WrÄttkfurker S t r'a � e n v e'öl o n ft L a t i o n e n gcBib'mch Mit gutem Geschick widerlegte unser Genosse die von Polizei- offiziöser Seite in der Presse aufgestellten Behauptungen. Er ver- wahrte die Sozialdemokratie gegen den Vorwurf, als sei sie ver- nntwortlich für Ausschreitungen gewisser Elemente, und stellte an Hand der Prozctzverhandlungen gegen die Ferrer-Bersammlungs- demonstranten unzweideutig fest, auf wessen Schuldkonto die Aus- schreitungen zurückzuführen sind. Mit Recht forderte Liebknecht am Schluß seiner Rede die' Abschaffung der Geheim- Polizei und der Provokateure sowie ein vorsichtiges Verhalten der Polizei. Die Regierung scheint wenig Neigung zur Befolgung dieses wohlgemeinten Rates zu haben. Wußte doch der Unterstaats- sckretär H oltz nichts anderes zu„erwidern", als daß er auf solche „Agitationsreden" nicht antworte I Ebenso leicht machte es sich der Minister selbst, der gegenüber unserem das schädliche Treiben der Spitzel schildernden Genossen Kirsch nicht weiter vermochte, als daß er sich auf seine Er- klärung vom— vorigen Jahre bezog! In jener Erklärung hatte Herr v. Moltke sich zum Schirmherr» der Spitzel aufgeworfen, und auch jetzt wieder trifft ihn, da er diese elenden Subjekte nicht von seinen Roßschößen abschüttelte, die volle Verantwortung für die Folgen des Treibens jener Elemente. Die Fälle, die Genosse Hirsch anführte und deren Nichtigkeit er a k te n in ä ß i g belegte, sind so drastisch, daß man sich wirklich fragen muß, ob die Re- gierung und das Parlament nicht im Interesse des Ansehens Preußens endlich auf die Spitzel verzichten wollen. Aber dazu haben die gesetzgebenden Körperschaften keine Neigung. Gegen die Stimmen der Polen , des Freisinns und der Sozialdemokratie be- willigte das Haus die geforderten 300 000 M. geheime Ausgaben im Interesse der Polizei, die unsere Genossen zu streichen beantragten, und gegen dieselbe Minderheit lehnte es auch unseren Antrag auf Beseitigung der politischen Geheimpolizei ab. Endlich unterzog noch Genosse S t rö b e l in einer großzügigen Rede das preußische Fürsorgewesen einer vernichtenden Kritik, wobei er sich aber nicht aus die negative Seite beschränkte, sondern eine Reihe wertvoller Anregungen gab, die leider, weil sie so ver- nünftig sind, in Preußen kaum Aussicht auf Verwirklichung haben. Ströbel war es, der im Gegensatz zu den bürgerlichen Rednern die Ursachen der Verwahrlosung der Jugend schilderte und der mit Wörme für eine Hebung der sozialen Lage des Proletariats, für die geistige Hebung der Massen, für bessere Bildung eintrat, vor allem sich gegen die Versuche wandte, den Bestrebungen der Arbeiter zur Förderung der Jugenderziehung Hemmnisse in den Weg zu legen. Eine Reihe von Einzelfällen, die der sozialdemokratische Redner als Betveis für das Fiasko der Fürsorgeerziehung angeführt hatte, konnte der Regierungsvertreter nicht ableugnen, er warnte nur vor Verallgemeinerungen. Es wird also auch auf diesem Gebiete vorläufig alles beim alten bleiben. Eine Erwiderung des Abg. Fahbender(Z.) gab Ströbel nochmals Gelegenheit, das System der Fürsorgeerziehung, vor allem das System der P r ü g e l st r a f e, zu geißeln. Am Dienstag soll die zweite Lesung des Etats der Bergver- waltung beginnen._ Slahlmtztsdemonftrationen. Keine Ruhe in Preußen, bevor das allgemeine, gleiche. geheime und direkte Wahlrecht erobert ist. Jeder Tag betveist aufs neue, daß dieser Gedanke mit unwiderstehlicher Macht die Massen erfaßt hat. Zwei Wochen sind es her. daß die berüchtigte Proklamation des Polizeipräsidenten v. Jagow erschien, der dem„Recht auf die Straße" die Gewalt des Säbels und der Brownings entgegensetzte. Aber Jahre scheinen ver- gangen zu sein, so unmöglich erscheint uns heute jener Aus- fluß des Polizistenhochmuts. Das Recht auf die Straße hat glänzend gesiegt über die Rückständigkeit und Gewalttätig- feit der Machthaber. Kein Sonntag mehr ohne Demonstra- tionen und keine Demonstration, die nicht einen neuen Beweis für die benierkenswerte Disziplin der Massen lieferte, gerade dadurch aber zugleich eine schwere, sich stets erneuernde inoralische Niederlage der Polizei bedeutete. Immer und überall wiederholt sich die Erfahrung: Die Massen wissen Ordnung zu halten; Unruhe und Unordnung stiftet nur die Polizei. Nie aber ist der Beweis schlagender erbracht worden, als gestern in Berlin . Die Versamnilung, die Liberale und Intellektuelle im Zirkus Busch veranstaltet hatten, war Massen- Haft besucht. Wie dies in politisch erregten Zeiten nicht anders fein kann, kam es nach Schluß der Versammlung zu spontanen Straßendemonstrationen. Die Polizei war überrascht. Sie verließ sich auf die Wirkung der liberalen Zeitungsartikel, deren Verfasser konsequent zu sein glauben, wenn sie ihre Leser vor Demonstrationen warnen, während sie nur unverbesserlich töricht sind. Sie ahnte nicht, daß die Straßendemonstrationen der Arbeiter alle Elemente, die noch nicht vollkommen politisch verknöchert und verphilistert sind, auch im Bürgertum be- kehrt haben. So wurde die Polizei durch die Demonstrationen, die diesmal von den Arbeitern begonnen und den Bürgern mitgemacht wurden, überrascht. Ihre Entschlußkraft war zu- dem durch das Bedenken gclähmt.I eL nicht nur mit Arbeitern zu tun zu haben. So blieb sie untätig, und ihre Untätigkeit gewährleistete den ruhigen Verlauf der Kund' gcbung. Vor dem Schloß Wilhelms II. erschollen die Hoch- rufe auf das gleiche Wahlrecht. Von der Rampe des Kronprinzenpalais aus, vom Sockel des Denk- malL Wilhelms I. erklang der Kampfesruf der Massen. Während die Volksverräter vom Zentrum im Bimde mit den Konservativen das Schandgesetz des Bethmann in aller Eile durchpeitschen wollen, wächst und wächst die Bewegung draußen. In Frankfurt hat eine Riesenkundgebung— auch hier von der Polizei ungestört— stattgefunden, wie sie die Stadt seit dem Jahre 18-t8 nicht gesehen hat. Und noch stehen wir erst in den Anfängen der Bewegung. Die Herren vom schwarz-blauen Kartell mögen ihr Schandwerk nur voll- führen. Die Bewegung für das gleiche Recht ist zu mächtig geworden, als daß die Wechselfälle der parlamen- taiifchen Reden und Beschlüsse sie von ihrer Bahn abdrängen könnten. Die Herren mögen sich noch so taub stellen, den Schrei nach dem gleichen Wahlrecht werden sie doch noch er- hören müssen. Bis dahin aber nochmals und immer wieder: Keine Ruhe in Preußen, bis das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht er» «berttst. Eine Kundgebung in Berlin . In Berlin fand am Sonntag eine große