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Johann Mobre?» der eineS TageZ mit der Bitte um Beschäftigung in der Expedition desDziennik Berlins!i" erschien. Es stellte sich heraus, daß er im Dienste der Polizei stand. Er suchte es allerdings zu be- streiten, indem er erklärte, er habe freilich früher für SV M. der Polizei Dienste geleistet, habe aber seinen Dienst quittiert, da er mit dem Gehalt nicht auskommen konnte. Weiter ernnere ich Sie an Uebcrwachung unserer Jugendlichen. Wir tvisien genau, daß die Versammlungen unsarer Jugend- organisationen bespitzelt werden, aber das fürchten wir nicht. Gegenüber den Fällen, die Herr Abg. Sivitala neulich er- zählte, hat der Herr Untersiaatssekretär ja selbst zugeben müssen, daß die Polizei sich solcher Agenten bedient. Um so mehr haben wir die Pflicht, zu verlangen, daß endlich einmal diese Eiterbeule aufgestochen wird, damit wir mcht fort und fort derartige Fälle von der Tribüne des Parlaments herab bortragen müssen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Schließlich habe ich noch einigo Fälle von Polizeispitzeln vor- zutragen, die mit der Ueberwachung der anarchistischen Bewegung betraut waren. Sie wissen, daß meine politischen Freunde mit den Anarchisten nichts zu tun haben. Unsere Weltanschauung unterscheidet sich hinimelweit von der der Anarchisten, aber wir haben auch diese Anschauung, soweit sie ehrlich ist. genau wie jede ehrliche Ueberzeugung zu respektieren und werden deshalb auch solche Fälle vortragen.(Zuruf rechts: Edle Seelen finden sich!) Dieser Zuruf hat gar keinen Sinn, die Anarchisten stehen Ihnen ja viel näher als uns!(Lärm rechts.) Es handelt sich um Max Schiefer, Berlin d�., Linienstr. 117, einen Lockspitzel gefährlichster Sorte, der fortwährend zu Tät- lichkeiten aufgereizt hat. Er hat die Polizei nicht nur über alles unterrichtet, was in dem Verein der föderierten Anarchisten Berlins und Umgegend, dem er seit 1907 angehört, vorging, sondern ihr auch die Schlüssel zur Redaktion desRevolutionärs" ausgeliefert! Eine Reihe von Anarchisten haben ihm seine AuS- Weitung zu verdanken. Er hat dann später ein umfassendes Ge- jtändnis ablegen müssen, worin er aussagte: Ich stehe seit dem S. oder 10. Januar 1909 im Dienste der 7. Abteilung der Berliner politischen Polizei. Ich sollte für meine Spitzeltätigkeit monatlich 40 M. bekommen, habe aber im ganzen nur an 100 M. erhalten." DaS ist übrigens nicht der erste Fall, wo Spitzel von der Polizei nicht das erhalten haben, was ihnen versprochen war. Also be- sonders nobel scheint die Regierung auch da nicht zu sein. Weiter hat er ausgesagt: Ich war in dieser Zeit vom Januar bis August 1909 dem Kriminalbeamten Radtke. Lichtenberg bei Berlin , Volker- straße 2, I rechts bei Fräulein Herrmann, unterstellt. Der Kriminalbeamte Radtke ist Ende August aus dem Polizeidienst entlassen und zur Disposition gestellt worden. Jeden- falls ist Radtke deshalb hinausgeschmissen worden, weil der Kriminalkommissar Kuntze von einer anonymen Briefschreiberei an Anarchisten Wind bekommen hat. Ich habe von dem Kriminal- beamten Radtke erfahren,-daß ich nicht der alleinige Spitzel unter den Anarchisten bin... Sollte die Regierung den Fall bestreiten, so habe ich hier d i e Originalhandschrift Kuntzes: einen Brief, den er an den Spitzel geschrieben hat, und eine Karte, wonach er 10 Nummern desRevolutionär" nach Zimmer 212 im Berliner Polizeipräsidium schicken solle. Ich nehme an, daß der Herr Minister in diesem Zimmer Bescheid weiß.