Abg. Boramann(Soz.): In der Begründung der Vorlage ist davon die Rede, daß der Kreis Osthavelland für diese Eingemeindung von Spandau eine Entschädigung von 2 6S0 000 M. erhält. Ich hielt das im ersten Augenblick für einen Druckfehler. Es handelt sich hier um einen Raubzug des Kreises gegenüber der Stadt(sehr wahr! b. d. Soz.), wenn pro Hektar 6300 M. Entschädigung gefordert werden. Dazu kommt, daß das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich entschieden hat, daß die Kreise keinerlei Recht befitzen, solche Forderungen zu erheben. Das ha'- auch der Regierungsvertreter in der Gemeinde- koinmissie'n zugegeben.(Hört! hört! b. d. Soz.) Wenn trotzdem die Regierung derartige Dinge laufen läßt, so erweckt sie damit den Anschein, als ob sie sich über die Entscheidung des Ober- verwaltungsg.erichts einfach hinwegsetzt. Wie will sie da verlangen, daß das Volk Achtung vor der Rechtsprechung dieses höchsten preußi- schen Gerichtshofes hat?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) So sehr ich die Rotlage der Stadtgemeinde Spandau verstehe, sich gerade nach dieser Seite hin auszudehnen, so liegt doch in der Gewährung dieser«normen Entschädigungssumme eine gewisse Leichtfertigkeit, die sich später als außerordentlich gefährlich erweisen kann. Mögen auch der Gemeinde die betreffenden Bezirke im Augenblick besonders wertvoll erscheinen, da in ihnen eine Reihe großer industrieller Unternehmungen liegen, was für die Gemeinde eine bedeutende Steuereinnahme bedeutet, so ist es doch durchaus nicht sicher, daß diese immer so bleibt. Ich erinnere daran, daß die Borsigwerke z. B. wiederholt nach anderen Gegenden verlegt worden sind. So können auch Spandau später diese großen Steuer- zahler verloren gehen. Jedenfalls steht die Entschädigung in gar keinem Verhältnis zu den Leistungen des Kreises für diese Bezirke. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Es ist nichts als eine Gewaltpolitik, die der Gemeinde Spandau gegenüber durchgeführt wird. Wenn die Regierung dem zustimmt, beweist sie dadurch, daß sie einer bestinimten einflußreichen Gruppe Borteile zuschanzt zum Schaden der Gemeinde, die gezwungen ist. sich zu erweitern.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wg. v. Brandenstein(kons.): Dem Antrag auf KommissionS- beratung schließen wir uns an. Eine Diskussion über die Sache selbst wäre bei dem gegenwärtigen Stand der Angelegenheit völlig überflüssig. Abg. Lüdicke(freik.): Die Entschädigungssumme ist allerdings groß, sie wird aber nicht nur für die hier zur Eingemeindung ge- langenden Bezirke gezahlt, llebrigens haben die eigenen Partei» genossen des Herrn Borgmann in der Stadtverordnetenversammlung in Spandau für die Bewilligung der 2 660 000 M. gestimmt.(Hört! hört! rechts. Abg. Borgmaun(Soz.): Der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe!) Die Borlage geht hierauf an die Gemeindekommission. Einige kleinere Etats werden nach unwesentlicher Debatte bewilligt. Es folgt der Etat des Ministeriums des Innern. Ein Antrag de» Berichtserstatters v. Pappenheim (kons.), die Frage derWahlrechtSreform und andere, über welche Gesetzentwürfe vorliegen, von der Generaldebatte a u S z u- schließen, wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Polen und eines Teils der Freifinnigen angenommen. Bei den„Beihilfen an unterstützungsbedürftige Krieger" kritisiert � Abg. Beher-Neustadt(Z.) die