Einzelbild herunterladen
 

Wner noch vereinzelt Schüsse fielen, sich nicht o u i sozialdemokratischen Demo n st r a-n t c n und Neugierigen zusainnieusetzte, sondern dag sie au s s ch l ie,g- lich aus gewissen Elementen der Altstadt destand, die die günstige Gelegenheit benutzten, um sich an den Polizei- beamten zu rächen. Charakteristisch ist, das; das Asyl für Obdachlose, das sonst jede Nacht bis zum letzten Platz besetzt sei, in dieser Nacht n in: sieben G ä st e zählte. Halle, 18. Februar. Gestern abend trat die Hallesche Arbeiterschaft in zwei riesig besuchten Protestoersaminlungen zusammen, um ihrer flammenden Empörung über die Polizeibrutalitäten am vorigen Sonntag Ausdruck zu verleihen. Mehr als 1 Q 00 0 Menschen, darunter viele Bürgerliche, strömten den Versammlungslokalen zu, konnten jedoch nicht alle Platz finden. Die Genosien H e n n i g und Drescher hielten zündende Referate, nach deren Schluß einstimmig folgende Resolution angenommen wurde: 10 0M Männer und Frauen erklären: Die polizeilichen Bluttaten vom vorigen Sonntag, das Niedersäbeln friedlicher, wehrloser Menschen durch die in Naserei verfallene Hallesche Polizei, haben den preußischen Polizeistaat wieder einmal in seines Wesens innerstem Kern und seiner ganzen Brutalität enthüllt. Schon immer ging in Preußen Gewalt vor Recht! Mit Gewalt, durch einen Staatsstreich, hat ein preußischer König dem Volte das Dreiklassenwahlrecht aufgezwungen, das 83 Proz. werklätiger, schaffender Wähler entrechtet, sie jeglichen politischen Einflusses beraubt. In der neuen Wahlrechtsvorlage will die preußische Re- gierung dieses infame Ausnahmerecht noch verschärfen, die Zahl der politisch Rechtlosen noch vermehren. Diese freche Ber- höhnung, diese unerhört freche Provokation beantwortete das Volk in wuchtigen Demonstrationen mit der unentwegten Forde- rung nach dem gleichen Recht. In sinnlosem Wüten, mit roher Gewalt hat in Halle die Polizei den Masscnruf nach dem gleichen Recht zu ersticken ver- sucht. Ohne jeden Anlaß hat sie auf eine friedliche, wehrlose Menge mit blanker Waffe eingehauen, ja Fliehende nieder? geritten und blutig geschlagen. Die Versammelten, durch die polizeilichen Brutalitäten zu maßloser Empörung aufgerüttelt, kennen nur noch grenzen- lose Verachtung und unauslöschlichen Haß für die Veranstalter der blutigen Metzelei. Sie geloben, allen polizeilichen Untaten zum Trotz, den Kampf um das gleiche Wahlrecht in Preußen nun erst recht mit aller Kraft zu führen und nicht ruhen und rasten zu wollen, bis die preußische Dreiklassen- und Polizei- schände durch einen unwiderstehlichen Volkssturm hinweg- gefegt ist." In der Diskusston gaben alle Redner namentlich ihrer Ent- rüstung über die total verkommene bürgerliche Preffe von Halle, einschließlich der am schamlosesten sich gebärdenden freisinnigen Presse, gebührend Ausdruck. Auch die bürgerliche Stadtverordneten- mehrheit, die in der Sitzung am Montag über das Blutbad fröhlich gelacht hatte, erfuhr entsprechende Kritik. Nach Schluß der Versammlungen zogen die vielen Tausende mitten durch die Stadt nach Hause, ohne daß irgendwie Zusammenstöße vorkamen. Von der Partei waren Ordner aufgestellt worden, deren Weisungen prompt befolgt wurden. Die Polizei hatte umfassende Maßnahmen getroffen, bekam jedoch keinen Anlaß zum