(Heiterkeit.) Also dieser Fall ist nicht zu bestreiten. Interessant ist nun, daß der Spitzel Schiefer alles daran gesetzt hat, um einen anderen Spitzel zu entlarven. ES läßt das darauf schließen, daß es tatsächlich zutrifft, was Radtke dem Schiefer gesagt hat: daß es in der anarchistischen Bewegung eine ganze Reihe Polizeispitzel gibt. Vielleicht haben wir sogar mehr Polizeispitzel in dieser Bewegung als Anarchisten selbst! Einer dieser anderen Spitzel hieß Georg Niluschewsky. Er zeichnete sich dadurch aus, daß er in beständiger Furcht lebte, entlarvt zu werden. Er trug ständig eine» Revolver bei stch, ging in Begleitung eines großen Hundes und hatte sich ein Fahrrad angeschafft, um schneller entfliehen zu können. Er verkehrte viel mit dem Kriminalwachtmeister F. Bussi, LandSbergerstr. S. Besonders interessant ist, daßHerr" Schiefer, als noch nicht bekannt war. daß er Spitzel war, folgenden, von Be- leidigungen wimmelnden Brief an den Kriminalkommissar Kuntze richtete: Es ist mir bekannt geworden, daß der auf dem städti- scheu Viehhof zu Berlin angestellte Georg Nilu- s ch e w S k y a l s Spitzel in Ihren Diensten stehen soll. Ich kann unmöglich annehmen, daß eine Behörde vesp. ein hervor- ragender Beamter wie Sie, Herr Kommissar Kuntze, sich ein Gewerb« daraus machen, ehrliche Politiker zu lumpenhafwn Handlungen zu verleiten und erkläre ich hiermit, daß eine solch« Tat nur von einem Lumpen vorgenommen werden kann, welche Bezeichnung Sie auf sich bezichen können, wenn zwischen Ihnen und Niluschewsky ein solches Verhältnis besteht oder bestanden hat. Sollte der Kriminal- beamt« Bussi mit Niluschewsky in Verbindung gestanden haben, so erkläre ich diesen ebenfalls für einen Lumpen und Schurken." Der Kriminalkommissar Kuntze hat Schiefer nicht verklagt! (Hört! hört! b. d. Soz.) Und er konnte nicht klagen, weil vor Gericht der Beweis der Wa h r h e i t erbracht worden wäre! Er bat den anderen Weg gewählt: den Briefschrciber zu seinem Freunde zu machen, und hat ihn für die Dienste der Polizei geworben. Leider ist ihm dctS auch gelungen. Zum Schluß noch ein Wort: Sie reden bei jeder Gelegenehit von Preußens Ehre. Sehen Sie nicht selbst ein, daß Sie durch die Bewilligung solcher Summen Preußens Ehr« schänden? (Sehr wahr! b. d. Soz. Unruhe rechts.) Vizepräsident Dr. P-rsch: Ich rufe Sie zur Ordnung. Abg. Hirsch(fortfahrend): Von den Konservativen upd Natio- naUiberalen erwarte ich ja nicht, daß sie unserem Antrag zustim- »icn. Die Herren vom Zentrum aber haben sich früher immer, als da» Zentrum noch andere Grundsätze hatte, gegen diesen Fonds ausgesprochen. Die Freisinnigen haben ja im vorigen Jahre für unseren Antrag gestimmt; daß die Polen dafür stimmen, ist selbstverständlich. Aber auch die Herren vom Zentrum sollten, ent- sprechend ihren früheren Traditionen, diese 300 000 M. ablehnen und mit uns für die Beseitigung des Systems der Geheimpolizei eintreten. Bedenken Sie. daß die Spitzel nur die Borstufe zum Lockspitzel sind. Lehnen Sie unseren Antrag ab, so übernehmen Sic damit die Verantwortung für alle Taten der Spitzel und machen sich mitschuldig an den Verbrechen, die sie begehen und zu denen sie anstiften.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Minister v. M-ltke: Es ist über diesen Gegenstand heute und in den letzten Tagen soviel geredet worden, daß ich eS mir versage. darauf einzugehen und mich auf meine vorjährige Erklärung be- ziehe, dre ich nachzulesen bitte. Abg. Switala(Pole) führt Beschwerde über Bedrückung der polnische.' Jugendoraanifationen.. Der Titel wird gegen die Strmmen der Sozialdemokraten, Freisinnigen und Polen bewilligt und der Antrag auf Abschaffung der politischen Geheimpolizei gegen die Stimmen der Sozialdemo. traten abgelehnt. Für die fMrforgeersiekung JVIindl erjähriger werde»! als Zuschüsse an die Kommunalverbände S Millionen Mark gefordert. Abg. Dr. Faßbender(Z.) verlangt eine bessere Ausbildung der Leiter der Jürsorgeanstalten. Abg. Ströbel(Soz.): c Die Kritik, die ich im vorigen Jahre schon an unserem Für- sorgeerziehungssystem üben muhte, hat sich nach den Erfahrungen des letzten Jahres noch als v i e l zu milde erwiesen. Es sind inzwischen die Vorkommnisse in Mielczyn aufgedeckt worden