Art der Verteilung der Bete- ranenbeihilfen: Der Herr Abg. Zubeil hat im Reichstag behauptet. daß Gesuche um Gewährung von Veteranenbeihilfen aus politischen Gründen abgelehnt worden seien. Das glaube ich nicht. Mir sind allerdings auch Klagen über Nichtgewährung von Beihilfen zugegangen; ich bin aber überzeugt, daß lediglich die unzulängliche Fassung des Gesetzes daran schuld ist. Ich habe die Beschwerden vertrauensvoll dem Minister übergeben. Ein Negierungsvertreter erwidert, daß gegenwärtig etwa zwei Drittel aller vorhandenen Veteranen die Beihilf« be° ziehen. Jeder Veteran, dessen Hilfebedürftiakeit im Sinn« des Gesetze? vorliege, bekomme die Beihilfe. Politische Rücksichten kommen bei der Gewährung von Veteranenbeihilfe überhaupt nicht in Betracht. Der Titel wird bewilligt. Es folgt die allgemeine Debatte beim Titel.Minister» geholt. Abg. Bell(Z.): Ueber die so außerordentlich wichtige Wahl» rechtSvorlage werde ich nicht sprechen, da sie aus der Beratung aus- geschaltet worden ist. Im Anschluß daran scheint es aber doch der Prüfung wert, ob nicht unser Kommunalwahlrecht der Abänderung bedürftig ist. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, ebenso wie für den preußischen Landtag, auch für die G e» in e i n d e n das geheime Wahlrecht eingeführt werden müsse. (Bravo !) In Krefeld hat die nationalliberale Mehrheit der Stadt- verordneten eine Abänderung des Wahlrechts beschlossen, durch welche die Wühler ihres Wt-hlrechts in der zweiten Abteilung verlustig gingen.(Hört! hört! Zuruf im Zentrum: Echt liberall Zuruf links.) Wenn Sie(nach links) nachweisen daß vom Zentrum in anderen Fällen ebenso gebandelt worden ist, werde ich da» genau so verurteilen(Bravo ! im'Zentrum. Na! na! links.) Was die Handhabung de» Verein», und Versammlungsrecht» anbetrifft, so ist in der Kommission der Fall Kiel angeführt worden. Ein englischer Arbeiter wollt« dort in seiner Muttersprache eine Ansprache halten. Er gehörte einer Deputation an. die vorher von dem früheren StaatSminister v. Berlepsch feierlich begrüßt worden war. Trotzdem hat der Herr Regierungspräsident diese Rede verboten.(Hört! hört!) DaS steht im Widerspruch mit den Erklärungen, die seinerzeit bei der Beratung des Reichsvereins- gesetzes abgegeben wurden. Dasselbe gilt für das Verbot der polnischen Versammlung beim Katholikentag, das Herr Porsch früher schon mit Recht auf daS schärfste verurteilt hat. In dieser Versammlung sollte lediglich ein Vortrag eines Geistlichen über das Thema„Die Arbeit un Lichte deS Glaubens" gehalten werden, ohne jede Diskussion. Trotz Darlegung diese» Sachverhalts hat der Regierungspräsident, drei Neonate nachdem er die Anzeige de- kommen hatte, erklärt, daß keine Veranlassung borlieg«, in diesem Falle eine Ausnahme zu machen.(Hörtl hört! im Zentrum.) Zum Schluß muß ich noch«ine Sache zur Sprache bringen, bet der die Ehre der Zentrumspartei lebhaft engagiert ist. Es ist eine Broschüre erschienen»Fürst Bülow und seine Zeit". Der Verfasser verbirgt sich unter dem Namen„Germanikus. Dieses Buch ent- hält von der ersten bis zur letzten Seite die unerhörtesten Be- schimpsungen der Zentrumspartei und eine Fülle von Schmähungen gegen die katholische Kirche . So heißt es z. B.: Der Haupterfolg des Wahlsieges von 1907 war die solange vergeblich ersehnte Aus- schaltung des Krummstabs aus den Jnsignien 5er Hohenzollernschen Kaiserkrone.