poUtifcbc deberHcbt. Berlin , den 10. März 1910. Postetat. Aus dem Reichstag . 10. März. Eine unendliche �ülle von Einzelbeschwcrden ist es, die naturgemäß von den verschiedenen Parteien beim Postetat zur Sprache gebracht werden. Denn die Mängel der Verwaltung treten hauptsäch- lich in lokalen Schmerzen zutage, die nach Abhilfe schreien. Tie gemeinsame Grundursache all der Klagen war wieder die unter Herrn Kraetke bis zur Bizarrheit ausgewachsene Postbureaukratie, mit der anderwärts die mangelhafte Be- Zahlung der unteren Beamten und der Arbeiter Hand in Hand geht. Solche Beschwerden klangen schon aus den Reden der Vertreter bürgerlicher Parteien heraus. Genosse Z u b e i l ergänzte sie noch durch die Verteidi- gung der auch in dieser Verwaltung arg benachteiligten poli- tischen Rechte der Beamten und Arbeiter. Nachdrücklich und eindringlich brachte er die Maßregelung des Herrn Z o l I i t s ch zur Sprache und zeigte als ein Gegenstück dieser politischen Unduldsamkeit die Propaganda, die einige höhere Äe- amte unter ihren Untergebenen für den Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie treiben! Wie wenig rücksichtsvoll ein Unterbeamter unter gewissen Umständen behandelt wird, zeigte Zubeil an dem Fall eines Briefträgers K o n r a d i in Würzburg , der aus die Beschul- digung durch einen Schauspieler, er habe Geld aus einem verschlossenen Briefe gcnoinmen, ohne gerichtliche Untersuchung, trotzdem Konradi selber sie beantragte. aus dem Dienst entlassen wurde! Auch bedauerliche Fälle von Kinderbeschäftigung wußte unser Genosse mitzu- teilen. Aus dem weiteren Verlaufe der Debatte ist besonders zu beachten, daß der Konservative Dr. D r ö s ch e r erklärte, durch Zubeils Eintreteil für bessere Entlohnung der Beamten und Arbeiter werde die Begehrlichkeit der Beamten ge- steigert. Die Konservativen treten in Wahlreden bekanntlich immer als besondere Beamtenfreunde auf. Um 71/2 Uhr wurde Schluß der Debatte gemacht. Zu einer Resolution der Nationalliberalen, die einen P o st b e i- rat aus Vertretern von Handel. Landwirtschaft und Industrie fordert, lag ein Zusatzantrag der Sozialdemokraten vor. der auch die Arbeiter in einem Postbeirat vertreten sehen will. Dieser Zusatzantrag wurde durch die Sozialdemokraten, Freisinnigen. Polen . Antisemiten und das Zentrum ange- n o m m e n. Dann aber wurde der a m e n d i e r t e An- trag abgelehnt, da nunmehr auch das Zentrum dagegen stimmte! Morgen steht zunächst die sozialdeuiokratische Jnterpella- iion wegen des Versammlungsverbots in Treptow auf der Tagesordnung. _ Die Wirkung der Wahlrechtsdemonstration. Nicht nur die Regierung, auch die Konservativen möchten gern, daß. das neue Wahlrechtsgesetz im preußischen Abgeordneten- hauie von einer recht großen Mehrheit angenommen wird— chon deshalb, damit sie bei späteren Anfeindungen gegen die reaktionären Bestimmungen dieses Gesetzes erklären können, es sei der Ausdruck deS politischen Willens der großen Mehrheit des preußischen Volkes. Die Regierung ist denn auch in den letzten Tagen eifrig bemüht gewesen, die nationalliberale Landtagsfraktion für ein Wahlrechts- kompromiß mit den Konservativen und dem Zentrum zu gewinnen; aber bis jetzt will die nationalliberale Partei nöch nicht mittun, da die von ihr gestellte Forderung der direkten Wahl mit geheimer Abstimmung von den Konservativen strikte abgelehnt