Lebens mit großem Mißbehagen sehen. Das find die Herren von der Regierung und auch einzelne Professoren. Hat doch ein Pro- fessor der Nationalökonomie kürzlich erklän, ein wirklich gebildeter Mensch habe kein Interesse an der Politik I DaS sind, genau be- trachtet alte Jungfern in Mannshosen (Große Heiterkeit), die nicht mit ihrem Volksleben und streben, sondern die abseits sitzen und sich höchst beunruhigt fühlen, wenn andere Leute ihrem lebhaften Interesse für unser öffentliches Leben kräftigen Ausdruck geben. Zu einem gewissen Grade trägt auch die allgemeine TeilnahmS- losigkeit dazu bei, welche die Herren von der Regierung den Aktionen des Parlaments schenken. Nicht bloß beim Toleranzantraa, auch sonst, wenn wichtige Fragen aus dem Haufe kommen, streiken die Herren von der Regierung— nicht vollständig, das vorige Mal waren hier ein paar kleine Bundesratsmitglieder als Streikposten aufgestellt. (Schallende Heiterkeit. Zurufe im Zentrum: Als Stallwache.) Und welche Nichtachtung des Parlaments liegt darin, daß der Reichs- kanzler, nachdem er einmal hier, seitdem er Kanzler geworden. erschienen ist und eine höchst verunglückte Rede gehalten hat, plötzlich von der Biidfläche verschwunden istl Hätten wir nicht in unserem dringenden Wunsche, den Herrn Reichskanzler endlich hier zu sehen, nun das einzig wirksame Mittel gebraucht, ihn zur Stelle zu bringen, so würde er tvahrscheinlich— wie sein Vorgänger— gewartet haben, bis ein großer Erfolg in der aus- wältigen Politik— über den Fürsten von Bulgarien vielleicht, der ja in Lraunschweig in diplomatische Verwickelungen mit uns gekommen ist(Große Heiterkeit links)— errungen war. Dann werden wir ihn vielleicht wiedersehen, jetzt ,st er ja schon wieder verschwunden! (Heiterkeit.) Aber das ist nicht die Art, wie der einzige verantwort- liche Minister, den wir im Reiche haben, sich dem Deutschen Reichs- tag gegenüber jzu stellen hat.(Sehr Ivahr l bei den Sozialdemo- kratcn.) Nominell ist er wenigstens verantwortlich, und deshalb soll er Rede und Antwort stehen. Allerdings liegt die Schuld, daß die Herren sich diese Jgrltaktik gestatten, auch an Ihnen, meine Herren. Sie haben Zwangs- mittel genug, die Herren zur Stelle zu bringen. Sie brauchen nur Ihr Budgetrechi konsequem auszunutzen, dann würden Sie mal sehen, wie die Herren geschmeidig werden I(Heiterkeit.) Ich freue mich, daß die Herren vom Zentrum mit aller Eni- schiedenheit erklärt haben, sie würden unter allen Umständen am ReichStagewahlrecht festhalten, und daß Herr Gröber gerade das gleiche Wahlrecht betonl hat. Mögen Sie aber das gleiche Wahl- recht in vollen, Umfang vertreten. denn es ist eine herbe Beeinträchtigung des gleichen Wahlrechts. daß durch die Wahlkreiseinteilung auf Grund der Volkszählung von, Jahre 1864 die großen volkreichen Städte stellenweise ein siebenfach ungleiches Wahlrecht gegenüber den Landpreise» haben.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Der Wahltreis i. B., den ich vertrete, müßte nach dem Wortlaut der ReichSver- assung heute neun Abgeordnete wählen, und die würden alle Sozialdemokraten sein!(Große Heiterkeit.) Daß Ihnen das nicht paßt, begreife ich. Wenn Sie aber deshalb, weil das gleiche Wahl- recht uns zugute kommen würde, seine Durchführung ablehnen, haben Sie nicht das Recht, mit großem Pathos sich als unbedingte Anhänger des gleichen Wahlrechts hinzustellen.