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Prinzip die Ausdehnung der Versicherung auf weitere Kreise deZ Mittelstandes; die detaillierten Vorschläge freilich sind teilweise nicht unbedenklich und bedürfen der eingehenden Prüfung in der Kam- Mission. Ebenso wird sich die Kommission sehr eingehend mit den Forderungen der Aerzte zu beschäftigen haben, wie sie eben erst der außerordentliche Acrztetag formuliert hat. Auch die Einschränkung der Betriebskrankenkasscn ist nicht unbedenklich, im allgemeinen haben sie sich bewährt, die Angriffe sozialdemokratisch geleucter Ortskrankcnkafsen gegen die Betrielk kranken lassen rühren nur daher, daß in diesen die Sozialdemokratie keinen Einfluß gewinnen kann. Weil sie den Einfluß in den Ortskranken- lassen nicht verlieren will, ist die Sozialdemokratie gegen die gleichmäßige Verwaltung dieser Kassen durch die Arbeitgeber und Slrbeitnchnier mit Halbierung der Beiträge, obwohl die Arbeiter dadurch ätz Millionen Mark sparen würden, welche die Arbeitgeber .ehe aufzubringen hätten. Aber im allgemeinen Interesse liegt diese gleichmäßige Verwaltung der Kassen durchaus. Die Apotheker wenden sich dagegen, daß Gegenstände des Hand- Verkaufs an Krankenkassen nur zu Handverkaufspreisen abgegeben werden sollen, auch wenn sie auf Rezept hin verordnet werden. Mit Recht sagen die Apotheker, daß dadurch namentlich die kleinen Apotheken schwer geschädigt werden. Aber andererseits wird ihnen durch die Ausdehnung der Krankenversicherung neuer Gewinn zu- geführt. Mit den Bestimmungen der Hinterbliebenen- Versicherung find meine Freunde im allgemeinen einverstanden. An der Kommissionsberatung werden wir fleißig mitarbeiten. (Lebhafter Beifall bei den Nationallibcralen.) Abg. Dr. Mugdan (Fortschr. Vp.): Graf Posadowsky meinte, zur Schaffung einer einheitlichen Reichsversicherungsordnung gehöre ein Diktator. Die Vorlage aber, wie sie uns präsentiert wird, schmeckt vielmehr nach einem Cunctator*) Für einen Schritt vor- wärts tut man zwei zurück. Ein Rückschritt sind vor allem die Landkrankenkassen, denen jede Selbstverwaltung versagt bleibt. Man kann den landwirtschaftlichen Arbeiter gegen seinen Willen ins Krankenhaus bringen und seiner Familie die Unterstützung entziehen. Ich bedauere, daß die Verfasser des Entwurfs rmd die Regierung so wenig die Zeichen der Zeit verstehen. Sie sagen selbst. daß eS der Landwirtschaft gut geht, nur unter der Leute- not leidet sie. Und da trifft man Bestimungen, durch welche den landwirtschaftlichen Arbeitern zu Gemüte geführt wird, daß sie alö Arbeiter zweiten Grades dehmidrlt werden. Das muß die Land« flucht noch vermehren.(Sehr wahr! links.) Weiter spricht der Eni- Wurf von einer Vereinfachung der Versicherung und will die kleinen Kassen und Käßchen beseitigen. Aber er läßt Bettiebskrankenkaffen bestehen, auch wenn sie mir 100 Mitglieder haben, und JnnungS- krankenkaffen läßt er zu ganz ohne Rücksicht auf die Mitglieder- zahl.