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lt. 43. Z7. ZahtMz. 1. SnlGt des Joniitls" finlintt WIKsM Sonntag. 20. Maar 1910. Reichstag  . 40. Sitzung. Sonnabend, den 19. Februar, vormittags 11 Uhr. Am Bundesratstische: v. Bethmann Hollweg  , Dern- bürg, Delbrück   und die meisten übrigen Bevollmächtigten der Bundesstaaten. Vie Angriffe des RetcbshanzlerQ auf das Rcicbstagswablrecbt. Ruf der Tagesordnung steht die Interpellation der Sozialdemokrat«. Wa? hat den Herrn Reichskanzler veranlaßt, in der Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses   vom tv. Februar d. I. Aus- führungen zu machen, welche das in der Verfassung des Reiches und mehrerer Bundesstaaten gewährleistete allgemeine, gleiche, geheime Wahlrecht herabzusetzen und zu bedrohen geeignet sind?' Reichskanzler v. Bethmann Hollweg   erklärt auf die Frage deS Vizepräsidenten Dr. Spahn: Ich bin bereit, die Interpellation sogleich zu beantworten. Abg. Dr. Frank-Mannheim(Soz.): Erst wenige Wochen sind verflossen, seitdem von konservativer Seite die Würde dieses Hauses schwer verletzt worden ist. Damals hat ein Abgeordneter, augeblich um ein Beispiel äußerster Disziplin zu zeigen, selbst ein Beispiel äußerster Disziplin l o s i g k e i t ge geben. Das hat Erregung und Beunruhigung hervorgerufen, und e-Z wäre klug gewesen, wenn demgegenüber der Herr Reichskanzler die erste Gelegenheit benutzt hätte, um öffentlich seinen Respekt vor dem Reichslage zu bekunden,<Sehr wahr! bei den Sozialdemo traten.) schon um den bösen Schein zu vermeiden, als wenn der spaß- hafte Herr, der jene Szene hier ausgeführt hat, nur öffentlich aus- gesprochen hätte. was seine klügeren Hintermänner denken und flüstern. ES ist anders gekommen: Der Herr Präsident des preußischen Staalsministeriums hat im Abgeordnetenhause eine Rede gehalten, von der man sagen muß: Wenn einmal der berühmte Leutnant mit seinen 19 Mann den Reichstag schlösse die General probe sollte ja vor kurzem im Berliner   Rathause vorgenommen werden lHeiterkeit links), dann müßte die theoretische Recht fenigung für einen solchen Vorgang ganz genau so ausfallen wie die Rede, die der Reichskanzler im Abgeordnetenhause gehalten hat. sSehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir verlangen darüber Rechenschaft. Der Herr Reichskanzler ist verpflichtet. die Reichsverfassung zu hüten und zu schützen, und zur Reichsverfostung gehören auch die Bestimmungen über das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag. Der Herr Reichskanzler hat aber auch die Verpflichtung, für gute Beziehungen zu den nichtpreußischen Bundesstaaten zu sorgen, und ein Teil der wichtigsten und größten Bundesstaaten hat in den letzten Jahren daS vom Reichskanzler kritisierte Wahlrecht eingeführt. Wir leben doch nicht im Kriegszustände mit einzelnen Staaten in Süddeutschland  , wenn auch der preußische Gesandte in Karlsruhe   die Feindseligkeiten schon eröffnet lGroße Heiterkeit) und wenn auch um- gekehrt der Chef des StaatSministeriumS in der zweiten badischen Kammer Preußen bereits als.Ausland' bezeichnet hat. sErneute Heiterkeit.) Der Herr Reichskanzler hat ja offenbar das Bedürfnis gefühlt, feine Rede zu kommentieren, vielleicht auch abzu- schwächen. ES hat daS im LandwirtschaftSrat versucht. AIS   politisch bedeutsam aus seinen dorttgen Ausführungen kann ich nur eine Behauptung, einen Wunsch herausgreifen: Der Herr Reichskanzler hat gebeten, man solle ihm nicht den etwas ab gegriffenen Philofopheniiiantel um die Schullern hängen. Ich muß schon sagen: Schade I Li taouisses, philosophus rnansisses! (Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben 1) Sie wiffen, daß bei verzweifelten Kriminalfällen, wenn die Schuldfrage ganz klar liegt, mitleidige Richter den Seelenzustand deS Angeklagten rn Betracht ziehen. Nachdem aber der Herr Reichskanzler wünscht, daß das unterbleibe, so sei es. Unser Urteil fällt dann viel ein- sacher, viel härter aus. Der Herr Reichskanzler wird von unS für schuldig erkannt ohne den mildernden Umstand der Philosophie und ohne Aussicht auf Befferung.