Die weitere Behandlung des Schandgesetzes. Die Schlußabstimmung über die Wahlrechtsvorlage wird im Lbgeordnetenbause wahrscheinlich schon am 8. April stattfinden. damit das Herrenhaus die Borlage schon am 12. April beraten kann. Diese Schlufiabstimmung erfolgt geichästSordnungsgemäß in den «Formen der dritten Berawng", die Stellung von AbänderungS» antragen ist also zulässig. Die bei der dritten Beratung und bei der Schlufiabstimmung gefaßten positiven Beschlüsse müssen aber überein st imm en. Nimmt das Abgeordnetenhaus bei der Schlußabstimmung also noch Abänderungen vor. was aber nicht sehr wahrscheinlich ist, so muß dieSchlußabstimmung nochmals nach 21 Tagen wiederholt werden. Nach den bisherigen Dispositionen will das Herrenhaus die Wahlvorlage am 12. und 13. April beraten. Die Wahlrechts» kommission soll ihre Beratungen beschleunigen, so daß viel- leicht schon am 26. April das Herrenhaus die Wahlvorlage verab- schieden kann. Im Falle der unveränderten Annahme hätte im Herrenhause die Schlußabstiinmung kurz nach Pfingsten stattzufinden. Nimmt das Herrenhaus Aenderungen vor, so muß die Borlage ans Abgeordnetenhaus zurück. Angenommen, beide Häuser einigen sich in diesem Falle, so könnte das Abgeordnetenhaus die noiwendige noch- malige Abstimmung erst nach drei Wochen, also Ende Juni, vornehmen. Den Etat will das Herrenhaus vor Himmelfahrt noch erledigen. Parlamentarische Sommerarbeit. Da sowohl die umfangreichen Gesetzentwürfe, die sich auf das Gerichlsverfassungsgesetz und die Slrafprozeßordnung beziehen, wie die Reicdsversicherungsordnung unmöglich in Kommissionen neben der Plenararbeit erledigt werden können, ist beabsichtigt, die für diele Gesetzentwürfe eingesetzten Kommissionen in den Reichstags- Sommerserien weiter arbeiten zu lasten. Man beabsichtigt, ähnlich wie bei der Zolltar'fgcsctzkommission, die für diese Geletzentwürfe eingesetzten Kommissionen den Mai und Juni hindurch tagen und im September wieder zusammentreten zu lassen, so daß dem im Herbst wieder zusammentretenden Plenum die KommissionSberichle Vorgelegt werden können.__ Der Hansabund und die Jndustriemagnaten. In Itzehoe fand kürzlich eine Beriammlung der hiesigen Orts- gruppe des Hansabundes statt. In der Erörterung, die dem Bor- trage folgte, klagte ein Lehrer darüber, daß der Hansabund sich nicht für die geheime Wahl zum Abgeordneten- hause erklärt habe. Der Bortragende antwortete, daß der Bund sich nur für solche Wünsche verwenden könne, die von allen Mit- gliedern gemeinsam gehegt würden, weil sonst die Gefahr einer größeren Absprengung von Mitgliedern vorliege. Das wollte der Lehrer nicht gelten lasten, er meinte vielmehr, eS sei ein Borteil, wenn die Feinde der geheimen Wahl vom Bunde abgesprengt würden, in den sie nicht hineingehörtcn. Ihm wurde, wie die «Köln . Bolksztg." meldet, entgegnet, daß die Feinde der geheimen Wahl die«Magnaten der Großindustrie� seien, die zwar klein an Zahl, aber sehr reich an Mitteln seien. Der Hansabund könne doch die Henne nicht schlachten, die ihm die goldenen Eier lege._ Die Nationallibcralen in Aengsten. Der Provinzialvorstand der rheinischen Nationalliberalen hat sich in seiner letzten Tagung mit dem Eindringen der Konservativen in die rheinisch-westfälischen Wahlkreise befaßt. Die Verhandlungen waren streng vertraulich, nur soviel wurde bekannt, daß der geschäfts- führende Ausschuß in Berlin gebeten worden ist, dem Gang der Dinge seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Zentrum begünstigt natürlich das Eindringen der Konser- vativen, denn dadurch werden die Nationalliberalen geschwächt, während das Zentrum selbst nicht die mindeste Einbuße erleidet. Ein Faktor, der dabei nicht unterschätzt iverden darf, ist der Umstand, daß sich beim rheinisch-westfälischen Großkapital eine steigende Un- Zufriedenheit mit dem Verhalten der Nationalliberalen im Reichstag bemerkbar, nacht._ Nationalliberaler Parteitag. Der diesjährige allgemeine Parteitag der National- stberalcn wird am 1. und 2. Oktober in Kassel stattfinden Wirkung des Schnapsboykotts. Gegenüber den Hinweisen der Parteiprcsse auf die erfreuliche Tatsache, daß der Alkoholverbranch zu Trinkzwecken infolge des sozialdemokratischen SchnapSboykottS in den vier Monaten Oktober— Januar um ein volles Drittel gegenüber der gleichen Zeit des Bor- jahres zurückgegangen ist, war von der Fuselpresse behauptet worden, daß dieser Rückgang nur eine Folge deS milden Winters sei und daß das Bild sich bald ändern müsse. ES liegen nunmehr auch die Zistern für den fünften Monat seit dein Inkrafttreten des neuen BranntiveinsteuergesetzeS vor. Das Bild hat sich aberer- freulicherweise nicht geä udert. Es betrug vom 1. Okt. bis 28. Febr. 1908/00 1900/10 Alkoholerzeugnng... 2 646 420 Liter 2 209 015 Liter Gewerblicher Verbrauch. 703 813„ 794 719« Trinkvcrbrauch.... 1 073 284« 739 283„ Wie ersichtlich, hat der starke Rückgang deS AlkoholvcrbrauchS zu Trinkzwecke» weiter angehalten; er betrug für die letzten fünf Monate über 31 Proz. Während er voriges Jahr noch den gewcrb- lichen Berbrauch um ein Drittel übertraf, bleibt er jetzt um ein erhebliches hinter ihm zurück. Trotz einer ziemlich bedeutenden Steigerung des gewerblichen Verbrauchs niußte die Alkoholerzeugung dem weichenden Trinkverbrauch folgen und ist gegen das Vorjahr um 16 Proz. zurückgegangen._ Das bayerische Landesversichcrungsamt. München , 17. März. Im Mittelpunkt der heutigen Verhandlung steht als wichtigster Gegenstand das Landesversicherungsamt. ES sprechen in längeren oder kürzeren Ausführungen die Abgeordneten Timm, Köuighauer, Schmidt— Selb und L ö w e n e ck. Der Abgeordnete Köuighauer bespricht den neuen Entwurf der Reichs- verficherungSordnmig, der neben begrüßenswerten Aenderungen auch eine Reihe von Verschlechterungen bringe und eine große Anzahl von Wünschen der Arbeiter unberücksichtigt gelassen habe. Genosse T i in m hebt hervor, daß seit 1900 die Rekurse der Berussgenossenichasten im starken Steigen begriffen sind, in stärkerem als die der Versicherten, und daß die«Angewöhnung an den Zustand" in der Rechlsprechung-eine unHeim- liche Rolle spiele. Selbst bei dem vollständigen Verlust eines AugeS konstruiere man jetzt nach Verfluß einiger Zeit die„Angewöhnung an den Zustand". Genofie Timm erwähnt iveiter, daß früher bei SchiedSgerichtsverhandlungen Aerzle fungierten, die zu gleicher Zeit die Vertrauensärzte der Berufs- genost'euschaften waren. Das habe sich durch eine Verfügung der Staalsregieruiig gründlich geändert. Bestehe» bleibe, daß bei den Unfallbegulachiuiigen den Aerzten nicht selten grobe Irrtümer uiiterlausen zum Nachteile der Verletzten. Zuletzt wünscht er noch eine weitere Ausdehnung de« H e i l v e r s a h r e n s, da« gerade in Bayern noch besser geivürdigl werden müsse, und für das zurzeit in Bayern bedeutend weniger Mittel aufgewendet werden