mentarischen Geschichte von England könnte er genau da? Gegenteilnachlesen. In den 80 Jahren, in denen sich die Demokratisierung derenglischen Zustände vollzogen hat, hat die politische Bildung derMassen in England sich in ungeahnter Weise gehoben. Früher, solange«ine kleine Clique mächtiger Grundbesitzer die Macht in Händenhatte, wollten die Klagen über die Bestechlichkeit der Wähler undder Gewählten nie verstummen.(Sehr richtig! links.) Damit hatdie demokratische Gestaltung des englischen Staatswesens auf-geräuml(Erneute Zustimmung links), und die Gesamtheit derenglischen Wähler, namentlich die Arbeiter, sind auf einhöheres Niveau der Kultur gehoben worden. Vielleicht liestder Herr Reichskanzler einmal in einem der Romane seinesgroßen englischen Kollegen Disraeli nach, wie die englischenArbeiter zur Chartistenzeit ausgesehen haben, und vergleicht damitdas Bild des englischen Durchschnittsarbeiters von heute. Ich ver-kenne dabei durchaus nicht, daß doch eine große Zahl, etwa eineMillion englischer Männer, das Wahlrecht nicht hat. aber daraufkommt es an: Das demokratische Parlament in England ist nicht eineQuelle der Unbildung, der Nerflackung und Verrohung, sondern um-gekehrt eine Quelle der Gestitung und der Bildung. DaS zeigt sichnicht bloß bei den Wählern, das zeigt sich besonders wertvoll undeindringlich auch bei den Herren Ministern, die abhängig sind vomParlament.(Sehr richtig I links.) Das ist das Große und dasSchöpferische der demokratischen Zustände, daßdie Ministerin jedem Augenblick ihres Wirkens gezlvungen find, Rücksicht zunehmen auf die Bedürfnisse der Volksmasse. Bei uns ist das anders.In England ein Wettstreit der Talente, die Tüchtigsten werdenheraufgehoben in die führenden Stellungen und werden gejagt, wennsie sich nicht bewähren.(Sehr wahr I links.) Bei uns werden dieMinister geholt, wenn sie sich bewährt haben beim S k a t s p i e l,sie werden geholt infolge irgend einer Laune, sie werden geholtinfolge Eulenburgtscher Protektion.(Sehr gut l bei denSozialdemokraten.) Herr Reichskanzler, gegen Korruption, gegenUnbildung und gegen Halbbildung hilft nurdie frische freie Lust der Demokratie.Wer an H o f l u f t und A k t e n st a u b gewöhnt ist, wer denscharfen Wind der demokratischen Kritik nicht ertragen kann, wergleich verfchnupst ist, der mag seine eigene unglückselige Konstitutionanklagen, aber nicht die Konstitution der Demokratie.(Sehr gut Ilinks.)Der Herr Reichskanzler wird wahrscheinlich antworten, er habeja nicht das Reichslogswahlrecht abschaffen, sondern nur Preußenvor diesem Wahlrecht behüten wollen. Und er habe daS getan, um«die preußische Eigenart"zu schützen. ES ist seltsam, daß ein so belesener Mann wie der HerrReichskanzler solche historischen Irrtümer vortragen kann, denn das,was er.die preußische„Eigenart' nennt, ist es nicht und ist es auchnie gewesen. In allen Ländern der Welt hat die politische Eni-Wickelung mit dieser Eigenart begonnen. In der ganzen Welt habenzunächst privilegierte Klassen das Heft in der Hand gehabt. Nursind andere Länder bei dieser Stufe der Entwickelung nicht stehengeblieben.