(HürtI hört! links.) Auch nach dem Entwurf wird eS noch zahlreiche Arbeiter geben, die bei jedem Arbeits- wecbsel die Krankenkasse wechseln müssen. Die Leistungen der Krankenkassen erhöht der Entwurf nicht? er unterläßt eben die Schaffung großer leistungsfähiger Kassen über einen ganzen Stadt- oder Landkreis. Deshabl werden meine Freunde aber auch nicht den ErdroffelungSvorschlägen der freien Hilfskassen zustimmen können. Dasselbe gilt für die Halbierung der Beiträge; bei allgemeinen großen Ortskrankenkaflen stimniten wir der Halbierung der Beiträge und der darin liegenden Beschränkung der Selbstverwaltung der versicherten Arbeiter zu. Da solche nicht in Frage kommen, und da Millionen von Arbeitern den Land- krankenkaffen ohne jede Selbstverwaltung zugewiesen werden, können wir einer Beschränkung der Selbstverwaltung, wie sie in der Halbierung der Beiträge liegt, nicht zustimmen. (Zustimmung links.) Bei der Regelung der Arztfrage hätte man die württembergischen Einrichtungen zum Muster nehmen müssen, wo sie geradezu vorbildlich sind. Statt dessen sind ganz komplizierte Bestimmungen getroffen, und die obere Verwaltungsbehörde soll diese Bestimmungen für die Betriebskrankenkasien des Reiches und Staate« außer Kraft setzen dürsen. Die Bestimmungen über die Vertragsausschüsse werden den Krieg zwischen Aerzten und Kranken- lassen verewigen. Dieselbe behördliche Bevormundung zeigt sich auch gegenüber den Apothekern. Unerhört ist der Eingriff der Regierung in die wirtschaftlichen Ver- hültniffe der Apotheker, denen sie vorschreiben will, bei Rezepten den Krankenkaffen Handverkaufspreise zu bewilligen; die Regierung will sogar den Rabatt bestünmen, den die Apotheker den Krankenkassen zu gewähren haben. Ueberhaupt ist der Entwurf durchweht von dem Gedanken der Vorzüglichkeit der Behörden. Früher beruhte der Ersolg der Arbeiterversicherung auf der freiwilligen, opfer- mütigen Tätigkeit der Versicherten; m der Zukunst wird es lediglich darauf ankommen, od die Verwaltungsbehörde gut funktioniert. Die Versicherungsämter scheinen jetzt auch beim Zenttum auf Widerstand zu stoßen, daS früher so intensiv nach ihnen als dem gemeinsamen Fundament der gesamten Versicherungszweige gerufen hat. Aber ein gemeinsamer Unterbau der Versicherungen ist eben nicht zu finden, wenigsten» solange nicht, als die verschiedenen Ver- sicheruugen so wesensungleich sind. Wohl sind wir für gemeinsame AuSkunftSstellen, aber nicht für neue Polizeibehörden, denn Polizei haben wir in Deutschland gerade genug. (Sehr richtig I links.) Wer steht uns denn für die sozialpolitische Sicherung der vorgeschlagenen VerstcherungSamtmänner? Auf deutschen Uttivdrsitaten liest man keine Kollegs über Arbeiterverstcherung. (Sehr wahr! links und im Zenttum.) Warum scheut man sich so, die Frauen zu den Verficherungsämtern zuzuziehen? Gerade die Mitarbeit der Frauen würde sehr wertvoll sein.(Sehr richtig! links.) Man sträubt sich sehr dagegen, Arbeiter zur Festsetzung der Unfallrenten zuzuziehen. Ich verstehe dies Sttäuben nicht so recht. DaS Zenttum ließ durch Herrn Spahn erklären, daß es fleißig mitarbeiten würde, damit etwas Tüchtiges zustande komme. Das glaube ich. Nach dem Fiasko seiner glorrerchen Hinterbliebenen- verficherung hat es alle Veranlassung dazu. Schade, daß damals, beim Zolltarif, die Sozialdemokraten dem Zenttum auf den Leim gettochen find und für die Witwen- und Waisenversicherung gestimmt haben.(Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wäre diese Versicherung abgelehnt worden, so wäre vielleicht mancher Zentrumsabgeordneter schwankend geworden und hätte gegen den Zolltarif gestimmt.(Zu- ruf bei den Sozialdemokraten: Naiver Glauben I) Wie haben doch damals die Zentrumsredner die Witwen- und Waisenversicherung als »Krönung des sozialen Gebäudes� yepriesen. Und was kommt'heraus? Klägliche Renten, die man mit Recht als Pfennigrenten bezeichnet.