(Sehr richtig I links.) Was aber die Achtung vor dem Parlament anbetrifft, so sollte— abgesehen von einigen Herren auf der Rechten, die in dieser Beziehung als Abgeordnete nicht normal denken— (Große Heiterkeit.), so sollte also jeder Abgeordnete, welche Ansicht er auch sonst vertritt, darauf hinwirken, die Achtung vor dem Reichs- tage zu heben. Ein Parlament, wie der Deutsche Reichstag, das nicht den Willen zur Macht hat, das nicht einmal den Willen hat, die Machtmittel, die es besitzt, bis zur äußersten Konsequenz aus- zunutzen, reduziert selbst die Achtung, die das Volk ihm entgegen- bringen müßte. Ist es Ihnen ernst, dem Reichstag die äußerste Achtung zu erzwingen, so helfen Sie uns. das bureaukratische Regierungssystem zu beseitigen und das parlamentarische ein- zuführen, so daß auf den Regierungsbänken nur sitzen kann, wer durch das Vertrauen des Parlaments dorthin berufen ist, nicht durch irgendeine Hofkamarilla oder sonstige Launen eines Monarchen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Weiter hat der Reichskanzler gegen die Einführung deS Reichs- tagSwahlrechtS in Preußen „die preußische Eigenart I zeltend gemacht. Nach seiner Aufjassung steht Preußen ans Grund eines StammesverhälMisfes und seiner Geschichte in einem so undamentalen Gegensatz zu den übrigen deutschen Staaten, »aß dieses allgemeine Wahlrecht wohl für die kleinen südstaallichen Bundesbrllder paßt, nicht aber für das große Preußen mit seiner „Eigenart". Dies« Behauptung krankt an einer fundamentalen Un- kenniniS des Begriffs der Stammesart und der historischen Ent- Wickelung. Dadurch, daß Preußen durch Heirat, durch Raub. durch S ch a ch e r, durch Vererbung, durch Erbettelung von fremden Potentaten(Lärin rechts. Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten), durch alle diese Künste, mit welchen früher die deutschen Fürsten ihre Länder mit deren Einwohnern sich zusammenplünderten oder zusammenraubten und �zusammen- stahlen(Lärm rechts. Erneute Zustimmung bei den Sozialdemo- kraten). durch diese Künste ist auch Preußen zu seiner heutigen Ab- Messung der Grenzen gekommen. Gerade weil es für die preußische EntWickelung ein außerordentlicher Vorteil ist, daß die Hälfte Preußens aus Länder» mit anderer Stammesart als der spezifisch ostelbische» besteht, ist es notwendig, daß dieses Preußen, daß allein zwei Drittel der Einwohner Deutschlands umfaßt, nach denselben Grundsätzen regiert wird wie das übrige Deutschland . Historisch und ethnographtsch ist es also absoluter Unsinn, von dem heutigen Preußen zu sagen, es habe eine besondere Stammesart und brauche deshalb eine andere Verfassung als das übrige Deutschland . Der Umstand, daß da« heutige Preußen zwei Drittel des Reiches um- faßt und daß deshalb an einen föderalen Charakter des Reiches nicht zu denken ist. betveist, daß die preußische Stammesart nur eine Phantauc ist, durch welche die Herrschaft der ostelbischen Guts- besitzer in Greußen und Deutschland verdeckt werden soll.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdem.) Gerade weil Preußen ein so über- ragender Teil von Deutschland ist. müssen wir für Preußen dasselbe Wahlrecht verlangen, das in Deutschland gilt.