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Süloto erschien doch wenigsten? von Zeit zu Zeit hier im Hause, aber wen man niemals sieht, daS ist der Reichskanzler Herr v.Belh- mann Hollweg I  (Lebhafte Zustimmung links.) Neulich erst, als wir hier einen so hochwichtigen Gegenstand wie den Toleranzantrag be- handelten, suchten unsere Augen vergebens nach dem Reichs« kanzler I  (Erneute graste Heiterkeit im Zenirum und links.) Indem ich zur Hauptfrage komme, zum Reichstagswahlrecht, habe ich zu bekennen, dast das Zentrum stets mit aller Entschieden- heit für daS gleiche und geheime Wahlrecht eingetreten ist, unter dem auch die Beamten allein nach ihrer Ueberzeugung wählen können. Wir haben auch durch Einführung der Entschädigung für Abgeordnete das Wahlrecht erst zu einem gleichen gemacht.(Sehr richtig I im Zentrum.) Namens meiner Partei habe ich zu erklären. dast wir jedem Angriff auf das Reichstagswahlrecht mit aller Eni- schicdcnheit, mit aller Energie entgegentreten werden, mag der An- griff kommen, von welcher Seite er will.(Bravo  ! im Zentrum.) Vizepräsident Dr. Spahn: Nach dem Stenogramm hat Herr Frank ein Mitglied deS HauseS, allerdings ohne Nennung des Namens, aber doch mit deullicher Kennzeichnung als»den spasthaften Herrn' bezeichnet. Ein solcher Ausdruck entspricht nicht dem Gebrauch deS Hauses. (Große Heiterkeit.) Abg. Dietrich(k.): Auf keiner Seite des HauseS, auch bei meiner Partei nicht. besteht eine Tendenz zur Lenderung des ReichStagSwahlrechts. Auch für uns ist dieier Tag erwünscht, um unsere Stellung zu der Frage darzulegen. Herrn Gröbers Versuch ist nicht geglückt, aus der hervorragenden Stellung PreustenS zu be­weisen, dast die Einrichtungen deS Reiches auch Einrichtungen Preußens werden.(Sehr richtig I rechts.) Man könnte eher daran denken, den Ausgleich der Frage auf einer mittleren Linie zu suchen. Für preußisches Wesen ist das Verständnis in Süddeutschland   nicht allzu stark.(Sehr richtig I rechts.) Aber allmählich beginnt dies Verständnis zu kommen. Eine der erhebensten Erinnerungen aus der Blockzeit ist für mich, dast Herr Hieber und Herr Payer hier die hlstorischen Aufgaben Preußens gepriesen haben.(Lachen links.) Die Sozialdemokratie bekleidet alles, was ihr zugute kommt. mit dem Mantel der Unantastbarkeit. Sie(zu den Sozialdemo« kraten) scheinen also jede Kritik an verfassungsmäßigen Einrichtungen verbieten zu wollen.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Bewahre! Groß« Heiterkeit.) Nun also!(Heiterkeit.) Die Sozialdemokratie übt ja auch Kritik an dein geltenden Reichstagswahlrecht. Durch die Forderung der Ausdehnung des Wahlrechts auf die jungen Leute von zwanzig Jahren bedroht sie das Wahlrecht der Erwachsenen mit Schmälerung.(Lautes Lachen bei den Sozialdem.) Also, wen» Sie(zu den Sozialdemokraten) Freiheit der Kritik in Anspruch nehmen. so gönnen Sie diese Freiheit auch anderen Leuten.(Sehr gut I rechts.) Das Reichstagswahlrecht läßt doch manche Wünsche un- befriedigt, so z. B. nach gebührender Vertretung der Industrie. Wir vermiffen hier im Hause die Industriekapitäne.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Wir haben an den Krautjunkern gerade genug!) Wollen wir die Ansichten des Hamburger Großhandels kennen lernen, so müssen wir den Worten eines Hamburgers lauschen (Lachen bei den Sozialdemokraten), der ich sage in diesem Falle: glücklicherweise! von einem agrarischen-ostfriesischen Wahlkreise ge« wählt worden ist.