(Lebhafte Zustimmung linls.) Daß der Versuch der gemeinsamen Kodifizierung der Arbeiter- Versicherung nicht gelungen ist, liegt in der Natur der Sache; ihre Vereinheitlichung kann nicht mit einem Male erfolgen, sondern nur allmählich. Ich will auch nicht verschweigen, daß da« Werk theore- tisch einen großen und bleibenden Wert hat; praktisch ist der Wert nur gering. Wir werden uns an der Kommissionsberatung be- teiligen und versuchen zu retten, waS zu retten ist.(Lebhafter Bei- fall bei der Fortschr. Vp.) Abg. Molkenbuhr(Soz.): Der Vorredner bedauerte, daß die landwirtschaftlichen Arbeiter entrechtet werden durch den Entwurf. Bei der gottgewollten Ahängigkeit der Regierung von den Agrariern ist eS ja gar nicht anders mSglich.<Schr richtig I b. d. Sozialv.) Weiter täuscht sich der Vorredner darin, daß er meint, das Zentrum hätte 1S02 bei» Zoll- tarif verworfen, wenn die Witwen- und Waisenversicherung abgelehnt wäre. Denn das Zentrum ist keine Arbeiterpartei, sondern eine agrarische Partei.(Widerspruch im Zentrum.) Das Zentrum hat immer Grundbesitzerinteressen vertrete», sonst hätte eS das Krankenversrcherungsgesetz seinerzeit auf die land- wirtschaftlichen Arbeiter ausgedehnt; auch in die Alters« und Invalidenversicherung.sind die land- *) FabiuS MaximuS, römischer Diktator, Feldherr im Kriege gegen den Karthager Hamiibal, erwarb sich durch seine vorsichtige oder iibervorsichtige Kriegführung den Beinamm.Cunctator ' oder Zauderer. wirtschaftlichen Arbeiter nicht aufgenommen, nur 13 Mitglieder des Zeittrums toaren dafür zu haben, aber auch diese nur, wenn dru Grundbesitzern als Kompensation die Beschränkung der Freizügigkeit gegeben würde.(HörtI hört! bei den Sozialdemottaten.) Mit der Ablehnung der Witwen- und Waisenversicherung wäre dem Zentrum ein großer Gefallen erwiesen worden; es hätte dann sagen können: wir haben den Witwen und Waisen sehr viel zugedacht'. Jetzt müssen sie gestehen, daß sie den Witwen das Brot verteuert und nichts dafür gegeben haben.(Sehr wahr I bei den Sozial- demokrateu.) Nun zu der Vorlage selbst. Es ist zur DeLatte gestellt, ohne daß eS vollständig vorliegt; denn es fehlt noch das Ein- f ü h r u n g s g e s c tz. DaS dickleibige Werk hat wohl theoretische Be- deutung, aber praknsch ist es für die Arbeiter von sehr geringer Bcdeutuug. Natürlich beurteilen es verschiedene Arbeitergruppen verschieden; diejenigen, welche bisher noch gar nicht versichert waren, werden ja vielleicht etwas günstiger gestellt, aber die schon be- siehenden Gesetze werden erheblich verschlechtert, und hier nimmt der Entwurf den Versicherten weit mehr als er dru Witwe« und Waisen gibt. AlS Zweck des Gesetzes wird die Bcrcinheitlichnng der Verfichernilg angegeben. Wenn das der Fall ist, ivarum verzichtet man dann von vornherein auf jede Vereinheitlichung, indem man z. B. die Versicherung der Privatangestclltcn aus dem Gesetz herauöläßt? Die Höchstgrenze des Einkommens, bei welcher die Bersicherungs- Pflicht eintritt, ist im Jahre 18S3 auf 2000 M. festgesetzt, und jetzt, im Jahre 1910 läßt man diese Grenze bestehen! Auch das ist eine Verschlechterung, weil 1883 ein Einkommen von 2000 M. eine höhere Lebenshaltung gestattete als heute.