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Nun könnte man ja von Ihrem(nach rechts) Standpnnkte aus sagen, das Deutsche Reich solle wieder herabgedriickt werden auf den Grundsatz des Dreiklassenwahlrechts, und wir wissen ja, daß derartige Pläne gehegt werden. Aber wir und, wie ich glaube, auch die über- wiegende Mehrheit des Hauses stehen auf dem Standpunkt, daß vor allem so bald wie möglich in Preußen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht eingeführt wird. Und demgegenüber kommt nun der Reichskanzler mit seiner unglücklichen Wahlrcchtsvorlage. In diesem ganzen Machwerk zeigt sich die vollständige burcau- rratische Beschränktheit und der Kastengeist der Regierung nirgends klarer als in der Bestimmuilg, daß die zivilversorgungsberechligten Unteroffiziere in eine höhere Klasse gehoben werde» sollen. Das ist selbst der konservativen Partei gegen den Strich gegangen, und so- mit haben der Reichskanzler und seine Mitarbeiter den Beweis ge» liefert, daß er selbst in hohem Grade zivilversorgungsbcrechtigt ist. vielleicht für die Stellung in einem Domstift zu Naumburg , wo bekanntlich abgehalfterte Minister hineinbefördert werden.(Große Heiterkeit.) Dem Verfasser eines solchen Machwerks kann man mit Hemer Variante ein Dichterwort Platens entgegenhalten, das er seiner- zeit auf die K o m ö d i e n v e r f a s s e r gemünzt hat: „Schneemänner gleichen solcherlei Gesetzentwurfs Verfasser,' Karikaturen find sie heut, und morgen sind sie Wasser". (Große Heiterkeit.) Und genau so wie der Schneemann Bülow vor unseren Augen zusammengeschmolzen ist, werden wir eS noch erleben, daß an der Stelle, wo heute der Reichskanzler stehen oder sitzen sollte, von ihm nichts weiter übrig bleibt, als ein trüber Wasfertümpel.(Große Heiterkeit.) Mit großer Emvhase hat der Reichskanzler sich dagegen ver- wahrt, daß er das Rcichstagswahlrecht antasten wolle, ein solcher Plan sei nock nickt erwogen. Daß das noch nicht in den Akten steht, daran zweifelt niemand. Die Angrisse aller Parteien— mit Ausnahme der konservativen— richten sich gerade dagegen, daß die Aeutze- rungen des Reichskanzlers und seine Unterlassungen den Ver- dacht rechtfertigen, daß er den zutage tretenden Bestrebungen auf Abschaffung des Reichstagswahlrechts mit Entschiedenheit nicht entgegentreten will. Mit großem Staunen hat mich erfüllt, was Fürst Hatzfeld mit einer zweifellos de» Herrn Reichskanzler äußerst befriedigenden Leidenschaftslosigkeit und herrenhäusleriscber Gemüt- lichkeit(Heiterkeit) hier über seine Anhängerschaft zum Reichstags- wahlrechi gesagt hat. Er erklärte, seine Partei taste das Reickstagswahirecht nicht an, solange nicht unsere Partei hier die Mehrheit bekomme I(Abgeordneter Fürst».Hatzfeld: So habe ich das nicht gesagt I) Ach bitte I Ich schweige gern einige Minuten, damit Sie wiederholen, was sie gesagt haben.(Große Heiterkeit. Glocke des Präfidenten.) Ich mache den Präfidenten darauf aufmerksam, daß es im englischen Parlament üblich ist. daß in solchen Fällen auf die Bitte des Redners der Zwischenrufer seine Bemerkung macht.(Heiterkeit.) Vizepräsident Dr. Spahn: DaS würde einen Bruch unserer Geschäftsordnung bedeute«. Abg. Ledeivor(fortfahrend): So fasse ich es nicht auf, Herr Präsident, sondem nur als längeren Zwischenruf des Herrn(Heiterkeit.) Ich muß nun aus meiner Erinnerung rekapitulieren. Sie haben gesagt, Ihre Partei will daS Reichstagswohlrechl, so lange hieü nicht eine Partei oder Parteien die Mehrheit haben, welche die Grundlagen des Reiches antasten wollen.(Abg. Fürst v. Hatzfeld: So war es nicht!(Heiterkeit.)) Ich muß schon bei nieiner Ansicht bleiben, wenn Sie nicht sagen, was Sie gesagt haben! Ihr bloßes„So war es nicht" genügt nicht. Und ich appelliere an das Erinnerungsvermögen der anderen Herren, die auch gehört haben, was der Herr sagte.