(Sehr gutl links.) Preußen hat übrigens gar keiltearistokratische Geschichte. Im Gegenteil, es ist unter den Staatenim guten und im bösen Sinne ein Parvenü.Bertauschte Rollen.Ein Staat, der Anspruch erheben könnte auf Grund seiner Eigenart, die Verteidigung gegen demokratische Ansprüche zu schüren, istH a b ö b u r g, ist Oesterreich gewesen. Und nun sehe» Sie einenganz merkwürdigen Austausch historischer Eigenarten sich vollziehen.Das alte Oesterreich rettet sein Staatsschiff aus dem Sumpfearistokratisch-nationalistischer Zustände hinüber in das klare, breiteFahrwasser der Demokratie, und Preußen bewirbt sich um diefrei gewordene Fllhrerrolle der internationalen Reaktion durchden Herrn Präsidenten des preußischen Staarsministerium» I(Sehr gutl links.) Herr Reichskanzler, es wird Ihnen nicht ge-lingen. diese preußisch-„Eigenart' zu konservieren. Alle Kulturländerder Welt haben sich demokratifieren müssen, selbst die Türkei, Perstenund neuerdings sogar China, aus der demokratischen Flut ragen jetztnur noch zwei Felsen:die rnsstsche und die borusfische Eigenart.(Sehr gutl links.) Aber so wenig es den chinesischen Mandarinengelungen ist, ihre Zöpfe zu retten, ihre chinesische Eigen-ort, so wenig wird es de» preußischen Würdenträgern gelingen, ihreZöpfe zu retten.(Sehr gut I links.) Wir vertrauen auf die historischeNotwendigkeit für unser« Forderung. Es waren keine Ideologen,keine sentimentalen Träumer, es waren politische Geschäftsmänner,die aus nüchterner Erwägung heraus zu der Einführung des Reichs-tagswahlrechts in Deutschland gekommen sind.(Sehr wahr l bei denSozialdemokraten.)Der Herr Ministerpräsident hat dann noch in der Verteidigungfeines verlorenen Postens andere Dinge gesagt, die im Munde einesdeutsche» Reichskanzlers sich sehr seltsam anhören. Er hat zugunstender Klossenwahl den Freisinnigen vorgehallen, sie sollten die Er-fahrunge» mit dem gleichen Wahlrecht berücksichtigen und nickt dernackten Zahl der großen Masse überwiegenden politischen Einflußausliefern. Was der Herr Reichskanzler an die Stelle der Herrschaftder nackten Zahl setze» wollte, seine ausgeklügelte komische Unter-ofsiziervorlage, das war ja sogar dem Dreillassenparlament zueigenartig.Auch gegen die geheime Wahlhat der Herr Reichskanzler mit recht geheimnisvollen Wendungen ge-sprocken. Nach seinen Worten darüber soll das öffentliche Wahlrecktdazu dienen, die geistig schwächeren Wähler zu schützen: er will siedavor behüten, daß sie materiellen Instinkten verfallen. Es ehrtden Herrn Reichskanzler, daß ihn sein Schamgefühl davon ab-gehalten hat. mit offenen klaren Worten zu sagen, warum diepreußische Regtetung das öffentliche Wahlrecht konservieren will. SShätte sich dock schlecht angehört, wenn er klar erklärt hatte: Wirwollen, daß die Beamten nicht nach ihrer Ueberzeugung wählen,(Sehr richtig I bei den Soz.) wir wollen, daß die Landarbeiter zurWahl geschleppt und kommandiert werden I(Sehr wahr I b. d. Soz.)Was soll die Redensart von den„materiellen Instinkten'? Folge»denn die Beamten nicht auck materiellen Instinkten, die aus Angstvor sicherer Maßregelung gegen ihre Ueberzeugung wählen?(Leb-hafte Zustimmung links.) Sonst hat der Herr Rcichskanzler schmeich-lerische Lobreden auf das Pflichtgefühl der preußischen Beamte» ge-hallen. Und doch trauen Sie Ihren Beamten nickt über den Weg,sonst gäben Sie Ihnen das geheime Wahlrecht!(Sehr gut I links.)Ich kann mir etwas Gemeineres, Gewissenloseres, etwas Crbärm-lickieres und Feigeres nicht denken, als den Versuch der wirtschaftlichMächtigeren, die wirtschaftlich Schwachen um ihre Ueberzeugungzu betrügen(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) und dieWahl zu fälschen. Wenn in diesem Zusammenhang jemand denMut hat,„von gottgewollten Abhängigkeiten"zu reden, so meine ich. müßten alle frommen Menschen der Weltdas alseine GotteslSstenmgempfinden!