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: S e m l e r l Große Heiterkeit.) Ich habe im Namen meiner Partei zu erklären, dast wir nicht daran denken, daS Reichstagswahlrecht auf dem Wege der Gesetz« gebung zu ändern.(Zurufe bei den Sozialdem.: Und wie ist'S mit dem Staats st reich?) Sie sprechen fortwährend vom Staatsstreich. Ja. hat denn nicht Herr Bebel fich in Dresden   als Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft und Staatsordnung bezeichnet? Hat nicht Ihr Prophet Kautsky   gesogt, noch heute gelte das Wort von Marx, daß nur die Gewalt die Geburtshelferin einer neuen GesellschaftS- ordnung sei?(Rufe bei den Sozialdemokraten: Falsch wieder« gegeben!) DaS Reichstagswahlrecht ist zu beurteilen nach seiner historischen EntWickelung und nach seinem Gegenwartswert.(Zurufe bei den Soz.: Gegenwartswert ist hübsch ausgedrückt. Heiterkeit und Zust. links.) Ueber die historische Entstehung deS Reichstagswahlrecht« ist da« Nötige in Bismarcks.Erinnerungen' nachzulesen. WaS den Gegenwarrswert betrifft, so geben die grasten nationalen Auf- gaben Heer, Flotte, Kolomen stets die Möglichkeit, zu appellieren an das nationale Interesse, an die nationale Leidenschast drauhen im Lande.(Sehr richtig! rechts.) Die ruhigen, sachlichen«ussührimgen des Reichskanzler« hier und im Abgeordnelenhause(Lautes Lachen bei den Sozialdemokraten) standen im wohltuenden Gegensatz zu politischen Effekthascherei, wie sie hier Mode ist. Hoffentlich verfehlen sie auch nicht ihren Eindruck in Süddeutschland  . Endlich wird man es in Preußen satt, dir fortgesetzten Nörgeleien von süddeutscher Seit» zu ertragen! Nach einem glorreichen Kriege hat Preußen den süddeutschen Bundesstaaten die Gleichberechtigung zu« g e st a n d e n.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Zugestanden ist gut I> Preußen begnügt fich sogar mit 14 Stimmen im Bundes- rate I(Lachen links. Zuruf«: Uebrigens sind'« 17 1) Finden Sie daS nicht bescheiden?(Lautes Lachen links. Zuruf bei den Sozial« demokraten: Grotzarltg I) Nur gegenseitige« Verständnis der Bundesstaaten kann den ReichSgedanlcn fördern.(Lebhafte» Bravo I rechts.) Abg. Bassernmnn(natl.): Man kann zweifelhast sein, ob die Interpellation der Sozial« demokraten angebracht war. Interpellationen bezwecken doch wohl die Besprechung akuter Fragen und die Frage des ReichStagSwahl- recht« ist doch nicht okut Der Hauptgrund der Interpellation war wohl das AgitationsbedürfniS der Sozialdemokraten! iLebhaste Zu- stimmung rechts, Lachen bei den Sozialdemokraten und Rufe: An Agitationsstoff fehlt es uns nicht l) Immerhin ist zuzugeben, daß in der Rede des Ministerpräsidenten mindestens indirekte Angriffe gegen daS Reichstagswahlrecht ge- funden werden konnten. Ich begreife auch den Mistmut weiter BevölkerungSkreife; die Strohe ist aber nicht der Ort dazu, diesen Mißmut auszulassen. Ich bitte doch die Sozialdemokraten, ihre An« Hänger nicht auf die Straße zu führen.(Zuruf bei den Sozial« demokraten: Echt nationalliberal I) Das sind nicht nur meine Ausführungen, sondern auch die des Abg. Heine I(Inmf bei den Sozialdeinoiraten: Da« wird bestritien!) Slrastendemonstrationen stm» kein geeignetes Mittel, die VolkSrechte zu erweitern, sondern weit eher die Reaktion zu stärken.(Lebhafte Zustimmung bei den Nationalliberalen.) Herr Frank hat auch von Süddeutschland   gesprochen, und Herr Dietrich hat fich über die Kritik Preußens seitens SüddentschlandS bektagt; ich erinnere aber daran, dost hier auch Süddentschland von Herrn v. Oldenburg   sehr scharf kritisiert wurde!