Den Vorsitz führte Deputierte H u l a i n. der einen kurzen Rück-blick über die 25jShrige Etappe des belgischen Sozialismus gab.Als erster Redner sprachVandervelde. der die Debatte als die bedeutsamste seit derGründung der Partei bezeichnet. Ich bin, sagt er, indem ich dieDebatte eröffnet, von Bewegung ergriffen, denn die ganze Politikder belgischen Partei steht in Frage und mein Gegner sDe Broucksre)ist mein ältester Freund I Der Parteitag hat zu entscheiden zwischender Lösung, die die parlamentarische Gruppe vorschlägt und der desRedakteurs des„Penple". Der Konflikt zwischen den beidenMetboden ist ernst. De Broucköre will die Aufrechterhaltung derTaktik von heute: daß die Partei Oppositionspartei bleiben, ihreMandatare gegen die Budgets stimmen und die Sozialisten in keinMinisterium eintreten. Das würde heißen, daß die Arbeiter-Partei Garantien gegen sich selber schaffe. Dessen bedürfenwir aber nicht. Auf die BeteiligungZfrage, die fürheute nicht spruchreif sei, weil man nicht wisse, inwelchen Umstanden sie sich präsentieren werde, übergehend.sagt Vandervelde, daß die Resolution Kautsky, die derAmsterdamer Kongreß bekräftigte, auf Frankreich, auf das Eintreteneines einzelnen Sozialisten in ein Ministerium ohne Zustimmungder Partei zielte. Die Frage der Beteiligung sei eine Frage derTaktik, mcht de? Prinzips. Das ist der Sinn der PariserResolution, die wir vollständig mit unserer Tagesordnung an«erkennen, denn wir sprechen aus. daß der Eintritt eine? Einzelnenin eine Regierung nicht gestattet ist.— Wenn wir tun, wasDe Broucköre wtll, nach dem Sturze der klerikalen MajoritätOppositionspartei bleiben, gegen die Budgets des Klassenstaatcsstimmen. was geschähe? Die Liberalen ergreifen dieRegierung und legen sofort ein Gesetz mit dem allgemeinenWahlrechi. für die Kommunal- und Provinzialvertretungenvor. De Broucköre verlangt, daß wir sechs Wochen nackseiner Erhebung das Kabinett mit der Verweigerung des HeereS-kontingentS zu Fall bringen.— Fünf Monate vor den Wahlen denBeschluß zu fassen, jedes Ministerrum umzubringen, ohne zu wissen.was es beabsichtigt, würde die Klerikalen nur beruhigen. Es würdeihnen genügen, die Vertrauensfrage zu stellen oder die Abstimmungüber das Kontingent abzuwarten und die liberale Partei wäre ge-stürzt! Da wäre es für uns überflüssig, für die kommendenWahlen große Anstrengungen zu machen. Es wäre unnütz, eineSchlacht zu liefern, da sie von vornherein verloren wäre.Vandervelde beruft sich auf England, wo die Arbeiterparteikeinen Vorteil von ihrer Haltung gegenüber den Liberalen gehabthatte. Heute erklärt ein englischer Sozialist, daß die Sozialisten dasliberale Kabinett unterstützen würden. Wir verfolgen dieselbe Taktik.Kommt eine Regierung, die uns das allgemeine Stimmrecht und soziale Reformen bringt, so werden wir sieunterstützen— im anderen Falle werden wir handeln wie Anseelein Gent.