Volfsversamm- litng im Zirkus Bnsch statt, die von Vertretern der liberalen Parteien, von Angehöngen der Kunst, Wissenschaft. Handel. Industrie und Gelverbe einberufe» war. DaS große Lokal war schon lange vor 12 Uhr. der für den Beginn angesetzten Stunde, bis auf den letzten Platz gefüllt, und der»vettere Zuzug wurde durch Mspemmg zurückgehalten. Das Gros der Teilnehmer gehörte dem liberalen Bürgertum an, doch war daneben auch die sozialdemokratische Ar- b e i t e r s ch a s t in nicht geringer Stärke vertreten. Die Zahl der Teilnehnier dürfte 8000 betragen haben. Die Versammlung eröffnete Professor v. Liszt-Char- lottenburg: Die heutige Versammlung sei charakterisiert durch die Zu- sammensetzung des einberufenden Komitees. Während die anderen Versammlungen von einzelnen politischen Parteien einberufen wurden, sind die Einberufer heute zum großen Teile Männer, die dem poli-- tischen Leben bis heute ferngestanden haben. Es sind die Einberufer Vertreter der Städte, Magistrate, von Handel, Industrie, Gewerbe, Kunst und Wissenschaft. Wir müssen es in diesem Augenblick be- sonders stark betonen, daß zum ersten Male diese Männer ins politische Leben und in den Kampf für eine Wahlrechts- r e f o r in eintreten. Wir haben diese Versammlung einberufen, um vor dem ganzen Volke zu betonen, daß die Vertreter von Kunst, Wissen- schaft, Handwerk, Gewerbe sich eins fühlen mit den weitesten Schichten der Bevölkerung und daß sie nicht gewillt sind, sich einfangen zu lassen durch die Aussicht eines erhö h ten Stimm- rechts.(Stürmischer Beifall.) Wir wollen in Reih und Glied mit allen Schichten der Bevölkerung stehen.(Stürmischer Beifall.) Wir beanspruchen keine Führerrolle. Wir wollen solange zusammenstehen, bis es uns gelungen ist, die Reaktion nieder- z ur i ng e n.(Stürmischer Beifall.) Wir tagen in einem ernsten Moment. Denn wir stehen nach der ersten Lesung der Vorlage. Was kein Mensch erwartet hat, hat die erste Lesung der Kommission hervorgebracht: Sie hat die Vorlage noch verschlechtert.(Rufe: Pfui! Pfui! Cassel!) Die Vorlage beseitigt den Wahlinäiinerunsug. Jetzt ist die indirekte Wahl wieder eingeführt. Wer trägt die Schuld daran? (Lärm, Nuse: Cassell Unruhe.) Das Zentrum hat die Schuld mit feinem Liebeöwerben um die Gunst der Konservativen.(Pfui-Rufe.) Und die Konservativen haben die zärtliche Uinarmuna des Zentrums erwidert.(Beifall. Rufe: Kuhhandel!) Genau so wie bei der F i n a n z r e f o r m geht cS hier.(Sehr richtig!) Wir können eö verstehen, wenn die Konservativen bemüht sind, ihre Herrschaft auf- recht zu erhalten. Unverständlich ist es aber, daß das Zentrum Verrat an den Volksrechten übt.(Stürmischer Beifall.) Laut und deutlich muß daher das Volk seine Stimme erheben und da? um so mehr, als wir eine Regierung in Preußen eigentlich nicht haben.(Stürm, ininntenlanger Beifall.) Wir haben ja an der Spitze einen Minister, der ein Schwärmer ist.(Rufe: PhilosophI Major ! Heiterk.) Ein Mann, der nicht weiß, wie es in der realen Welt aussieht, der keine Ahnung hat von der Entwickclnng Preußens und keine Ahnung v o n dem, was das Volk f ü Pl t und denkt.(Stürinischer Beifall.) Wir haben eine Regierung, die sich als über den Parteien stehend bezeichnet und in Wahrheit nichts ist als der geschäftSführeude Ausschuß der konscrvativ-ngrarischen Parteien.