als m den übrigen Bundesstaaten. ! Verkehrshindernde Plakate. Der Wirt des vegetarischen SpeisehauseS«Pomona" in Breslau hatte bei dem dortigen Polizeipräsidenten um die Ge- nehmigung nachgesucht, vor und nach den letzten Wahlrechts- Versammlungen Plakate umhertragen lassen zu dürfe», die die Worte enthielten:«Trinkt keinen SchnapS I" Der Polizei- Präsident verbot diese Plakate jedoch, weil durch sie Berkehr und Ordnung gestört würden._ . Milde Militärjustiz. Vor dem Kriegsgericht in Glogau hatte sich der Leutnant Geb- Hardt vom Fuß-Artillerie-Regiment Nr. 6 wegen Mißhandlung, Be- drohung und anderer Delikte zu verantworten. Der Leutnant war in der Neujahrsnacht in betrunkenem Zustande in die Kaserne gekommen und hörte in einer Mannschaftsstube eine laute Unterhaltung. Er trat ein um nachzusehen, was loS war. Da er in der unbe- leuchteten Stube niemand sehen konnte, zog er seinen Säbel und schlug um sich, indem er rief: Wer ist da? Einem Kanonier versetzte er mit seinem Säbel zwei Schläge über den Rücken, und brachte ihm eine Kopfverletzung bei. Ein zweiter Kanonier, der seinen Namen naiinte, erhielt mit seinem Säbel einen Hieb an das Ohr, ein zweiter Hieb der- letzte den linken Unterarm und ein dritter traf den Ellenbogen. Ei» anderer Kanonier flüchtete, verfolgt von dem betrunkenen Leut- nant, in ein anderes Zimmer und kroch unter das Bett. Der Leut- nant sah ein Bein des Kanoniers unter dem Bett hervorragen. Sofort stach er mit der Waffe unter das Bett, indem er ausrief: Komm hervor oder ich steche Dich tot. Zum Glück blieb der Kanonier unverletzt, nur die Hose wurde durchbohrt. Der am schwersten verletzte Kanonier meldete sich am nächsten Morgen krank. Er war über drei Wochen dienstunfähig. Als der Unlerosfizier dem Leutnant von der Krankmeldung Mitteilung machte, schenkte dieser dem Kanonier drei Mark. Vor dem Kriegsgericht gab der Leutnant an. er könne sich wegen der Trunkenheit nicht mehr auf Einzelheiten besinnen. Er wurde wegen rechtswidrigen Waffen- gebrauchs, Mißhandlung und vorschriftswidriger Behandlung von Untergebenen zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt. Von der Anklage der Nötigung wurde der Angeklagte freigesprochen, da das Gericht nicht annahm, daß er den Kanonier habe von einer Meldung abhalten wollen. Die Kriegsgerichte können demnach auch milde urteilen vorausgesetzt, daß eS sich um Verbrechen und Vergehen der Borgesetzten handelt._ Oeftemfeb. Ein nationaler Schülerstreik. Prag , 18. März. Wiegen der ungerechtfertigten Entlassung eines deutschen Schülers aus>der hiesigen gemischtsprachigen Kunst» gewerbeschule waren sämtliche deutsche Schüler dieser Anstalt in den Ausstand getreten. Heute wurden von dem tschechischen Professorenkollegium drei deutsche Schüler als Leiter des Streiks ausgeschlossen und die übrigen erhielten eine Rüge. Freie Kritik. Während im Deutschen Reichstag die Präsidenten immer mehr jedes freie Wort zu verhindern trachten und die bürgerlichen Par- teien gegen die immer schlimmer werdende Einschränkung der Redefreiheit nicht aufzumucken wagen, läßt sich das österreichische Abgeordnetenhaus die Freiheit der Kritik nicht nehmen. In der Dienstagsitzung besprach Genosse Dr. Renner die Mißstände, welche die immer schärfer hervortretende Nebcnrcgievung des Thronfolger« Franz Ferdinand mit sich bringt und sagte dabei folgendes: Die Flucht der geistigen Kräfte aus der Bureaukratie ist eine so