   ist selten einem vollentwickelten Volke zugemutet worden, wenn man vom sächsischen Wahlrechtsraub absieht. Im ersten Drittel des zwan- zigsten Jahrhunderts wagt man es, eine..Wahlreform" vorzu- schlagen, die auch fernerhin das arbeitende Volk eines der ersten Industriestaaten der Welt von jeder Einflußnahme auf die Ver- waltung und auf wichtige Zweige der Gesetzgebung vollkommen .ausschließt. Unmittelbar nachdem der englische   Arbeiter das mächtigste Parlament der Welt gewählt hat, kurz nachdem die stammverwandten Arbeiter in Oesterreich   das allgemeine, gleiche Wahlrecht gegen eine Welt von Feinden erkämpft, in dem Augen- blick, wo der König von Ungarn   neuerdings das demokratische Wahlrecht zum Programm seiner Regierung macht, erfüllt man so das feierliche Versprechen des Königs von Preußen... Die preußische Wahlreform ist keine Sache des Preußenvolkes allein. Wenn in den Motiven zur Vorlage die Regierung sich rückhaltlos als Gegnerin des geheimen Reichstagswahlrechts be- kennt, so rust sie dem ganzen deutschen   Volke zu:Tuu res agitur! s= Du bist es, dem es gilt!" Der iöshlrechtzkzmpf. Die Wahlrechtsvorlage und die Berliner Stadtverordnetenversammlung. Die sozialdemokratische Stadtverordnetenfraktion in Berlin   hat der Stadtverordnetenversammlung folgenden Antrag eingereicht: Die Versammlung wolle beschließen, eine Petition an das Haus der Abgeordneten abzusenden, in der vom Stand- punkte der Berliner   Bürgerschaft die sogenannte Wahl- rechtsreform in ihren Wirkrnigen auf die politische Ent- rechtung der breiten Masse des Volkes dargelegt und daZ Haus der Abgeordneten ersucht wird, die Wahlvorlage ab- zulehiien, ferner den Magistrat zu ersuchen, dem Beschlüsse der Versammlung beizutreten. Die Strastendemoustratioueu in Breslau  finden selbstverständlich nicht den Beifall der ehrsamenKreuzztg.". ßie verlangt energisches Vorgehen der.Polizei gegen dieaus dem Reformmachwerk der Negierung" hervorgegangenen Straßendemon- strationen: Jedenfalls hat man cs hier," so meint sie,mit einer wohlgeplantcn Aktion zu tun, die darauf angelegt ist, immer stärkeren Umfang anzunehmen unddie gesamte Bevölkerung aufzupeitschen". Die Proteste gegen die Wahlrechtsvorlage dienen den Aufwieglern nur als Vorwand. Der ganze Zweck dieser Demonstration richtet sich durchaus zielbewußt gegen die öffentliche Ordnung. Wenn diesen Unternehmen selbstverständ- lich die Polizeimacht entgegentritt, wenn eS, wie wiederum in Breslau  , zu blutigen Zusammenstößen kommt, dann werden die Demonstranten als die Unschuldigen und die Schutzleute als die Uebcltäter hingestellt, um damit aufs neue die Massen aufzu- Hetzen. Warum baiideln die Unternehmer solcher Demonstra- tione» nicht gesetzlich nnd kommen um die Erlaubnis dafür ein? Weil sie dasRecht aus die Straße" sich erzwingen, weil sie der Polizeimacht, die sie geflissentlich provozieren, Trotz bieten wollen." Es ist eine lächerliche Unterstellung, die Straßendemonstra- tionen richteten sichdurchaus zielbewußt gegen die öffentliche Ordnung". Die sozialdemokratische Arbeiter- schaft hat gar kein Interesse daran, die Ordnung und den Verkehr auf den Straßen zu stören. Wo die Polizei sich kühl zurückgc- halten und den sozialdemokratischen Ordnern überlassen hat» für die Aufrechterhaltung der Straßenordnung zu sorgen, sind denn auch das beweist aufs neue die große Straßendemonstration in Braunschweig   am letzten Sonntag alle derartigen Umzüge ohne Verkehrsstörung und ohne Blutvergießen verlaufen. Vielleicht kommt man allmählich auch in den Regie- rungskreisen zu dieser Ansicht, und die Frage derKreuzztg.", weshalb die sozialdemokratische Arbeiterschaft nicht die polizeiliche Erlaubnis für ihre Straßendemonstrationen einholt, soll nichts cm- deres als ein Wink sein, cs doch mit der Einholung einer solchen Erlaubnis zu versuchen. Jsts tatsächlich so gemeint? Die Stellungnahme derGermania  " zur Wahlrechts- Vorlage. Die größeren Zentrumsblätter haben bisher mit ihrer Kritik der preußischen Wahlrechtsvorlage zurückgehalten und sich auf einzelne verklausulierte Andeutungen und Forde- rungen beschränkt. Endlich findet dieGermania  " Anlaß, sich näher niit der Vorlage zu beschäftigen, ohne jedoch in irgendeiner Weise zu verraten, wie die Zentrumsfraktion des Abgeordnetenhauses zu stimmen gedenkt. Das klerikale Blatt hat gegen die Vorlage und ihre Be- griindung schwere Bedenken. Es findet die ineisten Bestim- mungen zu schwerfällig, einseitig und kompliziert. Dennoch will es von einer einfachen Ablehnung des Gesetzentwurfs nichts wissen, sondern fordert eine gründliche Beratung der einzelnen Paragraphen in der Kommission. Wörtlich meint das Zentrumsblatt: Wenn in einzelnen linksliberalen oder radikalen Blättern die ganze MaHlrechtSvorHage rundweg abgelehnt und voeg�- schlagen wird, die Mehrheit des Abgeordnetenhauses solle den Entwurf zerreißen und der Regierung zerfetzt vor die Füße werfen, so wird das gewiß nicht geschehen, da die Regierung dann in absehbarer Zeit eine andere oder bessere Vorlage nicht einbringen würde. Wer durch das Einbringen einer so ungenügenden und mangelhaft vorbereiteten Vorlage ist die Reformarbeit für die Anhänger einer gründlichen Reform sehr erschwert worden. Ehe man die gewissenhafte Entscheidung treffen kann, ob gar keine Reform vorteilhafter ist, als eine überaus mangelhafte oder schädliche Reform, muß man zunächst wissen, was etwa als Abschlagszahlung an Reformen zu er- r e i ch c n t st, und dazu ist der Eintritt in die parlamentarischen Verhandlungen und KommissionSbcratungcn nötig. Der Kom- Mission würde cs auch obliegen, von der Regierung weiteres Material zur Prüfung der Vorlage und insbesondere die vom Minister v. Moltke in Aussicht gestellten speziellen statistischen Erhebungen in Musterbezirken zu verlangen." Dann wendet sich dieGermania  " energisch gegen den Vorschlag des Abgeordneten v. Zedlitz und Neukirch, der Komniission nicht die ganze Vorlage zu überweisen, sondern gewisse Bestimmungen vorher im Plenum festzulegen: Selbstverständlich muß die ganze Wahlrechtsvorlage der Kommission zur Vorberatung unterbreitet werden, um die Kom- missionsverhandlungen so mnfassend und so gründlich zu ge- stalten, wie nur möglich. Da kommt nun der geschäftige und ränkereiche Abgeordnete Freiherr von Zedlitz und Neukirch mit demtaktischen Vorschlag", daß man die Vorlage nicht etwa nach vorhergegangener Plenarsitzung der Kommission mit dem Auftrage überweisen solle, dieselbe allseitig und gründlich durch- zuberaten und damit die Grundlagen für die Plenarverhand- lungen der zweiten Lesung zu schaffen, sondern daß man die Entscheidung über die Hauptpunkte ohne Kommissionsbcratung sofort im Plenum treffen und der Kommission lediglich die Aufgabe zuweisen solle, über die untergeordneten Kleinigkeiten zu verhandeln. Unter denPrinzipienfragen", die Herr v. Zcdlitz-Neukirch gleich im Plenum zur Entscheidung gebracht sehen möchte, versteht er:Oeffentliche oder geheime Wahl, Dreiklassenwahlshstem oder Pluralwahl, Drittelung innerhalb der Gemeinde oder im UrWahlbezirk?" In den Irrgarten dieses Zedlitzschen Vorschlages werden sich die Abgeordneten in ihrer Mehrheit nicht verlocken lassen, auch wenn Freiher v. Zedlitz-Neukirch ihnen in Aussicht stellt, daß sie damit drei Wochen Zeit gewinnen würden. Da hat derVorwärts" einmal recht, wenn er diesen Grund der Zeitersparnis alsläppisch" bezeichnet und die perfide Taktik" des Freiherrn v. Zedlitz-Neukirch verwirft." Der Wahlverein Brandenburg  beschloß in seiner Sitzung am Montag einstimmig, an den Parteivorstand nachstehendes Ersuchen zu stellen: Der Brandenburger Wahlverein fordert die maßgebenden Instanzen Preußens auf, unverzüglich Maßnahmen zur schärf st enOffensiveimpreußischen Wahlrechts- kämpf unter besonderer