(Stürmischer Minuten- langer Beifall.) Als erster Redner sprach der nationalliberale Landtags- abgeordnete Dr. Maurer. Er wandte sich gegen die veraltete Wahlkrciöeinteilung und fuhr dann fort: Die Vorlage ist ein elendiger Flicken auf ein abgeschabtes Kleid. eine Karikatur auf eine Reform.(Stürmischer Beifall.) Das bedeutet eine Zumutung an das Volk, die mit Entrüstung zurückgewiesen zu werden verdient.(Stürmischer Beifall.) Wir werden nicht demonstrieren und revolutionieren.(Stürmischer Beifall und lärmender Widerspruch.) Wir werden pro- testieren.(Lärmende Zurufe: Faust in der Tasche machen! Echt nationalliberal I Große Unruhe.) Als monarchisch gesinnter Mann sage ich. daß wir appellieren sollen an den Fürsten und ihn sragenl: Hat das preußische Volk das verdient?(Stürmischer Beifall und lärmende Zuruse.) Wir als staatserhaltende Männer wollen protestieren, daß man dem Volk unter dem Deckmantel des„historisch Gewordenen" die Rechte vor- enthält. Unabhängig kann ein Volk nur wählen(Zurufe: Durch Unterosfiziere I Gelächter.)— wenn eS das geheime Stimmrecht hat.(Stürmische Zurufe: Gleiche! Gleiche! Gegenrilfe: Nein, geheime! Große, anhaltende Demonstrationen.) Meine Herren I Es ist mir der Auftrag geworden, nur mit wenigen Worten die Wahlreformvorlage zu besprechen und nur auf daö geheime Wahlrecht einzugehen.(Slürmische Unterbrechungen: Nein, wir wollen das gleiche Wahlrecht! Großer Beifall.) Warten Sie doch ab, was nachher gesagt wird von den anderen Rednern! Glaubt man die Unzustiedcn- heit zu beseitigen, wenn man die Wähler zlvingt, gegen ihre politische Uebcrzeugiing zu wählen? ES zeigt nicht von poli- tischer Reife, wenn der Bürger hinabgleitet auf die schiefe Bahn des Radikalismus.(Rufe: Echt nationallibcral! Große Unruhe.) Auch bei dem geheimen Wahlrecht bleibt das Verantwortungsgefühl vor dem politischen Gewissen.(Sehr richtig!) Nur wo Freiheit ist. wird auch die wahre Verantwortung vorhanden sein. Eine Wahlreform, die von einer koniervativ-agrarischen Mehrheit Arm in Arm mit dem Zentrum gemacht wird, bürgt wenig Hoffnung auf eine Stärkung der ReichSfrcudigkeit. Mit nackrerBrutalität wird die Beeinflussung der Wähler noch mehr zur Wahrheit werden als gegenwärtig. Mit dem Dichter möchte ich rufen: Ich fürchte den schwarz-blauen Block, und selbst, wenn er Geschenke bringt.(Stürinischer, anhaltender Beifall.) Als Vertreter von Handel und Industrie sprach der Stadt- verordnete Fabrikbesitzer Dr. Frentzel, nach ihm Prof. Dr. Spiegel (Charlottenburg ), der mit der Erklärung großen Beifall weckte, bisher habe er sich immer mit dem Wort Bismarcks getröstet, daß etwas Widersinnigeres und Elenderes nicht mehr erdacht werden kann. Aber er müsse bekennen: Ich habe die gegenwärtige preußische lltegierung unterschätzt. Dann folgte der Jungliberale Rechtsanwalt Dr. Marwitz und die freisinnigen Abgeordneten Dr. W i e m e r und Na n m a n n. Dieser erinnerte an das Jahr 1848. Aber der damals erhobenen Forderung der Rechtsgleichheit schlägt daS Klassenwahlrecht ins Gesicht: es schlägt dem staatsbürgerlichen Gedanken in Preußen große Wunden. Wenn eS im Kriege nicht heißt: An die dritte Klasse meines Volks I, dann darf eS auch im Frieden zu der Mehrzahl der Preußen nicht heißen: Ihr Bürger dritter Klasse.