(Sehr richtig! links.) Also das ist sehr charakteristisch. Das sagte schon Mephisto zu Martha Schwerdtlein, und das kaun auch Mephistopheles- Oldenburg zu Martha Schwerdtlein-Fürst Hatzfeld sagen: „Ich schwör euch zu: mit dem Beding Wechselt' ich selbst mit euch den Ring." (Große Heiterkeit.) Sowie Sie diese Bedingung stellen, daß das Volk das Recht der allgemeinen Wahl nur haben soll, wenn es Leute Ihres Schlages wählt, dann zerstören Sie das Rcichstagswahlrecht. (Widerspruch rechts, Zustimmung links.) Ihre Ausführungen haben ja gar keinen Sinn, wenn sie nicht die Besürchtung ausdrücken sollen, daß die Sozialdemokratie hier einmal die Mehrheit erlangen könnte und daß dann das Wahlrecht geändert werden müßte.(Sehr richtig! links.) Wenn die Worte des Fürsten Hatzfeld diesen Sinn .nicht hatten, so hat er uns Rätsel aufgegeben.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Daß er aber dies sagen wollte, darin bestärkl mich der Umstand, daß denselben Gedanken sein Partei- genösse Ocmvio Freiherr v. Zedlitz und Neukirch, aber mit erfreu- licher Klarheit und Deutlichkeit(Heiterkeit) nicht mit herrenhäuslerischer Trübung, im preußischen Abgeordnetenhause aus- gesprochen hat. Er sagte dort in der Polemik gegen den Abgeordneten Herold(Zeuge Herold ist hier)(Große Heiterkeit.): Der Abg. Herold hat dem Reichstagswahlrecht ein schönes, starkes Lob gesungen, aber er hal die eine Seite der Sache doch nicht ausreichend beleuchtet, daß nämlich bei dem Reichslagswahlrecht es in vier Fällen notwendig wurde, den bestehenden Reichstag aufzulösen, um Lebensfragen des Deutschen Reiches zu positiver Ent- scheidung zu bringen, und ivenn die Entwickelung so weiter geht, wird auch Herr Herold sehr bald praktisch einsehen, daß das Reidjs- tagswahlrecht seine großen Schattenseiten hat und daß vielleicht die Stunde kommt, in der man vor die Frage gestellt wird, ob Reich, ob Reichstagswahlrecht". (Lebhaste Zustimmung rechts. Lebhaftes Hört! hört! links. Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Diese Erklärung Ihres Parteisteundes Oktavio V. Zedlitz und Neukirch haben Sie, Fürst Hatzfeld, nicht desavouiert! Sie haben sie vielmehr durch Ihre verschleierte Erklärung bestätigt.(Heiterkeit) Also, wie kann überhaupt jemand im Deutschen Reichstage, der nicht die Janusck-auerliche Gewohnheit angenommen bat, (Heiterkeit) wie der Leutnant Pistol , der Adjutant des Falstaff, sofort das Geklauber herunterzufresien. wenn es ihm unbequem ist(Große Heiterkeit), also wie kann jemand im Deutschen Reichstag, der diese Januichauerliche Gewohnheit nicht angenommen hat, be- haupten, Herr v. Zedlitz und Fürst Hatzfeld hätten nicht gesagt, das Reichstagswahlrecht müsse kassiert werden, wenn ihrer Partei die Majorität nicht paßt!(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Auch gegen diese Auslassungen des Herrn v. Zedlitz hat sich der Reichskanzler nicht gewendet. Wenn er dagegen nur die Hälfte der Entrüstung aufgebracht hätte, wie eben hier, als Herr Wiemer ihm unbedachtfam so ganz beiläufig auf die Krähenaugen trat (Große Heiterkeit), dann könnte man glauben, er würde später einmal, wenn er mehr gelernt hat als heute, ein zuverlässiger Ver- teidigec des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts sein. Von einem Abgeordneten, der das Vertrauen seiner Wähler hat, kann man annehmen, daß er ziemlich sicher sitzt. Aber so ein Reichs- kanzler kann morgen auseinandergeflosse» sein, und dann kriegen wir ihn nie wiederzusehen.