wird. Die konservative Presse ist daher bemüht, den Nationalliberalen gut zuzureden, doch den Anschluß nicht zu versäumen, da sie sonst auch später von der blauschwarzen Koalition ausgeschaltet würden und ferner die Sozialdemokratie durch die Zurückhaltung der National- liberalen ermutigt würde, ihre Agitation gegen die Wahl- rechtSvorlage außerhalb des Parlaments fortzusetzen. So schreibt beispielsweise die„Kreuz-Ztg.", gegen den„Hannov. Courier" gewendet: „ES kann keinem ernsthaften Politiker zweifelhast sein, daß die obenerwähnten Forderungen deö vollen geheimen und direkten Wahlrechts unerfüllbar sind. Wenn es auch der Linken gelingen sollte, die Zentrumspartei auf ihre Seite zu bringen und für ihre Forderungen eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhause zu erzielen, so würde einem solchen Beschlüsse die Re- gierung keinesfalls zustimmen. Auf links- und jungliberaler Seite rechnet man wohl dann darauf, daß die Regierimg die Vorlage zurückziehen werde. Aber würden sich wirklich die Nationalliberalen entschließen können, für einen solchen Ausgang und seine Folgen die Verantwortung zu übernehmen? Sie würden damit nur den Fehler, den sie mit ihrer AuSschaltungSiaknk im Reichstage gemacht haben, wiederholen und der Sozialdemokratie noch weitern Agi- t a t i o n S st o f f l i e f e r n. Ist wirklich der jungliberale Einfluß in der nationalliberalen Gefamlpartei auch heute noch so stark, daß eS sich in dieser verhängnisvollen— für die gesamte politische Lage und für die Nationalliberalen selbst ver- hängnisvollen— Weise durchsetzen könnte?* Man fürchtet also bei den Konservativen, daß der Sozial- demokratie„weiterer Agitationsstoff" geliefert werde. Bisher haben die konservativen Blätter stets geleugnet. daß die Wahlrechtsdemonstrationen der Sozialdemokratie irgend einen Einfluß aus die Einschlüsse der Regierung und der konservativen Fraktion auszuüben vermöchte. Hier wird offen zugestanden, daßman die sozialdemokratische Agitation fürchtet und das Wahlgesetz deshalb so schnell wie möglich mit starker Mehrheit unter Dach und Fach bringen möchte. Tatsächlich ist es denn auch in erster Linie die Furcht vor dem weiteren Anwachsen der sozialdemokratischen Wahlrechtsdemonstrattonen. die den blau- schioarzen Block dazu bestimmt, die Beratung der Regierungs- Vorlage im Galopptempo durchzuführen, und die ferner die Regierung dazu bewegt, ihren zuerst beabsichtigten Widerstand gegen die von diesem Block gefaßten Komnnssionsbeschlüsse aufzugeben. Man möchte gar zu gerne die ganze Sache hinter sich haben, weil man sich einbildet, dann Ruhe vor der sozialdemokratischen Wahlrechtsagitation zu finden._ Reichstagsersatzwahl. Tie Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise Lyck-Johannes- bürg für den verstorbenen Grafen Stolberg ist bereits auf den 11. April festgesetzt worden.— In Halle ließ man sich bekanntlich 3 Monate Zeit, bis man die Nachwahl ansetzte. Unterstützung der Tabakarbeiter. Die vier Millionen Mark, die auf Antrag des Zentrums für die infolge der erhöhten Tabaksteuer arbeitslos gc- wordenen Tabakarbeiter bewilligt wurden, haben— wie die Sozialdemokraten voraussagten— nicht gereicht. Die sozialdeuiokratische Reichstagsfraktion hat deshalb zum Etat des Reichsschatzanites folgende Resolution eingebracht: „Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regie- rungen zu