(Slnrmischer Beifall.) Alle Länder ringS um uns herum außer Rußland haben das gleiche Wahlrecht. Preußen, daö früher so stolz auf Oesterreich herabblickte. muß sich jetzt herüber- rufen lassen: Immer langstmi voran, daß die preußische Landwehr nachkommen kann!(Lebhafter Beifall.) DaS alte Preußen ist regiert worden von den Rittergütern aus, und nun kämpft daS Rittergut um leine Herrschaft. Ganze Provinzen stehen unter dem Banne des Rittergutes, als ob sie ein eriveiterter Gutöhof seien. Die ge- schaffcnen„sittlichen Werte" bestehe» in der Polonisierung des deutschen BodenS und der Abwanderung der deutschen Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten über 100 000 zählt. Der Klassen- gedanke unterdrückt den VolkSgcdanken. Rufet es laut in die Ministerien, daß sie nicht mehr schlafen können, rufet eS in die ver- staubte Stube des Herrenhauses, rufet es in die Sitzungszimmer de« Bundesrates: Endlich ist es an der Zeit, daß eS heißt, alle Preußen find vor dem Wahlrecht gleich.(Minuten- langer Beifall.) Der Vorsitzende Professor von LiSzt verliest hierauf folgende Resolution: „Die im ZirkuS Busch tagende, von Vertretern der Selbst- Verwaltung, der Wissenschaft und Kunst, der Industrie und des Handel» einberufene, von vielen Tausenden besuchte Versammlung stimmt den Ausführungen der Redner zu, erklärt sich auf daS entschiedenste gegen die in der Regierungsvorlage vorgeschlagene Zurücksetzung der werktätigen Volksschichten wie gegen die Aufrechterhaltung der öffemlichen Stimmabgabe und lehnt diese Gesetzgebung rundweg ab. Sie fordert eine gründliche Reform, vor allem die volle Durchführung der geheimen und direkten Wahl und die zeitgemäße Rcuemleilung der Wahlkreise." Als der Vorsitzende an die Stelle.volle Durchführung der ge- Heimen und direkten Wahl" kam, unterbrachen ihn zahlreiche Rufe: „Gleiche Wahl! Gleiche Wahl!" Er las den Satz ein zweites Mal in derselben Fassung, aber noch energischer als zuvor schnitt der tausendstimmige Ruf:„Das gleiche Wahlrecht! DaS Reichstags- Wahlrecht!" ihm das Wort ab. Langsam legte sich die Erregung und der Lärm, während am Vorstandstisch konferiert Ivurde. AlL dil Ruhe wiederhergestellt war, sagte der Vorsitzende:„Ich werde den Satz n o ch m a l vorlesen", und mm lautete die Stelle:„volle Durch- führung der geheimen und direkten und gleichen Wahl". Slürmischer Beifall quittierte über die erzwungene Aenderung, und in dieser Fassung wurde die Resolution widerspruchslos angenommen. Hiermit endete die Versammlung. Die Teil- nehnier brachen auf unter Hochrufen auf das stete Wahlrecht, in die auch Hochrufe auf die Sozialdemokratie sich mischten. Daran schloß sich der Gesang der A r b e i t e r m a r s e i l l a i s e, zu einiger Per- wunderung der bürgerlichen BersammlungSbcsucher. Die Ttrastcndemonstration. Auf der Straße hatte eine tauiendköpfige Menge, die nicht mehr zugelassen joorden war. dem Schluß der Versammlung entgegen- geharrt. Sie hatte Zuzug erhalten von Personen, die von der Koppenstraße herkamen, wo Herr S ch ne i d t eine Protestversamm- lnng abhielt. Der Versuch, für die Wartenden im benachbarten Feenpalast eine improvisierte Versammlung abzuhalten, scheiterte an dem Wider st an de der