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sachverständiger Seite getadelten Anlage die Interessen de» ein- flußreichen Kabelwerks mitgespielt haben. Jeder Kenner der einschlägigen Verhältnisse kennt die Ueberlastung dieser Strecke. Seit langem sind Vorschläge zur Entlastung gemacht worden, und es sind dabei sehr beachtenswerte und voraussichtlich auch recht rentable Projekte aufgetaucht; der Eisenbahnfiskus scheint sich aber auf nichts einlassen und eventuell der Privatindustrie den Vorrang lassen zu wollen, die u. a. eine Schnellbahn Köln Düsseldorf Dortmund plant. Das heroische Verhalten der Arbeiter des Kabelwerks bei der Hilfeleistung ist allgemein anerkannt worden. Dagegen sind schwere Klagen über das späte und zum Teil verspätete Eintreffen der Sanitätswagen der Bahnver» waltung eingelaufen. So schreibt der nationalliberale ..Kölnische Lokal-Anzeiger" mit Recht:..Die Bahnamtlichen Sa- nitätSeinrichtungen haben völlig versagt(Lebhaftes Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.). Befremden und Entrüstung hat auch die Lässigkeit erregt, mit der man zum Teil den Ange­hörigen der verunglückten Soldaten die amtliche Mitteilung hat zu» gehen lassen. DieKölnische Zeitung " hat anläßlich der Katastrophe ge- schrieben:Die schweren 40 Tonnenwagen haben sich glänzend be währt." Unser Kölnisches Parteiorgan, dieRheinische Zeitung " bemerkt dazu mit Recht, daß hier zwei Welten aufeinanderstoßen In dem Zuge, der unbeschädigt davonkam, saßen die Leute, bei denen die blauen oder gar die braunen Lappen loser sitzen, als bei anderen Leuten die Groschen(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.); in dem zertrümmerten Zuge saßen die Söhne des Volkes, deren Väter nicht das Geld hatten, um sie einjährig dienen zu lassen.(Erneute lebhafte Zustimmung bei den Sozial- demokraten.) Es ist bestritten worden, daß die zerschmetterten Wagen ich hatte selbst Gelegenheit, sie zu sehen alten Kasten glichen; der Vergleich würde natürlich alsUebertreibung". sozialdemokratische Hetze" usw. bezeichnet. Dem gegenüber be- merke ich. daß offiziell zugegeben werden mußte, dah die Wage» 19, 20 Jahre im Gebrauch waren ((Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Eine Zuschrift an die Rheinisch Westfälische ZeitunA" wendet sich mit Entschiedenheit gegen die Benutzung solcher altersschwacher Wagen bei Militärzügen und die Redaktion daS bekanntlich alles andere eher als sozialistischen, vielmehr stramm scharfmache. rischen Blattes spricht ihre Zustimmung zu der Zuschrift aus.(Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Es muß verlangt werden, daß für Eisenbahnwagen genau so, wie für Kriegsschiffe, eine bestimmte Maximallebensdauer festgesetzt wird. Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, daß man in ganz besonders miserablen und zerbrechlichen Wagen die ausländischen Arbeiter befördert, mit denen man wohl aus Patriotismus von kapitalistischer Seite das Ruhrrevier über- (schtvemmt. Eine Menge von Zuschriften sind mir anläßlich der Mülheimer Katastrophe zugegangen. Zuschriften, die auf die Eisenbahnzu. stände in jenem Jndustrierevier ein eigentümliche? Licht werfen. Meine Freunde Hu6 und Stolle haben bei verschiedenen Ge» legenheiten auf Mißstände im Eisenbahnwesen hingewiesen. ES gibt verkehrsreiche Bahnhöfe in Rheinland-Westfalen , auf denen die Reisenden, um zu ihrem Bahnsteig zu gelangen, 3, 4, S Bahn- geleise passieren müssen, ohne daß man bisher an Untertunne- lung gedacht hat. Die Kollegen vom Zentrum, Herr Euler, Herr fBeaet, werden mir bestätigen, daß die Kölnischen SonntagsauS» flügler geradezu gewohnheitsmäßig in erbärmliche Viehwagen hineingepfercht werden.