die bessere Einsicht, die Erkenntnis der tatsächlichen Verhält- nisse gesiegt iibec die blinde Wut kurzsichtiger Feinde der Arbeiterorganisation. Die d r ü ck e n d e F e s s e l, welche die Scharfmacher den organisierten Arbeitern in der Gestalt ihres Tarifmusters anzulegen versuchten, ist ge- sprengt. Die Macht der Arbeiterorganisationen, ihr ein- mutig kundgegebener Wille, ihre Gleichberechtigung unter allen Umständen zu wahren, hat die Berliner Unternehmer bewogen, von dem tollkühnen Versuch der Arbeiterknebelung Abstand zu nehmen und auf der Basis des bisherigen Ver- träges unter Gewährung einer allerdings recht mäßigen Lohnerhöhung sich mit den Arbeltern zu verständigen. Nicht die Lohnfrage ist das wesentliche bei dieser Emi- gnng, sondern der Umstand, daß die Dresdener Beschlüsse der Unternehmer durchbrochen und die Absichten der Scharf- macher vereitelt sind. H a in b u r g und Berlin nehmen n i ch t a m K a m p f e t e i l. Damit hat der Kampf für das übrige Deutschland eine entscheidende Wendung genommen, denn die Pläne der Scharfmacher haben zur Voraussetzung, daß der Angriff gegen die Arbeiter auf der ganzen Linie er- folgt. Dieser Plan ist durchkreuzt. Die Arbeiter der beiden großen Lohngebiete, auf die sich der Kampf nicht erstreckt, können und werden ihren Arbeitsbrüdern im Reiche tat- kräftige Hilfe leisten. Auch die moralische Wirkung der Einigilng in Berlin ist nicht zu unterschätzen. Alles das berechtigt zu der Erwartung, daß auch in den Teilen Deutschlands , wo die Unternehmer die Aussperrung ins Werk gesetzt haben, der Kampf zugunsten der Arbeiter ent- schieden wird. Der Opfermut der Arbeitenden wird die kämpfenden Arbeitsbrüder stärken, daß sie den aussperrungs- wütigen Unternehmern das berüchtigte Tarifmuster zerrissen vor die Füße werfen und sich ihre Gleichberechtigung erzwingen werden. .» Weitere FriedenSmeldungen. Bochum , 22. April. (Privatdepesche des„Vorwärts".) Für den Ortsverband Gladbeck ist heute eine Einigung mit den Bau- Unternehmern zufiandegekommen. Es ist eine Lohnerhöhung von K Pf. zugestanden worden. Gladbeck ist ein Ort von 30 OM Einwohnern mit einer ziemlich entwickelten Industrie. In Frage kommen einige hundert Bauarbeiter. Gießen , 22. April. Die Bauunternehmer von Gießen und Umgegend haben die Aussperrung aufgehoben, so daß alle Arbeiter die Arbeit wieder aufnehmen. Durch Vermittelung soll vereinbart werden, unter welchen Bedingungen für die nächsten Jahre der Frieden erhalten bleiben könne. völkerlchlclilsl und lßoMttigeo. Petersburg, 19. April. (Eig. 53er.) Nach dem Eifer, den die „Patrioten" bei der Borbereitung und bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes über Finnland gezeigt hatten, erscheint es etwas sonderbar, daß der Entwurf in der Reichsdumakommission gar nicht vom Fleck rückt. Auch auf administrativem Wege wird trotz der offenbar„revolutionären" Haltung des finnländifchen Landtages nichts unternommen. Die Antwort des Landtages ist der russischen Regierung zwar noch nicht offiziell zugegangen, aber die „Patrioten" wissen sehr wohl, daß sie eine entschiedene Zurückweisung aller Ansprüche der Stolypinschen Regierung enthält, nebst einer ausführlichen rechtlichen Widerlegung aller in der Borlage und bei deren Beratung in der Duma an- geführten Gründe sowohl vom Standpunkt der finnischen Verfaffung als von dem der russischen Grundgesetze. Die Antwort soll der Re- gierung erst Ende April eingereicht werden; trotz ihres Inhalts