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Als die Arbeiterverstcherung geschaffen wurde, sollte sie eine Art Ergänzung des Sozialistengesetzes sein, nach dem Rezept: Peitsche und Zuckerbrot. Die Verstcherungsgesetze haben natürlich die Sozialdemokratie ebensowenig vernichtet, wie das Sozialistengesetz dies vermocht hat; die Sozialdemolratte hat die Zahl ihrer Anhänger seit Erlaß der Verstcherungsgesetze ungefähr verzehnfacht. Schlimmer hätte es auch ohne Versickerungs- Gesetz- gebung nicht kommen können.(Heiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Als man die VersicherungSgesetzaebung schuf, tappte man im Dunklen über ihre Wirkungen; es fehlte an statistischen Grund- lagen usw. Damals also hatte man einigermaßen kistige Eni- schuldigungsgründe für Uuvollkommenheiten. Gründe, die heute, nach einem Bicrteljahrhundcrt der Erprobung nicht mehr stichhaltig sind. Als der Gedanke einer allgemeinen Revision der Versichcrungs- gcsetzgebnng auftauchte, stand im Vordergrunde der Wunsch nach einer Vereinheitlichung der gesamten Versicherung. Der Gedanke war keineswegs neu; er ist von Sozialdemokraten, wie Bebel, schon in den siebziger Jahren vertreten worden. Von unserer Seite wurde schon bei der Beratung des ersten Krankenversicherungsgesetzes gegen die Zersplitterung der Kassen protestiert, bekanntlich vergeblich. Und die Vorlage, die uns heute beschäftigt, bringt diese Vereinheitlichung auch nicht. Der Mangel an Einheit, die Zersplitterung der Kassen, ist keineswegs nur ein formaler Schönheitsfehler. Die Leistungsfähig- keit der Krankenversicherung wird durch diese Zersplitterung schwer beeinträchtigt. Teilweise hat daS schon Kollege Mugdan richttg aus- einandergesetzt. Hätte man die ganze Krankenversicherung auf den einheitlichen Typ der Ortskrankenkaffen gebracht, so würde man un- gefähr 200 Paragraphen gespart haben.(Hört I hört l bei der Sozial- demottaten.) Statt dessen schafft man die� famosen Landkasse», in denen man neben Landarbeitern auch die städtischen Dienstboten, Bühnenpersonal und die aller hrterogensten Elemente hineinsteckt. Daneben konserviert man sorgfältig die Bettiebskassen. Für den sozialpolittschen Wert gerade dieser Kassen oder wenigstens eines großen Teils dieser Kassen ist es bezeichnend, daß Staatsbettieve, die solche Kassen haben, grundsätzlich Arbeiter über 40 Jahre nicht aufnehmen, um die Kassen nicht zu belaste».(Hört! hört I bei den Sozialdemottaten.) Daneben konserviert man auch die Jnmtngsttankenkassen, weil man da« JnnungSleben fördern will; wenn die Innungen krank find, sollen sie anderswo Heilung suchen als im Kranken- verficherungsgefetz.(Heiterkeit und Sehr gut l bei den Sozialdemo. ttaten.) Die Aufgaben der Krankenkaffen können die JnnungSkaffen nicht erfüllen, die im Durchschnitt nur 100 Mitglieder haben. Um daS Jnmingslebc» zu fördern, schädigt man die Krankenversicherung der Arbeiter.(Sehr wahr! bei den Sozialdemottaten.) Für die Beschränkung der Selbstverwaltung der Krankenkaffen führen die Motive an, sie seien mehrfach zu politischen Zwecken mißbraucht worden. Der ganze Mißbrauch wird wohl darin bestanden haben, daß hin und wieder auch Sozial- demottaten in den Vorstand gewählt sind. Das ist aber kein Mißbrauch, vielmehr sollen doch die Arbeiter die Männer ihres Ver- trauens wählen. Die VerufSgenossenschaften ihrerseits wählen gewiß keine Sozialdemokraten, sondern Leute ihres Vertrauens. (Sehr wahr! bei den Sozialdemottaten.) Keine Ortskrankenkosse hat je einen Sozialdemottaten in den Vorstand gewählt, weil er Mitglied einer sozialdemokratischen Organisation ist. Aber eine ganze Anzahl Berufsgenossen schuften gehören dem Zentralverband deutscher Industrieller an. dessen vornehmste Aufgabe die Bekämpfung der Sozialdemottatie ist; zu dieser Bekämpfung werden Mittel der VerufSgenossenschaften hergegeben, daS ist ein Politischer Mißbrauch allcrärgstcr Art.