ersuchen: 1. Daß der Artikel IIa. des Gesetzes wegen Aenderung des Tabak sie uergesctzcs vom 15. Juli 1909 dahin ab- geändert wird, daß den Einzelstaaten weitere Mittel zur Ver- fügung gestellt werden, um die Hausgewerbetreibenden und Arbeiter des Tabakgewerbes, die infolge des Gesetzes arbeitslos geworden sind, ausreichend zu unter- stützen; 2. daß in einem Nachtrag des Reichshaushaltsetats die er- forderliche Summe eingestellt wird." Das Zentrum wird natürlich für diese Resolution stimmen und diese Zustimmung als weiteren Beweis für seine angeb- liche„Arbeiterfreundlichkeit" ausschlachten. In Wirklichkeit wäre diese Resolution überflüssig, wenn das Zentrum bereits bei der Beratung des Tabaksteuergesetzes für eine ausreichende Unterstützung der Tabakarbeiter zu haben gewesen wäre. Damals hatte es der Reichstag in der Hand, die Höhe der erforderlichen Summe zu bestimmen, jetzt muß erst abgewartet werden, erstens ob die Regierung die Resolution überhaupt annimmt und zweitens welchen Betrag sie für den an- gegebenen Zweck auswerfen wird. Reicht die Summe aber- in a l s nicht aus, so können sich die notleidenden Tabak- arbeiter einzig und allein beim Zentrum bedanken, dessen hinterhältige Taktik den Notstand verschuldet hat. Aus dem reichsländischen Parlament. 2!m elsaß-lothringischen Landesausschuß kam es Donnerstag zu einer ausgedehnten prinzipiellen Debatte über Schulpolitik. Die Regierung hatte zum ersten Male in das Budget einen Posten von 59009 M. zur Unterstützung des protestantischen und des katho- lischen Gymnasiums eingesetzt, zweier privater konfessioneller An- stalten, die unter staatlicher Aufsicht stehen. In der Debatte wandten sich die Lothringer gegen die Bewilligung, und außerdem der Mg. Blumenthal und der Abg. Georg Wolf im Namen eines Teiles der Liberalen. Die Forderung wurde schließlich mit 30 gegen 22 Stimmen angenommen. Dieser Erfolg gebührt den Libc- ralen, die sich in der üblichen Weise spalteten, so daß 5 Mitglieder der Fraktion für und ebenso viel gegen die Forderung stimmten. Aus der Geschäftsordnungskommission des Reichstages. In der letzten Sitzung der Geschäftsordnungskommission zeigte es sich, daß an eine Erledigung des vom Plenum einmütig erteilten Auftrages vor den Osterferien nicht zu denken ist. Es wird der Reichstag im Mai sich vertagen, ohne auch diesmal die Rechtssphäre seiner Geschäftsordnung demokratisch erweitert zu haben! Das Zentrum läßt sich bereits— durch seinen auf allen Gebieten junkerfreundlichen Dr. Bitter beeinflußt— auf die abwiegelnde Taktik der Konservativen ein. Diese aber benützen jede Gelegenheit, um verzögernde Reden zu halten. Dazu mußte auch die Tatsache beitragen, daß das neueste Fraktionsgebilde, die Fortschrittliche Volkspartei , in der Kommission durch ein Mitglied vertreten war, das nach seinen Reden stets in eine andere Kom- Mission abwandeln mußte.... Die Junker machen immer wieder den Versuch, widerdieVereinbarungin eine generelle Revision der Geschäftsordnung einzutreten; insbesondere soll der § 35 in diesem Stadium der Beratung eine vollständige Aus- arbeitung erhalten. Um die stilistische Merkwürdigkeit des Antrages v. Westarp zu§ 35 stritt man sich lange; diese lautet: „Anträge von Erlaß auf Beschlüssen nicht bindenden In- Halts(Resolutionen), die zu der Beratung eines anderen Gegen. standes der Tagesordnung, namentlich eines Gesetzentwurfes