läßt man die LandtagSkommisfion ruhig die Redaktionsarbeit zu Ende führen und das Dokument ins Russische übersetzen. Inzwischen voll- zieht sich alles in Finnland recht verfaffungsmätzig. BerfassungS- mätzig unterbreitet der finnische Senat„alleruntertänigst" dem Zaren die vom Landtage angenommenen Gesetzentwürfe, ver- faffungsmätzig werden sie vom Zaren bestätigt und die AuSfÜhrungS- regeln bestimmt. So ist u. a. vor einigen Tagen vom Zaren ein Gesetz über den Ausfuhrzoll auf Holz bestätigt worden, das für das wirtschaftliche Leben Finnlands von erheblicher Bedeutung sein wird. Die Regierung verrät sogar augenblicklich keine Lust, sich in die Erledigung der„Militärvorlage" einzumischen, die schon so viele Konflikte zwischen der russischen Regierung und dem finnischen Land- tage und Senat hervorgerufen hat. So verblüfft auch die„patriotische" Presse und die„patriotischen" Dumaredner über die geänderte Haltung der Regierung sind, er- lauben sie sich doch keine besonderen Proteste. Man weiß nämlich noch nicht, was dahinter steckt. Die„Nowoje Wremja" spricht zwar von Intrigen gegen Stolypin , bedauert die schwierige Lage, in die der Premierminister geraten sei. indem er die alleinige Berant- wortung für die„Reform" in Finnland übernommen habe.„Die Intrige ist leider keine freie Erfindung der Zeitungsmänner", schreibt die„Nowoje Wremja",„sie ist Tatsache, sie reicht viel weiter und viel höher, als man es denkt." Eine hohe und sehr einflutzreiche Person sei entschieden gegen die Stolypinsche Politik in Finnland , und diese Person finde Unterstützung bei dem„weitblickenden und talentvollen Finanzminister". Wer die geheimnisvolle„hohe Person" ist, bleibt unbekannt.— wahrscheinlich einer von den Trotz- sürsten. Interessant aber ist die Preisgabe des„weitblickenden und talentvollen Finanzministers" Kokowzew, was nicht ohne Genehmigung StolypinS geschehen konnte. Kokowzew ist gegen die Stolypinsche Politik, seit Jahren gilt er auch als Kandidat für den Premier- urimsterposten; nun sucht Stolypin durch die„Nowoje Wremja" den gefährlichen Konkurrenten in den Augen der Patrioten zu kompro- mittieren. Kokowzew sucht seinerseits seinen persönlichen Einflutz auf den Zaren gegen Stolypin auszunutzen. Und nur der Kamps beider Staatsmänner ermöglicht es Finnland , noch eine kurze Zeit verfassungsmäßig regiert zu werden. Denn wer die Oberhand im Kampfe auch gewinnen mag— ob Stolypin oder Kolowzew— für das Schicksal Finnlands bleibt es dasselbe. Kokowzew hat die Unterstützung der reaktionären Presse und der reaktionären Parlamentsmitglieder ebenso nötig wie Stolypin . Die realtionären Führer aber verlangen unbedingt die Unterjochung Finnlands : ihre Popularität unter den Chuliganmaffen beruht ja auf ihrem„Nationalismus", und den können sie am besten durch UnterdrückungSmatzregeln gegen andere Nationalitäten erweisen. In erster Linie natürlich— gegen die Juden und die Finnen. Gegen die Judenverfolgungen hat Kokowzew auch gegenwärtig nichts em« zuwenden, um so weniger als auch der g a r selbst entschiedener Judenfeind ist, auch können die Judenverfolgungen— trotzdem sie einen sogar inRutzland unerhörtenUmfang angenommen haben im Auslande keine Komplilationen zeitigen. Anders die finn- ländische Frage. So lange gegen die Vergewaltigung Finnlands im Suslande Proteste nur auS den demokratischen und Gelehrtenlreisen ergingen, konnte Kokowzew keine Beranlassung haben, bei dem Zaren über die finnländifchen Angelegenheiten