(Hört! hörtl) Bon der Ueberfüllung des Mülheim er Unglücksbahnhofes habe ich mich mehr als einmal an Sonntagen überzeugen können.- Wenn dann Katastrophen sich ereignen, dann werden Sündenböcke herausgesucht. Da werden dann übermüdete, abgehetzte Beamten verurteilt; die un° bestechliche Volksstimme aber bezeichnet als den wirklich Schuldigen da» ganze System.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dieses System der falschen Sparsamkeit ich wähle absichtlich keinen schärferen Ausdruck trägt die Hauptschuld an der Mül- Seimer wie an sovielen voraufgegangenen Katastrophen. Auch ier kann ich mich auf Ausführungen eines nationallibe» Talen Blattes, desKölnischen Stadt-AnzeigerS", berufen. Der Kölnische Etadt-Anzeiger" schrieb u. a.:Aus übel angebrachter Sparsamkeit verwendet man Zugführer zu Schaffnerzwecken. Man beauftragt die Zugführer zum Schaden ihrer wirklichen und wichtigen Aufgaben damit, zu verhindern, �ß unbefugte Musik in den Zügen gemacht wird." In höchst uberflusstger Weise verwendet man eine Macht Beamtenkräfte auf Revisionen. Auf einem Bahnhofe laufen etwa 12 Revisoren herum, die Man spöttischer Weise die 12 Apostel nennt.(Heiterkeit.) Während so auf der einen Seite unnütz Arbeitskraft verschwendet wird. nimmt man auf der anderen Seite die Arbeitskraft in unmäßiger Weise in Anspruch. Es ist kein Zufall, daß die Durchschnitts. lebensdauer der Lokomotivführer eine so kurze ist.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Und ist nun etwa die Finanzlage der preußischen S t a a t S e i s e n b a h n e n so. daß sie eine derartige Ausbeutung der Arbeitskraft rechtfertigt? Man lese doch die Rheinbabenschen Finanzexposes, die mit pomphaften Zahlen die Rentabilität und die Ueberschüsse der StaatSbahnen preisen. Und ich weise besonder? auf eine Stelle im letzten Exposö hin. in der es heißt:In diesem Jahre ist es gelungen, die Ausgaben zu vermindern�.(Lebhaftes Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Natürlich bezeichnet hier das Stenogramm des AbgeordnetenhausesLebhaftes Bravol". Wenn nur Geld herausgequetscht wird, scheint den Herren die Ge- fährdung der Passagiere, von der Ueberbürdung der Beamten und Arbeiter ganz zu schweigen, gleichgültig zu sein.(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.) Was die technische Verhütung solcher Unglücksfalle betrifft, so glaube ich denn doch trotz aller gegenseitiger Behaup. tungen, daß es bei dem heutigen hohen Stande der Technik möglich sein wird, entsprechende Maßnahmen zu treffen bezw. entsprechende Apparate zu konstruieren. Ein paar Worte zur Entschadigungsfrage. Ich hoffe. daß diese Frage so geregelt wird, wie eS sich angesichts ihrer Er- nährer beraubter Familien geziemt.(Sehr wahrl bei den Sozial- demokraten.) An Nachrufen. Sympathiekundgebungen und Bei- leidsbezeugungen für die verunglückten Soldaten hat es ja nicht gefehlt. Aber wichtiger als die Lorbeerkränze ist es. den Familien der Verunglückten eine wirtschaftliche Sicherstcllung »u gewähren, ihnen, von denen viele in den Opfern dieser Kata- jtrophe ihre künftigen Ernährer verloren haben.