und auch die nochmalige Gerichtsverhandlung über die Verhältnisse in der sogen.Blohmeschen Wildnis" haben bewiesen, daß sich das Fürsorgeerzichungssystcm bei uns noch in einem trostlosen Zustand befindet. Zahllose Sachverständige, auch aus dem bürgerlichen Lager, teilen durchaus diese sehr pessimistische Auffassung. Die Denkschrift für 1908 beweist, daß von den im Vorjahre und früher gerügt cn Mängeln noch nicht einer behoben worden ist! Daß sich durch die Fürsorgerziehung an sich etwas er- reichen läßt, soll nicht bestritten werden, aber mit dem heutigen System ist eine Besserung nicht zu erzielen. Daß seine Er- gebnisse außerordentlich kläglich sind, beweist auch die neueste Sta- tistik. Nach dieser hat in der Hälfte der Fälle eine sieben- bis achtjährige Erziehungsarbeit noch nicht genügt, um die Zöglinge als reif zur Entlassung aus der Fürsorgeerziehung anzusehen. In Wirklichkeit ist das Resultat noch bedenklicher, denn über 2700 von 4200 Entlassenen sind lediglich deshalb entlassen worden, weil sie das Mündigkeitsalter oder das m i l i t ä rd i c n st- Pflichtige Alter erreicht hatten. Nur etwa 1S00 konnten ent­lassen werden, weil man glaubte, daß eine gewisse sittliche Reife erzielt worden sei. Bei genauer Betrachtung der Statistik zeigt sich, daß mehr als zwei Drittel gerade der ältesten Jahr- gänge aus den genannten äußeren Gründen entlassen werden mußten. Das sind geradezu klägliche Fehlschläge unserer Fürsorgeanstalten.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Das wird auch von fast allen Sachverständigen zugestanden, so 1900 auf der Konferenz der Zentrale für Jugendfürsorge von Geheim- rat Krahne und im April vorigen Jahres vom Oberjustizrat B l a s ch k e. vortragender Rat im Justizministerium auf der Ge- neralversammlung des Vereins zur Besserung entlassener Sträf- linge. Er sagte:Die Hoffnungen auf das Fürsorgeerziehungs- gesetz sind arg enttäuscht. In einem Jahre wurden in Schlesien 5 Zöglinge wegen Mordes verurteilt. Sie begingen die größten Vorbrechen, um nur aus den Anstalten heraus­zukommen. Was das Gesetz als Wohltat wollte, sehen die Zöglinge als Uebel an, dem sie sich selbst durch schwere Vor- brechen entziehen wollen. Selbst die Erzieher meinen, daß die Zöglinge es in der Anstalt schlimmer haben, als in den Gefängnissen. Da» sagt ein vortragender Rat im Justizministerium! Der Haupt- fehler der jetzigen Organisation ist die Nichtberücksichtigung der psychischen Anlagen. Allsmtig wird zugestanden, daß der Pro- zentsatz der geistig Anormalen außerordentlich yrotz ist. Warum ist nicht deshalb eine allgemeine Unter- Buchung der Fürsorgeerziehungszöglinge über ihren geistigen Zu- stand angestellt worden? Es steht fest, daß von der Erkenntnis der Krankheit überhaupt die Möglichkeit eines erzieherischen Wirkens abhängt. Der Strafanstaltsarzt Dr. Rixen-Breslau sagt, daß die Fürsorgeerziehung eigentlich eine Domäne der Psychiatrie sein müsse. Dieser Standpunkt wird von zahlreichen hervorragen- den Irrenärzten geteilt. Die Aerzte fordern auch, daß die der Zwangserziehung verfallenen Individuen nicht nur ärztlich u n- t e r s u ch t werden, sondern daß die Anstalten nach ärztlichen Grundsätzen verwaltet werden sollen. Aehnlich äußert sich auch Landgerichtsdirektor Dr. Beckcr-DreSden. Wir sehen also, daß das ganze System unserer bisherigen Fürsorgeerziehung falsch ist. Daher auch der Mißerfolg! Daher stammen die Wider- setzlichkeiten und die verbrecherischen Exzesse. Im Programm der Regierung finden sich ja die wunderschönsten Grundsätze, aber es handelt sich hauptsächlich um die Praxis. Wir leiden unter einer großen Buntscheckigkeit dieser Anstalten. EL wäre das Vernünftigste, wenn nur staat» liche Anstalten existierten, wenn auch die Kommunalverbände ihre Zöglinge in diese Anstalten lieferten. Ein schlimmer Uebelstand ist auch der, daß von der K o n f