(Sehr gutl und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Rleines f cuUlcton« Demonstration. Ort: Ein Hörsaal auf einem großen Planeten im Sternbilde des Herkules. Ein mächtiges Teleskop steht in Ver- bindung mit einem phono- tele-radioaktiven Apparat, der eS ermög- licht, jedes beliebige Objekt deS Universums bis auf 29 Meter Seh- und Hörweite heranzuholen. Die Bilder erscheinen in natürlichem Maßstab auf der Wandfläche. Der Vortragende:.Wir sprachen von der vorgeschichtlichen Zeit. Die hier vorgelegten Melallgeräte der Ausgrabungen geben uns keine Anschauung von den gesellschaftlichen Zuständen ihrer Berfertiger. Wir haben daher unser Fernrohr aus eine» kleinen unbedeutenden Wellkörper namenS Erde   eingestellt, der sich im System der Sonne befindet und hinter unserer eigenen Entwickelung um gut 199999 Jahre zurück ist. Wir werden gleich sehen.' Er schaltet daS Bild ein. Es erscheint die Straße einer preußischen Stadt. Aus dem Portal eines Gebäudes strömt eine anständig gekleidete Menge und zieht gemeffenen Schrittes dahin. Greise, Frauen. Invaliden, Konfirmandinnen stehen neugierig an der Bordschwelle, Kinder spielen vor den Torwegen. Der Vortragende:Man sieht die Abwickelung eines geordneten Verkehrs. Offenbar hat eine erhebende Volksfcier stattgefunden. Ganz wie bei unS und unverändert. Der Verkehr ist uralt, älter, w'S das Menschengeschlecht. Schon die Ameisen marschieren in endlosen Kolonne» ihre Straße, mit Ordnern zur Seite.' Die Menge quillt weiter aus dem Portal. Auf dem Balkon eines Hauics erscheint ein Mann mit geschnürter Taille und silbernem Kragen. Aus dem Kopfe ragt ihm etwas wie ein glänzend polierter Itagel aufwärts und auf der wattierten Brust hat er eine Apfelsinen- schale angeheftet. Er fuchtelt eine Weile mit den Armen und kräht dann: Straße dient lediglich Verkehr I Beim letzten Wort schnappt die Stimme quietschend über.(Gelächter im Zuschauer- räum.) Der Vortragende, erläutenid:»Dies ist die Sprechweise der Vor- nehmen des Landes.' DaS Bild verwirrt sich. In Kellerhälsen und Rotunden   versteckt, springen untersetzte Gestalten hervor. Offenbar Genossen des Mannes von, Balkon. Denn allen ragt der gleiche Nagel aus dem Kopfe, Aus einem Etui, das ihnen um die Pedale schlenkert, ziehn sie meterlange Messer und stürzen sich auf alles Lebende. Sie spießen Kinder, spalten Greise, inetzel» Frauen, zerhacken Invaliden. amputieren Konfirmandinnen. Wenn ihnen einer der Männer im Zuge ernst und traurig sein Gesicht zuwendet, weichen sie erschrocken zurück. Sobald er aber den Rücken kehrt, stecheir sie ihm von hinten in die Lunge. Eine Stimme aus dem Zuschauerraum:Bitte um Erklärung!' Der Vortragende:Zunächst sehen wir. daß die Eingeborenen der Erde sehr zerbrechliche Wesen sind. Sie lassen sich halbieren tvie ein Käse. Auch lassen sie sich ohne weiteres mit bleiernen Erbsen durchlöchern, die aus kleinen Handspritzen abgeschnellt werden. Sie kennen noch nicht wisere jetzige Radioaktivität, die Der Herr Reichskanzler hat im Abgeordnetenhaus behauptet, daß politische Kultur und politische Erziehung nicht gefördert werden, sondern leiden, je demokratischer das Wahlrecht ist.