Vorstellungen zu er- heben. In der letzten Zeit aber fangen auch die Finanzkreise im Auslände an, gegen den LerfaffungSbruch in Finnland energisch zu protestieren. Besonders die Handelskammern in England. Kokowzew steht vor einer neuen auswärtigen Anleihe und rechnet auch auf die englischen Finanzkrcise. Der „weitblickende" Minister, der der Protestbewegung der euro - päischen Demokraten und Gelehrten gegenüber gleichgültig blieb, hat sofort die Gefahr der Bewegung in den Geldkreisen er- sehen und dieS auch dem Zaren klargemacht. Daß der„Weit- blickende" diese Gelegenheit ausgenutzt hat, um gegen Stolypin zu intrigieren, ist selbstverständlich. Stolypin aber hat keine Lust, den Platz Kokowzew zu räumen. Er wird vielmehr die Durchführung der finnländifchen Reform bis zur Berwirklichung der Anleihe ver- schieben und dann mit doppelter Energie vorgehen. So er- klärt sich der Stillstand, der in der Bekämpfung Finnlands eingetreten ist. Voraussichtlich wird er bis zur Realisierung der neuen Anleihe fortdauern. Der Zar gegen Finnland . PeterSiurg, 22. April. Die Meldungen von einer für Finnland günstigeren Wendung in den höchsten russischen Kreisen bestätigt sich nicht. Bei der gestrigen Audienz G u t s ch k o w S im ZarSkoje Selo äußerte vielmehr der Zar den Wunsch, die Reichsduina möge die finnländische Vorlage noch in dieser Session erledigen und wenn es notwendig sein sollte, die Session dieserhalb ver- längern._ politische Qcberficbt. Berlin , den 22. April 1910. Das Mülheimcr Eisenbahnunglück. Aus demReichstag, 22. April. Der Zusammenstoß eines Luxuszugs mit einem vollbesetzten Militärzuge bei Mülheim hatte zu einer von den Nationalliberalen eingereichten Interpellation Anlaß gegeben, die heute im Reichstage zur Verhandlung kam. In der Wandelhalle des Reichstages hatte eine Hamburger Firma das Modell einer Bahnanlage aufstellen lassen, um die Wirkung automatischerBrems- Vorrichtungen zu erläutern und in der Debatte wurde denn auch darauf Bezug genommen. Der preußische Eisenbahnminister v. Breitenbach, der bisher nur auf dem Gebiete der Bekämpfung der Arbeiterorganisationen ungewöhnliche Leistungen fertiggebracht hat, glänzte bei dieser Gelegenheit durch Abwesenheit. Stand ihm doch auch selbst bei den regierungstreuesten Parteien keine Anerkennung in Aussicht. Er ließ die unangenehme Sache durch den Präsidenten des Reichseisenbahnamtes Herrn Wackerzapp ausbaden, der keinerlei Berwaltungs- befugnisse hat und dem kaum mehr als das Recht, gute Ratschläge zu geben, der preußischen Eisenbahnverivaltung gegenüber zusteht. Seine Antwort hielt sich übrigens völlig innerhalb der Grenzen, der für solche Fälle beliebten bureaukratischen Schablone. Nachdem Herr Semler die Interpellation begründet hatte, erklärte Herr Wacker- zapp unter den selbstverständlichen Bezeugungen tiefsten Mitgefühls für die Opfer des Unglücks: Schuld daran trage einzig der Lokomotivführer des Luxuszuges, der die Haltesignale übersehen habe. Von mechanischen Bremsvor- richtungen hält Herr Wackerzapp nicht viel, weil sie unter Umständen die Gefahr von Zusammenstößen erhöhten. Was Herr Wackerzapp unterlassen hatte, wurde in der Debatte nachgeholt. Es drängte sich doch in den Reden fast aller Ver- treter der Parteien die Ueberzeugung hervor, daß auch in den Betriebseinrichtungen etivas faul sein muß, wenn das Ver- sehen eines einzigen Mannes ein solch ungeheures Unglück herbeiführen kann. Besonders Genosse Hengsbach legte in einer