Polizei, die ihre Genehm i- ung versagte. Für die aus dem ZirkuS herausströmenden eisaminlungSteilnehmer stand draußen das übliche Polizei- a u f g e b o t bereit. In der Erwartung, daß ein Demonstrationszug sich bilden und dem Schlosse zustreben würde, hatte die Polizei in nächster Nähe des ZirkuS quer über die Burgstraße hinweg eine Schutzmannskette postiert. Aber eS ivar offenbar von„oben" Befehl gegeben worden, nicht zu flink die Faust oder gar den Säbel zu gebrauchen, alldieweil das das Bürgertum ver- schnupft hätte. Die Menge staute sich einen kurzen Augen- blick, schob sich dann aber durch die SchntzmannSkette hindurch, ohne viele Umstände zu machen und ohne Widerstand zu finden. Doch die Friedrichsbrücke, an die sie nun gelangte, war gleichfalls durch eine Reihe Schutzleute gesperrt, und diese schloß dicht. Der Zug, der von selber sich gebildet hatte und in dem neben dem Arbeiter so mancher Bürgerliche ging, marschierte weiter die Burgstraße hinauf, vorbei auch an der von Polizei ver- sperrten Kaiser-Wilhelm-Brücke , vorbei an dem Königsschloß, zu dessen allerSgrauen Mauern über das Wasser hinweg die Arbeiter- Marseillaise hinüberktang. An der Friedrichsbrücke, wo man meinte, daß die„Noten" ja vorüber seien, öffnete sich jetzt die Sperre einem zumeist aus Bürge'rlichen bestehenden Schub heimgehender Versammlungsbeiucher, und diese eilten nun UN- gehindert nach dem Lustgarten. Plötzlich bildeten unter de» Fenstern deö Schlosses sich dichte Gruppen, aus denen Hochrufe auf das freie Wahlrecht laut wurden und die A r b e i t e r m a r s e i l l a i s e erklang. Im nächsten Augenblick schwärmten aus dem Schloß und dem Dom ganze Rudel von Polizisten aus und versuchten die Menge in die Anlagen zurückzudrängen. Eine Gruppe war bis in die Näbe der Adlersäule an der Ecke des Lustgartens und der Schloßsteiheit gelangt und wiederholte hier ihre Kundgebungen. Auch den Abgeordneten Naumann sah man in der Menge, au? der dann ein Zug sich bildete und, ziim Teil ge- schoben von der Polizei, den„Linden" zustrebte. Zil derselben Zeit war es auf der anderen Seite des Schlosses dem ersten Zug möglich geworden, über die Kursürstcnbrücke hinweg auf den Schloßplatz zu gelangen. Zu den Fenstern des Schlosses brauste es hinauf:„Wir sind die Arbeits männer, daS Prole- tariat!" Während dieser Zug am Hauptportal des Schlosses vorbei nach dem Lustgarten marschierte, stieg ein Mann auf den Sockel drS Denkmals Wilhelms l. und brachte ein Hoch aus das gleiche Wahlrecht aus. Am Lustgarten stellte sich eine Reihe Polizisten entgegen. Einen Augenblick schien es, wie wenn es hier zu einem Zusammenstoß kommen sollte. Schon be- gannen einige iibernervöse Schutzleute mit den Armen zu arbeiten. Dann aber öffnete auch diese ÄbsperrungSlinie sich und der Zug marschierte die, Linden" hinab. Au der Wilhelmstr'uße wehrte Polizei ihm den Eintritt, damit der Reichskanzler nicht aus seinem Nachmittagsschlaf aufgeschreckt werde. Durch das Branden burger Tor hinaus und die Königgrätzer Straße cutlaiig>zing es zur Prinz-Albrccht-Straße, wo es angesichts der das Dreiklassen- parlawriitShau» bclvachendcn Polizei zu erneuten Kiindgebungeu kam. Dem Versuch, von hier aus nach dein Wilhelmsplatz zu marschieren, um womöglich doch auch dem