(Stürmische Rufe: Hörr I hört! bei den Sozialdemokraten.) Er hat weiter die Frage aufgeworfen, ob nicht die Tcmokratisicrung des Parlamcn- tarismns in allen Ländern dazu beigetragen hat, den politischen Sin» zu verflachen und zu verrohen.(Erneute stürmische Rufe: Hört t hört! bei den Sozialdemokralen.) So spricht ein Mann, der einein aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Parlament vcrant- wortlich ist(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) und die Frage wird sein ob wir uns das gefallen lassen dürfen. (Lebhaste Zustimnmng bei den Sozialdemokraten.) Bevor Sie antworten, ein Beispiel und eine neue Frage: Was würde mit einem Kanzler geschehen, der sich beikommen ließe. öffentlich zu behaupten, daß manche Reden oder Geschmacksrichtungen des Kaisers verflachend oder gar verrohend wirken?(Lebhafte Zu- sttmmung bei den Sozialdemokraten.) Würde der auch nur eine Stunde zu warten haben...?(Glocke deS Präsidenten.) Vizepräsident Dr. Spahn: Ich bitte, die Krone nicht in die Debatte zu ziehen.(Lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Frank(fortfahrend): Ich habe lediglich rein hypothetisch die Frage an Sie gerichtet, was geschehen würde... Vizepräsident Dr. Spahn(sehr aufgeregt unter heftigem Glocken» läuten): Ich bitte zu folg«!(Stürmischer Widerspruch bei den Sozial- demokraten, Zwischenrufe, minutenlange Unruhe im ganzen Hause.) Abg. Dr. Frank(mit erhobener Stimme): Der Herr Präsident hätte doch abwarten können. waS ich sagen will.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ich darf erwarten, daß dir Redefreiheit hier im Hause geschützt wird(Emeute Zustimmung bei den Sozialdemokraten, Lärm rechts), daß die Redesteiheit geschützt wird, wenn es sich darum handelt, Rechte de? ReickistageS zu wahren. (Stürmischer Beifall bei den Sozialdemolraten.) Kaisertum und Reichstag sind, wie Bennigsen gesagt hat, am gleichen Tage geboren.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Der Reichstag   hat den gleichen Respekt zu beanspruchen wie der Deutsche Kaiser.(Erneute Zustimmung und Beifall bei den Sozialdemokraten.) Der Reichstag  darf sich nicht gefallen last«, hier oder außerhalb des HauseS despektierlich behandelt zu werden.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Wir haben keinen Grund, hier mimosenhaft zurückzuschrecken vor einer Erwähnung deS Kaisers, wenn man um- gekehrt den Deutschen Reichstag im eigenen Hause bebandeln darf, wie eS hier in der letzten Woche geschehen ist.(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemokraten.) Der Reichstag   soll sich gefallen lasten, daß die Reichsgeschäste geleitet werden von einem Herrn, der über das Grundrecht des deutschen   Volkes, unser demo- trasischeS Wahlrecht so verächtlich denkt und spricht wie der Reichs- kanzler.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich glaube, er selbst mutz suhlen, daß er mit solchen Gesinnungen am unrechten Platze ist. So lange er aber noch da ist, wollen wir von ihm wissen, was er mit seinen Ausführungen bezweckt hat. Er hat im Abgeordnetenhause in sehr gereiztem Tone dem Ab- geordneten Pachnicke gegenüber verlangt, daß er und seine Reden ernst genommen werden sollten. Es ist schon bedenklich, wenn ein Minister das erst der- langen muß.(Sehr richtig! links.) aber wir tun ihm gern den Gefallen und nehmen seine Worte ernst. Und da sage lch ihm: Unter Männern ist eS selbstverständlich, daß keiner redet, bloß um zu reden; aus den Worten muß ein Wille leuchten wie aus den Wolken der Blitz. Und da frage ich den Herrn Reichskanzler: Beabsichtigt er. diesesverflachende und verrohende" ReichStagSwahlrecht zu ändern?