(Hört! hört! im Zentrum.) Die Nationalliberalen werden in der Broschüre dem Zentrum gegenüber als die Partei der reinsten Selbstlosigkeit in nationalen Dingen hingestellt.(Schal- lendes Gelächter im Zentrum.) Vom Minister v. Studt heißt es, daß er viel zu lange im Amte geblieben sei, lediglich deshalb, weil er sich der Gunst der Kaiserin und damit des Kaisers erfreute. Nach dein Zusammenbruch oeS Blocks werden dann in der zweiten Auflage des Buches die schärfsten Angriffe gegen die 5tonserbativen gerichtet, denen Treulosigkeit und Ueberfall aus dem Hinterhalt vorgeworfen wird, Ivel! sie die ReichserbschaftS» steuer abgelehnt hatten.(Hört! hörtl) An sich handelt es sich hier um«in Pamphlet, über das man einfach zur Tagesordnung über- gehen könnte: was aber der Sache einen pikanten Beigeschmack gibt, ist, daß diesem Buch durch den Verleger eine warme Empfehlung des Ministers des Innern beigelegt werden konnte.(Stürmisches Hört! hört im Zentrum und rechts.) Es heißt in dem Briefe des Ministers:„Für die Uebersendung deS Buches„Fürst Bülow und feine Zeit", von dessen Inhalt ich mit Interesse Kenntnis genommen habe(Hört! hörtl), spreche ich Ihnen meinen verbind» lichstcn Dank(ni&(Hört! hört! im Zentrum.) Wenn ich au» grundsatzlichen Erwägungen heraus davon absehen muß, die nach- geordneten Behörden auf daS Buch hinzuweisen, habe ich doch gern eine empfehlende Besprechung in der„Berliner Korrespondenz" veranlaßt und hoffe, hierdurch-weitere Kreise zur Lektüre des Buches anzuregen."(Hörtl hört! im Zentrum.) Ich will nun allerdings gern.annehmen, daß der Herr Minister des Innern dieses Buch trotz seiner Empfehlung gar nicht gelesen hat.(Heiterkeit.) Der Titel„Fürst Bülow und seine Zeit" ruft ja die Tatsache in Erinnerung, daß schon viel wichtigere Schriftstücke angelesen unter- schrieben worden sind.(Große Heiterkeit und sehr gut! im Zentrum.) Aber ich kann doch dem Minister und dem Ministerium des Innern den Vorwurf einer bedauerlichen Unvorsichtigkeit nicht ersparen. Ich möchte dem Minister zurufen: quuZquid agis, prudenter agas et respice finem.(Was Du auch tust, tue klug und bedenke da» Ende.)(Lebh. Beifall im Zentrum.) Minister v. Moltke: Es ist doch wohl«ine Pflicht der Höflichkeit, sich für die Ueber- sendung eines Buches zu bedanken» Ich habe mich für sehr viele Bücher bedankt und habe sie auch meistens gelesen.(Heiterkeit.) Mit dem Inhalt identifiziere ich mich dadurch in keiner Weise. Die Stelle, die der Herr Vorredner verlesen hat, unterschreibe ich durch- aus nicht. Ich habe daS Buch durchgeblättert (Hört! hört! im Zentrum und rechts), und es sind doch auch andere ganz amüsante Stellen darin. Warum sollte ich, nachdem das Buch in der„Kreuzzeitung " und im„Militärwochenblatt" besprod)en war und nachdem der Reichskanzler Fürst Bülow sich �in einem höflichen Schreiben beim Verfasser bedankt hatte(hört! hört!), dem Verfasser nicht den Gefallen tun, daß auch in der„Berliner Korre- spondenz" das Buch erwähnt wurde? Es ist das mit alleräußerster Vorsicht geschehen, indem darauf hingewiesen wurde, daß der Ver- fasser als Privatmann die politischen Vorgänge nur nach seiner subjektiven Anlage zu beurteilen vermöge, es sei erklärlich, daß sein Urteil in manchen Dingen fehlgreife und sein journalistischer Eifer bisweilen über das Ziel hinausschieße. Jedenfalls habe ich mich inhaltlich mit dem Verfasser weder identifizieren wollen noch können. Was das Verbot der polnischen Versammlung in Breslau an- belangt, so ist der Regierungspräsident durchaus objektiv vorge- gangen.