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemottaten.) Um die Entrechtung der Arbeiter bei den Krankenkassen zu begründen, sagen die Motive, die Unternehmer zahlen 807 Millionen Mark Versicherungsbeiträge, ohne eine Gegenleistung dafür zu haben. Bisher hat die Gesetzgebung diesen Standpunkt nicht gehabt. Nach 1903 wurde in der Denkschrift des Neichsamts des Innern gesagt, daß die Versicherungsbeiträge ein TeU der Produktionskosten sind, die vom Unternehmer nur ausgelegt werden.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Die Motive sagen, die Unternehmer bekommen ftir diese 367 Millionen nichts; sie bekommen Arbeil dafür, für jeden Pfennig will der Untcrurhmer Arbeit haben, aus der er Mehrwert herausschlägt.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemottaten.) Der Unternehmer sagt,.der Arbeiter mutz für mich arbeiten, und wenn ich ihm dafür zu essen gebe, so muß er mir dankbar sein', und dieser Standpunkt kommt in der Vorlage zum Ausdruck, von diesem Standpunkt aus wird die Entrechtung der Arbeiter gefordert. Nur sagt man, die Arbeiter haben ja ein Mitbestimmungsrecht. Bei den Betriebs- und Junungskassen bestimmt der H 3S1 1der Arbeitgeber oder sein Vertreter hat so viel Stimmen, wie dieje weilig anwesenden Verstcherten zusammen'.(Hört I hört I bei den Sozialdemottaten.) Solche Bestimmung braucht man in einer Arbeiterversammlung nur vor- zulesen, nichts, die schlimmste sogenannte Hetzrede nicht, kann auf- peitschender wirken als solche Bestimmung, bei der man noch von einem Mitbestimmungsrecht der Arbeiter spricht. (Sehr wabr l bei den Sozialdemottaten.) Im Jahre 1883, unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes, gab man im Kranken- verstcherungsgesetz den Arbeitern eine Bewegungsfreiheit, weil man wußte, daß man mit den Bureauttaten das Ding nicht würde durch- führen können. Tatsächlich haben die Arbeiter von hohem Standpunkt aus in den Krankenkassen gearbeitet, und dafür dankt man ihnen jetzt mit dieser Entrechtung.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ueber die Einzelheiten der Arztfrage ivill ich hier nicht eingehen; dazu wird in der Kommission und bei späteren Lesungen Gelegenheit sein. Wir sind gewiß bereit, den Aerzten entgegenzukommen, ihre Forderungen zu prüfen und ihre billigen Wünsche zu erfüllen. Aber exorbitante Forderungen, die geradezu zum Ruin der Krankenkassen führen müssen, weise» wir mit Entschiedenheit zurück! Die Kranken« lassen sind schließlich doch nicht der Aerzke wegen da.(Sehr richttg! bei den Sozialdemottaten.) Ueber manche Einzelheiten wird sich mein Parteifreund Robert Schmidt verbreiten. Ich möchte hier noch als schweren Mangel der Vorlage hervorheben, daß sie die Gelegenheit verabsäumt, die Unterstellung der Hausgewerbetreibenden unter die Invalidenversicherung gesetzlich festzulegen. Diese Unterstellung soll also auch in Zukunft bundesrätlicher Verfügung überlassen bleiben. Jetzt, wo der Invalidenversicherung die Hinterbliebenenversicherung angegliedert werden soll, wäre es an der Zeit gewesen, diese Versicherung auf ganz andere Grundlagen zu stellen, nämlich das wirkliche Einkommen der Ver- sicherung und damit der Reiitenfestsetzung zugrunde zu legen. Nur auf diese Weise würde es möglich sein, die Renten aus der Sphäre der Almosen herauszuheben.