(Sehr gut I bei den Sozialdetnokraten.) Herr v. Rottenburg   erzählt in seinen Erinnerungen von einem Gespräche, das in seiner Gegenwart Bismarck   mit dem General- den Körper mit der unverwundbaren Hornhaut deS Märchens panzert. Darauf beruht ja unser ganzes soziales Gefüge, daß bloße äußere Gewalt zu einem Popanz für unsere Kinder herabgesunken ist. Daß wir nur noch aus der Archäologie den Begriff eines Völkerkrieges festzustellen vermögen.' Die Stimme:Aber die Motive zu dem Gemetzel?" Der Vortragende:ES ist schwer, in die Psychologie der Primitiven einzudringen. Das Töten von Mitbürgern ist offenbar ein Standesvorrecht bei den Angehörigen der Häuptlingskaste. Unser Observatorium har ermittelt, daß in jenein Läudchen die Devise umgeht! Preußen in der Welt voran! Anscheinend besteht hier ein innerer Zusammenhang. Wenigstens hat sich dies Privilegium in anderen Gegenden desselben Planeten noch nicht zu solchem Masten- artikel ausgewachsen, wie ich gleich demonstriere» werde." Er schaltet ein anderes Bild ein. Man erblickt eine Straße in der Residenz des Sultans Muata Damwa in Jnnerafrika. Zwischen den Hütten wimmelt es von Negern, die feiertägliche Bemalung an- gelegt haben. Ueber einer Hecke erscheint der zähnfletschende Kopf Muata AamwoS. Auf dem Scheitel hat er einen großen Schiffs- nagcl in sein Haar gebunden. Er stößt ein gellendes Kriegsgcheul aus. Dann turnt er über die Hecke, läuft durch die Menge, sucht sich einen besonders kräftigen Mann heraus, faßt ihn am Kinnbart und hackt ihm mit einer kleinen Sichel die Nase ab. Der Vortragende:Er will symbolisch ausdrücken, daß er der Herr im Hause fft und sich alles erlauben darf." DaS Bild verwirrt sich. Alles drängt drohend herzu. Signal- trommeln werden geschlagen. Ein Pfeil zischt Muata Damwo durch die Perrücke: es gelingt ihm aber, hinter seine Hecke zu retirieren. Der Tumult dauert an. Nach einer Weile wird über dem köllig- lichen Wigwam die weiße Flagge gehißt. Der Großnagelbewahrer des Reicks tritt heraus und verkündet:Seine vernagelte Hoheit der Häuptling des Ostens und Westens läßt sich mit§ 51(Unzu­rechnungsfähigkeit) entschuldigen; sein Kurator gewährt übrigens allgemeine Amnestie und gleiches Wahlrecht!" Der Bortragende:--- Die Demonstration geht weiter. Musik. .luuiiit sich Direktor Dr. M. Alfieri von der Volksoper der vielen Kompositionen an, die von denOberen" ungerechterweise links liegen gelassen werden. Sein Geschmack, anö- gehend vom italienischen Schönheitögesang, läßt ihn auch Werke be- günstigen, die nicht im Zuge der Mode liegen. Ein solches Werk ist die einaktige romantische OperMandanika", die wir Freitag zu hören bekamen unseres Erinnerns zum ersten Male, obwohl sie bereits 1899 zu Elberfeld   herausgekommen war. Ihr Dichter ist Julius Freund, ihr Komponist Gustav LazuruS, dessen Chor- und Kammermusikwerkc man dort zu hören bekommt, wo die Musik um der Sache willen gepflegt wird. Lazarus   wiederholt mit seinerMandanika" den bekannten Be- Wels, daß man auch heute noch tonkünstlerisch sprechend wirken kann. ohne die musikalische Sproche ins Uebervirtuose zu forciereo. Die feldmarschall v. Manteuffel gehabt hat. Es handelte sich um die Frage, ob unser Rcichstagswahlrecht nicht geändert werden sollte; da habe der alte Soldat Manteuffel zu Bismarck   gesagt:«Das kann kein Zivilist machen, das muß schon ein Militärkanzler aussührcn!" (Hört I hört I bei den Sozialgemokraten.) Nun weiß ich ja nicht genau, zu welcher Kategorie von Reichskanzlern der derzeit amtierende Herr Reichskanzler sich zählt.(Heiterkeit.) Vielleicht hält er sich für diesen probibentiellcn Mann.