(Unruhe im Zentrum.) Er hat sich an den Regierungs- Präsidenten in Oppeln gewandt, dieser hat die Landräte gehört, und cS ist festgestellt worden, daß die große Mehrzahl der Mitglieder der in Frage kommenden polnischen Vereine imstande war, einen Vortrag in deutscher Sprache zu verstehen. In Kiel handelte es sich um eine Veranstaltung der sozial- demokratischen Partei. Es sollte angeblich über die allgemeine Abrüswngsfrage gesprochen werden. Aber das Thema lautete: „Sozialdemokratie, Weltfrieden und internationale Verbrüderung". (Hörtl hört! rechts.) Außerdem fiel die Versammlung in die Zeit des schwedischen Generalstreiks, und der Verlauf der Versammlung hat die Annahme des Regierungspräsidenten vollauf bestätigt daß über diesen Generalstreik gesprochen werden sollte. Es ist ausdrück- lich zu seiner materiellen Unterstützung aufgefordert worden. Wenn die Sozialdemokratie in Kiel das Bedürfnis fühlt, sich über die Internationale zu unterhalten, so mag sie das unter sich tun. Hierzu a u S l ä n d is che Genossen zuzulassen, liegt nicht im StaatSinteresse. Der Ausländer steht überhaupt nicht unter dem Vereinsgesetz.(DerMinister setzt sich unter eisigem Schweigen desHauses, das nach einerWeile all» gemeine Heiterkeit auslöst.) Abg. v. Pappenheim (k.): Ich will mich ausschließlich mit der von Herrn Bell vor- gebrachten Angelegenheit beschäftigen. Die Tatsache, daß ein Buch oieseS Charakters in dieser Form von der königlichen Staats- regierung der Oeffentlichkeit empfohlen worden ist, ist geeignet, die Annahme zu verbreiten, daß die im Buch niedergelegten Ten- denzen die Billigung der königlichen Staatsregierung finden. Der Herr Minister hat gesagt, er hätte in dem Buche geblättert. Ich nehme an und kann nicht ander? annehmen, als daß das Blättern nur ein sehr flüchtiges gewesen ist. Ich kann nicht annehmen, daß der Herr Minister sich mit den Teilen des Buches beschäftigt hat, die sich zum Beispiel gegen die hochverehrte Persön- lichkeit des Ministers v. Studt richten; ich kann nicht annehmen. daß ihm von seinen nachgeordneten Beamten die nötigen Mit- teilungen über den Inhalt des Büches gemacht worden sind. Allein schon die Persönlichkeit des Verfassers mußte zur Vorsicht mahnen. der von einem„deutschen Germanen" nur die Eigenschaft hat, daß er Zwist unter allen bürgerlichen Parteien des Vaterlandes zu säen sich bemüht hat. Ich muß annehmen, daß der Herr Minister in seiner vornehmen Gesinnung glaubte, verpflichtet zu sein, seinen nachgeordneten Beamten die Verantwortung abzunehmen, indem er zu meinem lebhaften Bedauern die ganze Sache nicht schärfer bedauert hat.(Lebhafte Zustimmung recht? und im Zentrum.) Irgendein nachgeordneter Beamter hat offenbar daS Buch nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit gelesen. Wir können nicht an- nehmen, daß ein preußischer Minister sich mit den in diesem Buche niedergelegten Ansichten identifiziert.(Stürmisches Bravo I rechts und im Zentrum.) Abg. Fritsch(natl.) fordert eine Neuregelung des Beamten- rechts.(Der größte Teil seiner Ausführungen bleibt auf der Tribüne gänzlich unverständlich.) Ein Nertagungsantrag wird von der Rechten und dem Zentrum abgelehnt. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Nach den scharfen Angriffen der Rechten sollte man annehmen, daß Sie dem Minister des Innern das Gehalt verweigern werden. (Heiterkeit.) ES wird den Sozialdemokraten vorbehalten bleiben müssen, an der Person des Ministers des Innern doch noch ein gutes Härchen zu finden.(Heiterkeit.)- Wenigstens auf einem Gebiete können wir die Tätigkeit des Ministers begrüßen: insofern er den Beamten einen möglichst höflichen Ton dem Publikum gegen- über empfohlen hat. Im übrigen werde auch ich zu einem Ver- dammungsurteil gegenüber dem Ministerium des Innern kommen müssen. Der Herr Reichskanzler und Ministerpräsident hat am 19. Fe- bruar im Reichstag erklärt, ein bureaukratifcheS Regiment führe daS Volksleben zum Absterben. Wenn der Ministerpräsident die volle Bedeutung dieser Worte in sich aufgenommen hätte, würde er keinen Tag Ministerpräsident in Preußen sein können, denn das preußische Regiment ist das denkbar bureaukratischste.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) In dem preußischen Land- r a t haben wir den Zentralpunkt für alle Klagen, die aus der rück- ständigen Polizeiwirtschaft für das preußische Volk erwachsen. Die Kreisblätter sind ein gefügiges Instrument in den Händen der Landräte. Es ist ein großes Verdienst des früheren Bürgermeistes Schücking, darauf hingewiesen zu haben. Natürlich schreiben die Landräte nicht sämtliche Artikel, aber sie überwachen die allgemeine Haltung. und Kreisblättern, die sich nicht ganz im Sinne der Auffassung der Verwaltung halten, werden die amtlichen Bekanntmachungen entzogen. Im übrigen sind die Kreisblätter Ablagcrungsstätten für die Produkte de» ReichslügenverbandeS gegen die Sozialdemo- kratie. Das Bestreben des Ministers, die Allmacht der Landräte noch über das bisherige Maß zu vermehren, ist geradezu ge- fährlich. Die wesentlichste Aufgabe der Bcrwaltungsreform ist die Schaffung von Rechtsgarantien gegen die Verwaltung. Es muß das unerträgliche isystem beseitigt werden, wonach die Verwaltung in weitestem Umsgnge jeder Kontrolle entzogen ist und wonach es nichts als den einfachen Aufsichtsweg gibt, dessen wesentlicher Sinn der ist, daß man den Teufel bei Beelzebub ver- klagt.(Sehr wahrt bei den Sozialdemokraten.) Sobald die Frage aktuell werden, wird, werden wir Mit gller Macht auch darauf hin« wirken, daß Preußen auS eknem Poltzelstaa? allmählfiy rt« Rechts st aat wird. Wir haben eine Reihe von Anträgen in dieser Richtung vorgelegt, wonach unter anderem auch„der Kon- flikt", dieses unglückselige Gebilde, das eS der Verwaltung möglich macht, nach Belieben alle möglichen ihr unbequemen Sachen den ordentlichen Gerichten zu entziehen, beseitigt werde, daß in höherem Umfange als bisher die zivil- und strafrechtliche Haftung der Beamten festgelegt wird usw. Die Demokratisierung der ge- samten Verwaltung von unten bis zur obersten Spitze ist allein geeignet, sie aus einem Instrument der Herrschaft der Bureau- kratie zu einem Instrument des Volkswillens zu machen. Aus diesem Grunde sind wir natürlich auch Anhänger und Vorkämpfer für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht auch für die Gemeinden.