(Dort sind die Sozialisten im Gemeinderat mit denKlerikalen gegen die Liberalen vereinigt.) Mögen sich'S die merken,die eS angeht! Wir wollen uns weder durch eine Taktik der Opposition,noch durch die einer systematischen Unterstützung binden, sonderndie Hände freibehalten. Die Zersprengung der bürger-lichen Parteien— von der keine eine Majorität haben wird, bedeutetdie günstigste Situation— eine wird die andere mit ihrem demo-kratiichen Reformeifer überbieten.... Wir werden die Refonnenannehmen, woher sie kommen I Seit 25 Jahren haben wir gegenunsere Gegner die bittersten Kämpfe geführt— heute bietet man unsstatt der Kanonenschüsse— Portefeuilles I Aber wir werden uns nichtmit dem Honigkuchen zähmen lassen, den uns die Bourgeoisie zu-wirst I Unser Blick wird auf das sozialistische Ideal gerichtet bleiben.Vanderveldes Rede entfeffelt bei einem großen Teil des Kongressesstürmischen Beifall.Delsinne glaubt nicht, daß die Liberalen, die noch kon-servativer seien als die Klerikalen, ihre Versprechen halten werden.Einmal an der Regierung, werden sie vollends ihre Demokratie ver-licren. Man möge in den Arbeitern nicht die Illusion erwecken, daßdas Heil allein im Sturze des KlerikaliömuS liegt.RenS spricht dagegen, daß sich die Partei in irgend einer Weisebinde, wir werden die Reformen auch ohne die systematische Unter-stützung der Liberalen erhalten. Als Klaffenpartei muß der Libe-raliSmuS für uns der Feind bleiben.HinS-Jxelles spricht gegen die Beteiligung an einemMinisterium, ist aber für die Unterstützung der Ltberalen und dieVotierung deS Budgets.Volkaert will, daß der Kongreß nicht wie die ResolutionVandervelde die Frage über den Eintritt von Sozialisten inein Ministerium offen lasse, sondern daß sich der Kongreß hierverneinend ausspräche. Um Reformen zu erhalten, braucht sichdie sozialistische Fraktion nicht der liberalen Partei einzuverleiben.Allgemeines Wahlrecht, obligatorischer Unterricht und demokratischeMilitärreform stehen sowieso auf dem Programm der Liberalen.Wozu uns die Hände binden? Auch die klerikale Partei hat ihreDemokraten und wer weiß, ob, einmal gestürzt, die Klerikalen nichtaus Taktik Demokratie beweiben werden I Dann können die So-ziolisten in die Lage kommen, gegen diese Reformen stimmen zumüssen. Ich bin, schließt Volkaert. mit De Broucköre für eine Klassen-Politik! Ausgebeutete gegen Ausbeuter!Tins der Partei.Der deutsche Parteivorstand an die englische Arbeiterpartei.Der Parteivorstand hal der englischen Arbeiter-Partei zu den nunmehr beendeten Parlamentswahlen den folgendenGlückwunsch telegraphisch übermittelt:Ramsay Mac Donald. London, Victoria Sweet 28. Zu denguten Erfolgen, die Ihr in den, nun beendigten schweren Wahl-kämpfe dem völkerverhependen Flottenrummel zum Trotz errungenhabt, sendet Euch in brüderlicher Gesinnung die herzlichstenGlückwünscheDer Parteivorstand der Sozialdemokratie Deutschlands.AuS den Organisationen.Der Sozialdemokratische Berein für den Wahl-kreis Herford-Halle zählte am 31. Dezember 1909 in2« Ortsgruppen 1644 Mitglieder gegen 1186 am 30. Juni, das isteine Zunahme von 458. Die Zahl d»'..Volkswacht'-Abonnenten istauf 2100 gestiegen. In 13 Gcmeind/r hat die Partei 21 Vertreter.Die Generalversammlung deS Vereins am Sonntag beschloß, daßmindestens ziveimal im Jahre Gemeindevertreterkonferenzen statt-finden sollen.Die Generalversammlung des Sozialdemo-kratischen Vereins für den Wahlkreis FürstentumLippe tagte am Sonntag in Lage. Sie war von 16 