offensichtliche Tatsache und kann uns im allgemeinen so ge- fährlich werden, daß wir auch in die Ursachen eingehen müssen. Ein Minister, das war ja seinerzeit etwas, wenigstens unter Taaffe . Allerdings unter den Habsburger » war ein Mini- ster nie sehr viel; man nahm sie und schickte sie weg, selbst die bedeutendsten Männer, wie man einen Kammerdiener weg- schickt. Man vergaß ganz, daß diese Leute die höchsten Funktionäre im Staate sind, daß sie dem Staate dienen und nicht einer Person oder einem Hause. Aber schließlich und endlich konnte man mit der einen Tatsache rechnen, daß die Monarchie als In. stltution, daß das monarchische Prinzip ja darauf beruht, daß bedeutende Männer im Dienste der Krone auch Glanz und Macht der Krone mehren, daß sie moralisch und politisch von ihnen lebt. Bei uns aber ist dieses monarchische Prinzip in der Per« Waltung gerade in den letzten Jahren vollständig gestört. Wir haben ja keine Monarchie mehr, keine Einherrschaft, sondern wir haben eine Dyarckie. die Konkurrenz von Schönbrunn (dem Wohnsitz des Kaisers) und vom B e l» v c d c r e(dem Wohnsitz des Thronfolgers), und wir wissen, daß alle diejenigen, die Schönbrunn dienen, in demselben Moment in die höchste Ungnade desBelvederes fallen, und daß sehr tüchtige Verwaltungsfunktionäre, welche die Anerkennung des ganzen Hauses und die Anerkennung der Geschichte gefunden haben, vom Belvedere mit einem kleinlichen, mit einem satanischen Hasse verfolgt werden. Wie er solcher „hohen" Kreise aar nicht würdig ist, mit einem kleinlichen Hasse, der beinahe schon einen intellektuell und mora» lisch krankhaften Zug hat. Dieser satanische Haß de« Belvcderes verfolgt jeden einzelnen Bureautraten, der einmal dem Staate gedient hat. Man hat im Belvedere , im Palais des Prinzen Eugen, das schon mehrere hundert Jahre steht, wo sich also schon gewisse Gespenster seßhaft gemacht haben können, die abenteuerlich st en Vorstellungen von den Aufgaben der Regierung und dem Laufe der Welt überhaupt, und so ver- folgt man eine ganze Reihe von Funktionären gerade deshalb, weil sie die einzige Maßregel ergriffen haben, welche Oesterreich in Ordnung zu bringen angetan war, weil sie sich zum allge. meinen Wahlrecht bekehrt haben. So verfolgt man— natürlich im Verein mit den Reaktionären deS Herrenhauses— den ©autsch und den Beck, und man verfolgt zeitweise auch den K ö r b e r, wiewohl nichts berechenbar und nichts sicher ist in diesen Stimmungen als der fortwährende, beinahe weibische Wechsel der Laune. Es ist nun klar, daß Männer von Charakter unter diesen Umständen in der Bureau» kratie zu dienen keinen Ehrgeiz haben, daß sich aber auf der anderen Seite ein Streber, und Klebervolk breit macht und herandrängt, zu ollem sähig. weil zugleich zu nichts fähig, eine Gesellschaft von tatenlosen Schmeichlern und interessierten Främmlern, welche die Bureaukratie allmählich auf den Hund zu bringen imstande ist. Und zu diesen Einflüssen von oben, zu diesen vollständig unberechenbaren Einflüssen von oben, kommt der andere, nämlich der parteiliche Einfluß. Der Präsident Dr. Paitai erteilte für diese Aeußerungen dem Redner allerdings einen Ordnungsruf— einen„anbefohlenen", meint dazu die„Wiener Arbeiter-Zeitung". Aber dieser OrdnungS. ruf kam erst am Tage nach der Sitzung. Solche Störungen und Unterbrechungen, wie sie die Präsidenten deS Reichstages oder gar der preußischen Trödclbude lieben, würde sich im