Einschreiten. Sie verhielt sich ruhig. DaS Militär stand wieder marschbereit. Das Rathaus war sogar mit einem Zug Infanterie besetzt, der aber nichts zu tun fand. Mit imposanter Ruhe durchzogen die Demonstranten in Gruppen die Stadt, ein Zug. der kein Ende nehmen wollte. Diese nächtliche Demonstration, mit welcher die Gesetzlichkeit und Ruhe des Proletariats bekundet werden sollte, hinterließ einen mächtigen Eindruck._ Der Stahlrecbtskanpf. Die Städte und die Wahlrechtsvorlage. Der Magistrat von Berlin beschloß unter Beitritt zu dem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung eine Petition a«S- zuarbeiten, in der vom Standpunkt der Berliner Berhältniffe eine Abänderung der Wahlrechtsvorlage beim Landtage be- autragt wird. Einer Wahlrechtsresolution der Stadtverordnetenversamm- lung in Königsberg i. Pr.»stauch derMagistrat beigetreten. In Stettin haben die Sozialdemokraten und auch die liberalen Mitglieder Anträge gegen die Wahlrechts» Vorlage eingebracht, die in der nächsten Sitzung zur Ver- Handlung kommen werden. Wackere bürgerliche Stadtväter! Die Sozialdemokraten im Hanauer Stadtverordneten» k»l le g i u m hatten einen Antrag auf Absendung einer Petition gegen die Wahlrechtsvorlage eingebracht. Freisinnige und Nationalliberale machten aber jede Verhandlung über den Antrag unmöglich, verhinderten seine Begründung und vereitelten so fjeds Aktion gegen die Wahlrechtspläne der preußischen Regierung. » Der Stadtverordnetenversammlung zu Magdeburg lag am Donnerstag ein D ring li ch ke its an trag der sozialdemokra- tischen Fraktion zur Beratung vor, worin eine Wahlrechts- Petition ans Abgeordnetenhaus gefordert wurde. Obwohl von unseren Genossen darauf hingewiesen wurde, daß ähnliche Anträge schon in einer Reihe von Städten zur Verhandlung gekommen seien und Eile in Anbetracht der ganzen Situation un- bedingt vonnöten sei. lehnte die Stadtverordnetenversammlung die D r i n g l i ch k e i t mit allen gegen die Stimmen der Sozial- demokraten und dreier Bürgerlicher ab. Die gegnerischen Redner, vor allem der nationalliberale Justizrat Dr. Stern, bestritten über- Haupt die Berechtigung der Stadtverordnetenversammlung, über den Antrag zu verhandeln. Sie beriefen sich auf die Slädteordnung, die die Erörterung politischer Angelegenheiten verbiete I Merkwürdige Selbsttäuschung im Polizetpräfidium zu Frankfurt a. M. Die sozialdemokratische Parteileitung zu Frankfurt a. M. hatte beim Polizeipräsidium die Erlaubnis zur Ber - an staltung eines Wahlrech tsunizuges für nächsten Sonntagnachmittag vom Hohenzollornplatz über Kaiserstraße bis Allerheiltgen-Tor nachgesucht. Sie hatte sich erboten, durch 500 Ordner Sorge dafür zu tragen, daß nicht die geringste Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus der Zwndgebung entstehe. Das Polizeipräsidium. gezeichnet Scherenberg, hat jedoch Freitag vormittag unserer Parteileitung mitgeteilt, das; es die Genehmigung zu dem Aufzuge versage. Zur Begründung führt es an: Die mit dem Zuge verbundenen Massenansammlungen lassen bei den bekannten Dcmonstrationszwecken dessetbe» nach den bis- herigen Vorkommnissen und schweren Ausschreitungen seitens der ! DemonstratiouSieilnehmcr Gefahren für die Allgemeinheit be- fürchten, so daß schon im Jiueresse der Sicherheit des an der Ver- anstauuna nicht