oder einer Etatsposition, gestellt werden, kommen mit diesem, und zwar, sofern eine solche stattfindet, bei der zweiten oder dritten Beratung zur Verhandlung." Nachdem Dr. Bitter und Graf v. Oppersdorfs, zwei Zentrumsleute, dem Grafen v. Westarp mit Verschönerungs- pflästerchen zu Hilfe gekommen waren, letzterer wieder die Zentrumsfassung amendiert hatte, wurden diese vereinigten Werke der Rechten mit 16 gegen die Stimmen der 3 Sozialdemokraten, 3 Liberalen und Freisinnigen angenommen. Die Milde des Reichsmarineamts. Während der ReichstagSdebatten über den Marineetat ver» sprach der Staatssekretär v. Tirpitz, daß bei Arbeiterentlaffungen mit größter Milde verfahren werden solle. Schon in der Bugdet- kommission hatte Genosse S e v e r i n g darauf hingewiesen, daß eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Arbeiten auf die einzelnen Werftorte Massenentlassungen an einem Orte verhindern könne, und im Plenum hatte er vorgeschlagen, man möge bei ein- tretendem Arbeitsmangel, um eine plötzliche Maffenentlasiung un- nötig zu machen, eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit durch- führen. Auf diese Anregungen, denen sich die Abgg. Semler und M o m m s e n anschlössen, antwortete der Staatssekretär mit dem Versprechen, bei notwendigen Entlassungen mit Milde zu ver- fahren. Kaum ist jetzt der Marineetat in zweiter Lesung erledigt, da demonstriert der Herr v. Tirpitz der Oeffentlichkeit, was er unter dieser„Milde" verstanden wissen will. Aus Kiel meldeten wir schon, daß nach Ablauf von 6 Wochen 506—600 Arbeiter ent- lassen werden sollen. Begründet wird diese Maßnahme mit der Bemerkung, daß der Reichstag an den Forderungen der Marine- Verwaltung für Jndiensthaltung und Instandsetzung Abstriche gemacht habe und daß einige größere Reparaturen in Wik- helmShaven vorgenommen werden sollen. Wenn der Reichstag an den Forderungen für die Bedürfnisse der Werften Abstriche vorgenommen hat. so ist das in der Absicht geschehen, die Verwaltung zu einer sparsameren Verwendung der Materialien anzuhalten und zu verhindern, daß weiter auS dem Vollen gewirtschaftet werde. Die Abstriche waren so bescheiden, daß sie in der Tat bei sparsamer Wirtschaft wieder ausgeglichen werden konnten. Das ReichSmarineamt ist jedoch anderer Mei- nung, die Werftverwaltungen sollen nicht an Materialien, sondern an Arbeitskräften sparen! So beantwortet das Reichsmarineamt die Beschlüsse des Reichstages. Freilich, so lange sich der Reichstag gegenüber den Unregelmäßigkeiten in der Werftverwaltung auf Worte be- schränkt und ängstlich davor zurückschreckt, selbst einmal in das Getriebe hineinzuleuchten, wird sich das Reichsmarineamt solche Antworten auch in Zukunft ohne weiteres gestatten können. Ob aber die Volksvertretung auch zu dieser Brüskierung schweigen wird? Wir sind selbstverständlich nicht der Meinung, daß die Werft- Verwaltung über ihren Bedarf hinaus Arbeiter um jeden Preis beschäftigen soll. Wogegen wir aber entschieden Protest erheben. das ist die Art, mit der die Oberwerftdirektion in Kiel die Ent- lassungen zu„begründen" versucht. Und wo bleibt die „Milde".? Ist der Versuch gemacht worden« durch eive generelle Verkürzung der Arbeitszeit die Schäden der plötzlichen Massen- cntlassungen zu mildern? Neue Gewaltstreiche der bremischen Schulbehörde. Das Bebeltelegramm der bremischen Volksschullehrcr hat