(Sehr gutl bei den Sozialdemokraten.) In seinem Sil-vesterbrlef hat der Vorgänger des Herrn Reichskanzlers an seinenFreund v. Liebert geschrieben, die deutschen Arbeiter seien die in-telligentesten der ganzen Welt!(Hört! Hört! bei den Sozial-demokraten.) Und doch werden sie schlechter behandelt als ihreKameraden in England, in Frankreich, in Oesterreich und nächstenssogar in Ungarn. Sie dürfen sich nicht wundern, daß unter diesenUmständen die Ueberzeugung allgemein ist, daß mit der Vorsage,die der Herr Ministerpräsident in Preußen vertrittdas Versprechen der Thronrede und deö König»nur formell eingelöst ist.(Sehr richtig! links.) Di« Mächte, die inPreußen tomminidicre», die Junker und die Bureaukraten haben esverhindert, daß ein KönigSwort materiell eingelöst wird. Vielleichthandelt es sich hier auch um„gottgewollte Abhängigkeiten" I(Sehrgut l links) Wir sind überzeugt, daß der Dualismus, der bestehtzwischen dem demokratischen Wahlrecht tm Reich und demaristokratischen Wahlrecht in Preußen, gelöst werden mutz und gelöstwerden wird.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Als dieVerfaffungsfrage in Württemberg vor zwei Jahren zur Eni-scheidung stand, hat ein berühmter Kirchenhistoriker, der Kanzlerder Universität Tübingen, Herr v. Weizsäcker, der Vater deswürtiembergischen Ministerpräsidenten, ausgesprochen: Wir stehenimmer nur vor zwei Möglichkeiten: entweder im Frieden zur rechtenteil auf Grund klarer Erkenntnis, oder aber einmal im Sturm!>as war von diesem würdigen Manne gewiß nicht als Drohunggedacht, sondern als Mahnung an die herrschenden Klassen.Die Btraßendemonftratioucn.Und genau den gleichen Zweck haben die Arbeiter verfolgt mitden Demonstrationen, die in den letzten Wochen Preußen ausgerüttelthaben. Dieser Zweck ist erfüllt worden trotz aller gegenteiligenBehauptungen und Voraussagen. Trotz kurzer provokatorischerStraßenplcikate und tron langer einschläfernder Ministerreden, trotzPolizeipräsidenten und trotz Ministerpräsidenten sind Hunderttausendeauf die Straße gezogen und haben ihre Entschlossenheit bekundet,ihr Recht zu verlangen.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozial-demokraten. Lärm rechts.) Es hätte mich überrascht, wenn Sie mitdem Ihnen eigenen Geschmack die Hunderttausende, die ihr Rechtverlangnt, nicht mit Hohngelächter begrüßt hätten.(Lachen rechts.)Aber Ihr Lachen klingt heute doch leiser und gezwungener als vorzwei Jahren. Heute können Sie nicht mehr leugnen, daß es in derTat die Massen sind, die ihr Recht verlangen; sie haben auchgezeigt, daß sie eineSelbstbeherrschungbeweisen, die bei Ihnen vergeblich gesucht wird.(Sehr richtig!bei de» Sozialdemokraten. Lachen rechts.) Und Hunderttausende,die sich selber so zu beherrschen verstehen, werden nicht geneigt sein,sich von einer Clique auf die Dauer beherrschen zu lassen.(Sehrrichtig! bei den Sozialdemokraten.)Nun hat man daraus hingewiesen, und daS läßt sich auch nichtbestreuen, daß es hier und dort bei diesen Kundgebungen vielleicht zuAusschreitungenkommen könnte. ES find auch Ausschreitungen vorgekommen. Waswollen diese kleinen Dinge beweisen gegen den gewaltigen Eindruckde« MossenwillenS?