Reichskanzler eine Ovation zu bereiten, widersetzte sich Polizei, die die Wilhelm- straße sperrte. Der Zug kehrte um, wobei die ihm nachrückeiide Polizei, um das Marschtempo zu beschleunigen, in bekoinitcr Art die letzten bedrängte. Nur der Besonnenheit der Menge ist es zu danken. daß es nicht schließlich hier noch zu einem Zusammenstoß kam. Aus dem Weitermarsch durch die Zimmerstraße erscholl der Ruf:„Zun! Vorwärts l" Auf den Hof d e S„Vorwärts"- HauseS ergoß sich eine noch vielhundertköpfige Menge, und hier endete die Kund- gebung mit einer Ansprache, die ein Mitglied der demokratischen Vereinigung hielt._ Oer Vahirechtsllampf. Eine gewaltige Wahlrechtsdemonstratio». Frankfurt a. M., 26. Februar.(Eig. Ber.)> Frankfurt a. M.— das kann ohne Ucbertreibung gesagt werden— steht mit an der Spitze von den Städten, in denen am energischsten für ein freies Wahlrecht gekämpft wird. Ver- sammlungen auf Versammlungen folgten in den letzten Tagen. Vor genau zwei Wochen, am preußischen Wahlrechtssonntag, begann der Sturm gegen die Wahlrechtsvorlage: 10 000 Bürger Frankfurts erhoben da laut ihre Stimme des Protestes. Immer gewaltiger wurden d-e Proteste, und dieS trotz Schutzmannsfäuste, trotz Polizeisädel, die erbarmungslos auf die Demonstranten niedersausten. Die Frankfurter Arbeiterschaft ließ sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil: die Polizeitaten erhöhten ihre Widerstands- kraft und ihren Opfermut. Der Sturm wurde zum brausenden Orkanl Am letzten Donnerstag verließen un. gefäbr 15 000 Arbeiter ihre Arbeitsstätte, um mitten während der Arbeitszeit gegen die polizeilichen Greueltaten und für ein freies Wahlrecht zu demonstrieren. Die Arbeiter zeigten damit, daß sie gewillt sind, mit allen Mitteln gegen die schmachvolle Wahlrecht»- vorläge zu kämpfen. Und diese Probe aufs Exempcl war glänzend. Die heutige Massenkundgebung der Frankfurter Bürgerschaft übertraf alle bisherigen Kundgebungen bei weitem. Frankfurt a. M. sah eine Wahlrcchtsdcinonstration, die in ihrer Art einzig dasteht. Alle linksstehenden Parteien: der Sozialdemokra. tische Verein, Demokratische Verein, Verein der Fortschrittspartei, Nationalsoziale Wohlverein, die Neudemokratische Vereinigung und der Verein für Frauenstimmrecht hatten sich zu einer gemeinsamen Kundgebung geeinigt, die sich in erster Linie gegen die drei Grund. übel des elendesten aller Wahlsysteme: Dreiklasscnwahl, Leffent- liche Stimmabgabe und Entrechtung der Städte und Industrie- bezirke, und gegen das Verhalten der Reaktion, der Konser- vativen, des Zentrums und der Nationalliberalen richten sollte. Auf mittags IL Uhr war die Versammlung unter freiem Himmel, auf der H u n d S w i e s e, vor den Toren der Stadt, an- gesetzt. Aber schon um 10 Uhr strömten dichte Scharen dem riesigen Versammlungsplatze zu. Hier waren im Abstand von zirka 100 Metern 8 Tribünen errichtet, von denen Vertreter der verschiedenen Parteien sprechen sollten. Sämtliche Vertrauensleute der Partei waren als Ordner bestimmt und hatten Mitgliederaufnahmen zu machen. Und hierfür war ein günstiger Boden vorhanden, so daß die Ernte sehr reichlich war. Die Polizei-- die ja die BerjamNlung exlgjjht und nur«inen Umzug untersagt KattL
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