der Behörde anscheinend alle Besinnung geraubt. Wie bereits mitgeteilt, hatte sie eifrige Nachforschungen angestellt nach den am Bebeltelegramm beteiligten Lehrern. Sie glaubte 35 Personen ausfindig gemacht zu haben. Gegen diese wurde die Vorunter- suchung mit dem Ziel der Dienstentlassung mit aller Jntensivität eingeleitet. Jetzt ist die Behörde in ihrer sinnlosen Raserei bereits zur Entlassung eines auf vierteljährige Kündigung angestellten Hilfslehrers geschritten. Gegen zwei weitere, längere Zeit ange- üellte Lehrer wurde das Disziplinarverfahren zum Zwecke der Dienstentlassung angestrengt. Beide sind bis zum Abschluß deS Verfahrens unter Vorzahlung des halben Gehalts zu suspendieren. Der eine der Suspendierten ist der Verfasser des jüngst im Vor- wärts-Berlag erschienenen Buches„Eine Reise nach Island " und der ebenfalls vom Vorwärts-Verlag herausgegebenen Jugendschrift „Ulenbrook", Emil Sonnemann . Gegen zwei weitere Lehrer schwebt noch die Voruntersuchung. Die Behörde bemüht sich mit allen Kräften, noch mehr Lehrern den Strick um den Hals zu legen. Das„Bremer Amtsblatt" sagt zu dieser Angelegenheit:, „Es ist anzunehmen, daß gegen die Lehrer, die als bewußte Teilnehmer an der Absendung des Bebeltelegramms im ganzen Umfang anzusehen sind, mit aller Entschiedenheit vorgegangen, im übrigen aber geprüft werden wird, inwieweit jeder einzelne mehr oder weniger aktiv bei der Sache beteiligt gewesen ist."- Der literarische Schutz. In der Donnerstag-Sitzung des Bundesrats wurde dem Ent- Wurf eines Gesetzes zur Ausführung der revidierten Berncr Uebereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst die Zustimmung erteilt._ franhrnch. Die Defraudation des Liquidators. Paris , 9. März.(Eig. Ver.) Die ungeheure Unterschlagung des Liquidators Duez— man spricht jetzt schon von 10 Mil- lionen— ist natürlich für die klerikale Presse, zumal dicht vor den Neuwahlen, ein gefundenes Fressen. Aber mag es auch unmöglich scheinen oder doch gewissenhaften Leuten widerstreben, aus diesem .Kriminalfall just der jetzigen Regierung und der radikalen Politik einen Strick zu drehen— hat doch gerade B r i a n d als Justiz- minister der Staatsanwaltschaft die scheinbaren Uebergriffe des Duez zur Kenntnis gebracht, und der Urheber des KongregationS- gesetzes Combes die Ueberprüfung der Rechnungen der Liquida- toren in der Senatskommisston mit großem Eifer betrieben— so bleiben die Zusammenhänge dieses Verbrechens mit der Korruption der regierenden Klasse unverkennbar. Neben der im kapitalistischen Wirtschaftssystem organisierten Destillierung von Mehrwert geht eine in großem Stil geübte Plünderung öffent- licher Gelder einher, die man mit Augurenlächcln einander nach- sieht. Sicherlich, das eigentliche Stehlen gilt als gemein, und darum wird auch die Tat des Herrn Duez die ungeheuchelte Ent- rüstung aller hervorrufen, die für die feineren Arten spitzbübischer Bereicherung sind; aber für diese hat der Spezialkodex der Herr- schenden eine solidarische Pflicht der Milde geschaffen. Als Duez noch nicht als ordinärer Defraudant galt, sondern nur im Ver. dacht stand, vermittelst phantastischer Kostenaufstellungen stiebitzt zu haben, hat ihm dqs Gericht statt der beantragten schimpflichen Absetzung eine Demission„aus Gesundheitsrücksichten" zugebilligt, die ihn gesellschaftlich decken sollte. Im übrigen mag der Fall Duez