gründlichen Untersuchung den Finger in die offenen Wunden. So wies er darauf hin. daß der Luxuszug zwar große leistungsfähige Wagen gehabt habe, der Milttärzug aber mit dem brüchigsten Wagenmaterial versehen gewesen sei. Jene morschen Kasten hätten dem Anprall keinen Widerstand leisten können. Das System fiskalischer Sparsamkeit trage überhaupt die Hauptschuld an dem Unglück. Neuerdings sei mehr und mehr der Unfug eingerissen, daß die Zugführer zu Schaffner- funktionen herangezogen würden, so daß sie während der ahrt einer ihrer Hauptaufgaben, zur Verhütung von nglücksfällen die Kontrolle der Zugleitung auszuüben, nicht nachkommen könnten. Es müsse unbedingt dafür gesorgt werden, daß nicht eine, sondern mehrere Personen mit der Aufgabe betraut würden, im Falle drohender Gefahr die Bremsvorrichtungen in Kraft zu setzen, oder sonst einzugreifen. Hengsbach kritisierte dann auch scharf die mangelhafte, kurvenreiche Gleisanlage bei dem Bahnhof Mülheim und schloß seine Ausführungen mit der Forderung, daß die Hinterbliebenen der Opfer und die zu Krüppeln ge- fahrenen Soldaten reichlich entschädigt werden möchten. Die Vorbringung solcher Wünsche war leider das einzige Resultat auch dieser Jnterpellationsdebatte. Der Vertreter irgend einer Verwaltungsbehörde, der ihn: Berücksichtigung zusagen konnte, war überhaupt nicht zur Stelle. Beschlüsse kann der Reichstag bei Interpellationen überhaupt nicht fassen. Ehe das nicht geändert ist, gehen sie stets aus wie das Hornberger Schießen. Für Sonnabend ist die V e t e r a n c n b e i h i l f e auf die Tagesordnung gesetzt.__ Trott in Nöten. Eine wohlverdiente Niederlage bereitete am Freitag unser Ge- nosse Liebknecht im Abgeordnetenhause dem Kultusminister Trott zu Solz. Der sozialdemokratiscke Redner lenkte bei dem Kapitel „Schulaufficht" die Aufmerksamkeit des Hauses noch einmal auf die Behandlung der sozialdemokratischen Turnvereine. Zwar machte der Prsident v. K r ö ch e r wiederholt den Versuch, ihm das Wort zu entziehen, da das nach seiner Meinung nicht zum Thema gehörte, aber eS gelang Liebknecht, wenn er sich dabei auch einige OrdnungS« rufe zuzog, die präsidiale Klippe geschickt zu umschiffen und seine Ausführungen zu beenden. Der Minister wird daran wenig Freude gehabt haben, denn unser Genosse holte das, was er am Tage vorher nicht sagen konnte, gründlich nach, er bewies schlagend, datz die Arbciterturnvereine zur Abwehr der von' den hurrapatriotischen Vereinen unternommenen Versuche, die Arbeiter- jugend der Sozialdemolratie zu entfremden, gegründet sind, er schilderte daS Verhalten der sogenannten nationalen Turnvereine, warf der SchulaufsichtSbehörde— gestützt auf gerichtliche Erkennt- niffe— bewußten Mißbrauch des Gesetzes vor und tadelte die Re« gierung, daß sie sich um die anderen Turnvereine nicht kümmert, obwohl gerade sie sehr der Aufsicht bedürfen. Zwischen dem Minister, der eine kurze Erwiderung stammelte, und Liebknecht entspann sich ein lebhaftes Rededuell, daS schließlich damit endete, daß Trott zu Solz in den Sand gestreckt wurde. Um wenigstens äußerlich seine Niederlage zu bemänteln, suchte der Minister die Tat- fachen auf den Kopf zu stellen, indem er behauptete, die Regierung befinde sich bei ihrem Vorgehen gegen die sozialdemokratischen Turnvereine in der Abwehr. Tatsächlich ist es bekanntlich gerade umgelehrt. Die weitere Debatte, die sich völlig in Einzelheiten verlor und am Sonnabend fortgesetzt wird, war ohne allgemeines