(Lebhafter Bei- fall bei den Sozialdemokraten.) Präsident des Reichseisenbahnamtes Wackcrzapp sucht die Vor- würfe des Abg. Hengsbach zu entkräften. Es sei ausgeschlossen, daß die Linienführung beim Bahnhof Mülheim im Interesse des Kabelwerkes erfolgt; auch seien die Wagen des Militärzuges keineswegs alte Kasten gewesen, sondern drei- und vierachsige, also neue moderne Wagen. Geheimer Oberbaurat Riedel legt dar, wie die technischen Anlagen beim Bahnhof Mülheim beschaffen sind, die er für be- triebstechnisch vollkommen einwandfrei hält. Abg. Kölle(Wirt. Ver.): Auch wir erklären unsere Shm- pathie mit den Opfern des Unglücks und hoffen, daß solche Unfälle sich nicht wiederholen werden. Im übrigen war die Interpellation unnötig. Abg. Scyda(Pole): Auf die Motive der Interpellanten bei der Einbringung der Anfrage gehe ich nicht ein; jedenfalls genügt dazu das allgemeine menschliche Mitgefühl.(Lebhafte Zustimmung bei den Nationalliberalen.) Den Opfern des Unglücks sprechen meine politischen Freunde ihre Sympathie aus, um so mehr, als eine Reihe meiner Landsleute darunter waren, die fern von ihrer engeren Heimat ihrer Militärpflicht genügten.(Lebhafte» Bravo ! bei den Polen .),*«- Ueber die Ursachen des Unglücks kann der s. Nichtfachmann kein Urteil abgeben; wenn eS aber wirklich durch die Unvorsichtigkeit eines einzigen Beamten herbeigeführt ist, so deutet das auf einen Fehler in der Organisation; es mutz möglich sein, dafür zu sorgen, daß der Fehler eines einzelnen nicht so verhängnisvolle Folgen haben darf.(Sehr richtig! bei den Polen .) Abg. Werner(Antisemit) schließt sich den Ausführungen des Abg. Kölle an. Abg. Dr. Paasche(natl.): Dem Kollegen Hengsbach , der uns wahltaktische Motive für die Einbringung der Interpellation unter- schob, sage ich nur, man sucht niemanden hinter der Tür, wenn man nicht selbst dahinter steckt.(Sehr richtig! bei den National- liberalen.) Die Interpellation haben wir hier eingebracht, nicht im Abgeordnetenhause, weil es sich hier keineswegs um eine preußische Angelegenheit handelt. Daß ein solcher Zusammenstoß am hellen Tage möglich war, deutet darin hatte Herr Seyda ganz recht auf einen Mangel in der Organisation; man wußte, daß in 10 Minuten der durchfahrende Zug kommen sollte. Da konnte man einige Weichensteller entgegenschicken, daß der Zug unter allen Umständen zum Halten gebracht würde.(Bravol bei den Nationalliberalen.) Abg. Marx(Z.) erklärt, daß die preußische Eisenbahn- Verwaltung an dem Unfall keine Schuld treffe; allerdings sei die Bahnanlage in Mülheim nicht so übersichtlich, wie man eS wünschen mühte. Abg. Hengsbach(Soz.): Der Präsident des Reichseisenbahn- amtes hat behauptet, von alten Kasten könne man bei den Wagen des Militärzuges nicht reden. Demgegenüber bemerke ich. daß nach einer Zuschrift aus Eisenbahnkreisen der eine Wagen 1890, ein anderer 1891 und ein dritter 1893 gebaut war; Wagen, die 17, 19 und 20 Jahre alt sind, kann man wohl als alte Kasten be- zeichnen,(Sehr wahrl bei den Sozialdemokraten.)Ebenso ist eS richtig, daß nach der Zuschrift eines pensionierten Lokomotiv- führcrs der Zugführer des Lloydexpreßzuges gemäß seiner In- struktion die Signale zu beobachten hat; wäre dies geschehen, so hätte er den Lokomotivführer rechtzeitig warnen können. Herrn Kölle erwidere ich, daß ich den Nationalliberalen nicht Partei- politische Motive untergeschoben habe, sondern daran erinnert habe, wie oft das uns gegenüber geschehen ist.