(Lebhafte Zu- stimmung bei den Sozialdemottaten.) Selbst bei der heutigen Höhe der Betträge wären übrigens doch höhere Renten bersicherungs- technisch möglich. Aber man sucht zu sparen, zu sparen um jeden Preis, natürlich auf Kosten der Arbeiter. Daher die Erschwerung der Renten, daher das empörende System derRentenquetschen', diese Rentenentziehungen, mit denen man vom Jahre 1902 ab arnre Greise, Krüppel und Witwen oft unter Anwendung empörender Härten(Lebhaftes Sehr richtig I bei den Sozialdemottaten) heim- suchte. Es galt Geld zu schaffen für die so pomphaft angekündigte Hinterbliebenenverfichcrung und daher jagte man arme» Teufel» ihr« kümmerlichen Rentcir ab. Damit komme ich zu der HintcrSlicbcncnverfichermtg. Bekanntlich sollten ursprüglich alle Ueberschüffe der kaudwirt- schaftlichen Zölle für die Witwen- und Waisenversicherung ver- wandt werden. Die Vor- und Nachgeschichte des Z 16 des Zolltarifgesetz, derlax Trimborn', sind bekannt genug. Immer enger wurde der Kreis der Zölle gezogen, die für die Witwen- und Waisenversicherung verwandt werden sollten; von den Zöllen, die schließlich übrig blieben, liefen aber keine Ueberschüffe ein, weil das, was einkam, von den Einfuhrscheinen aufgezehrt wurde.(Hört! hört! bei den Sozialdemottaten.) So suchte man denn anderweitig Geld zu verschaffen, und so verfiel man auf das oben geschilderte System der Rentenentziehungen. Es konnte unter solchen Um- stünden nicht ausbleiben, daß auch der Kreis der Personen, auf die die lex Trimborn sich erstrecken sollte, immer mehr ein« geschränkt wurde. Trimborn hat den Weg schon gewiesen, als er beanttagte, nur den invaliden Witwen Rente zu bewilligen; mindestens sollte man doch jeder erwerbslosen Witwe die Reckte geben. Und nun die Höhe der Renten I Sie sind die reinen Almosen. In Schöneberg bezahlt die Armenverwaltung für einen Säugling 262 M. pro Jahr, für Kinder von 23 Jahren 216 M. und für ältere Kinder 100 M. Mit diesen Almosen vergleiche man die Reichsversicherung, die 40 M. Rente pro Jahr für ein Kind gibt. An Verwaltungskosten verlangt die Kranken» Versicherung am wenigsten von allen; deshalb mutz gerade sie ausgebaut werden, und nach ihrem Muster auch andere, damit wir eine wirkliche Invalidenversicherung bekommen, und dann im Anschluß daran auch eine Witwen- und Waisenversicherung, eine Muttcrschaftöversicherung, eine Schwangerschaftsversicherung, und im Laufe der Zeit auch eine Arbeitslosenversicherung. Aber da fürchtet man sich vor den Kosten; diese Furcht vor dem Bankrott kommt aber immer mir bei der Sozialpolitik. Wenn man 1833 gesagt hätte, daß bis zum Jahre 1907 für die Arbeiterverstcherung die Unternehmer 4014 Millionen Mark hergeben sollten, so hätte inan erwidert, damit schlägt man unsere Industrie tot. Aber daS Gegenteil ist ein- geteten, unsere Industrie hat einen Aufschwung ge« nommen wie in keinem anderen Lande der Welt. Alle diese Summen, die nötig wären für eine Mutterschafts-, eine Schwangerschafts-, eine Arbeitslosenverftcheruug usw., sind doch nicht Gelder, die man erspart, wenn man d,e Versicherung nicht hat. Krankheit, Unfälle, Invalidität, Schwangerschaft usw. kommen auch vor, ohne