(Lebhafte Zu« stimmung links und im Zentrum.) In der Rede des Herrn v. Bethmann Hollweg   im prcustischen Abgeordnetenhaus waren sehr treffende Bemerkungen: doch vermisse ich in ihr das Bekenntnis zum Reichstagswahlrecht I Freilich haben Wir nie gefordert, dast das Reichstagswahlrecht schemalisch aus die einzelnen Bundesstaaten übertragen wird. Die Schlustfolgerung a»S der Rede des Herrn v. Bethmann  . als sei er im Innern ein Feind de« Reich«», aSwablrechtS, halte ich für irrig; er hat nnS ja heute auch ein« offene Erklärung über seine Stellung gegeben. Ich bin tiberzeugt, dast auch er überzeugt ist. daß jeder Versuch, da« Reichstags- Wahlrecht zu beseitigen, zu den schwersten politischen Kämpfen in Deutschland   führen muß. Wir freuen uns des geheimen Wahlrechts im Reiche, das die Unabhängigkeit der Wühler beim Wählen sichert. Tie Leistungen dieses Reichstags sprechen dafür, daß das Wahlrecht, auf dem er beruht, ein gutes ist. RamenS meiner politischen Freunde habe ich zu erklären, dast wir an dem bestehenden Reichs« tagSwahlrecht festhalten, dast es aus diesem Gebiete kein Zurück gibt!(Bravo l links.) Abg. Wicmer(frs. 83p.): Mir wäre es richtiger erschienen, die Angelegenheit beim Etat deS Reichskanzlers zur Sprache zu bringen; doch werden wir keines- wegS einer Berschlechterung der Geschäftsordnung zustimmen, um solche Interpellationen unmöglich zu machen. Wir bedauern die Aenste« rungen deS Reichskanzlers im preußischen Abgeordnetenhause und können nicht finden, dast seine heutigen Ausführungen seine doriigen prinzipiellen Erklärungen irgendwie abichivächen.(Sehr richtig I links.) Ich kann auch nicht finden, wie Herr Gröber, dast die Be- sorgnis, die Verbündelen Regierungen wollen das ReichstagSwahl  - recht ändern, beseitigt ist, diese Besorgnis ist vielmehr noch gewachsen. Noch im letzten und vorletzten Früh- jähr kam in den Versammlungen im Zirkus Busch die un- verhüllte Abneigung gegen daS ReichSiagswahlrecht klar zum Ausdruck. Der frühere Minister v. Podbielsii sagte: wir können nicht mit dem Reichstage weiter arbeiten ohne ein Oberhaus l(Hört I hört! links.) Und in seinen Grundanschauungen stimmt der Reichs« kanzler mit den Herren iiberein. die die Aenderung des Reichstags- lvahirechts verlangen.(Sehr richtig! links.) Er hat im preußischen Abgeordnetenhause gesagt, daß die politische Kultur und Erziehung leiden, je demokratischer das Wahlrecht gestaltet werde, und die Demokratisierung habe in allen Ländern zur Verrohung und Bcrflachuiig beigetragen! Er Halle gut getan, diese Aenste- rung heute einfach zurückzunehmen.(Lebhafte Zu» stimmung bei den Freisinnigen.) Er hat das nicht geian, und wir bleiben dabei, daß darin eine Herabsetzung des Reichstage« liegt und der Bundesstaaten, die mehr oder weniger demokrotiiche Einrichlungen gelroffen haben.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Als veraniwortlicher Staalsminister aber hat der preustiiche Minister- Präsident und der Reichskanzler die Einrichtungen des Staates und die Verfasiung zu verteidigen und nicht anzugreifen.(Lebhafte Zustimmung bei den Freisinnigen.) Deckt sich das nicht mit seinen Anschauungen, so muß er aus dem Amte scheiden.(Sehr richtig I bei den Freisinnigen.) Bei jener Rede kommt es gar nicht so sehr auf die einzelnen Worte und Wendungen an, sondern aus den ganzen aus ihm berausklingenden Geist.(Sehr richtig! bei den Freisinnigen.) Der Reichskanzler hat sich heute als AuSführer des Programms des Fürsten Bülow bezeichnet. Er hat im Gegenteil dies Programm verlassen und führt daS Programm der Parteien miS, die den Fürsten Bülow gestürzt haben.