Berücksichtigung des Massenstreiks zu ergreifen." Die Genossen in Görlitz   protestierten am Montag in einer sehr stark besuchten Versammlung gegen Junkerfrechheit und Wahl- entrechtung. In der Diskussion versicherte ein Mitglied der Demo» kratischen Vereinigung, seine Partei werde mit der Sozialdemokratie gegen die preußische Reaktion kämpfen. Ein demokratischer Protest. Dia«Demokratische Vereinigung  " hatte für Montag abend eine Protestversammlung gegen die Wahlrechtsvorlage in die Arminhallen" einberufen. Da bei dem Massenandrang der große Saal und die Galerien bald überfüllt waren, wurde der untere Saal zu Hilfe genommen und dort eine zweite Versa nrm- l u n g abgehalten, die gleichfalls stark besucht war. Neber das Thema:Die Wahlrechtövorlage eine Verhöhnung des preußi- schen Volkes!" sprachen im großen Saal Dr. Breitscheid, im unteren Saal Ingenieur Lüdemann. In beiden Versamm- lungen gelangte einstimmig eine Resolution zur Annahme, in der es am Schlüsse heißt:.Die Versammlung steht auf dem Stand- Punkt, daß diese Reformborlage zu ungeheuerlich ist, als daß überhaupt Verbesserungsvorschlägc am Platze wären. Sie er- wartet, daß das Volk auf diese Herausforderung der junkerlich bureaukratischen Regierung die gebührende Antwort finden wird durch rücksichtslose und opferbereite Arbeit für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht." Herr Dr. Breit scheid erläuterte dierücksichtslose und opferbereite Arbeit" dahin, daß gegen die Junker mit bloßen Versammlungen und Reden nicht viel ausgerichtet werde. Man werde schärfere Mittel anwenden und vor allem auch an Straßendemon- strationen teilnehmen müssen. Zw politischen Lage in Großbritannien  . London  , 5. Februar.  (Gig. 23er.) Liest man die konservative, liberale, sozialistische und irische Presse dieser Tage durch, so erscheint das ganze politische Leben des Ver- einigten Königreiches als ein wirres chaotisches Durcheinander. Die Ansichten, Wünsche und Erwartungen, die sich an das Wahlergebnis knüpfen, sind äußerst mannigfaltig. Es treten jedoch aus diesem Chaos zwei Punkte hervor, auf die die öffentliche Meinung in wachsendem Maße ihre Aufmerksamkeit lenkt: Ober Hausreform und Arbeiterpartei. Kein Zweifel, die Oberhausreform ist eine akute Frage, die in den nächsten Monaten eine Antwort erhalten wird. Denn es gibt heute keinen einflußreichen Politiker im König  - reiche, der die dringende Notwendigkeit der Reform nicht zu- gäbe. Nur über das Wie nnd das Wann herrschen tiefe Meinungs- Verschiedenheiten. Unlängst gab ich an dieser Stelle die Grundzüge der beiden Strömungen an, die sich auf die Reformfrage beziehen. Die konservativen und die gemäßigt liberalen Elemente sind für eine wirksame zweite Kammer, die aus Wahlen hervor- gehen soll. Sie wünschen einen Senat. Das erbliche Prinzip soll abgeschafft werden. Ein Senat wäre aber ebenso reaktionär wie die Lords, das zeigen die Der- Hältnisse in Frankreich   und in den Vereinigten Staaten   von Amerika  . Die Arbeiterpartei ist mit aller Entschiedenheit gegen eine gewählte zweite Kammer. Die australischen Ar- beiterparteien warnen ihre britischen Kollegen vor einer gc- wählten zweiten Kammer. Alle freiheitlichen Reformer Großbritanniens   und Irlands  sind für die Fortexistenz der Lords, aber für die Ab- schaffung ihres Finanzvetos und jür eine sonstige Regelung der Verhältnisse zwischen den beiden Häusern, wo- bei dem Unterhause die Oberherrschaft schließlich gesichert werden soll. Ich kann hier nur wiederholen, was an dieser Stelle feit zwei Jahren gesagt wurde: eine ehrliche ObcrhauSrcsorm ist für die liberale Partei eine Frage von Sein und Nichtsein. Sie muß kämpfen oder untergehen. Die gestern und heute von liberalen Blättern Londons   und der Provinz über diese Angelegenheit geäußerten Ansichten sind von großer Kampfes- lust getragen. Sie gehen so weit, daß sie vom Minister- Präsidenten