daß diese Versicherung eingeführt ist, sie müssen dann aber gerade von den schwächste» Schultern getragen werden. Mancher Arbeitslose wird Vagabund oder Verbrecher. Die Kosten. die seine Verurteilung und der Strafvollzug ausmachen, sind ganz gewallig. Wenn man diese Summen bei der ArbeitSlosenversiche« rung angelegt hätte, der Mann wäre vielleicht kein Verbrecher ge- worden und hätte der Gesellschaft erhalten werden können. Unter diesem Gesichtspunkt muß die Arbeiterversichernng betrachtet werden. Mit Einführung der Arbeiterverstcherung ist die StrrblichkeitSziffer in Deutschland ständig zurückzegaugrn von 27 auf 20,40. Ob ein Zusammenhang besteht, bleibe dahingestellt, jedenfalls liegt mehr vor als ein rein zeitliches Zusammentreffen. Mögen die Regierenden die Arbeiterschutzgesetze einmal ebenso behandeln wie die Militärgesetzr. Da wird auch nicht noch den Kosten gefragt, sondern es wird aus dem Vollen gewirtschaftet aus Kosten des arbeitenden Volkes. Zentrum und Konservative empfinden da keinerlei «krupel. Man tteibe einmal eine wirkliche Sozialpolitik. Würde man sich in Deutschland entschließen, eme wirk- liche Invaliden- und Arbeiterversicherung zu machen, das englische Proletariat würde sicher einen so starken Druck auf seine Regierung ausüben, daß sie das nachmachen müßte. Ei» solcher Wettstreit der Mächte statt de? Brennholzes des Krieges daS Brennholz des Friedens zu- fammenzntragen, wäre mehr wert als diese volksfeindliche ewige Weiterrüstcrei.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Dienstag Eue Induftm und fjandd. Steigende Gewinne der Straßenbahnen. Fast alle Gemeinden leiden unter Finanznöten. Die Bilanzierung der Etats macht immer größere Schwierigkeiten. Die Ursachen der wachsenden kommunalen Geldbedürfnisse sollen hier nicht erörtert werden, aber als Hinweis auf begangene Unterlassungssünden in der Erschließung von Einnahmequellen können die Gewinnausweise der Straßenbahnen dienen.- Die größeren deutschen Straßenbahnen, die zumeist in der Form von Aktiengesellschaften bestehen, haben in den letzten Jahren sehr günstig abgeschnitten. Soweit bis jetzt Berichte vorliegen, ist bei 17 Straßenbahnen mit einem Aktienkapital von insgesamt 193,47 Millionen Mark die Durchschnittsdividende von 7,4 Proz. im Jahre 1908 auf 7,5 Proz. im Jahre 1909 hinaufgegangen. Die ausbezahlte Dividendensumme stieg von 14,24 auf 14,61 Millionen Mark. Die durchschnittliche Dividende der Sttaßenbahnen ist bereits von 1906 auf 1907 und von 1907 auf 1908 in die Höhe gegangen. Der Rein« gewinn der Straßenbahnen, die im ersten Quartal ihre Geschäfts» ergebnisse veröffentlichten, ist von 18,03 Millionen Mark im Jahre 1903 auf 18,53 Millionen im Jahre 1909 hinaufgegangen. Dabei sind auch die Abschreibungen kräftig vermehrt worden; ihre Summe stellte sich 1909 auf 11,62 Millionen gegen 10,79 Millionen im Jahre 1903. Hätten die in Betracht kommenden Kommunen das Verkehrs« Wesen nicht von Privatunternehmern kapitalistisch ausnutzen lassen, könnten sie aus den Neverschllssen manches Loch zustopfen. Sie könnten den Verkehr verbilligen und doch noch etwas für den Ge« meindesäckel erübrigen._ Deutschlands Außenhandel. Der Wert dcS deutschen Spezial« Handels betrug ohne Edelmetalle in der Einfuhr im März d. I. 732,6 Millionen Mark, im 1. Vierteljahr 1910 2108,8 Millionen Mark (1937,6 Rill. i. V.). in der Ausfuhr 612,3 Millionen Marl im März,