(Mann der Vorsehung.) Bei der schnellen militärischen Karriere, die er gemacht hat(Stürmische Heiterkeit links) Iver weiß: vielleicht kommt er um die Majorsccke noch herum(Erneute stürmische Heiterkeit bei den Sozialdemokraten. Lärm rechts).. Ich für meine Person glaube nicht an die Befähigung des Reichskanzlers zu einem solchen Werk. Er hat nicht das historische Format für Werke, zu deren Ausführung ein Bismarck selbst sich alS unfähig erwiesen hat. Wenn er aber derartige Pläne nicht hat und wenn er auch nicht geredet hat, bloß um zu reden, dann kann er seine Ausführungen gegen das ReichStagSwahlrecht nur gemacht haben. um zu dozieren.(Sehr gut! linls.) Aber dazu steigt man nicht auf die Ministcrbank, dazu sind die K a t h e d e r da. Da soll der Herr Reichskanzler irgendwo Privatdozent werden, vielleicht an der neuen Universität zu Frankfurt   a. M. Wir haben.im Süden schon einen anderen kleinen Diplomaten, in Heidelberg  : den Herrn b. Jagemann, der jetzt dort Staatsstreichlehrer geworden ist. Aber bevor der Herr Kanzler seine neue akademische Karriere einschlägt, möchte ich ihm raten, daß er sich vielleicht erst ein bißchen in der Welt umsieht. Kein Vorwurf ist dem Herm Reichskanzler mit größerem Recht und mit größerer Schärfe gemacht worden als der Vorwurf der vollständigen Weltfremdheit.(Lachen rechts.) Ich frage den Herrn Reichskanzler: Wo hat er denn seine Beobachtungen über den Rückgang den politischen Bildung gemacht? Vielleicht bei den Borussen in Bonn   oder bei anderen Korpsbrüdern an ähnlichen Pflanzstätten der staatserhaltenden Gesinnung und Gesittung!(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten, Lärm rechts.) Der Herr Reichskanzler meint offenbar, daß die Studentenkneipcn und die Offizierkasinos wahre Oasen in der Wüste der politischen Unbildung sind; denn sonst hätte er diesen Herren in seiner Vor- läge drüben nicht die neuen wichtigen Privilegien einräumen wollen.) (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) WaS der Herr Reichskanzler unter»Verflachen der Bildung" versteht, das ist etwas ganz anderes; das ist die Ausdehnung des polisischen Interesses auf die unteren Volksschichten.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich kenne Arbeiter, die manchen Geheimrat an politischer Bildung übertreffen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten, Lachen rechlS.) Ob es bei den oberen Ständen anders ist, ob d o r t der Vorwurf zutrifft, lasse ich dahin- gestellt. Ein Philosoph diesmal ein wirklicher Philosoph Feuerbach, hat gesagt:Halbgebildet sind gerade die eingebildeten Gebildeten der höheren Stände".(Sehr richtig l bei den Sozialdemo- traten.) Aber wenn es in den unteren Volksklassen wirklich an poli­tischer Bildung fehlen sollte, dann ist daran nicht die Demolratisierung des Wahlrechts schuld, sondern im Gegenteil dir erbärmliche Volksschule, die auf dem Dreiklaffenwahlrccht beruht. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Sie, Herr Reichskanzler, würden Keffer daran tun, gegen die Unbildung zu kämpfen, als gegen die Ungebildeten, die nicht schuld sind an den Lücken ihres Wissens. (Sehr gutl bei den Sozialdemokraten.) Die Behauptung, daß in allen Ländern die Demokratisierung des Parlaments verflachend und verrohend wirke, ist unrichtig und mutz die Empfindung von Millionen Leuten in Deutschland   und im Ausland aufs schwerste verletzen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Reichs- kanzler sollte doch bei seinen Kollegen aus Oesterreich   nachfragen, ob dort das verflossene Kurienparlament eine Quelle der Bildung gewesen ist,(Sehr gutl bei den Soz.) jenes Parlament, wo Tinten- süsser und Kindertrompeten politische Machtfaktoren gewesen sind. Er sollte auch nachfragen bei seinen Kollegen in Bayern  , Wnrttcm- berg und Baden. Genau ein Jahr vor der Rede deS Herr» Reichs- kanzlers, am 19. Februar 1999, hat der«ürttembergische Minister v. Weizsäcker in warmen Worten anerkannt, daß die reine Bolls- kraft, die auf demokratischen Wahlen beruht, sich aufs beste bewährt habe.