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ein Wort zur Sittenpolizei. Im„Berliner Tageblatt" vom 12. Februar hat der Kriminal- kommissar v. Tresckow einen sehr bemerkenswerten verständigen Artikel über die Frage des internationalen Mädchenhandels und der Prostitution veröffentlicht. Dieser Herr, der in sehr intime Berührung mit diesen traurigen Auswüchsen der sozialen Ver- Hältnisse kommt, hat unter dem Eindruck dieser lebendigen Er- fahrungen einen Standpunkt gegenüber der Prostitution ein- genommen, der durchaus dem der Sozialdemokratie entspricht. Es macht der Einsicht dieses Herrn große Ehre, daß er diesen Stand- Punkt auch öffentlich vertritt. Mit Recht weist er darauf hin, daß es vor allem die bittere Not ist, die für das Heer der Prostituierten immer neue Scharen wirbt. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die Prostituierten als Opfer unserer gegenwärtigen Gesellschafts- zustände zu betrachten, alle unnötigen Härten der Beamten gegen diese Unglücklichen zurückzuweisen und ihnen alle Möglichkeiten zu gewähren, in ein geordnetes bürgerliches Leben zurückzukehren. Bedauerlicherweise läßt sich heute noch die Polizei von dem engsten bureaukratischen Geist auf diesem Gebiete leiten. Die Reglemen- tierung der Prostituierten sollte aufgehoben und dafür ein allgemeiner Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegenüber den Ge- schlechtskrankheiten eingeführt werden. Die Gesellschaft zur Be- kämpfung der Geschlechtskrankheiten hat wertvolle Anregungen auf diesem Gebiete gegeben. Dringend wünschenswert ist die Beseitigung de» Vagabunden- gesetzes, dessen unheilvolle Wirkunoen im Falle des Hauptmanns von Köpenick der breitesten Oeffentlichkeit bekannt wurden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Auch auf dem Gebiete der Kunstzcnfur ist die Polizei ihren Aufgaben nicht gewachsen. In zahlreichen Fällen geht sie gegen wirklich wertvolle Produkte der literarischen und bildenden Kunst vor. In llassischen Denkmälern und wert- vollen literarischen Leistungen erblickt sie unzüchtige Abbildungen und unsittliche Schriften I Wiederholt hat die preußische Polizei den Spott der ganzen Kulturwelt herausgefordert durch ihre Eng- Herzigkeit und den absoluten Mangel an höherem Kunstverständnis. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Die Polizei ist bei dieser Tätigkeit nur zu vergleichen mit dem Tier im Porzellanladen. (Heiterkeit.) Ein Gebiet, das dringend der Reform bedarf, ist leider die Mißhandlung durch Polizeibeamte. Die Rubrik «Schutz vor Schutzleuten" ist in unserer Presse zu einer ständigen geworden, seit langer Zeit auch in allerhand bürgerlichen Zeitungen.(Zuruf rechts: „Berliner Tageblatt" l) Es ist ja für uns eine Ehre, daß, wen» einmal eine bürgerliche Zeitung anfängt, vernünftig zu werden, sie als sozialdemokratisch verschrien wird. Ueber Mißhandlungen durch Polizeibeamte habe ich ein ungeheuerliches Material. Ich werde es Ihnen nicht vortragen(Bravo I rechts), um nicht von neuem den Vorwurf auf mich zu laden, als ob ich frivol mit Jher Zeit umginge. In Hannover . Dortmund , Breslau wird auf be« Polizeiwachen gewissermaßen gewohnheitsmäßig geprügelt. Wiederholt sind solche Fäll« vor Gern.