Ortsgruppendurch 32 Delegierte beschickt, außerdem waren der Kreisvorstand, derBezirkSfekretär und Vertreter der Presse(„VolkSwacht", Bielefeld)anwesend. Der Verein hat drei neue Ortsgruppen gegründet. DieZahl der Mitglieder betrug am 31. Dezember 1909 714, darunter34 weibliche, gegen 603,(darunter 23 weibliche) am 30. Juni 1909.Da« ist also eine Zunahme von 111 Mitgliedern. Die Einnahme im2. Halbjahr 1909 bewug 971.51 M.. die Ansgabe 703,50 M. Die Ein-nahine des ganzen Jahres betrug 1536,56. die Ansgabe 1268,55 M.j derKassenbestand mithin am 31. Dezember 1909 268,01 M. Die„Volkswachl"-Abonnente>i haben um 186 zugenommen, cS sind fast1000 im Kreise. ES sollen regelmäßig Gemeindeverweterkonferenzenabgehalten werden. Das BildungSwesen soll organisiert undder Schnapsboykott schärfer durchgeführt werden.Landtagsabgeordneter Genosse Schmuck referierte dann über feineTätigkeit im Landtage. Auf Anregung aus der Versammlungberau» wurde der Vorstand beaufwagt. über die Frage des lippischenDomaniumZ und des lippischen Wahlrechts besondere Aufklärungunter das Volk zu bringen.Die Generalversammlung des Kreises Hanau-Geln-hausen, die am Sonntag ragte, beschloß, für den Maifeier-s o n d S pro Ouartal und Mitglied 6 Pf. zu erheben: desgleichensollen zur Stärkung der Areiskasie v Pf. Extrabeiwag gezahltwerden.Die Genossen im Kreise haben eine umfangreiche Tätigkeit ent-faltet, die auch einen verhältnismäßig guten Erfolg gehabt hat.Vom 1. Jnli bis 31. Dezember 1909 ist die M i t g l i e d e rz a h lvon 5923 auf 6492 gestiegen. Am Schlüsse des Jahres zählteder Kreis 840 organisierte Genossinnen.Die staatsbürgerliche Gleichberechtigung.Unier dieser Ueberschrift berichteten wir gestern, daß GenosseSchmaller in Kaiserslautern als dritter Adjunkt nicht be-slätigt worden ist. Nachträglich wird mitgeteilt, daß es sich i»Wirklichkeit nicht um einen dritten Adjunkten handelt, sondern umeine Vertretung des Standesbeamten, die allerdingsauch der Bestätigung durch die Regierung bedarf.Die Regierung hat die Notwendigkeit eines weiteren Standes-beamten nicht anerkannt und aus diesem Grunde die Bestätigungversagt._Der zweite sozialdemokratische Bezirksanwalt in Zürich.Zürich, 7. Februar.(Eig. Ber.) Nach vorausgegangenen heftigenKämpfen ist im zweiten Wahlgang unser Genosse Jakob H außer,Schriftsetzer, mit 13 419 gegen 13 154, also mit einer Mehrheit von337 Stimmen zum Bezirksanwalt(Untersuchungsrichter) geivähltworden, mit dem nun der zweite Sozialdemokrat in diese Behördeeinzieht. Die Bürgerlichen— Liberale. Demokraten und Katholische— bildeten einen einzigen Ordnungsbrei und sie ließen sogar nachdem ersten Wahlgang ihren Kandidaten, der bereits als außerordenl-licher Bezirksanwalt wirkte, aber nicht immer seine Pflichten erfüllte.fallen, um mit einem neuen Kandidaten ihr Glück zu versuchen, aberohne Erfolg. Unsere Partei errang den Sieg aus eigenerKraft._Die LandeSorganisation der deutschen und österreichischen Sozia-listen in der Schweiz hielt am Sonnabend und Sonntag in Bernihre Konserenz ab. die von 32 Delegierten und einem Vertreter derschweizerischen sozialdemokratischen Partei in der Person des GenossenFähndrich besucht war. Die