(Sehr richtig l bei den Freisinnigen.) Protestieren muß ich auch gegen die Auffassung Gröbers  , Fürst Bülow   habe den Grundsatz der Grundsatzlosigkeit proklamiert und dadurch die Bedeutung des Parlaments herabgedrückt. Gerade durch den Fürsten Bülow ist vielmehr der Parlamentarismus gefördert worden I(Sehr richtig I bei den Freisinnigen.) Der politische Gesichtskreis des Reichskanzlers scheint beschränkt zu sein durch die schwarz-weißen Grenzpfähle, er ist«in konservativer Staatsmann mit stark partikularistischem Einschlag: er verdient voll das Vertrauen, das Herr Dietrich ihm namenS der konservativen Partei ausgesprochen hat. Der Reichskanzler sprach von.Verflachung'. Nun, ich denke, mit der heutigen Regierung kann das heutige Parlament getrost den Vergleich aushalten.(Lebhafte Zustimmung links.) Die Reichsfinanzreform hat die rote Flut mächtig anschwellen lasten. Da hoffte man, dast die Regierung, hierdurch gewitzigt, mit einer verständigen Wahlreform kommen würde. Statt dessen kommt sie mit diesem Flickwerk, das nur die agrarische Herrschaft in Preußen aufrecht erhalten soll, einem Machwerk, das sogar von der Kommission des Abgeordnetenhauses verworfen worden ist. Nun ein Wort zw den Strasteudemonstratione«. Ich kann nur wiederholen, daß wir nach wie vor die Straßen- demonstrationen als ein höchst ungeeignetes Mittel für die Er- kämpfung eine« besteren Wahlrechts betrachten. Solche Demon- strationen geben nur den Gegnern des Wahlrechts Waffen in die Hand.(Zustimmung bei den Liberalen, Lachen. Widerspruch und erregte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Herr Abg. Frank sprach von der Selbstbeherrschung der Massen. Die Erfahrung auch die der letzten Tage zeigt, daß es unmöglich ist, gefährlich«, radaulustige Elemente fernzuhalten. Andererseits ist aber auch von der Polizei zu verlangen, dast sie ihrerseits Ruhe bewahrt, nicht nervös wird und sich nicht zu Provokationen hinreißen läßt.(Sehr richtig! links.) Wir Freisinnigen werden nicht ablassen, für die Erringung eines besseren Wahlrecht« für Preußen mit allen Kräften einzutreten. Wir werden uns auch nicht dadurch beirren lasten, dast die Sozialdemokratie un» in den Rücken fällt. (Stürmische Zurufe bei den Sozialdemokraten: Wann find wir Ihnen in den Rücken gefallen? Wo ist da» geschehen? Heraus mit der Sprache.) Sie fragen. Herr Ledebour  , wo das geschehen ist? Eben erst hat mir Ihr Parteigenosse Kunert eine höhnische Be- merkung zugerufen, die nur so zu verstehen war. daß wir eS an- geblich nicht ernst mit der Uebertragung des ReichStagSwahlrechts auf Preusten meinen. Ich protestiere gegen solche Unterstellungen. (Lebhafte Zustimmung bei den Freisinmgen.) Statt uns in den Rücken zu fallen, sollte die Sozialdemokratie ihre Angriffe aus- schliestlich gegen die Wahlrechtsgegner richten. Wir werden jeden- falls, unbekümmert um alle Angriffe, woher sie auch kommen, unsere politische KampfeSpflicht erfüllen.(Lebhafter Beifall bei den Frei- sinnigen.) Reichskanzler von Bethmann Hollweg  : Der Abgeordnete Wiemer hat behauptet, ich sehe auf die Bundesstaaten mit liberalen StaatSeinrichtungen herab. Wie kommt er dazu, mir Gesinnungen nachzusagen, da ich meine Ge- sinnungen doch nur allein kenne.(Sehr richtig I rechts, Unruhe links.) Loyalerweise hätte er meine Worte über daS Verhältnis zu den Bundesstaaten zitieren müssen. Ich sagte, wir können und wollen die Eigenart der einzelnen deutschen   Stämme nicht misten, diese Eigenarten, die sich nicht nur in den Sitten und Gewohnheiten dieser Stämme, sondern auch in den politischen Forme» des StaatslebenS widerspiegeln, wollen wir achten und lieben.