e s s i o n a l i t ä t allzuviel Wesens gemacht wird. Bei dieser Erziehung kommt eS hauptsächlich auf eine vernünftige pädagogische Behandlung der Zöglinge an. Die Konfefsionalität schlägt nur zu leicht in Frömmelei um. Der SanitätSrat Dr. Küster sagt hierzu ganz beherzigenswert:Daß ein Geistlicher an der Spitze steht, beweist, daß man glaubt, durch Kirchliches und durch Beten bessern zu können. Wenn der Geistliche sich vollständig auf den Boden christlicher Liebe stellen würde, so würde eine Möglichkeit, zu bessern, vorhanden sein. Aber sie prügeln auch, wie berichtet wird." Es hat mich gefreut, daß auch das Zentrum Wert auf eine sozialpädagogischc Ausbildung legt. DaS gesamte Personal muß aus pädagogisch geschulten Kräften bestehen. Dann wird eS auch nicht mehr in so fürchterlicher Weise die Zöglinge mit Lederpeitscheu und dicken Stöcken prügeln, wie eS vorgekommen ist. In Mielczyn sind Zöglingen an einem Tage 100 Peitschenhiebe verabfolgt worden, die die Zöglinge laut mitzählen mußten.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Nach Wochen, ja nach Monaten, waren die Narben noch zu sehen. Es wurden dort Schläge auf die Fußsohlen verabfolgt, und ein einziges Kind hat in einem Monat 600 Peit- schen- und Stockhiebe erhalten!(Hört! hört! bei den Sozialdemo- kraten.) Zuerst wurde die Richtigkeit dieser Angaben desVor- wärts" bestritten, aber derVorwärts" konnte den Beweis dafür antreten. Diese Dinge zeigen doch, daß die Tatsache, daß ein Geistlicher an der Spitze einer solchen Anstalt steht, keine Gewähr dafür ist, daß folche Ausschreitungen nicht vorkommen. Und vergessen wir doch das eine nicht, daß es sich hier um geistig und sittlich minderwertige Menschen handelt, die nicht durch Prügel, sondern nur durch eine richtige Behand- l u n g und durch ein Eingehen auf ihren Körper- und Geisteszustand auf den Weg der Besserung gebracht werden könnem(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn der Vorwärts" sich nicht so riesig vorgesehen und nicht ein fast berge- hohes Material angehäuft hätte, es wäre nicht gelungen, die Wahr» heit an den Tag zu bringen. ES handelt sich auch keineswegs um ein vereinzeltes Borkommnis. Fast wöchentlich, ja fast täglich gehen bei uns Klagen ein über Vorkommnisse in solchen Anstalten, die gleichfalls sehr wohl be- gründet sind. Im vorigen Jahre hat der Abgeordnete v. Liszt die Anstalt Siedersdorf gelobt. Aber auch von dort find uns Klagen zu Ohren gekommen und derVorwärts" hat sie veröffent- licht. Der Pastor Rohr wollte zuerst klagen, aber er besann sich dann doch eines Besseren. Nicht nur Geistliche prügeln, sondern auch die Pfleger. WaS sind denn das für Leute, diese Pfleger? ES sind keine pädagogisch durchgebildeten Leute, sondern Leute, die, wie in Mielczvn. aus Anstalten gekommen waren, wo man vom Alkohol entwöhnt loird.(Hört! hört! bei den Sozial- demokratcn.) Solche Leute sind natürlich nicht geeignet für der- art schwierige Aufgaben. Die Enthüllungen über die Blohmcsche Wildnis grenzen geradezu an das Perverse- Auf der Konferenz der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge wurde hervorgehobeti, daß die Vorgänge in Mieiezyn und der Blohmeschen Wildnis keineswegs vereinzelte Vorkommnisse seien, sondern daß ähnliche Fälle jedem Kenner der Verhältnisse bekannt wären.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das alles be- weist das Vorhandensein eines weitverbreiteten priigellystetiis und es beweist ds« voUrtändige CInzutängHchhett der Kontrolle. Es gibt zwar genug Instanzen für die Aufsicht, aber die Instanzen allein machen es nicht. In der Blohmeschen Wildnis z. B. wurde die Kontrolle ausgeübt von einem Pastor und einem KreisphysikuS, die beide nie etwas bemerkt hatten. Dr. Koehne hat in einer Sitzung der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge denn auch eine ganze Reihe von Abänderungsvorschlägen gemacht, um die Kontrolle zu verschärfen. Vor allem sollen die Zöglinge selbst ihre Beschwerden vorbringen dürfen.