(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Waswill eS bedeuten, wenn da oder dort vielleicht ein junger Mensch imUebermaß des Temperaments sich vergißt? Im ganzen kannman sagen: Wo es zu Ausschreitungen gekonunen ist, waren nichtdie Arbeiter schuld, sonderndie Polizeiprovokationen!(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich kann ruhig aus-sprechen, daß die Polizei überall diejenigen Demonstrationen hat, diesie verdient. Ja selbst bei den traurigen Borgängen inFrankfurt a. M.,die auch wir bedauern, wird festgestellt werden— und wir wärenin der Lage, daS urkundlich festzustellen, daß auch hier nicht dieArbeiter, sondern die ungeschickte provokatorische Polizei die Opferverschuldet hat.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) DieArbeiterschaft in ganz Preußen bat in würdiger, ruhiger, eindrucks-voller Weise ihren Willen bekundet. Seil Jahrzehnten nicht mehrhaben Sie in Preußen ein ähnliches Schauspiel gesehen: Hundert-tausende von Menschen, beseelt von einer Idee, erfüllt und getragenvon einem großen historischen Willen. Der Reichskanzler hatwiederholt seuier Sehnsucht nach dem deutschen Idealismus Aus-druck gegeben. Herr Reichskanzler, diesen Idealismus finden Sienicht bei den obere» Schickten, er steckt in den Massen drin IiSehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Und wenn Opfer dabeifallen— wir bedauern sie. wir wünschen sie nicht, wir wollen, daßdie Demonstrationeudurchaus friedlich verlaufen— aber da« mögen Sie sich gesagtsein lassen: Durch Opfer, die es kostet, wird sich die Arbeiterschaftvom WahlrechtSkampf nicht abschrecken lassen.(Sehr richtig! u. Bravo!bei den Sozialdem.) Die Arbeiter sind gewöhnt, Opfer zu bringen;jedes Jahr fallen Zehmausende von Arbeitern, die ihre Gesundheitund ihr Leben auf dem Schlachtfelde der Arbeit verlieren im Fron-dienste des Privatkapitals für keine Privat- und Profitinteressen.Hier fallen die Opser, hier fließt und floß das Blut für die großeIdee de« Besreiungskampses der Arbeiterschaft.(Bravo l bei denSozialdemokraten.) Der Wahlrechtstampf hat erst begonnen. Erwird weiter gehen.Der RtiihQkunzler wird geben, die Cßablrcchte-bewegnng wird bleiben!(Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.Ziichen, Lärm und Pfuirufe rechts. Die Sozialdemokratenrufen dem Präsidenten zu: Pfui! Hai man dort gerufen!)Reichskanzler v. Bethnwnn-Hollweg:Meine Herren: An einer DiSkusfion über daS preußische Wohl-recht und die im preußischen Landtag vorgelegte Wablreform kannick nicht teilnehmen. Es ist vom Bundesratsttsch« aus zu wieder-Hollen Malen, zum letztenmal vor zwei Jahren von meinem Amts-Vorgänger, erklärt worden, daß die Regelung der VerfassungsmäßigenZustände in den Einzelstaaten„nicht Reichssache"ist und daß sich die Verbündeten Regierungen an eine Verwischungdieser staatsrechtlichen Grenzen nicht beteiligen werden.(Sehrrichtig! rechts.) Ich werde mich bei der Beantwortung der Jnler-pellation streng an das halten, was vor das Forum des Reichstagsgehört.Meine Herren I Die Interpellation geht dahin, zu fragen, wasmich veranlaßt habe, im preußischen Landtag bestimmte Aeußerungenzu machen. Ich bin gern bereit, aus Interpellationen zu antworten.die mich fragen, aus welchen Gründen ich einen bestimmten Gesetz-entwurf vorgelegt habe, eine BerwaltungSmaßregel angeordnet, viel-leicht auck: aus welchen Gründen ich beides unterlassen habe, welcheStellung ich gegenüber einem konkreten Ereignis einnehmen werde. Aber.meine Herren, wenn Sie mich fragen, aus welchen Gründen ichbestimmte Ansichten äußere, da kann ich Ihnen doch nur antworten:weil ich diese Ansichten für richtig halte!