beteiligtet! Straßenpublikums das Verbot des Zuges erforderlich ist." DieFrankfurter Volksstimme" schreibt dazu: Im Interesse der Sicherheit des nicht beteiligten Publikums I Im Interesse dieser Leute müßten in Frankfurt unter dem jetzigen Regiment ganz andere Leute Zügel angelegt bekommen." Eine grosse De»»o»strat»onsversamu»lung unter freiem Himmel haben die Dortmunder Genossen für nächsten Sonntag einberufen. Die Genehmigung dazu ist erteilt worden. Dagegen wurde der Demonstrationszug verboten unter' Hinweis auf dieaufreizende Schreibweise der Presse". Am Donnerstagmorgen erschien in der bürgerlichen Presse folgende Bekanntmachung: Die in den letzten Tagen von Mitglieder» der soziaidemo- kratischen Partei versuchten Sttaßendemönstrationtn machen eS erforderlich, daß ähnlichen unerlaubre» Versuchen von Aufzügen oder Ansammlungen entgegengetreten wird. Dein Publikum wird daher im eigensten Interesse dringend angeraten, sich von der- artige» Demonstratione » unbedingl fernzuhalten. Dortmund , den 16. Februar 1010. Die Polizeiverwaltung. _ Dr. Schmieding." Achtung vor'«, Armeerevolver! In Neumünster war für Freitag im Stadtverordneten - lollegium die Beratung der sozialdemokratischen Jnter- pellatjon wegen der Straße nunruhen vom vorigen Sonntag aus die Tagesordnung gesetzt worden. Die dortige Polizei hat nun große Angst, daß es deswegen zu Ausammlungen und zu Zusammenstößen komme und hat deshalb bekannt gemacht, daß die Schutzleute mit Armeerevolvern ausgerüstet word e n sind. Die Einwohnerschaft wurde gewarnt, sich an Siraßendemonstrationen zu beteiligen mit dem Hinweis daraus. daß darin Auflauf(?), unter Umständen auch Aufruhr(??) erblickt werden könne i_ lilohrenutSsche. Zu Beginn der Freitagssitzung der RejchStags-Budgetkommission wurde noch einmal die Beschuldigung de» Genossen Severing. daß auf der Danziger Werst grobe Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien, erörtert. Admiral Harms verlas die vom Oberwerttdirektor in Donzig aufgenommenen Protokolle. In diesen wird behauptet, daß die Untersuchung die absolute Unwahrheit der Sederingschen Beschuldigungen ergeben hätte. Man habe die aus den ein- gesandten Plänen bezeichneten angeblichen Lagerstätten abgesucht, abernur wertlose Abfälle zutage gefördert". Es scheine, daß die Gewährsmänner des Abg. Severing Wider besseres Wissen gehandelt hätten.... Wegen der Verbrennung von Segeltuch ist der be- treffende Feldwebel auS dem Arnlleriereffort vernommen worden. Er erklärt, daß er nur Sachen verbrannt und in« Waffer geworfen habe, diewertlos", alsoauch zur Flickarbeit nicht mehr zu verwenden" gewesen seien... Genosse Severing erklärte demgegenüber, daß er von seinen Gewährsmännern die entgegengesetzte Nachricht erhalten habe I Noch heute früh sei ihm ein Telegramm zugegangen, worin es heißt: Gegenstiinde gefunden, Untersuchung oberjlSchlich; man sucht zu unterdrücken. Die von ihm behaupteten Taffachen seien übrigens im all- gemeinen bewiesen. Es handle sich nur darum, ob die ge- sundenen Gegenstände wertlos seien oder nicht. Seit wann sei es denn üblich, daß man Metallteile ins Wasser versenke und ganze Segeltuchballen zerschneide und verbrenne!? Man verkaufe das doch sonst als Altmaterial! Uebrigens habe er ja gestern bereits mitgeteilt, daß wertvolle Geschoßhülsen wieder herausgefischt