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Präsident des ReichSeisenbahnamtS Wackerzapp: Die von Herrn Hengsbach angeführten Zahlen über die Bauzeit der Wagen sind richtig; aber am meisten beschädigt sind Wagen neuester Kon- struktion. Der Zugführer ist zur Beobachtung der Signale nur verpflichtet, soweit das sein Dienst zuläßt. Damit schließt die Besprechung. Hierauf vertagt sich daS Haus. Der Präsident Graf Schwerin schlägt vor, die nächste Sitzung Sonnabend 2 Uhr abzuhalten und die Veteranenbeihilfe zu beraten. Abg. Binbewalb(Wirtsch. Vg.) und Dr. Arendt(Rp ) beantragen, schon um 1 Uhr zu beginnen. Dieser Antrag wird abgelehnt. Die nächste Sitzung findet also statt Sonnabend 2 Uhr.(Veteranenbeihilfe.) Schluß ö Uhr. Hbgeordmtenbaud. 55. Sitzung vom Freitag, den SS. April. vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: v. Trott zu Solz. Die zweite Beratung des Kultusetats wird beim Elementarunterrtchtswefeo beim Kapitel Schulaufsicht" fortgesetzt. Abg. Korfanty (Pole): Die Herren Heckenroth und Schwabach sind gestern für die Erteilung des Religionsunterricht» an Litauer in ihrer Muttersprache eingetreten. Ich hoffe, daß Sie nun auch unserer Forderung zustimmen werden, daß die polnischen Kinder Religionsunterricht in polnischer Sprache erhalten. Oder sollten die beiden Herren etwa ihre sonstigen Prinzipien geändert haben. weil fie zufällig litauische Wahlkreise vertreten?(Sehr gut l bei den Polen .) - Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Den gestrigen Ausführungen des Herrn Ministers gegenüber möchte ich feststellen, daß die deutsche Turnerschast und die kon- fesstonellen Jugendorganisationen bereits auf ein recht ehr- würdiges Alter zurückblicken, und die Arbeiterturnvereine sind ledig- lich Abwehrversuche gegen den von jenem sogenannten patriottschen Turnverein unternommenen Versuch, die Jugend der Arbeiterschaft davon abzuhalten, ihre Interessen in der ihnen zweck« mäßig erscheinenden Weise zu betätigen. Schon zur Zeit des Sozia- listengesetzeS hat die deutsche Turnerschast in fanatischer Weis» gegen die Sozialdemokratie Stellung genommen und sie hat stets jeden au»- geschlossen, der einem sozialdemokratischen Verein angehörte. Präs. v. Kröcher: DaS hat mit der Schulausstcht nichts zu tun. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Ich beabsichttge, den Eharakter dieser Turnvereine darzulegen, um daraus zu folgern, daß die Schulausstchlsbehörde, wenn sie un» parteiisch sein will, auch gegen diese sogenannten patriotischen Vereine einschreiten müßte, wie sie eS gegen die proletarischen Turn- vereine tut. Präs.». Kröche»: DaS gehört in die allgemeine Debatte. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Meine Polemik richtet sich doch gegen die Ausübung der Schul- aufsicht. Die von der SchulauffichtSbehörde liebevoll geduldete deutsche Turnerschast, die als antisemitisch bezeichnet werden kann, sucht auch ihren Einfluß dahin auszuüben, daß sie die Arbeitgeber und höhereu Angestellten veranlaßt, die jungen Arbeiter der deutschen Turnerschast zuzuführen. Präs.». Kroch«; DaS hätten Sie alle? gestem beim Kapitel Turnunterrichtsanstalten" ausführen können. Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Ich spreche nur gegen die Haltung der SchulaufflchtSbehörden und verweise auch darauf, daß in Magdeburg diese Behörde nicht eingeschritten ist, als von dem deutschen Turnverein Schwarz-Rot-Gold" eine Versammlung der Jugendabteilung diese« Vereins abgehalten wurde mit dem ausgeprägten politischen Thema: .Weshalb sind wir genötigt, vom nationalen Standpunkt aus eine scharfe Stellung gegen die Sozial- demokratie einzunehmen?" Ich verweise auch darauf, daß in einem Falle ein Lehrer, der gleichzeitig der Vorsitzende der nationalen Turnerschast ist, den Schülern, die diesem Verein an- Sehören, gestattete, an den Hebungen teilzunehmen, nicht ober den ingehörigen des sogenannten Arbeiterturnvereins. Wo bleibt die Schulaufsicht in diesem Falle?(Sehr gut l bei den Sozialdemo- traten.) Auch mit den Fortbildungsschulen setzen sich diese nationalen Turnvereine in Verbindung, um von ihnen die Einführung des obligatorischen Turnunterrichts zu erreichen, um dann zu erzielen. daß ihnen die Erteilung dieses Unterrichts überwiesen wird. Wo ist die SchulaussichtS- behörde in einem derartigen Falle? Es handelt sich offenbar um einen gröblichen Mißbrauch des Fortbildnngsschulzwange». wenn er dazu ausgenutzt wird, die, die ihm folgen, zu zwingen. dem sogenannten nationalen Turnvereinen beizutreten. In neuester Zeit haben wir auch die Erfahrung machen müssen, daß sich in Berlin und anderen Städten unter Leitung von Offizieren allerhand Jugendturnvereine gebildet haben, wo diese jungen Kerlchcn von 1014 Jahren von denOffizieren militärisch eingedrillt werden.(Hört I hört! b. d. Soziald.) Diese Vereine, denen die Schulaufficht ohne die geringsten Bedenken die Jugend anvertraut, ent- halten jeine ganz systemattsche Propaganda, die, wenn fie auch nur an- nähernd von oenjpcoletarischenOrganiiatilmen entfaltet würde, der Schul­auffichtSbehörde sofort zum Einschreiten Veranlaffung geben würde. Es werden von ihnen auch Zeitschriften herausgegeben, die aus« gesprochenermaßen den Zweck haben, die Jugend für den Militarismus zu erziehen.(Hört I hört I bei den Sozial» demokraten.) Ferner werden Soldaten- und Marine» vereine gebildet zu dem Zweck, die Soldaten auch außerhalb des Dienstes zu beeinflussen. Zur Zeit de» Sozialistengesetzes ist übrigens die deutsche Turnerschaft nicht nur gegen die Sozialdemo- kratie, sondern ganz genau so gegen das Zentrum und die Freisinnigen vorgegangen.(Hörtl hörtl bei den Sozial- demokraten.) Wenn nun auch die proletarischen Organisationen in gewissem Sinne als Ablvehrvereine gegründet sind, um den Arbeitern ihre Selbständigkeit zu wahren, so haben fie doch andererseits gerade aus dem lebhaften Bedürfnis heraus, die Gesundheit der Arbeiterklasse nach Möglichkeit zu fördern. den Turnunterricht auf ihre Fahne geschrieben. Zweifellos hat noch nie einer der Herren von der Schulausstcht sich die Mühe genommen, die Arbeiterturnvereine in ihrer Tätigkeit kennen zu lernen. Die Beschuldigung gegen die Arbeilerturnvereine, als verfolgten sie politische Zwecke, sind vollständig aus der Lust gegriffen. Das Liederbuch, von dem Herr Schwartzkopff sprach, ist ein Liederbuch für die Erwachsenen in de» Turn- vereinen. Für die Jugendlichen besteht ein besonderes Liederbuch, das dem