(Hört! hört! recht«. Mit erhobener Stimme:) Ich muß es mir verbitten, dast mir Gesinnungen, die sich für einen deutschen   Reichskanzler nicht ziemen, nachgesagt werden I(Lebhafter Beifall recht», große Unruhe und Zu- rufe links.) Abg. Fürst Hatzfeldt(Rp., zunächst unverständlich): Auf die Frage des preußischen Wahlrechts hier im Reichstage einzugehen, lehnen meine politischen Freunde ab. In der RcichSverfassung steht kein Wort, daß von Reichs wegen das Wahlrecht der Einzelstaaten bestimmt werden soll.(Lebhafte Zustimmung rechts.) Von keiner bürgerlichen Partei und ebensowenig von der Regierung find An- träge ausgegangen, die eine Aenderung des Reichstaoswahlrcchts bezwecken. Wohl aber sind von sozialdemokratischer Seite Anträge auf Aenderung des ReichstagswahlrechtS im Sinne einer Verschiebung der Altersgrenze gestellt worden. DaS ist ja kein Verbrechen, aber ein Attentat,(Schallende Heiterkeit bei den Sozial- demokraten.), ein Attentat auf das bestehende Reichstagswahlrecht. (Sehr richng l rechts.) Glauben Sie(zu den Sozialdemokraten.) mit der heniigen Debatte und mit den Strnstendemonstrationen etwas zu erreiche»? (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten: Allerdings I Lachen rechts. Unruhe im ganzen Haute. Mir erhöhter Stimme): Nichts werden Sie erreichen I(Zustimmung rechtö. Rufe bei den Sozial- demokraten: Abwarten!) Die heutige Debatte hat gezeigt, dast alle bürgerlichen Parteien auf dem Boden des NeichSIagSwahlrcchtS stehen.(Rufe bei den Sozialdemokraten: Na. na!) Eine Aenderung des Reichstagswahlrechts könnte nur dann in Frage kommen, wenn es einmal eine Mehrheit ergeben sollte, die unvereinbar ist mit de» Lebensbedingungen des Reiches.(Stürmische Zurufe bei den Sozial« demokraten: Hört! hört! Wiederum mit erhöhter Stimme fort- fahrend:) Allerdings meine Herren! Eine sozialdemokratische Mehr- heit in diesem Hause würde unvereinbar sein mit den LebenSbedin- gungcn deS Reiches!(Stürmischer Beifall rechts.) Aber diese Gefahr liegt ja vorläufig gar nicht im Bereich der Möglichkeit. Da« deutsche Volk hat im entscheidenden Augenblicke immer gezeigt, daß cS der gesunden Vernunft und dem nationalen Interesse zum Siege zu verhelfen weiß.(Lärm. Beifall recht».) (Abg. Korfanty  (Pole): Mit Recht haben die Acußerungen des Reichskanzlers in der bekannten Landtngsrcde in weiten Kreisen Beunruhigung hervor« gerufen: ste stehen ja auch keineswegs allein. Auf Oldenburg  , Mirback usw. ist ja schon hingewiesen; ich will noch an heflige An« griffe des Minister« v. Pullkamer während seiner Amtszeit auf das Reichsiagswahlrechl erinnern. Der stenographische amtliche Bericht verzeichnet bei dieser Stelle: Lebhafter Beifall rechts.(Leb« hafteS Hört! hört I links.) Es war also sehr berechtigt, daß diese Jnterpellario» hier eingebracht wurde. Der Reichskanzler' hat, er sage, waS er wolle, das ReichtagS- Wahlrecht angefeindet. Er hat rühmend von den Leistungen des DreiklafienhauseS und herabsetzend von denen des Reichslages gesprochen. Aber ich denke doch, die Leistungen deS Reichstages können sich sehr wohl neben denen des Abgeordnetenhauses sehen lassen! Ich erinnere nur an die Knebelung der Berg- und Staats« arbeiter durch den Landtag I(Lebhafte Zustimmung bei den Polen  und Sozialdemokraten.) Der Reichskanzler hat sich als entschiedener Verächter de» Zeit» geistes hingestellt. Damit spricht er sich selbst das schärfste Ver« dammungSnrieil. Der Staatsmann ist gerichtet, der den Geist seiner Zeit nicht zu erfassen weiß.