worden seien. Hätte es sich um wertlose Gegenstände gehandelt, so würde man sie doch sicherlich haben liegen lassen! Er wünsche, daß das Marineamt die Protokolle veröffentliche. Aus der Tat- fache, daß man Metallabfälle angeblichum Löcher auszufüllen", in» Wasser versenke, werde man draußen im Lande schon die erforder- lichen Schlüsse ziehen. Es komme übiigenS nicht bloß darauf an, daß das Material angeblich unbrauchbar war, sondern es müsse untersucht werden, wieso es unbrauchbar geworden sei! Der Auf- forderung des Abg. Semler, seine Gewährsmänner zu nennen, könne er erst dann näher treten, wenn er mit ihnen Rücksprache genommen habe, und wenn der Staatssekretär öffentlich er- kläre, daß sie nicht gemaßregelt würden. Der Vorschlag des Abg. Mugdan . dem Abg. Severing die Möglichkeit zu geben, an der Untersuchung in Donzig persönlich teilzunehmen, wurde von den anderen bürgerliche» Parteien be- kämpft mit dem Borwand, daß der Reichstag hierzu gar keine formelle Möglichkeit habe und daß auch hierbei vermutlich kein anderes Resultat erzielt weide» würde l 9 Im weiteren Verlaufe der Beratung kam eS zu einer längeren Auseinandersetzung beim Titel25 000 M. zu Vergütungen für be- sondere Leistungen auf dem Gebiete des Schiffsbaues". Der Ab­geordnete S t r u v e teilte mit, daß die Schiffsvautechniker allgemein wünschen, daß dieser Fonds beseitigt werde, denn eS sei ein KorruptionsfoudS, den man in Beamtenkreffen gewöhnlich den Giftvaum nenne; denn eS sei bestimmt, daß die Zuwendungen geheim bleiben müssen und daß selbst die Empfänger Stillschweigen bewahren müssen! Da der Staatssekretär schließlich erklärte, er wolle Sorge tragen. daß diese Geheimniskrämerei aushöre, wurde auf Antrag ErzbergerS beschlossen, einen entsprechenden Vermerk in den Etat aufzunehmen. Für 2 Polizeiwachtmeister und 45 Schutzmänner, die den Polizeidienst aus den Werften versehen, werden 165 200 M. gefordert. Die Kommission hält diesen Polizeidienst für viel zu teuer. Schon im vorigen Jahre hatte sie größere Sparsamkeit verlangt. Die Verwaltung aber kehrte sich daran nicht im geringsten, sondern wirtschaftete ruhig in der alten Weise weiter. Um sie nun zu einer Aenderung zu zwingen, strich die Kommission 33 200 M. von der Forderung ab l Allgemein fielen die hohen Gehälter auf, welche die Werft an die Polizei- Mannschaften bezahlt. Ein Schutzmann erhält 8500, ein Wachtmeister über 1000 Bt. Jahresgehalt!! Beim TitelBauwerke" beklagte Genosse Ledebour die Zu- stände in den Arbeiterwohnungen und verlangte Abhilfe. Staats- sekretär v. T i r p i tz erklärte, daß die genannten Arbeiterwohnungen dem Mimsieriuni des Innern unterstellt seien, er also gar keinen Einfluß darauf habe... Staatssekretär Mermuth erklärte sich bereit, die Beschwerden des Abg. Ledebour an daS Reichsamt des Innern zu übermitteln. Nächste Sitzung: Dienstag, den 22. Februar. polltlfcbc CUberficbt. Berlin , den 18. Februar 1910 Delbrück als Hüter der Traditio«. Im Reichstag wurde bei Beginn der Sitzung zunächst namentlich abgestimmt über die Toleranz- antrage. Das Antendement der Sozialdemo- traten wurde mit A8 gegen St) Stimmen(Sozialdemo­kraten und Freisinnige) verworfen, ebenso der Antrag des Zentrums mit 160 gegen 150 Sffmmen bei acht StrmmeutMtungen. Dafür hatten gestimmt: Zentrum. Polen und Sozialdemokraten. Der