Sänger des internationalen Arbeiter-Vereins begrüßten die Versammlung mit zwei hübschen Gesangs-vorträten. Die Sitzung am Sonnabendabend wurde ausgefüllt mitder Erörterung der Stellung der LandeSorganisation in der Schweiz.Es wurde schließlich eine Resolution angenommen, in der die poli-tische Rechtlosigkeit der Ausländer in der Schweiz hervorgehoben,die Pflege des Zusammenhanges der ausländischen Genossen mitihrer heimatlichen Partei betont und die Mitarbeit in der schweize-rischen Arbeiterbewegung empfohlen wird. Die Landesorganisationerhielt den neuen Namen.LandeSorganisation der internationalensozialdemokratischen Arbeitervereine in der Schweiz".Nach dem Berichte des Sekretärs hat die Organisation seit 1907durch den Anschluß verschiedener Vereine eine erfreuliche Verstärkungerfahren. Aus dem Kassenbericht erwähnen wir. daß in der drei-jährigen Periode die Einnahmen 12 819,79 Fr., die Ausgaben11 120,27 Fr. und der Kaffenbestand 1699.52 Fr. betrugen; derinternationale Flüchtlingsfonds vereinnahmte 2265.06 Fr., die Aus-gaben beliefen sich auf 1941,54 Fr., der Kassenbestand auf 323,52 Fr.Für die deutschen ReichStagswahlen wurden 3239,25 Fr., für dieösterreichischen Reichsratswahlen 1047,10 Fr., für den schwedischenGeneralstreik 277,80 Fr. gesammelt.In einem Beschlnsse wird der sozialdemokratischen Jugend-bewegung die Svmpathie ausgedrückt und den Sektionen die Unter-stützung und Förderung empfohlen.AIS Beitrag wurden 5 Cts. pro Mitglied und Monat und dasGehalt des Sekretärs auf 2000 Fr. mit dem vorläufigen Maximumvon 2200 Fr. festgesetzt.Ein sehr erfreulicher Beschluß ist die Verschmelzung der Buch-Handlung der Landesorganisation mit der Grütlibuchhandlung unddie Abtretung derselben an die schweizerische sozialdemokratischePartei.Als Sekretär wurde der bisherige, Genosse Platten, be-stätigt, ebenso als Vorort Zürich.Soziales«Stelleuvermittelungsgesetz.Der Bundesrat hat dem Entwurf eines Gesetzes betreffenddie Regelung des Stellenvermittelungswesens seine Zu-stimmung erteilt._Widerspruchslose Hinnahme der Entlastung.Die Firma Max Steinberg hat den Graveur O. fristlos ent-lassen. Sie wurde von diesem gestern beim Gewerbegericht verklagt.O. forderte eine Entschädigung von 72 M. Er hätte eine ander-weitige Stellung sofort antreten können, wenn ihm die Beklagtesofort und nicht erst 8 Tage nach der Entlassung die Papiere aus-gehändigt hätte. Die Beklagte wendete ein, sie habe sich zur Ent-lassung berechtigt gehalten, da sich Kläger eines Diebstahls schuldiggemacht hat. Es handele sich dabei um eine Uhr, die Klägerzwar nicht ihm, sondern anderweitig entwendet haben soll. Mitder Entlassung sei der Kläger einverstanden gewesen, denn er habegegen dieselbe nicht protestiert.Die 8. Kammer des Gewerbegerichts bezeichnete die Entlassungals nicht berechtigt. Sie wäre berechtigt, wenn sich der Klägereines Diebstahls zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht hätte.Dem aus der unberechtigten Entlassung hergeleiteten Entschädi-gungsanspruch gab jedoch das Gericht nicht statt, weil die Beklagtedas Einverständnis des Klägers in der widerspruchslosen Hinnahmeder Entlassung annehmen mußte. Jedoch wurde die