(Lebhafte Zustimmung links.) Abg. Liebermann v. Sonnenberg(wirtsch. Vg.) gibt eine kurze Erklärung ab: Die Wirtschaftliche Vereinigung hält durchaus am geltenden Reichstagswahlrecht fest; sie kann aber in den Aeutzerungen deS Reichskanzlers im preußischen Abgeordnetenhaus« weder eine Herab« seyung noch eine Bedrohung des ReichstagswahlrechtS sehen. DaS staatsbürgerliche Recht der freien Meinungsäußerung muß auch dem Reichskanzler zustehen. Wir weisen die Interpellation der Sozial« demokraten als eine Anmaßung zurück.(Bravo  ! recht». Lachen links.) Abg. Ledebour(Soz.): Der Reichskanzler hat in seiner Rede unter anderem da» Recht für sich in Anspruch genommen, abfällige Kritik an dem für da» Deutsche Reich und eine große Anzahl von Bundesstaaten gültigen allgemeinen gleichen Wahlrecht zu üben. Er erklärte, er habe genau dasselbe Recht wie jeder andere Staatsbürger. Dieses allgemeine Reckt bestreitet ihm niemand, am allerwenigsten die Sozial« demokraten. Unser Kamps innerhalb des heutigen Staate» besteht ja zum großen Teil darin, für alle Menschen dieses Recht zu erkämpfen. Auch für die preußischen Beamten ivollen wir daS Recht erwirken, ihrer inneren Ueberzeugung bei der Wahl Ausdruck zu geben. Aber gerade der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident betrachtete eS als eine seiner Hauptaufgaben, als eine der Ivesentlicksten Teile der von ihm vorgelegten WahlrechtSvorlage, daß den Beamten das Recht der inneren Ueberzeugung genommen wird. Er will sie zwingen, im Sinne der Regierung zu stimmen, und deshalb behält er die öffent« liche Wahl bei.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Im Munde eines Mannes von derartigen Grundsätzen anderen Leuten gegenüber, eines Mannes, der den Beamten gegenüber den RegierungsterroriSmuS gesetzlich festlegen will, nimmt cS sich konnsch ans, wenn er vom Recht der freien Ueberzeugung spricht.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Also das Recht, die innere Ueberzeugung zmn Ausdruck zu bringen, bestreitet dem Reichskanzler niemand. Die innere Ueberzeugung eine« Mannes muß aber im Einklang stehen mit seiner öffentlichen Tätigkeit, und wenn jemand wie der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident der Ueberzeugung ist, daß.daS allgemeine gleiche Wahlrecht so erheb« liche Mängel aufweist, dann darf er nach meiner Ueberzeugung den Posten eines Reichskanzler« nicht übernehmen.(Sehr richtig I be: deu Sozialdemokraten.) Nimmt er ihn trotzdem an und behält er ihn bei, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß er nur auf die günstige Gelegen« heil wartet, dieses Wahlrecht im Reiche zu beseitigen, und gerade weil er Aeusterungen gemacht hat. welche diese Anschauungen ver« stärken, ist unsere Interpellation eingebracht, und es lag zu ihr um so mehr Veranlassung vor, weil er andernteilS Aeusterungen unter» lassen hat gegenüber Angriffen auf daS allgemeine Wahlrecht.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Und was hat er für Gründe für feine niedrige, da» Wahlrecht heradfctzende Ansicht über da» Wahlrecht angeführt. Er hat von der Verrohung der Sitten gesprochen! Hier zur Rede gestellt, erging er sich in ganz allgemeinen Redensarten: das habe er nicht zuerst gesagt, daS hätten schon andere vor ihm ausgesprochen! Dost andere Leute, die da« gleiche Mast von Einsicht in die moderne Tntwickelung haben, wie Herr v. Bethmann Hollweg  schon Aehnliches ausgesprochen haben, bezweifle ich gar nicht.