(Heiterkeit.) Er wird nicht, wie in fort- geschrittenen Ländern, seine Kraft und Intelligenz dem Wohle deS Reiches als Führer einer Oppositionspartei widmen. DaS ist auch so ein unglücklicher Brauch des bureaukratische» Regierungssystems. Den Mänuern, die wirklich etwas gelernt haben könnten, werden die Kaiserieckel zwischen die Beine gejagt, und dann verschwinden sie »ach Naumburg auf Nimmerlviedersehen(Heiterkeit), und wir be- kommen wieder einen neuen, ungelernten Bureaukralen hierher, der wieder mit der ganzen Unverstäildigkeit des dürren Bureaukraten für die Volksbewegung den Reichstag zu bluffen sticht. Um den ungeheuerlichen VerdunkelungSversuchen ein Ende zu machen, muß ich noch einmal auf die Ausführungen des Herrn v. Oldenburg-Januschau von, 29. Januar zurückkommen.(Oh! oh! rechts und Heiterkeit.) Sie kommen nicht darum herum, eS soll einmal gegen alle Anfechtungen klargestellt werden, was der Mann wirklich gesagt hat. Er und andere seiner Gefolgschaft haben be- hauptet, er habe nur ein Beispiel äußerster Konsequenz der� Disziplin geben wollen, als er sagte, es muß so sein, daß der deutsche Kaiser und König von Preußen jeden Moment imstande ist, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie 10 Mann und schließen Sie den Relchstag! Schon da s wäre ein taktloser Angriff auf den Reicks tag, ein Mangel an Selbstgefühl, welcher die schärffte Zurückweisung er- fordert. Es ist aber nicht wahr, daß das gemeint war, um die Disziplin hat sich die Debatte damals nicht gedreht, sondern um die Stellung der Offiziere in» Volke und im Heer, und Herr v. Oldenburg kam darauf, daß heutigen Tages die adligen Familien ihre Söhne nicht in solcher Zahl ins Heer schickten, wie er wünschte. Und er gab für diese von ihm bedauerte Er- scheinung Gründe an. Er sagte, in einer langen Friedenszeit erlahmt der Enthusiasinus nsw. Ich will das nicht alles wiederholen, er schloß diese Stelle mit den Worten:„Ich denke, meine Herren, das wissen Sie doch alle, daß dann die beste Bouillon abgeschöpft ist". Auch eine der feinen Ausdrucksweisen, die Herr v. Bethmann Hollweg im Auge hatte, als er von der Verrohung des Parlaments sprach�(Sehr gut! bei den Sozialdem.) Also der eine Grund ist, daß für-die adligen Familien die beste Bouillon im Frieden abgeschöpft wird. Dann fuhr Herr p. Oldenburg fort:„Ein zweiter Grund ist der, daß leider Gottes die Stellung des Offiziers nicht mehr in dem Maße vor der Oeffentlichkcit geschützt ist wie früher. Als ich Offizier war— ich sage Ihnen das, meine Herren, um Ihnen auf der Linken eine ganz besondere Freude zu machen— da war es mir ganz egal, was von mir in der Zeitung stand, ich habe nur gefragt, was sagt mein Kommandeur dazu, was sagen meine Vorgesetzten dazu. Was der Reichstag und das Publikum sagte, ging uiich nichts an. Wie ist es jetzt? Wenn ein Leutnant an einer Ecke laut hustet, hat er die Besorgnis, daß es im Reichstage zur Sprache kommt. Das ginge noch: aber wir wollen doch dafür sorgen, daß er nicht die Besorgnis haben muß, daß nun auf daS Urteil des Reichstages ein Gewicht gelegt wird, was früher nickt der Fall war. Meine Herren, darunter leidet der Offizierstand, er muß darunter leiden, ein Stand, der persönlich mit dem aller- höchsten Kriegsherrn zusammenhängt, und den im übrigen die Oeffentlichkcit nicktS angeht.(Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Ja, meine Herren, das ist auch eine alte preußische Tradition und daß Ihnen diese Tradition nicht paßt, das glaube ich sehr gern. Der König von Preußen und der Deutsche Kaiser muß jeden Moiuent im- stände sein, zuh einem Leutnant zu sagen:„Nehmen Sie 10 Man» und schlicficn Sie den Reichstag ." Und dann appelliert Herr v. Oldenburg au den Kricgsminister mit den Worten:„Und wir von der Rechten hoffen, daß der preußische KriegSministcr diese Traditio» aufrecht erhalten wird, auch in der Zusammen- setzung des Offizierskorps, in der Homogenität des Offiziers- korps, die alte, die königlich preußische Tradition. Adieu, meine Herren I"(Große Heilerkeit.) In den Worten, die ich verlesen habe, ist keine Rede von der Disziplin, da wird deut- lich gesagt, daß in der Tatsache, daß die Offiziere heute auf die öffentliche Meinnng etwas geben müssen, weil sie nicht genug vor der Oeffernlichkeit geschützt sind, der Grund liegt, daß so viele feine Familien, wie die des Herrn v. Oldenburg , nicht mehr in ein Offizierkorps eintreten. Die Aeutzernng war also nickt gedacht als Beweis für die äußerste Konsequenz der Disziplin, sondern als sondern als Beweis für die Notwendigkeit, den Reichstag bis zum äußersten zu mißachten. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wenn nun noch jemand es wagt, zu behaupten, Herr v. Oldenburg-Januschau habe in jener Sitzung dieses Beispiel als äußersten Ausfluß der Dis» ziplin angeführt, so würde ick berechtigt sein, ihn einen bewußten Lügner zu nennen.(Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten. Unruhe rechts.) Man versteht die Wahlrechtsbewegung in Preußen nicht, wenn man sie als eine rein preußische Sache auffaßt. Es handelt sich vielmehr um den Kamps um die Mündigkeit des deutschen Volkes, da« die Ketten einer kleinen Clique bevorrechteter Leute abschütteln will. Deshalb setzt meine Partei alle Kraft und Opfer, die sie zu bringen vermochte, daran, um für Preußen das gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu erobern und das Reichstagswahlrecht gegen alle Anfechtungen zu verteidigen. Dazu gehören auch alle Kundgebungen auf der Straße, wenn sie auch weit über daS Maß desien hinausgehen, was so vorsichtige und behuffame Leute wie Herr Bassermann und Herr Wiemer für richtig halten. Ich möchte nur mit einem Worte meiner Verwunderuog darüber Ausdruck geben, daß Herr Wiemer— wie ich hoffe— in einer unbedachten Uebereilung eS wirklich fertig gebracht hat, uns hier die Behauptung ins Gesicht zu schleudern, daß wir mit den Wahlrechtsdemonstrationen Ihren, Wahlrechts» kämpfe in den Rücken gefallen sind. Ein größerer Wahnsiu» ist selten in diesem Hause ausgesprochen worden angesichts der Wucht der Aufopferung und Energie, die die preußische und deutsche Sozial- demokratie in ihrem Kampfe für das gleiche, allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht in Preußen bewiesen hat.(Seht gut l bei den Sozialdemokraten.) Wir haben in diesem Kampfe die Unterstützung von Politikern gehabt, die zu Ihnen(zu den Freisinnigen) gehört haben. Ich erinnere an den von uns hochverehrten, leider zu früh verstorbeneu Dr. Theodor Barth . Wenn Sie doch auch nur einen Funken von dem Geist deS Herrn Dr. Barth hätten?(Zuruf deS Abg Packnicke: Den haben Sie genau so angegriffen wie unS alle?) Wenn wir ihn bei anderer Gelegenheit in anderen Fragen angegriffen haben, so kommt daS hierbei nicht in Be» r r a ch t. Die politische Einsicht, die er auf diesem Gebiete gezeigt hat, erkennen wir durchaus an. Wenn Sie, Herr P a ch n i ck e, zu derselben Einsicht kommen, werden wir Sie auch unterstützen. In Straßburg i. E. haben übrigens Mitglieder der Freisinnigen Partei mit unseren Parteigenossen zusammen de» m o n st r i e r t. Also Herr Wiemer hat mit seinen Worten nicht nur unS, sondern seinen eigenen Parteigenossen Knüppel zwischen die Beine geworfen.