Beklagtezur Zahlung von 36 M. verurteilt, weil sie dem Kläger nicht sofortauf sein Erfordern die Papiere bchändigt hat und es gerichtS-notorisch sei, daß ein Arbeiter ohne dieselben anderweitige Stellungnicht erhalten kann.Die Auffassung des Gerichts, daß in der widerspruchslosen Hin-nähme einer Entlassung ein Verzicht auf die dem Arbeiter zu-stehenden Rechte liege, wird durch das Gesetz nicht unterstutzt.Sie ist irrig, wie wir wiederholt dargelegt haben. Indessen istArbeitern zu raten, um nicht durch ähnliche Auslegungen ihres Ver-Haltens Nachteile zu erleiden, ausdrücklich Zahlung für die Kündi-guttgsfrist bis zum Fortgang zu verlangen.Ein soziales Bild a»S dem Gegenwartsstaat.Vor dem Schöffengericht Erfurt standen dieser Tage zweiGreife, 64 und 70 Jahre alt, unter der Anklage des Bettelns.Sie räumten ihr Vergehen offen ein Und gaben an, sie würdenes nicht getan haben, wenn sie Arbeit erhalten hätten, aber über-all habe man sie wegen ihres Alters abgewiesen. Weil beideschon mehrfach wegen Bettelns vorbeMaft waren, beantragte derAmtsanwnlts Haftstrafen von 1 und 2 Wochen und außerdemgegen beide— Neberweisung an dir LandeSpoliieibehörde. DasGericht erkannte auf die Haftstrafen mit der Begründung, daßdie beiden Alten im warmen Gefängnis gut aufgehoben feien.Der Antrag des Amtsanwalts auf Ueberweisung ins Arbeits-haus wurde abgelehnt. Der Vorsitzende, Amtsgerichtsrat Dr.Krause betonte, daß die armen, alten, gebrechlichen Leute nichtins Arbeitshaus gehörten, da sie faktisch außerstande seien, zu ar-beiten. Hier müßte die Armenverwaltung unterstützend ein-greifen.Das Urteil des Amtsrichters sticht sehr wohltuend von derAnsicht des Anklagevertreters ab; es verrät Mitgefühl und sozialeEinsicht, und da beide Eigenschaften in unseren heutigen Richter-kreisen leider nur allzuselteu anzutreffen sind, so ist das Urteilwert, registriert zu werden. Die Anklage zeigt trotzdem wiederumdeutlich, wie notwendig die Beseitigung der Bettelstrafen unddes Arbeitshauses ist._Alldeutsche kontra Welsen.Das Schöffengericht Hannover beschäftigte sich Dienstag mitekner Beleidigungsklage der Ritgliedex des Wdeutfches Verbandesvon Stranz und Stolte gegen den Redakteur Langwost von derwelfischen Zeitung ,.DaS_ Recht". Auf einer Tagung deS?lkl»deutschen Verbandes in Schandau wurde bekanntlich bei der Be»Handlung der Welfenfrage zum Schluß eine Resolution gefaßt,in der gefordert wurde, den Bundesstaat Braunschweig als Reichs-land zu erklären. Die welfische Zeitung„Das Recht" brachtedaraufhin unter der Verantwortung des Angeklagten Langwostin der Nr. 130 im Oktober v. I. zwei verschiedene Artikel unge-fähr desselben Inhalts. Ter eine zur Anklage stehende Artikelwar betitelt: Reif fürs Zuchthaus; er enthielt eine Reihe vonscharfen und beleidigenden Ausdrücken gegen Mitglieder des All-deutschen Verbandes. Dieser Artikel wurde angeblich nur in 6000Exemplaren in der Nr. 130„Das Recht" zum Abdruck gebracht,dann wurde der Weiterdruck inhibiert. In dem Neudruck derNr. 