Kultusministerium vor einiger Zeit vom Arbeitcrturner- bund ausdrücklich zu seiner Information überreicht worden ist. (Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Die ganzen Maßnahmen der SchulaufsichtSbehörde gegenüber den Turnvereinen sind durch- auS ungesetzlich. Das beweist die Entscheidung des Land- gerichts I und auch die Stellungnahme des Oberreichsanwalts vom 17. September 1903, wonach eine Ausdehnung der Schul- aufsicht auf alle Minderjährigen bis 2l Jahre als ungesetz- lich erklärt wurde. Aber die Schulaufsicht kümmert sich frisch fromm, fröhlich, frei um keines dieser Urteile. Ihre Zwangs- Verfügungen richten sich nicht nur gegen die Lehrer, die man mit den härtesten Exekutivstrasen belegt, wenn sie ohne Erlaubnis Unter- richt erteilen, sondern auch gegen die G a st w i r t e, die ihre Lokale kür den Unterricht hergeben. Ich habe wiederholt in voller Ocffent- lichkei« dieses Vorgehen der Schulaufsicht als einen bewußten Miß- brauch der Gesetze bezeichnet.(Uiiruhe rechts.) Präs. v.«röchcr: Das geht zu weit. Ich rufe Sie wegen deS Ausdrucks zur Ordnungl Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Ich habe das in der O e f f e n t l i ch k e i t getan, um die Regierung zu zwingen, endlich einmal vor einem ordentlichen Ge» richtshof Rede und Antwort zu stehen. Der erste Versuch, in dem das gelang, hat dazu geführt, daß die Schulaufsichtshehörde des- avouiert wurde. Wenn sie trotzdem an ihrem Verfahren festhält, müssen wir das in der schroffsten Weise verurteilen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Preußen ist ja leider noch nicht soweit ein Rechtsstaat, daß die Maßnahmen der Schulaufficht irgendeiner rechtlichen Nach« Prüfung unterworfen werden. Das Verwaltungsgericht erklärt sich ihnen gegenüber für unzuständig. Wie soll man sich da gegen derartige Ungesetzlichkeiten wehren? Wenn wir einzelne Schulräte verklagen, so erfahren wir. daß gerade von der obergeordnete» Instanz die betreffenden Maßregeln veranlaßt und empfohlen«erden. (Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.) Die Schulausstcht ist natürlich sehr zufrieden damit, daß man genötigt ist, fie bei fich selbst, d. h. den Teufel bei Beelzebub, zu verklagen.(Sehr wahrt bei den Sozialdemokraten.) Gerade innerhalb dieses Bereiche», wo die Regierung sich so absolutistisch fühlt, sollte sie besonder» vor» fichtig sein, und sollte nicht in dieser Weise mit den Gesetze» Schind» luder treiben.(Rufe rechts: Unerhört I Frechheit l) Präsident v. Kröcher: Ich rufe Sie zum zweite» Male zur Ordnung unter Hinweis auf die geschäftZordnungSmäßige» Folgen.(Bravo ! rechts.) Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Bei der Arbeiterschaft werden Sie mit allen diesen Maßnah««», die, wie wir wissen, vom Kultusminister ausgegangen find, nur die leidenschaftlichste Empörung»«eichen.(Sehr wahr! bei de» Sozial- demokraten.) Wir wären ja Narren, wenn wir ein so vorzügliches Agitationsmaterial nicht ausnutzen wollten. Also im eigenen Jnler- esse sollte die Schulaussichtsbehörde fich nicht weiter dtSkreditieren, sondern in Zukunft pflichtmäßig unparteiisch verfahreu.(Bravol bei den Sozialdemokraten.) Kultusminister v. Trott ,« Solz: Es ist notorische Tat» fache, daß die Sozialdemokratie fich eine weitverzweigte Organisation geschaffen hat, um die Jugend in die Reihen der Sozialdemokratte zu ziehen. Da darf man sich nicht wundern, daß auch von der anderen Seite Strömungen hervortreten, die fich im Gegensatz zu diesen Bestrebungen der Sozialdemokratie stellen.