(Sehr wahr l bei den Sozialdemolraten.) Natürlich glaubt niemand von uns, daß wenn wir heute Wahlrechts- demonstrationen machen, morgen das preußische Wahlrecht fallen wird. Wir wissen genau, daß die Wahlrechtsdemonstrationen immer nur eine Etappe in diesem Kampfe sind, immer nur eine, wenn auch wichtige Begleiterscheinung dieses Kampfes. Bei der Entwickelung, die bei unS die Dinge genommen haben, sind sie aber ganz unvermeidlich und notwendig. Wir können ja gar nicht genug Versammlungslokale bekomme», zumal dort, wo man unS die Säle abtreibt, um die Demonstrierenden alle hineinzubekommen, und so sind die Straßen- demonstrattonen häufig weiter nichts als eine Forlsetznng oder Ergänzung der Versammlungen. In allen Ländern, wo der Par» lamentarismus den Leuten in Fleisch und Blut übergegangen ist. wo sie das Bedürfnis haben, nicht nur mitzuraten, sondern auch mitzutaten, in England, Frankreich . Amerika sind Straßendemonstrationeu etwas Selbstverständliches. Ich erinnere auch an den überwältigenden Eindruck, den es machte, als in Oesterreich die Massen vor die Hochburg zogen: Diese Demonstration hat zweifellos den letzten Anstoß dazu gegeben, daß das allgemeine Wahlrecht dort eingeführt wurde. Soweit sind wir noch nicht, aber wir werden weiter in dieser Richtung wirken auf Grund der Erfahrungen, die wir gesammelt haben. Herr Wiemer meinte, die Erfahrungen sprächen gegen die Straßcudemonstrationen. Ich weiß nicht, ob er in Berlin dabei war, er wird sich jedenfalls nach dem letzten Satz der wundersam.stilisierten Prokla- mation den Herrn v. Jagow gerichtet haben? Neugierige sind gewarnt?(Große Heiterkeit.) Aber Sie werden wissen, daß ich Erfahrungen gesamnielt habe, und welche Erfahrungen? Im Jahre 1998 im Januar fingen wir damit an. Da bin ich mit einem Trupp der schließlich auf 2909 Personen angewachsen war, nach dem Exerzier» platz gegangen und habe dort eine Ansprache gehalten.(Zuruf links: Parade!) Das ist der faule Witz des Herrn Kreth, der jetzt von Jhnen aus dem Müllkasten heraus» g e g r a b e n w i r d. ES ist bezeichnend, daß Sie es für angebracht halten, angesichts der Straßendemonstrationeu mit solchen klag» l i ch e n Witzen zu operieren.(Sehr wahr! b. d. Soz.) Damals er» regte die Demonstration auf dem Exerzierplatz schon Entsetzen, am vorigen Sonntag aber waren eS im ganzen nach mäßigen Schntzuuge» 159(199 Menschen, die sich an den Straßendemoustrationen beteiligt haben. Wir sind zwei Stunden durch die Stadt marschiert und im Humboldthain fand ich mich in einer Menge von etwa 69999 Menschen. So schwillt die Sache au. Das beweist, daß die Erfahrung dafür spricht, daß das Volk sich dafür erwärmt und die Volksbewegung allmählich immer größere Dimensionen a n n i m m t. Aber noch eine andere Erfahrung haben wir in Berlin gemacht und nicht Jjier, sondern auch in anderen Orten Deutschlands , daß es nämlich unrichtig ist, wenn behauptet wird,_ daß die Straßendeniouftralioilen den Verkehr oder die öffentliche Sicherheit gefährden. Bei Straßendemo n» st ratio n en kommt es nur zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, wenn die aufgeheNtc Polizei sich einuiischt.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten, Lachen rechts.)_(Fortsetzung in der 2. Beilage.) Verantwortlicher Redalteur Richard Barth , Berlin . Für denJnscratenteilveroniv.: Th. Glocke, Berlin . Krück u. Verlag: BomärtSBuchdruckerei u, BerlagSanstglt Paul Singer St Co., Berlin SW,
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