130 dieser Zeitung erschien der Artikel ohne die Ueberschriftund mit wesentlichen Milderungen des Tonfalls und wurde dannzum Versand gebracht. Dieser Artikel stand aber nicht zur An-klage. Die 6000 Exemplare mit dem beleidigenden Artikel sindnach Angabe des Buchdruckereibesitzers Jacob und dessen Faktoran den Auftraggeber, Redakteur Langwost, ausgehändigt. Lang»wost will diese Zeitungen verbrannt haben. Nachweislich sind nunaber einige dieser Exemplare doch in die Welt geschickt. So hatnach Angabe des Rechtsanwalts Klemrath der Chefredakteur der„Nheinisch-Westfälischen Zeitung", Pohl, der Kläger von Stranzund er selbst ein solches Exemplar mit dem beleidigenden Artikelzugesandt erhalten. Der Angeklagte Langwost berief sich nundarauf, daß diese Zeitungen ohne sein Wissen und gegen seinenWillen verschickt seien, er habe alles getan, um die Veröffent-lichung dieses Artikels zu verhindern. Er sei nicht der Verfasser.Der Verfasser sei ein höherer Staatsbeamter. Sein Name wurdenicht genannt. In dem inkriminierten Artikel wurden die Mit-glieder des Alldeutschen Verbandes auch deS Landesverrats bezichtigt und Langwost hat auch in diesem Sinne eine Anzeige beider Staatsanwaltschaft Dresden erstattet. Das Verfahren wurdeindes eingestellt. Das Gericht erkannte auf kostenlose Frei-sprechung. Es vermochte den sonderbaren Spuren des HamburgerSchöffengerichts nicht zu folgen, das kürzlich im Prozeß gegenStengele die Behauptung des Klägers, eines Redakteurs der„Hamburger Nachrichten", der Beklagte sei der Verfasser, alseinen Beweis des Behaupteten betrachtete.Wiens größte Genossenschaft,der Erste Niederöstereichische Arbeiterkonsumverein, hat in demnur 9 Monate umfassenden Geschäftsjahr 1909 seinen Warenumsatzvon rund 7,7 Millionen Kronen in der gleichen Zeit 1908 auf9 Millionen Kronen gesteigert. Die Mitgliederzahl nahm um 1700zu und beträgt jetzt rund 40 000. Backwaren wurden in den9 Monaten für 1� Millionen Kronen erzeugt. Seit 1896 hat derVerein, der vorher unter bürgerlicher Leitung vegetierte, einenkräftigen Aufschwung genommen. 1896 zählte er 7200, 1897 über10 000 und 1907 30 000 Mitglieder. Im letzten Jahre wurden5 neue Verkaufsstellen errichtet, die großartigen neuen Gebäudein Betrieb genommen und ein freundliches Verhältnis zu denanderen Konsumvereinen(„Vorwärts" und«Fünfhauö") herge-stellt. Hoffentlich wird die Zusammenfassung der verschiedenenVereine, die in Wien die größte Konsumentenorganisation desKontingents schaffen würde, nicht mehr lange auf sich wartenlassen.—In Verlin nimmt die Zahl der Genossenschaftsmitglieder feitder Zentralisation der Konsumvereine, wie wir kürzlich mitteilten,in erfreulichem Maße zu. Indessen bleibt sie noch weit hinterden Ergebnissen anderer Großstädte zurück. Leipzig hat fast diedoppelte Zahl Mitglieder wie Berlin. Ein Beitritt zur Genossen-schaft nützt dem beigetretenen Mitglied und den allgemeinen Zielender Arbeiterklasse. Je mehr Mitglieder dem Berliner Konsumvereinbeitreten, desto leistungsfähiger ist er. Gerade das erste Ouartalde» Jahres ist als BeitrittSzeit als besonders günstig zu empfehlen.Tins Industrie und Kandel.Steigerung der Warenpreise.Die Hebung deS Warenpreisniveaus, am Stande des Jahres1895 gemessen, gibt die„ArbeitSm.