gröbliche Mängel der französischen Verwaltung aufdecken, seine gesellschaftsmoralische Bedeutung hat er in dem Augenblick ver- loren, da er in die bürgerlich-kriminelle Sphäre geriet. Nicht der Defraudant ist politisch interessant, sondern die Sippschaft der Liquidatoren, denen die Beute des Kampfes gegen die Orden zur legalen Ausweide zugeschanzt wurde, die biedere Gesellschaft kon- servativer Oppositioneller und„sozialistischer" Minister, die Hunderttausende und Millionen eingeheimst haben. Wohl ist auch damit die antiklerikale Politik, die zu dem Raubzug die Gelegenheit gegeben hat. nicht verurteilt, ebensowenig wie es die französische Revolution um der ungeheuerlichen Kor- ruption willen ist, die sich mit dem Verkauf der Nationalgüter verknüpft hat. Mit>der demagogischen Ausbeutung dieser Uebel durch die Reaktionäre hat die sozialistische Kritik nichts zu schaffen. Sie verliert sich nicht in moralischen Räsonnements über die an der Staatsmaschine betriebene Profitmacherei der regierenden Cliquen, die nur die grelle Krönung eines Ausbeutungssystems ist, aus dessen Greueln in Werkstätten und Bergwerken wie auf dem Gutshof auch die entrüsteten Regierenden von ehedem emsig Münz? schlagen. Spanien . Gegen den Klerikalismus. Madrid , 10. März. Bei einem Bankett, das zu Ehren SagastaS veranstaltet wurde, hielt Ministerpräsident C a n a I e j a s eine Rede, in welcher er au die Union aller linken Parteien den Appell richtete, dem massiven Block der Rechten die Stirn zu bieten, damit die Regierung die wachsende Invasion deS KlcrikalismuL bekämpfen könne. Cngiancl. Die Steigerung der FlottenauSgaben. London . 19. März. Die heutigen Morgenblätter widmen dem Flottenbudgct ihre Leitartikel.„Daily N e w S" schreibt. das Budget hätte unter anderen Umständen im ganzen Lande einen Sturm von Uebcrraschung und Entrüstung hervor- gerufen, bei der augenblicklichen Spannung der Geister aber müsse man fürchten, daß eS fast unbemerkt bleiben werde.—„Mor- ning Lcader" findet, eS sei wenig Grund vorhanden, mit dem Budget zufrieden zu sein. Erfreulich sei, daß die Kosten aus dcu ordentlichen Einnahmen und nicht durch eine Anleihe gc- deckt werden sollten.—„Daily C h r o n i c l e" rühmt dem Budget nach, daß es weder übertriebene Forderungen stelle noch alarmierend wirken könne. Die Interessen der Sparsamkeit seien nicht vergessen, die Sicherheit des Landes sei mit einer entsprechen- den Vermehrung, deren Tempo nicht forciere, gewährleistet. Durch daS Budget sei England bis zum März 1912 gesichert. Das Blatt fährt fort: Wir erwidern herzlichst die in letzter Zeit von deutschen Ministern und Botschaftern gehaltenen freundschaftlichen Reden und haben das Vertrauen, daß in den Beratungen über das Marinebudget jede Animosität und jedes Vorurteil gegen andere Völker vermieden wird.—„Daily Graphic" schreibt, das Land werde mit einem Gefühl der Erleichterung hören, daß die Ausgaben schließlich nach einer Skala aufgestellt seien, die den Be- dürfnissen der Nation entspreche.—„M o r n i n g P o st" hält die Ausgaben für ungenügend, besonders was die Vermehrung der Manuschasten und die Marinebautcn betrifft.—„S t a n, dard" äußert sich in ähnlichem Sinne und wünscht sechs Linien» schiffe anstatt fünf und mehr Kreuzer sowie eine Erhöhung deS MannschaftSbestandeS um 5000 anstatt 3000,
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