-. verhandelt. Unsere Parteigenossen� in Breslau haben neuerding» den Weg gewählt. beim Polizeipräsidenten selbst in solchen Fällen Abhilfe nachzusuchen. aber auch ohne Erfolg. Die Gerichte sehen leider ihre Aufgaoe darin, in solchen Fällen bei der Ausmessung des Strafmaßes die Polizei gegenüber der Presse in Schutz zu nehmen. Eine Ehrenpflicht für den preußischen Staat wäre weiter die Aufhebung des KontrakbruchgesetzeS für Landarbeiter. daß dia Kulturstellung Preußens aufs schwerste diskreditiert. Gegen den ungesetzlichen Legitimationszwang für ausländische Arbeiter haben die italienische und österreichische Regierung und deren Parlamente bereits protestiert. Diese vertragswidrigen Matz- nahmen sollten schleunigst beseitigt werden. In welchem Umfange die Polizei in die inneren sozialen Kämpfe in Preußen eingreift, dafür ist jeder Tag ein neuer Beleg. Sie nimmt in ganz einseitiger, rücksichtsloser und wohlüberlegter Weise Partei gegen das kämpfende Proletariat für die sogenannten „nützlichen Elemente": Arbeitswillig« und Streikbrecher.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Vom Fraktionsstandpunkt auS könnten wir der Regierung wirklich nur dankbar sein für eine der- artige Aufdeckung ihrer wahren inneren Gesinnung gegenüber der Arbeiterschaft. DaS hat das Proletariat begriffen, und wesentlich darin liegt die Ursache für den abgrundtiefen Saß von Millionen von Arbeitern gegen die preußische Polizei. Die Regierung wird sich damit eine Grube graben, in die sie selbst hinein fällt.(Lachen rechts.) Sie müssen ja darüber lachen, dazu sind Sie ver- pflichtet. Ich erinnere an das Verbot des Streikpostenstehen». Auf diesem Gebiete wird ein geradezu schnöder Mißbrauch mit den Bestimmungen unserer Straßenpolizeiverordnung zur Verhinderung aller den Unternehmern unbequemen Handlungen der Arbeiter getrieben. So ist nach der Berliner Straßenpolizeiver- ordnung das Stehen auf Granitplatten verboten! (Heiterkeit.) Wer von Ihnen weiß wohl etwas von diesem Verbot? Aber diese Bestimmung wird in unerhörter Weise vielfach in Berlin angewandt, um den Arbeitern- das Streikpostenstehen unmöglich zu machen und sie in harte Strafe zu nehmen(Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.) Ein weiterer Beweis, in welch rücksichtsloser Weise die Polizei die Arbeiterklasse verfolgt, ist die einseitige Handhabung des Plakatgesetzes. Andere Parteien können ruhig Plakate aufhängen, die den Anforderungen des Plakatgesetzes nicht entsprechen, aber- der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und den s-reireligiösen Gemeinden gegenüber greift man zu diesem alten Gesetz. Dieses Auftreten der Polizei hat selbst in Richterkreisen böses Blut gemacht. Ich verweise auf das Landgericht Köln , das jedesmal mit einer demonstrativen Begründung auf die niedrigste Strafe erkennt, ja bedauert hat, überhaupt auf eine Strafe erkennen zu müssen I(Hörtl hörtl bei den Sozialdemo- kraten.) Die Saalabtreibungen haben auch unter dem Reichsvereinsgesetz nicht aufgehört. Soweit sie von Behörden ausgehen, sind sie gesetzwidrig.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Der jetzige Ministerpräsident hat in seiner ftüheren Eigenschaft als Staatssekretär des Reichs. amtS des Innern die Erklärung abgegeben, daß ein derartiges Treiben der Behörden strafbar seil(Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.)' Ich habe solche Fälle von Sckalabtreibungen im Kreise Osthavelland selbst mit er, lebt, wo die Gendarmen sich direkt neben uns stellten, wenn wir mit den Wirten verhandelten! In geradezu unerhörter Weise wird den Wirten, die ihre Säle den Sozialdemokraten geben, das Leben schwer gemacht. Die Polizeistunde wird herabgesetzt, die Genehmi- gung zu Lustbarkeiten wird verweigert usw. Bei einem Fall aus
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