österreichischen Abgeordnetenhause keine Partei bieten lassen. ffaukreich. Lehrer und Bischof. Nancy , 18. März. DaS Zivilgericht hat den Bischof Turinaz freigesprochen, der von einer Anzahl Volksschullehrervereinigungen verklagt worden war, weil er das Kollektivschreiben der französischen Bischöfe unterzeichnet hatte, in dem der Gebrauch bestimmter Schul» b ü ch e r untersagt wurde. Die Urteilsbegründung erklärt, daß die Klage der Vereinigungen unzulässig sei. Die Volks- schullchrer hätten jeder persönlich gegen den Bischof vor» gehen müssen._ Die Affäre Duez. Paris . 13. März. Der Kammerausschuß für die Gerichts» r e f o r m nahm den Antrag des Deputierten Raynaud einstimmig an, wodurch die weitere Abwickelung der Geschäfte den Liquida» t o r e n der Kongregationen entzogen und dem Generaldirektor der staatlichen Domänenverwaltung überwiesen wird. Danach werden die Liquidatoren nach der Publikation des Gesetzes ihre Tätigkeit e i n st e l l e n, der Domänenverwaltung unverzüglich ihre Kasse übergeben und binnen drei Monaten den zuständigen Behörden Rechnung legen müssen. Die Regierung hat dem Antrage zugestimmt. Nach Nachrichten, die der Polizei zugegangen sind, dürfte Duez die veruntreuten Gelder im Auslände untergebracht haben, und zwar vor nicht allzu langer Zeit. Deshalb sind in Brüssel , London und New Jork Nachforschungen angestellt worden. Die Marineuuterschleife. Paris , 18. März. Aus Cherbourg wird gemeldet, daß auf dem dortigen Bahnhof ein Waggon beschlagnahmt wurde, der Gegen- stände enthielt, die aus dem Marinemagazin ge stöhlen waren, darunter 6b0 Kilogramm eingeschmolzene Kupferbronzestücke, 300 Kilogramm Lebel-Gewehrkugeln aus Nickel neuesten Systems. Als Absender wurde ein Trödler ermittelt; dieser weigerte sich an» zugeben, von wem er die gestohlenen Gegenstände erworben habe. Englanc!. Die Unabhängige Arbeiterpartei und die Krise. In der Jndependent Labour Party und in der Arbeiterfrak- tion scheinen tiefe Unstimmigkeiten zu bestehen, die mit der allgemeinen politischen Krise verbunden sind. In einem sehr beachtenswerten Artikel im„Labour Leader"' schlägt K e i r H a r>d i e recht pessimistische Töne an. Hardie ist mit der Politik der Regierung unzufrieden? er steht ihr recht mißtrauisch gegenüber. Er ist gegen Neuwahlen, da er der Ansicht ist, das Land gab der Regierung eine Mehrheit von 124, um an eine gründliche Reform der Lords heranzugehen. Ein nochmaliger Appell an die Wählerschaft könnte sowohl zum Verlust deS Etats wie jedes ehrlichen ObcrhauSreformplaneS führen. Dann sei eS überhaupt fraglich, ob ein ehrlicher Kampf gegen die Lords von feiten der Liberalen den Arbeitern einen so großen Nutzen bringen könnte, um sie zu veranlassen, ihre politische Unabhängigkeit abzuschwächen. Ein Kampf gegen die LordS werde Jahre oauern und eine politische Revolution be- deuten; inzwischen aber werde die ganze Sozialpolitik zum Still- stand gebracht und die Aufmerksamkeit der Arbeiter von ihren Klasseninteressen abgelenkt Werden. Dann sagt Hardie: „Die Partei st cht am Scheidewege: Soll sie vor- wärtsmarschieren als eine selbständige Macht, die Arbeiierbewe. gung weiter ausbauen und sie zu einem immer wichtigeren poli- tischen Faktor machen, oder aber sollen wir umkehren und alle unsere Versuche vernichten und die unwürdigen Verdächtigungen rechtfertigen, mit denen wir von so vielen Leuten überschüttet wurden?" Die Frage ist ernst, da sie von