Interesse. Ein bezeichnender Zwischenruf i Zu den vielen Kundgebungen der letzten Monats und Wochen, die dem deutschen Proletariat wieder einmal die giftige Feindschaft der Junker und Scharf- macher gegen das Reichstagswahlrecht in frische Erinnerung gebracht haben, ist bei Gelegenheit der Wahlrechtsberatungen im Herrenhause noch eine neue gekommen. Bei der Verhandlung im Plenum am Freitag voriger Woche fiel ein äußerst bezeichnender Zwischenruf bei der Rede des Oberbürgermeisters Kirschner, der leider in den Berichten der Presse nicht wiedergegeben worden ist. Herr Kirschner hatte gegen die junkerliche Behauptung pole- misiert, daß eine Reform des Wahlrechts nicht nötig sei, weil in Preußen alles zum besten bestellt sei. Seine freisinnige Wohlanständigkeit und sein preußischer Patriotismus er- laubten ihm nicht, die Lügenhaftigkeit dieser Behauptung nachzuweisen. So stimmte er ihr lieber stillschweigend zu und erklärte, daß die Entwickelung des Staates nicht bloß vom Wahlrecht abhängig sei. Die größten Fortschritte, so meinte er, habe Preußen unter dem Absolutis- mus gemacht. Stürmischer Beifall der Feudalen. „Aber." fuhr Herr Kirschner nun fort,„würden Sie deshalb zu in Absolutismus zurückkehren wolle n?" Er hatte wohl eine Verneinung erwartet. Aber es kam anders. Ein lautes mehrstimmiges„Ja, jawohl!" scholl ihm von den Bänken der Feudalen entgegen und keine Lippe regte sich zum Widerspruchs Die Herrenhausjunker haben in diesem Rufe ihre wahre Gesinnung gezeigt. Sie sind noch heute Feinde jeg- l i ch e r Verfassung, sie würden noch heute, wo der Par- lamentarismus selbst schon den Orient ergreift, gern zum Ab- solutismus zurückkehren. Allerdings ist dafür gesorgt, daß ihre reaktionären Träume nie wieder Wirklichkeit werden können. Daß aber bei solcher Gesinnung der Junker das gleiche Wahlrecht im Reich sofort erwürgt werden würde, sobald die Herren die Macht dazu hätten, das liegt auf der Hand. In Verbindung mit den Januschauereien, den unverschämten Herausforderungen des freikonservativen Scharfmachers v. Zedlitz und den Absagen der Nationallibe- ralen an das Reichstagswahlrecht— angeblich nur für Preußen, in Wahrheit auch für das Reich— gewinnt dieser freche Zwischenruf der Herrenhäusler seine ernste Bedeutung. Die deutsche Arbeiterklasse muß sich bewußt sein, daß sie über Nacht vor die Aufgabe gestellt werden kann, ihr wichtigstes Staatsbllrgerrecht mit den äußersten Mitteln zu verteidigen. „Keine Wahlrechtsreform in diesem Jahre". Also überschreibt daS Berliner Zentrumsblatt, die„Märkische VolkSzeitung" ihren Artikel, worin sie den Abschluß der Be- ratungen in der Herrenhaus-WahlrechtSkommisston meldet. Sie be« zeichnet die Beschlüsse über die Drittelung und die„Kulturträger" als erhebliche Verschlechterungen der Vorlage des Abgeordneten- Hauses und schließt daran die Drohung, daß daS Z entrum vom Kompromiß zurücktreteln werde, so daß eine ganz neue Mehrheit mit den Nationalliberalen gebildet werden müsse. Sogleich aber wird dem Zentrumsorgan vor seiner eigenen Drohung bange und deshalb macht es die, so eS angeht, darauf aufmerksam, Konservative und Nationalliberale seien jetzt derart verärgert,„daß ein Zusammengehen kaum möglich sein wird". Aber im folgenden Satze heißt eS dann schon wieder, daß, da die Nationallibe- ralen„aber sicher um dieses großen Vorteils willen entschlossen ihr ohnehin sehr leichtes Bündel Prinzipien steudig über Bord werfen werden", ein solches Zusammengehen schließlich nicht un- möglich wäre,„zumalviele Konservativeunter dem Druck derRegierung stehen." Dann aber wäre die Verabschiedung der Wahlreform in diesem Sommer wohl kaum noch durchführbar.