(Hört! hört I bei den Sozialdemokraten.) Der Reichskanzler mag aber auch bei anderen Ländern feststellen, was eS mit seiner Behauptung auf sich hat. Welche Länder hat er denn gemeint? Er soll sich doch einmal darüber aussprechen! In der parla- alten einfachen Mittel der Dreiklänge und der sie ergänzenden Ganztöne(im Gegensatze zurChromalik" der Halbtöne) sowie des VariierenS eines Themas von Moll zu Dur und dergleichen mehr tragen immer wieder neues Leben in sich. Allerdings laufen auch mancherlei gewöhnliche Redewendungen mit unter; und die Orchester« leitung könnte sich dabei durch Abschwächungen verdient machen. Oder kurz: Fortsetzung des Stiles der musikalischen Romantiker. Wie der Komponist derNeugierigen Frauen", Wolf-Ferrari  , Mozartsche Art pflegt, so Pflegt Lazarus Webersche Art, mit etwas Mendelssohn versetzt. Und die Hauptsache: er versteht es, den Höhe- Punkt der Dichtung durch einen Höhepunkt seiner musikalischen Leistung zu kennzeichnen, auch wenn sie sich dann in den denkbar einfachsten Formen bewegt. Die Geschichte von der indischen Fllrstentochter, die in niedere Dienste tritt und durch das Wunder von dem Goldasokabaume, der aus ihre Berührung hin herrlich erblüht, den König gewinnt, entrückt das Drama in eine lyrische Ferne. Dafür bedarf es eines eigenen Stiles der Darstellung, fernab sowohl von altem Opern- wie von neuem Naturtheater. Daß die Volksbühne diesem Stile nahezukommen sucht; daß unter den GesangSkünstlcrn besonders die weiblichen her- borragendes geleistet haben; und daß daS Ptiblilum sich anscheinend mit dem künstlerischen und sozialen Werte derVolksoper" immer mehr vertraut macht: das alles freut uns noch mehr; alS der tat- sächliche Erfolg, den die Premiere gefunden hat.«2. Notizen. Vorträge. Professor E. JaqueS Dalcroze   aus Genf   wird über seine Methode einer mu s ika li sch c n r h y th« mische» G Y m n a st i k am 25. Februar und 1. März im Konzertsaal der kgl. Hochschule für Musik zwei Vorträge halten. Beide Vorträge werde» durch Vorführungen mit sieben seiner Schülerinnen unter- stützt. Nur zum 2. Vortrag sind noch Karten bei Bote u. Bock sowie bei Wertheim   zu haben. Zcitichriftenschau. In Heft 3 der popiilär-wissen« schaftlichen ZeitschriftDaS Wissen für Alle"(Verlag von Hugo Heller   u. Co., Wien  ) spricht der Wiener   Physiker und Philosoph Ernst M ach über daS schwierige und oft erörterte Problem, ob feste zeitliche und räumliche Anordnungen unabhängig von der Anschauung bestehen. Daran schließt sich ein Artikel von S. A. Arrhenius   über die Ausbreitung deS Lebens durch den Welten- räum. Eine Schilderung der Nachtigall und ihrer Lebensweise von Martin Bracß wird durch reizvolle Aufnahmen nach der Natur illustriert. R. Zieme orientiert über die neueren Methoden schmerzloser Zahnoperation. Stefan Hock setzt seinen volkstümlichen Universitätskurs über die romantische Schule in Deutschland   fort. Drei Parabeln von Marie Ebner- Eschenbach   machen den Schluß. Die von der Bereiniguug österreichischer Hochschuldozentcn herausgegebene Zeitschrift bietet ihren Lesern jährlich 26 Hefte und vier gebundene populärwissenschaftliche Werke zu dem Preise von 12 M. Als Buch-Aeigabe für das erste Quartal steht in Aussicht: »Die moderne Chirurgie für Laien" von Prof. Tillmamis.