(Sehr wahr! und Heiter-keit rechts.) Aber um dieser Selbstverständlichkeit willen haben Siemich natürlich nicht interpelliert. Der Herr Vorredner hat jaausdrücklich ausgesprochen, er wünsche zu wissen, ob ichda« ReichstagSwahlrecht zu ändern beabsschtige, und indieser Beziehung behauptet nun die Interpellation, daßich im preußischen Landtag Busführungen gemacht hätte,die geeignet seien, daS durch die Verfosiung de« Reiches undverschiedener Bundesstaaten gewährleiste» gleiche, allgemeine, geheimeWablrecht herabzusetzen und zu bekämpfen. Die Herren Jnler-pellanten sind doch eigentlich sonst nicht so: sie nehmen doch unauS«gesetzt für sich das Recht in Anspruch, Reden zu halten, Demon-strationen zu veranstalten, die nicht nur geeignet sind, das durch diepreußische Verfassung gewährleistete preußische Wahlrecht herabzu-setzen und zu bedrohen, sondern die dieses Wahlrecht unmittelbarherabwürdigen, ja geradezu beschimpfen.(Sehr richtig! rechts.)Das entspricht doch ganz der Auffassung von Gleichheit und Ge-rechtigkeit, die auf Ihrer Seite vorhanden ist.(Sehr gut I rechts.)Was habe ich denn nun im preußischen Landtag gesagt? Ichhabe das Sacrilegium bedangen, nicht an die absolute Richtigkeitdes Dogma« vom allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl-recht für alle Staaten und alle Verhältnisse zu glauben l Und weilich an dieses Dogma nicht glaube, gelte ich als reaktionärer DogmaSitten. Ja. bin ich denn der erste und einzige, der der AnschauungAusdruck gegeben hat. daß die demokratische Entwickelung zwar dieBast» de» Parlamentarismus verbreitert, aber die Richtung hat, da»Niveau herabzudrücken? Da» ist in der Geschichte all« Völker undZeiten(Zuruf links: aller Zeiten?) Tatsache.Nun finden Sie es auffällig, daß ich einer solchen AnschauungAusdruck gegeben habe, weil wir im Reich und in den Bundesstaatenein liberales, ein demokratisches Wahlrecht haben.(Zuruf links:ReichstagSwahlrecht!) Ja, wenn ich das Reichstagswahlrecht als eineInstitution des Reiches angegriffen, wenn ich die Absicht bekundetoder nur von ferne angedeutet hätte, den Verbündeten Regierungenvorzuschlagen, das ReichstagSwahlrecht zu ändern, dann würdeich begreifen, daß ängstliche Gemüter sich beunruhigt fühlen,die nicht daran denken. daß bei einer Aenderung desReichStagswablrechtS Bundesrat und Reichstag mitzusprechen haben.Aber nichts von alledem habe ich gesagt, nichts von alledem ist meineAnficht. Es sind doch ganz andere Kreise, die agitieren und den Be-stand unseres Reichstagswahlrechts bedrohen.(Sehr richtig! rechts.)Das sind doch die Herren Interpellanten!(Stürmische Unter-brechungen bei den Sozialdemokraten.) Ich glaube, Sie werden mirrecht geben, wenn Sie mich erst ausreden lassen. Ihnen, meineHerren Sozialdemokralen, genügt doch das ReichstagSwahlrecht nicht,Sie wollen doch die Berechtigung zum Wählen bis unter da« Mindest-aller heruntersetzen, Sie wollen die Frau e n zum Stimmrechtzulassen, Sie wollen also das bestehende ReichstagSwahlrecht durchreichsgesetzliche Borschristen ändern. Glauben Sie, daß Sie durchdiese Bestrebungen diejenigen Volkskreise beruhigen, die