„Denn das würde ganz neue Verhandlungen im Abgeordnetenhause voraussetzen, bei denen wir sehr kräftige Neuauflagen der letzten Debatten erleben würden." Nach diesem Hin- und Herschwanlen zwischen„kaum möglich", „sicher",„nicht unmöglich" verfällt das Blatt plötzlich in den Ton absoluter Gewißheit und erklärt kategorisch:„Unter diesen Umständen erscheint es als sicher, daß wir in diesemJahrekeine Wahlrechtsreform bekommen werden." Die heillose Konfusion dieser Ausführungen ist ein Spiegelbild der inneren Unsicherheit des Zentrums. ES möchte das Herrenhaus durch die Drohung mit dem Rücktritt vom Kompromiß zur Aufgabe der in der Kommission beschlossenen Slenderungen zwingen. eS bebt aber auch vor der Eventualität zurück, durch solche Drohung den Zusammenschluß der Konservativen mit den Nationalliberalen erst herbeizuführen. Es hat diese unbehagliche Lage durch seinen Wahlrechtsverrat sicherlich hundertfach verdient. Bei der Beurteilung der Situation ist also nicht zu vergessen, daß die Versicherung des Zentrumsblattes, eS werde die Wahlrechtsvorlage in diesem Jahre nicht mehr zustande kommen, nichts als ein taktisches Manöver ist. » Die„Korrespondenz Woth' meldet, daß die Regierung mit der Arbeit der HerrenhauSkommission zufrieden ist. Die Regierung be- finde sich indes in einem schweren Irrtum, wenn sie jetzt die breitere Basis gefunden zu haben glaube, die nötig war. um die Mittel« Parteien zur Zustimmung geneigt zu machen. dieS sei nicht der Fall, die Freikonservativen und Rationalliberaleu würden auch in der HerrenhauSfassung dem Wahlgesetz nicht zu- stimmen. Beide Parteien hätten daS bereits am Donnerstag« nachmittag im Sbgeordnetenhause offen erklärt. Das Ergebnis der Posener Reichstagsersatzwahl« Bei der gestrigen ReichstagSstichwahl im Posener Reichstags- Wahlkreise hat der polnische Kandidat mit großer Mehrhett gesiegt. Im ganzen wurden 34309 gültige Stimmen abgegeben. Davon erhielten Nowicki(Pole) 20 OSO, Oberbürgermeister Dr. WilmS(natl.) 14 2S0 Stimmen. Es ergibt sich daraus, daß die Wähler der polni- scheu„Hofpartei" fast sämtlich der Aufforderung des Vorstandes ihrer Partei, in der Stichwahl für Nowicki zu stimmen, nachgekommen sind; denn bei der Hauptwahl haben Nowicki 11487, Sosinski 6966 Stimmen erhalte». Fraglich ist jedoch, ob jetzt Nowicki der ihm von dem Parteivorstand auferlegten und von ihm halbanerlannten Pflicht nachkommen und sein Mandat niederlegen wird, um die Wahl SosinskiS oder eines anderen Kandidaten der gemäßigten gutbürgerlichen Polenpartei zu ermöglichen. Nowicki hat nur halb zugesagt, daß er zurücktreten will. Vielleicht findet er jetzt, daß ihn sein Wort nicht bindet und er sich besser zum Vertreter de» Wahl- kreise» eignet als Sosinski._ Die Dispositionen des Reichstags. Der Seniorenkonvent hielt am Freitag eine Sitzung ab, in der sich Unwille darüber kundgab, daß die RegierungS- kommiffare in den Kommissionen zu schärferer Arbeit anzutreiben suchen. Da die Vertagung des Reichstags vor Pfingsten in Aus- ficht genommen ist. so wird von der Regierung der Versuch ge- macht, einige Gesetze noch vorher durchzupeitschen, so das Kali- gesetz. das Gesetz über die Entlastung de» Reich»- gerichttz Md dis Beichswertzutdachsfteuer. Im
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