- Korresp. aus 28 Prozent an.Sie schreibt:„Berechnen wir nämlich für die wichtigsten 17 Waren,deren Preis zu den vom deutschen Konsum verbrauchten Mengen insVerhältnis gesetzt wird, den Jahresindex, so erhalten wir fürdie letzten 15 Jahre folgende Indexziffern:Vergleicht man die Indexziffer von 1909 mit der von 1895, soergibt sich eine Steigerung um 1289 M. Seit 1900 hat sich dasWarenpreisniveau um annähernd Rt Proz. erhöht. Von 1906 abha« sich das Preisniveau unausgesetzt gehoben, wenn auch in denJahren 1908 und 1909 nicht mehr in dem gleichen Matze wie 1907.Der scharfe Preisvorsprung gegenüber dem Niveau von 1895 rührthauptsächlich von den Getreide-, Vieh- und Kohlen»preisen her. Von den sür den Konsum wichtigen Getreideartenist es wieder in erster Linie der Weizen, der einen äußerst starkenVorsprung gegenüber 1895 aufweist. Im Laufe der letzten15 Jahre ist nämlich die Indexziffer für Weizen von 468,82auf 769,50 M. oder um 04 Proz. in die Höhe gegangen. BeiRoggen ist die Preissteigerung nickt ganz so stark; doch ist derIndex hier immerhin auch von 627.75 auf 924.61 M. oder um47 Proz. gestiegen. Die Aufwärtöbewegung der Kartoffel»preise innerhalb der letzten anderthalb Jahrzehnte hat eine Zu»»ahme der Indexziffer um SS Proz. zur Folge gehabt. Von denViehpreisen weisen zweifellos die S ch w e i n e p r e i s e die empfind»lichste Steigerung aus; die Indexziffer, die 1895 im JahreSdnrch-schnitt erst 630,70 M. betrug, ist im Laufe der Jahre derart ge-stiegen, daß sie im Jahre 1909 eine Höbe von 920,41 M. aufwies.Das Plus um 289,71 M. entspricht einer Steigerung um 46 Proz.Bei den anderen Viehsorten war die Erhöhung nicht ganz so stark,immerhin stieg auch der Index für Kälber um 39 Proz. Zwei weiteresehr wichtige Waren sind noch mit einer erheblichen Preissteigerung her»vorzuheben, und zwar Steinkohle und Baumwolle. Die Indexzifferfür S t e i n k o h l e, die im Jahre 1895 526,20 M. betrug,~ gingallmählich so hinauf, daß sie im Jahre 1908 einen Stand von729,45 M. erreichte. Dasselbe Quantum also kostete im Jahre 1908reichlich 200 M. mehr als 1895. Im Jahre 1909 trat„un zwarein Rückgang ein, aber immerhin stand der Index für Steinkohlemit 707,84 M. auch im Jahre 1909 noch um 34 Proz. höher als1895. Bei Baumwolle ist die Preissteigerung in den letztenfünfzehn Jahren noch weit empfindlicher gewesen: der Index,der damals auf 167,67 M. stand, hatte 1909 im Jahres-durchschnitt eine Höhe von 275,41 M. Die Zunahme von 107,74 M.entspricht einer Steigerung um 64 Proz. Die Preissteigerungder Baumwolle hat also den nämlicken Grad wie die für Weizen.Von den für den Konsum wichtigen Waren, die innerhalb der letztenanderthalb Jahrzehnte eine aufsteigende Preiskurve durchlaufen haben,sind sodann noch Rinder. Tabak, Roheisen. Jute und Seide zu nennen.Bei Roheisen ist die Preissteigerung im Vergleich zu der beiSteinkohle auffallend gering. Die Indexziffer ging nur von 266,30auf 280,32 M. hinauf. Niedriger als 1895 steht der Index beiwenigen Waren, eS sind dies Reis, Kaffee, Zucker und Petroleum.Bei Zucker ist der Rückgang fojjar sehr stark; er beträgt 53 Proz.— Boir diesen Steigerungen erzählen die Unternehmer nichts, tvennfie auf die nominellen Lohnsteigeningen hinweisen, um darzutun,daß sich die Lage der Arbeiter gehoben habe.