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) ES läuft da dem Reichskanzler eine Verwechselung unter, er fastt die heftigen, leidenschaftlichen parlamentarischen Kämpfe, die in jedem Parlament, daS auf Grund de« allgemeinen Wahlrechts gewählt ist. entstehen und sich fort- emwickeln, auf: als Verrohung der Sitten. Di« leidenschaft« liche» Kämpfe müssen sich aus der innersten Ueberzeugung der Parteien und der Männer, die sie vertreten, notwendig ergeben, wenn eS sich um die großen Ziele der Menschheit handelt. Solche leidenschaftlichen Ausbrüche fehlen natürlich vollständig in einen» Parlament, das auf Grund eine« TliquenwahlrechtS gewählt ist (Sehr wahr! links), wo die aufstrebenden Volksschichten aar keinen Platz finden. In einem solchen Parlament geht eS verhältnismäßig gemütlich zu. Deshalb finden Sie in bezug auf die Leidenschaft« lichkeit in diesem Jahrhundert und auch im letzten Teil deS vorigen in England viel schärfere Kämpfe als im IS. Jahrhundert. Deshalb finden Sie in allen Herrenhäusern der Welt eine Leiden» lchastslostgkeit, eine Gleichgültigkeit, eine Interessen losigkeit, die dann zu solchen Reden führt, wie wir sie etwa von Herrn v. Bethmann ollweg oder auch von Herrn Bassermann zu hören bekommen: eben, die zeigen, dast der Redner nicht tief innerlich ergriffen ist von den Aufgaben, die er zu vertreten hat, dast er nicht für Volksrechte, für Volksfreiheit kämpft, sondern sich allen« falls ein bistchen mehr oder weniger bei diesem oder jenem Gesetz um materielle Frage streiten will, dast ihm aber die große» idealen Gesichtspunkte, die eben den leidenschaftlichen Kampf herbeiführen müssen, vollständig abgehen. Ganz abgesehen übrigens von dieser großen Leidenschaft, die immer in den Parlamenten veS gleichen Wahlrecht« zum AuSdruck kominen wird wenn wir wirklich Stichproben auf die innere geistige und sittliche Struktur der Redner moche», dann würde sich' zeigen, dast gerade bei den engeren Freunden de« Herrn von Bethniann Hollweg derartige niedrige sittliche Strukturen zu finden sind. Ich erinnere daran, daß hier einmal, als vom amerikanischen Handelsvertrage die Rede war, ein Abgeordneter bemerkt hat: Ja, die Amerikaner wollen auch einen Schluck aus der Pulle nehmen! Solche Taktlosigkeiten gehen auL der inneren Niedrigkeit der Sirnktur hervor, sie atmen Schnapsluft. Dieser Ausdruck fiel nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite de» Hauses.(Zuruf recht»: Von wem?> Vom Herrn v. O l d e n» burg  -Jan»schau!(Schallende Heiterkeit. Abg. v. Oldenburg  ruft: Nein I Erneute Heilerkeit.) Also kommen Sie un« nicht mehr mit der abgegriffene» Behauplung, dost der Parlamentarismus oder vielmehr das allgemeine Reichstagswahlrecht zur Verrohung der Sitten führt I Weiter hat der Reichskanzler behauptet, die Teilnahme dcö Volkes am Parlament sei zurückgegangen. Dast daö falsch ist, darauf hat schon Herr Gröber hingewiesen. DaS Interesse deS Volkes für ein Parlament drückt sich am deutlichsten in der Beteiligung an den Wahlen ouS. Und diese Beteiligung ist bei den Wahlen zum Reichstag erheblich größer als bei den Wahlen zum Klassenparlament deS preußischen Abgeordnetenhauses. Austerdem ist sie von Periode zu Periode ge- stiegen. 1S71 beteiligten sich 50.7 Proz. der Wähler an de» Wahlen, 1874 63,1 Proz.. 1877 77.2 Proz. und 1007 85 Proz. Wenn aber eine gewisse Mistachtung de« Reichstage» zu bemerken ist, von wein geht sie denn aus? Bon deujenigcn Parteien und Personen, die die allmählich fortschreitende Demokratisierung unsere» öffentlichen