nicht IhresSinne« sind? Und deren gibt es doch auch noch eine ganzeMenge I Ja. wenn ich das ReichstagSwahlrecht nun wirklichkritisiert hatte, was ich nicht getan habe, wie läge dann dl!Sache? Unter veränderten Verhältnissen und unter verändertenStimmungen erleben wir heute das Gleiche wie im Ja-nuar 1908. Damals hatten sich die Herren darüber entrüstet,daß Fürst Bülow im preußischen Abgeordnetenhaus erklärt hatte, esentspreche nicht dem StaatSwohl. das ReichstagSwahlrecht aufPreußen zu übertragen. Auch damals wurde eine unerhörte Ver-letznng des ReichStagswahlrechtS darin gefunden, und als später imMärz 1068 das ReichstagSwahlrecht und daS preußische Wohlrechthier im Reichstag wieder diskutiert wurde, da waren es dieselbenGedanken, d» heute hier zum Ausdruck gelangen. Damals knüpftedie Agitation an das Programm deS Fürsten Bülow an, heute andie Ausführung des Programms Damals wurde der Verkünder desProgramms, heute sein Ausführer geziehen, die RcichSinstitutionenherabzusetzen, herabzuwürdigen und zu bedrohen. DaS Spiel ist zudurchsichtig, als daß man die Absicht nicht erkennen sollte. Ich kannnur versichern, daß die Verbündeten Regierungen nicht darandenken, am ReichstagSwahlrecht zu rütteln. DaS ist die klippeund klare Antwort, die der Abg. Frank von mir verlangt hat.DaS Deutsche Reich hat sich mit diesem Wahlrecht sein Haus ein-gerichtet, und trotz aller Mißstände des öffentlichen LebenLreicht mein Glaube an die Kraft und Zukunft des deutsches Volkesviel zu weit, als daß ich nicht davon überzeugt wäre, e» würde sichdieser Bau auch unversehrt erhalten können.Gestalten Sie mir eine kurze Abschweifung. Wer e» nicht versteht, weshalb ich als preußischer Ministerpräsident das preußischeBeamtentum gegen unberechtigte Angriffe und Verdächtigungen inSchutz genommen habe, der hat leinen Sinn für staatlichen Cirga-niSmus; keinen Sinn für die reale Notwendigkeit, den möchteich weltfremd nennen, wie mich der Abg. Frank genannt hat.Wer darüber hinausgeht, weil es ihm nicht in den Kram paßt, daßich Parteiendienst der Beamten verurteilte und durch die Tat ver-urteilen lassen werde, mit dem kann ich nicht diskutieren. Bureau-kratifcheS Regiment führt unser Volksleben zum Absterben. Ichbabe nun bald drei Jahre die Ehre, mit Ihnen zu»sammenzuarbeiten. In den mannigfaltigsten sozialen Fragen.die ich mit Ihnen behandelt habe, habe ich immer wiedervor der trügerischen Hoffnung gewarnt, die Welt mit Gesetzes«Paragraphen und dem hinter ihnen stehenden Heer vonBeamten verbessern zu können. Noch bei der Beratung der Arbeits-lammervorlage, in die Sie jetzt neuerlich eingetreten sind, habe ichimmer auf das schärsste den Standpunkt vertreten, daß sich von dergemeinschaftlichen Arbeit der verschiedenen Bollsstände, also von derArbeit des Volkes sehr viel größere Vorteile erwarte als vonirgendwelcher Reglementiererei, die immer unpraktisch ist unddahin führt, hinter jeden Arbeitgeber und hinter jeden Arbeltnehqe»einen Polizeimann zu stellen. Und wenn ich in meiner Abgeordneten«Hausrede darauf hingewiesen habe, daß eö die Unterschichtende« Staate« und Volkes find, in denen die größtewirtschaftliche und geistige Kulturarbeit geleistet wird, dann habe ichdamit ausgesprochen, daß wir ohne die freiwillige und freie Mit-arbeit und Tätigkeit des Volkes nicht vorwärts kommen. Wer dasbureaukratische Anschauungen nennt, der weiß mit Freindworten ebennicht Bescheid.