alte Hottentottenblock. war also wieder aufgelebt und hatte einen glgtten Sieg er- fochten. Die Borabstimmiing über das Amendement hatte aber auch gezeigt, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die unbedingte Toleranz üben will. Auf die darauf vom Präsidenten Spahn gestellte Frage, ob der Reichskanzler die sozialdemokratische Jnter- pellation wegen seiner Aeußerungen über das allge- gemeine Wahlrecht beantworten wolle, erklärte in Ab- Wesenheit Bethmanns der Staatssekretär Delbrück : der Reichs- kanzler sei bereit, die Interpellation morgen zu be- antworten, so daß sie auf die Sonnabend-Tagesordnung gestellt wurde. Die Eröffnung der Debatte über den Etat des Reichs- amts des Innern gab Herrn Delbrück Gelegenheit zur Entwickelung seines sozialpolitischen Programms, denn bisher war er nur mit Einzelerörterungen sozialpolitischer Fragen bei Gesetzentwürfen oder Interpellationen hervorgetreten. Wie das alljährlich üblich ist, wurde die Debatte durch den Bertreter der stärksten Fraktion, des Zentrums, eröffnet. Ungewöhnlich ist es aber, daß der diesmalige Zentrums- redner, Dr. M e y e r- Kaufbeuren, sich auf handelspolitische Fragen beschränkte. Nunmehr entwickelte Herr Delbrück das, was man auS Höflichkeitsrücksichten einProgramm" nennen kann. Er nahm sich dabei ganz aus, als wäre er in seines Borgängers ab- gelegte Kleider hineingeschlüpft. Das war ganz Lethmann: in seiner ganzen bureaukratischen Dürre, in der Ersetzung der Gedanken durch phrasenhaft aufgeputzte Gemeinplätze. DasProgramm" Delbrücks bestand darin, daß er erklärte, ein Programm sei nicht nötig, weil jeder Staatssekretär, möge er heißen wie er wolle, doch nur Träger und Hüter der ein- für allemal seit Jahrzehnten festgelegten traditionellen amtlichen Sozialpolitik sein könne. Das sagen nun allerdings von jeher alle die Herren Bureaukraten, die ans irgend einen Ministersessel hinauf befördert werden. Im Reichsamt des Innern aber war das immer nur das Signal zu einer abermaligen Verkümmerung des so wie so höchst kümmerlichen sozialpolitischen Kurses. Das Gängelband des Unternehmertums wird stets straffer angezogen und läßt den Staatssekretär in ständig verkürzten Schritten cinherrrippeln. Herr Delbrück suchte allen Berussklassen Annehmlichkeiten zu sagen, allen voran natürlich der Landivirtschast. Seine Rede klang wie eine Festrede beim Bankett des Landwirtschaftsrats. Als er dann auf Industrie und Handel zu sprechen kam. ver- fiel er in einen entschuldigenden Ton. Den Mittelstand in Stadt und Land Pries er wieder als Hauptstütze deS Staats, aber die Arbeiter na, die hat er rein vergessen, da ist ihm die Puste aus- gegangen. Er hatte übrigens seinenLohn gleich weg, denn freude- strahlend schlürfte er es ein, alsder schlichte Mann aus der Werkstatt", der Konservative Herr Pauli-Potsdam er- klärte: Der Herr Staatssekretär hat ganz meine Meinung ausgesprochen l Genosse Fischer unterzog die Delbrückschen Weisheits- spräche einer scharfen und wirkungsvollen Kritik. Er nagelte den Minister zunächst auf den Widerspruch fest, daß er zwar mit vollen Backen es angepriesen habe, wie großartig sich die Industrie in Deutschland entwickelt hat, und daß er dennoch die Sozialpolitik heute, wo nur noch ein Drittel der Bevölkerung landwirtschaftlich tätig ist, nach den nämlichen