(Sehr richtig! bei den Sozial. demokraten .) Heute müssen sich die Eltern an die Presse wenden, denn eine Behörde, bei der sie sich beschweren würden, würde sich natürlich an die Anstaltsleitung wenden, und man würde so den Teufel bei Beelzebub verklagen. Es müssen auch Garantien vor- handen sein, daß die Beschwerden der Zöglinge Beachtung finden. ES gibt heute schon Anstalten, die in einwandsfreier Weise geleitet werden. Ich erinnere an die Erziehungsanstalt in Zehlendorf . an deren Spitze Direktor Plaß steht, auch ein Pastor, aber kein Prügelpasior. Bei einer Verstaatlichung der Anstalten wird eS zweckmäßig sein, sich nach dem System dieser Zehlendorfer Anstalt zu richten. Auch ich bin dafür, daß die Zöglinge, die erst zu verwahrlosen drohen, getrennt werden von denen, die bereits verwahrlost sind. Notwendig ist auch eine vielseitige Ausbildung der Zöglinge. Der Psychiater muß ein gewichtiges Wort in den Anstalten mitzuredci» haben. Die Regierung darf sich nicht von dem Grundsatz leiten lassen, in den Anstalten billige Aubeitskräfte für die Herren Agrarier heranzuziehen.(Lachen rechts.) Ihr Lachen ist ganz ungerecht- fertigt, denn der Pastor Martens aus Bielefeld hat z. B. hervorgehoben, daß für gewisse Gutsbesitzer die Fürsorge- zöglinge billige Arbeitskräfte seien.(Hört! hörtl bei den Sozial- demokraten.) Bei der Berufswahl der Zöglinge sollte man nach Möglichkeit Fähigkeit und Neigung berücksichtigen, und die Anstalten sollte man nicht in einem rein kasernenhausmäßigcn Stil ein- richten.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die rheinisch. westfälischen Anstalten beweisen, daß man auch ohne Prügel sehr gute moralische Erfolge erzielen kann. Nur wenn man Rücksicht: nimmt auf die Neigungen und Wünsche der Zöglinge natürlich so weit das möglich ist wird man ihnen die Freude am Menschen- tum wiedergeben und sie geistig und sittlich heben. Wir sehen aber, daß das heutige System der Fürsorgeerziehung von Grund auf verkehrt ist. Leider ist wenig Aussicht auf eine baldige durchgreifende Werbessvrung vor ha n. den. Das beste Mittel wäre die Hebung der Masse«, (Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Dann brauchte man die Opfer der traurigen sozialen Zustände nicht in Fürsorgeerziehung zu geben. WaS sollen die Klagen über die zunehmende Verrohung und Verwilderung, über Prostitution, Zuhältertum und Unsitt- lichkeit, wenn die Ursachen dieser betrübenden sozialen Erschei- nungen nicht beseitigt werden. Die soziale Not ist nur eine Folge der heutigen sozialen Zustände. Denken Sie an das traurige Los unserer Dienstboten, die so leicht, auf Abwege geraten, der Unsitt» lichkeit versallen. Diese unglücklichen Elemente verfallen dann der Fürsorgeerziehung. Man darf diese Dinge nicht losgelöst als Erscheinung für sich betrachten, sondern man muß den Zusammenhang dieser Dinge mit dem heutigen kapita- listischen Elend überhaupt berücksichtigen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Auch die Trunksucht ist eine soziale Erschei- nung. Wenn ein Mann zu Haus sitzt in einer ärmlichen Wohnung, in der ihn die Wände geradezu anöden, dann kann man es sehr wohl verstehen, daß er ins Wirtshaus geht. ES ist statistisch fest» gestellt, daß nur 0.1 Proz. der Zöglinge von Eltern stammen, die ein Einkommen von über 3000 M. haben.(Hörtl hört! bei den Sozialdemokraten.) DaS beweist den engen Zusammenhang der Fürsorgeerziehung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen. Trotz- dem hat man es gewagt, für die Zunahme der Fürsorgezöglinge die materialistischen Strömungen in unserem Volk und die sozialistische Propaganda verantwortlich zu machen.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Diese Behauptung zeugt entweder von bodenloser Unwissenheit oder bodenloser Unverschämtheit! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) WaS soll man sich denn unter den materialistischen Strömungen vorstellen? Der Mann, der diese Behauptung aufgestellt hat. ist vielleicht ein Geistlicher und hat doch auch erst im vorigen Jahre eine Aufbesserung seines GohaltS bekommen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Oder soll man unter den materialistischen Strömungen die Stcuerschcu der Schnapsblockjunker verstehen?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Mit solchen törichten Phrasen sollte man uns toirklich nicht kommen. Man sollte viel eher für eine bessere Schulbildung sorgen und man sollte der Arbeiterklasse in ihren Bestrebungen für eine vernünftige Jugenderziehung keine f» großen Schwierigkeiten bereiten.(Sehr richtigl bei den Sozialdemokraten.) Selbst ein Mann wie Schmoll er hat erklärt, daß er, so sehr er auch die Sozialdemo. kratie bekämpfe, sie doch begrüße als einen Fortschritt im Interesse orr Bildung, der Gesundheitspflege und der Kultur der breite« Massen. Cr stehe nicht an, auszusprechen, daß er vor den sozial. demokratischen Führern persönlich eine große Hochachtung habe. �Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich schließe, indem ich sage: nicht nur unsere Fürsorgeerziehung, sondern unsere gesamten politischen und staatlichen Ver» Hältnisse bedürfen einer Umgestaltung vvn Grund anS!(Leb» hafte» Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Ein Regierungskommissar: Niemand beklage solche Vorkomm. nisse, wie sie der Vorredner vorgetragen hat, mehr als wir. Aber man darf auS solchen einzelnen Vorkommnissen keine Schlüsse auf den allgemeinen Wert der Fürsorgeerziehung ziehen. Es muß an» erkannt werden, daß im allgemeinen in der Fürsorgerziehung pflichttreu gearbeitet wird. Man muß diesem entsagungsvolle« Beruf auch das Zeugnis ausstellen, daß er Erfolge erzielt bat. Wenn die Erfolge noch nicht so greifbar sind, so darf man nicht übersehen, mit welchem Material man eS zu tun hat. ES handelt sich um vorgerückt Verwahrloste, vielfach vorbestrafte oder geistig minderwertige Elemente. Untersuchungen werden in allen Pro- vinzen vorgenommen. Ter Minister läßt es sich dringend angelegen sein, solche beklagenswerten Vorkommnisse für die Zukunft zu ver- meiden sowohl durch Organisierung einer zweckmäßigen Aufiicht, als auch durch Heranbildung eines tüchtigen Pflegepersonals. Abg. Faßbcnder(Z.): Wenn wir bei jedem Titel unsere Welk» anschauung darlegen wollten, wohin sollten wir dann kommen! (Sehr wahr! im Zentrum.) Ich habe mich nicht dagegen gewandt, daß Geistliche in den Anstalten wirken, sondern betont, daß nicht nur theologische, sondern auch spezialistische Vorbildung notwendig ist. Eine religiöse Einwirkung auf die Zöglinge ohne konfessio» nelle Basis halte ich für unmöglich. Mit allgemeinen philosophische« Betrachtungen kann man doch bei solchen Menschen nichts anfangen. (Sehr wahr! im Zentrum.) Die konfessionelle Einwirkung braucht durchaus nicht in Form der Frömmelei vor sich zu gehe« Abg. Ströbel(Soz.): Gegenüber dem Herrn Regierungsvcrtreter betone ich, daß es mir natürlich ferngelegen hat, die persönliche Ehrenhaftigkeit eines großen Teils der Anstalisleitcr oder Pfleger irgendwie in Zweifel ziehen zu wollen. Ich habe im Gegenteil ausgeführt, daß bei dem heutigen System bessere Ergebnisse sich erzielen lassen. Wenn ein Anstaltsleiter mit den Zöglingen nichts anzufangen weih, weil er keine pädugogisch» und keine psychiatrische Bor, b i l d u n g hat, so wird er eben im besten Glauben drauf losprügcln. Wenn Herr Faßbendcr recht hätte, daß die ethische Eintvirkung auf die Kinder sich nur auf t o n fe s s i o n e l l e m Untergrunde erzielen ließe, so müßten alle diejenigen, die nicht zu einer Kou» fession gehör«'«, außerstande sein, ihre Kinder ethisch zu«rziehefl,