(Große Heiterkeit.) Und damit lassen Sie michIchließen. So gut zum Wesen deS deutschen Volkes unverwüstlicheStreitlust gehört, ebenso gut kann es ohne unverwüstlichen Idealismusnicht bestehen. Ich vertraue fest aus diese ideale Kraft des ge-samten Volke?, die unter dem realen Druck unserer nationalen Be-dürfnisse steigen und da» Feld behaupten wird.(Lehhafter Beifallrecht?.)Auf Antrag de» Abg. Bebel wird dießefprecbung der Interpellationgegen die Stimmen der Rechten beschlossen.Abg. Gröber<g.): Der Reichskanzler hat e« abgelehnt, sich aneiner Debatte über das preußische Wahlrecht zu beteiligen; er hatjedoch in seiner Erwiderung die Fragen bebandelt, auf die eS an-kommt. Ich gestehe zu, daß die Aeußerungen deS Herrn Minister-Präsiden»» im preußischen Abgeordnetenhause schwere Bedenken undBesorgnisse auch in unseren Reihen hervorgerufen haben.(Hört!hört I links.) Die schwerste Besorgnis hat nun allerding« die heutigeErklärung des Reichskanzler«, daß er an keine Aenderung desReichStagswahlrechtS denk«, beseitigt. Wenn er aber sagt, er habedaS Reichstagswahlrecht nicht angegriffen und nicht kritisiert,nun. man braucht es wirklich nicht ausdrücklich zu nennen und kannes doch in Grund und Boden kritisieren.(Lebhafte Zustimmung imZentrum und link«.) Der Herr Reichskanzler>st ein zu gewandterRedner, um hier nicht eine Form zu finden, die«S ihm ermöglicht,seine unfreundliche Kritik auszudrücken.Der Reichskanzler führt rechtlich eine Doppelstellung al» Reich»-kanzler und als Ministerpräsident Preußens. Diese Doppelstellungerheischt ein« einheitliche Politik im Reiche und in Preußen. ES istnicht möglich, auf die Dauer eine grundsätzlich konträre Politik imReiche und in Preußen zu führe».(Lebhaste Zustimmung im Zentrumund links.) Fornrell handelt es sich— das wird man zugestehen—um zwei verschiedene Staatswesen, aber Historischund polmsch nicht.Dieselben Massen, die unter dem ReichstagSwahlrecht in Preußen zumReichstag wählen, wählen für Preußen unter dem preußischen Wahl-recht.(Sehr gutl im Zentrum.) DaS Urteil, das der Retchskanzlerüber den Parlamentarismus gefällt hat, fordert unsere Kritik aufSentschiedenste heraus. Der Reichskanzler hat erklärt, daß die Ver-bände»» Regierungen nicht daran dächte», am Reichstagswahlrechtzu rütteln. In der Tat: in einem Staatswesen der allgemeinen Wehr-Pflicht und der allgemeinen Steuerpflicht wird man niemals»« all-gemeinen Wahlrecht rütteln können.(Lebhafte Zustimmung im Zen-trum und links.) Das hat auch Bismarck in seinen»Gedanken undErinnerungen' ausgesprochen.Der heutige Reichskanzler sieht in der Demokratisierung Ver»flachung und Verrohung. Jedes Wahlrecht, auch das Reichs»tagSwahlrecht, ist verbesserungsbedürftig; unser Wahlrecht ist aberauch verbessernngS fähig. Auf das schwerste wird das parlamen-tarische Ansehen durch Parteien geschädigt, die die Erledigung derparlamentarischen Geschäfte durch Obstruktion hindern.(Beifallrechts.) Aber der Reichskanzler sollte sich fragen, ob nicht auch dieVerbündeten Regierungen schuld an den gerade von ihm beklagt?»Erscheinungen tragen.Der Reichskanzler sprach im Avgeordnetenhansevon dem mangeluden sachliche» Interesse.Ja, aber wer ist e» denn, der niemals hier ist, wen» Sachenvon allerhöchster Wichrigkeit behandelt werden?(Heiterkeit und leb-haste Zustimmung im Zentrum und links.) Der Reichskanzler Fürst