Grundsätzen steuern wolle, die vor 40 Jahren vielleicht angängig gewesen sein möchten! Die ganze Rück- ständigkeit seiner Ansichten über die Arbeiter zeige sich aber in seinem Ausspruch, daß der Unternehmer zum Arbeiter in demselben Verhältnis stehe wie der Offizier zum Soldaten. Treffend hob Fischer dann hervor, wie diese echt preußische Auffassung in süddeutschen Staaten bereits durch eine'Änstchti- gere Beurteilung der Regierungen überholt sei. Den letzten Teil seiner Rede widmete er dann den Gewerbebcrichten, ans deren Abfassung durch die preußischen Gewerbeinspcktoren und mehr noch aus der redaktionellen Fassung durch das Reichsamt des Innern eine arbeiterfeindliche Tendenz hervorleuchte. Für die Arbeiter ergebe sich aus alledem die Lehre, daß sie sich organisieren müssen zum Kleinkampf, um der Regierung wie den Unternehmern die Gleichberechtigung ad- zuringen. Nachdem noch der fteikonservative Oberlehrer Linz dem Staatssekretär ein feuriges Lob gespendet und gegen die Konsumvereine gewettert hatte, wurde die Debatte vertagt. Zunächst kommt morgen die sozialdemokratische Wahlrechtsinterpellation an die Reihe. Justiz und Lex Pfui. DaS Abgeordnetenhaus beendete am Freitag zunächst die zweite Lesung der I u st i z v e r w a l t u n g. Genosse Liebknecht benutzte eine Reihe von Etatstiteln, um Wünsche zu äußern und Anregungen vorzubringen. So nahm er sich u. a. der Gerichtsdiener an, deren Lage besonders dadurch eine recht traurige ist, daß sie in, Falle einer Erkrankung weder Anspruch auf Krankengeld noch auf freie ärztliche Behandlung haben. Besondere Beachtung verdient der Borschlag Liebknechts auf Streichung des moralisch verderblichen Titels.Remunerationen der mit der Leitung oder Beaufsichtigung der Gefängnisarbeit beauftragten Beamten anZ dem Arbeitsverdienst der Gefangenen". Mit Recht wies Redner daraus hin, daß dieser Titel eine Gefahr in sich birgt, daß die Neigung der Gefängnis- Wärter zu schärferer Beauffichtigung der Arbeiter gestärkt wird. Eine Antwort wurde ihm nicht zu teil... Am interessantesten war die Debatte, die sich über die Frage der Behandlung geisteskranker Verbrecher ent- spann. Redner der verschiedensten Parteien waren sich darüber einig, daß für die verbrecherischen Irren be> sondere Anstalten errichtet werden müssen. Namentlich Lieb- k n« ch t betonte mit allem Nachdruck, daß der irre Verbrecher genau so ein Kranker ist wie jeder andere Irre und daß auf ihn die gleichen Behandlungsmethoden wie bei anderen Kranken an- gewendet werden müssen. Er empfahl, die Entscheidung über die Unterbringung geisteskranker Verbrecher dem Strafrichter zu nehmen und einzig den Medizinalbchörden zu überlassen, und er fordert- insbesondere die Einführung eines ordentlichen Rechtsweges sowie eines Schutzes gegenüber Zwangsinternierungen. Der Justizminister ging einer klaren Antwort auS dem Wege; er berief sich darauf, daß diese Angelegenheit zum Ministerium des Innern gehört, und begnügte sich im übrigen mit der Wiedergabe der betreffenden Bestimmungen deS Entwurfes eines neuen Siraf- gesetzbuches, deffen Einzelheiten durch ein AuöjührungSgesctz geregelt werden solle». Nach Erledigung des Justizetats überwies daS Haus die Novelle zum Gesetzentwurs betr. die Gewährung von Zwischen« kredit bei Rentengutsgründungen an die Agrar-