Hardie kommt. Die ganze Etats- und LordSfrage hat innerhalb des britischen Sozialismus zu tiefen Meinungsverschiedenheiten den Anlaß gegeben und die Krisis innerhalb der sozialistischen Bewegung verschärft. In manchen sozialistischen Kreisen erschallt jetzt der Ruf lauter denn je zuvor:„Heraus aus der Arbeiterpartei, gründen wir eine sozialistische Partei I" Der in wenigen Wochen zusammentretende JahreSkongreß der I. L. P. wird vielleicht die Verschärfung der KrisiS zum Ausdruck bringen._ Die OberhauSreform. London . 17. März. Das Oberhaus stimmte einmütig dem Vorschlage zu. in die Einzelberatung der Roleberyschen Vorschläge einzutreten. Gegen Schluß der Generaldebatte betonte Lord LanSdowne die Nolwendigkeit einer starken und wirstamcn Zweiten Kammer und sprach die Hoffnung auS, daß das Reform- Projekt nicht derart sein werde, daß eS eine völlige Umwälzung hervorrufe. Hierauf erklärte Lord Crewe, die Regierung gäbe einem Zweikammersystem den Borzug, weil sie überzeugt sei, daß dies den Ansichten der Mehrheit deS Voltes entspreche. Er glaube, daß daS Oberhaus schon stark genug sei. und daß die unbeichränkte Ausübung der erblichen Macht den Wunsch nach einer Reform des HauseS wachgerufen habe. Die Re» gicrung erkenne die Notwendigkeit einer eingehenden Beratung der Neformvorichläge an, aber sie sehe die Beziehungen beider Häuser zu einander als die wichtigste Frage an, deren Lösung dein U r- teil des Landes überlassen bleiben müsse. Eine Organisation der Agrarier. Eine Organisation zur Vertretung der politischen Jnter» essen deS AgrariertumS— etwa nach dem Muster de!„Bundes der Landwirte" in Deutschland — ist in England unter dem Namen „Land-Union" gegründet worden. DaS unmittelbare Ziel der „Union " ist der Kampf gegen die im Lloyd Georgeschen Budget enthaltenen Bestimmungen, die sich auf daS Grundeigen- tum beziehen, und zwar namentlich gegen die Klauseln, die eine staatliche Werteinschätzung des Bodens vorsehen. In der Er- Wartung baldiger Neuwahlen hat die„Union " bereits angefangen. Geld zur Wahlagitation zu sammeln. Aber abgesehen von diesem aktuellen Zweck soll die„Land-Union" eine ständige Wirkung aus- üben, und zwar nicht nur im Interesse der ländlichen Grund- besitzer, sondern auch der städtischen HauSagrarier und aller Be- rufsklassen, die unmittelbar an der Höhe der Grundrente inter - essiert sind. Um auch die kleinen Grundbesitzer einzufangen, ist „die Verallgemeinerung deS Grundbesitzes " durch Parzellierung in daS Programm der Union aufgenommen worden. Die konservative Presse zeigt sich über die Gründung dieser Organisation hocherferut. Sie ist in der Tat ein Zeichen dafür, daß sich die politischen Klassengegensätze auch in England immer mehr zuspitzen und daß die besitzenden Klassen sich in wachsendem Maße zu der von den Konservativen vertretenen politischen und sozialen Reaktion bekennen.— pcrfien. Gegen die Russe». Teheran , 17. März.(Meldung der Petersburger Telegraphen» agentur.) Hier wurde ein Aufruf veröffentlicht, durch weichen die Bevölkerung aufgefordert wird, den bevorstehenden NeujahrStaa nicht zu feiern, wegen der N a t i o n a l t r a u e r, welche durch die Gegcnivart einer fremden Kriegsmacht im Lande bedingt sei, die die Selbständigkeit PersteuS gefährde. Das Geld, da« sur die Festlichleiten sonst verwendet werde, solle zum Besten der Re« gierung verwendet werde».
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