Mr. A s q u i t h verlangen, nicht an den Etat heranzugehen, bis die Oberhausstage im linksliberalen Sinne geregelt ist. Es darf nicht regiert werden, bis die Verfassungskrisis gelöst ist. Das war das Versprechen Asquiths und der ganzen liberalen Regierung als das Oberhaus den Etat ablehnte. Der zweite Punkt ist die Lage der Arbeiterpartei. DieJustice" und Genosse H y n d m a n verurteilen ausS bitterste die ganze Arbeiterpartei und überhaupt alle Sozialisten und Arbeiterführer, die die Taktik der Arbeiterpartei billigen oder auch nur bedingt billigen. Man kann diese Verurteilung nicht nur dem Schmerze und der Enttäuschung über das Wahlschicksal der sozialdemokratischen Kandidaten zuschreiben. Sie ist prinzipiell, und nur durch die letzten Wahlen verstärkt worden. Die Leiter der Sozialdemokratischen Partei meinen auch, die Arbeiterfraktion werde mit den Liberalen ein Koalitionsministeriuni bilden, also die Arbeiter verraten. Demgegenüber ist hervorzuheben, daß sowohl die Un- abhängige Arbeiterpartei wie die Arbeiterpartei ihre Selb- ständigkeit aufrechterhalten. DerLabour Leader" betont jetzt die proletarische Selbständigkeit mit größerem Nachdruck als zuvor. Es ist sicher, daß es ein Koalitionsministerium nicht geben wird. Die Arbeiterstattion wird soweit cs in ihrer Macht liegt das Rückgrat der Liberalen in ihrem Kampfe gegen die Lords steifen und eine Lösung der Verfassungskrisis beschleunigen. Denn so- lange diese Krisis dauert, kann die Arbeiterpartei auf Wahl- siege nicht rechnen. Die Arbeiterpartei verlor bei den Wahlen fünf Mandate und eroberte drei; der R ein Verl  » st be- trägt also zwei Mandate. Allein sie muß zugeben, daß ihr Angriff auf neue Wahlkreise mißlungen ist. Und eS ist für die Beurteilung britischer Verhältnisse äußerst wichtig zu wiffen, woher der Mißerfolg kam. Für die Arbeiterwähler handelte es sich bei diesen Wahlen vor allem um einen Kamps gegen das Oberhaus. Deshalb summten sie für diejenigen sozialistischen   und Arbeiterkandidaten, deren Sieg sicher war. Dagegen stimmten sie liberal und ließen die Arbeiterkandidaten im Stich, wo diese auf einen Sieg nicht sicher rechnen konnten und deshalb bei einer Stimmenzersplitterung nur dem An- Hänger der Lords den Erfolg gebracht hätten. Britische Wahl- stimmen sind keine Protest- und Demonstrationsstimmen. sondern sie sind wirkliche Faktoren in der Bildung von Ministerien.  _ poUtifcbc CUberlicbt, Berlin  , den 8. Februar 1910. Was wird auS der Wahlrechtsdorlage? Ueber daS voraussichtliche Schicksal der preußischen Wahl- rechtsvorlage wird einer hiesigen halboffiziösen Korrespondenz von parlamentarischer Seite, die angeblich die Stimmung innerhalb der bürgerlichen Fraktionen des preußischen Ab- geordnetenhauses genau kennt, geschrieben: DaS Schicksal der Wahlrechtsvorlage steht eigentlich schon heute fest und an die glatte Erledigung der Vorlage in der Wahlrechts- lommission glaubt niemand. Die Vorlage wird entweder in der Kommission stecken bleiben, da an eine Einigung der Fraktionen auf dem Boden der Vorlage nicht zu denken ist oder eine der ersten Abstimmungen wird schon die Ablehnung der wesentlichsten Bestimmung: die Beibehaltung der öffentlichen Wahl ergeben. Der HanplkulminationSpunlt ist die Frage: öffentliche und geheime Wahl. Ueber diese Frage soll in der Kommission zuerst debattiert werden, ehe man an weitere Einzelheiten der Vorlage herangeht. Die ge- samte Linke und das Zentrum stehen unbedingt auf dem Boden der geheimen Wahl, auch die Nationalliberalcn, die sich bisher noch nicht recht klar in dieser Frage ent- schieden hatten. In der Kommission werden also für die geheinre Wahl sein: 6 Zentrums«, 4 nationalliberale, 3 stci- sinnige, 1 sozialdeinokratische und 1 polnische Stimme 15 Stimmen; gegen die geheime Wahl: 9 konservative und 4 freikonservative Stimmen--- 13 Stimmen. Damit wäre die Beibehaltung der öffcnt-