(Abg. Lieb» knecht: Umgekehrt ist es gewesen l) DaS ist nicht richttg.(Abg. Liebknecht: Ich habe es nachgewiesen I) In den Protokollen der sozialdemokratischen Parteitage werden Sie finden, wie man eingehend darüber verhandelt hat. was man alles tun müsse, um die Jugend zur Sozialdemokratie heranzuziehen.(Abg. Liebknecht: Erst in den letzten Jahren I Bielfache Rufe reckt»: Ruhel) CS handelt sich in der Tat um sozialdemokratische Vereine, die politischen Zwecken dienen. DaS ist der einzige Gesichtspunkt. warum die Schulverwaltung ihnen entgegentritt. Sie wird es auch in Zukunft tun.(Bravol rechts.) Sie kann Personen, die den Turnunterricht nachgewiesenermaßen dazu benutzen wollen, um politische Propaganda zu treiben, den Erlaubnisschein zum Unt«richt nicht geben. Ich muß entschieden die Behauptung zurückweisen, daß wir gegen die Gesetze gehandelt hätten. Wenn He« Liebknecht sagt, gäbe keinen Rechtsweg gegen die Schulaufsichtsbehörden, so hat er ja selbst wiederholt von dem bevorstehenden Erkenntnis des Reichsgerichts gesprochen, welches die Praxis der SchulaufsichtSbehörde desavouieren würde. Wir wollen daS abwarten. Es ist auch nicht gesetzwidrig, wenn gegen die Wirte vorgegangen wird, die in ihren Lokalen gesetz» widrige Handlungen dulden.(Bravol rechts.) DerVorwärts" wird ja wohl wieder schreiben, wie heute Herr Liebknecht habe den Kultusminister gehörig zugedeckt(Heiterkeit), mir sei die Debatte mit ihm sehr unangenehm gewesen. DaS Gegenteil ist der Fall, denn ich habe das Gefühl, eine gute Sache zu vertreten, und das erfüllt mich mit Freude und innerer Genugtuung. (Bravol rechts.) Abg. Dr. Liebknecht(Soz.): Ich möchte den Herrn Minister nur bitten, daß er die Gerichts» entscheidungen, die nach seiner Behauptung daS Verfahren der SckulaufsichtLbehörden rechtferttgen. einmal dem aufhorckenden Ohre der Mitwelt mitteilen möchte. Solche Entscheidungen existiere» nämlich bish« nicht und der Herr Kultusminister hat in dieser Be- merkung nur gezeigt, daß er über die in Frage kommenden Rechts- Verhältnisse nicht hinreichend orientiert ist.(Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Abg. Hintzmann(natl.) spricht sich für die Ausdehnung des Verwaltungsstreitverfahrens auch auf die Schul» aussichtSbehörde aus. Abg. Gaigalat(k.) hofft, daß der Minister der Anregung, den Litauern Religionsunterricht in ihrer Muttersprache erteilen zu lassen, Folge geben werde. Abg. Korfanty (Pole) führt Beschwerde über einen Fall der Nichtgenehmigung von polnischem Gesangunterricht, der von privater Seite zur Pflege des polnischen Volksliedes eingerichtet werden sollte. Minister v. Trott zu Solz erwidert, daß erfahrungsgemäß ein solcher Unterricht zu polittschcr Agitation von den Polen benutzt werde. Abg. Hoff(Fortschr. Vp.) wünscht vom Minister Auskunft, wie er sich zu der Praxis von Kreisschuliuspektoren stelle, die für die Kreislehrerkonferenz den Lehrern Themen aufgeben, und dann eine» Lehrer wie«inen Schulbuben prüfen. Minister v. Trott zu Solz: Herr Liebknecht sagte vorhin, er würde mir dankbar fem, wenn ich ihm mitteilen würde, welche gerichtliche» Entscheid« in meinem Sinne vorliegen. Ich will mir