ziehen. Das sei bernünstig; besser aber sei eS noch, anstatt einerVermögenssteuer eine Wertzuwachssteuer einzuführen,denn dann werde der unverdiente Zuwachs besser getroffen und cSmutzten die Leute, die die ungeheuren Gewinne eingestrichenhaben, auch zur Deckung der Kosten beitragen, diein ihrem Interesse gemacht worden seien. AbgeordneterLiebert habe die Frage gestellt: wie komme der Bewohner vonUsambara dazu, zu den Kriegskosten etwa in Karibik beizutragen.Er wolle die Gegenfrage stellen, wie komme der BerlinerArbeiter und der bayerische Kleinbauer dazu, zuden Kosten beizusteuern. Es sei autzer Frage, datz ein ungeheurerWertzuwachs vorhanden sei, und eS sei nur gerecht, diejenigenheranzuziehen, die den Nutzen davon hätten.Am Schlüsse einer längeren Rede gegen den Staatssekretärerklärt Erzberger, datz er, da sein Antrag doch keine Aussichtauf Annahme hatte, für den Antrag Lattmann in Verbindung mitdem sozialdemokratischen Antrag eintrete.Vor Schlutz der Sitzung gibt Dernburg noch eine Erklärungab, datz er den Kaiser nicht als Majestät, sondern als Rechtsträgerin die Debatte gezogen habe.Nächste Sitzung Dienstag.Die älahki) In Frankreich.Was die„stillste der Wahlbewegungen", die Frankreichgesehen hat. erwarten ließ, ist eingetroffen: die Wahlenhaben keine besonderen Ueberraschungen gebracht und an demBesitzstand der Parteien nichts Wesentliches geändert. Dieradikale Regierungsmajorität tvird vermutlich verstärkt zurück-kehren, auf Kosten der monarchischen und klerikalen Reaktionund der rechtsstehenden Republikaner. Die Wahlen habenaufs neue bewiesen, daß für diese überlebten Spielarten derReaktion in Frankreich kein Raum mehr ist. Dierepublikanische Staatsform steht nicht mehr in Frageund die Trennung von Kirche und Staat bleibt un-bestritten. Spielen aber die alten historischen Gegensätzezwischen den bürgerlichen Parteien kaum mehr eine Rolle, sosind sie ebenso wenig von neuen abgelöst worden. In demLande der langsamen industriellen Entwickelung, dem starkenKleinbauerntum und Rentnertum verblassen die UnterschiedeZwischen den bürgerlichen Parteien, denen allen ein starkersozialkonservativer Zug eignet, trotz der radikalen Phraseologieihrer Programme. Fehlt den Wahlen, wie diesmal, eine anregende Parole— weder die Frage der Einkommensteuer nochdie des Proportionalwahlrechts haben besondere Teilnahme beiden Wählern erweckt—, so ist es natürlich, daß die Ziffer derWahlbeteiligung hinter früheren zurückbleibt und eine gewisseWahlmüdigkeit platzgreift.Um so mehr zu begrüßen ist es, daß von dieser Gleich-gültigkeit unsere Partei eine Ausnahme macht. Wo Sozial-demokraten kandidierten, ist es meist zu hefttgen Wahlkämpfengekommen und mit Freude dürfen wir konstatieren, daß derErfolg des Tages der Sozialdemokratie gehört, die— soweitNachrichten vorliegen— sowohl ihre Stimmcnzahl als auchihre Mandate vermehrt hat. Obwohl die irrsinnige Propagandapolitischer Abstinenz, die einige Querköpfe, die sich für„Revo-lutionäre" hatten, niit viel Geschrei betrieben haben, stellenweisefühlbar war, konnte sie der Partei doch keinen erheblichen Abbruchtun und mit Recht kann die„Humanits" erklären, der gestrigeTag sei für die geeinigtenSozialistcn siegreichgewesen; denn die für die sozialistischen Kandidaten ab-gegebenen Stimmen zeigten, daß die Partei immer mehr anBoden getvinne.Im ganzen mußten Sonntag 597 Abgeordnete gewähltwerden, da infolge der Bevölkerungszunahme, die in Frank-reich— anders als in Deutschland— eine Neueinteilung derWahlkreise bedingt, die Zahl der Sitze um sechs vermehrtwurden. Bis zur Stunde liegen Resultate aus 533 Wahl-kreisen vor. Die Republikaner hatten bis dahin 57, die Radikalenund sozialistisch Radikalen 154, die unabhängigen Sozialisten 10,die g e e i n i g t e n Sozialisten 28, die Progressisten 43,die Nattonalisten 12 und die Konservativen 53 Sitze errungen.In 231 Wahlkreisen ist Stichwahl erforderlich.— Nacheiner vom Ministerium des Innern veröffentlichten Stattstikverlieren die Neakttonäre drei Sitze, die Nationalisten ge-Winnen einen, die Progressisten verlieren einen, die Republikanerder Linken gewinnen acht, die Radikalen und sozialistischRadikalen verlieren zwei und die geeinig ten>sozia-listen gewinnen drei Sitze.Ueber die Wahlschicksale der Sozialdemokratie berichteteine Depesche unseres Pariser Korrespondenten folgende Einzel-hellen:Die Partei behauptete im ganzen ihre Stellungen und hat inder Provinz einen bedeutenden Stimmenzuwachs zuverzeichnen. Sie besitzt bis jetzt 27 Mandate, wovon 7 neu er-o b e r t sind. JulcS G u e s d e siegte in R o u b a i x mit700 Stimmen Mehrheit. Vaillant, Sem bat, Rozier,D e j e a n t e wurden in Paris, W i l I m in St. Denis, B e t o u l l e inLimoges, Breton in BourgeS wiedergewählt. Erobert wurden dieWahlkreise BezierS. Tours, NimeS, Mezisres, MoulinS, Niort, Puteaux.Leider sind auch einige Mitzerfolge zu verzeichnen. GenossePressenss, der Präsident der„Liga der Menschenrechte" undfeine Kenner der auswärtigen Politik, unterlag in Lyon, Carlierin Marseille, Varenne in Riom und Frevet in Combrai.Jean JaursS steht in Albi zwar in Stichwahl, da ihm abernur 200 Stimmen zur absoluten Majorität fehlten, ist seine Wieder-wähl sicher. Delorh und GheSquiöreS stehen im Norden.Rouanet in Paris gleichfalls in sehr aussichtsreicher Stichwahl-Weniger günstig erscheinen die Aussichten für Allemane,Allard, Brousse, C o n st a n s und M e S l i e r.Von den Ministern sind alle wiedergewählt bis aufM i l l e r a n d, der in zweifelhafter Sttchwahl steht. Bria ndselbst wurde in St. Ettenne mll einer Mehrheit von 8000Stimmen gewählt.Wahlzwischenfälle.St. Etienne, 24. April. In der Gemeinde Chambon.Feuaerolles wurde während der Feststellung des Wahlresul-tatS ein Angriff auf das Gemeindehaus verübt, der dieGendarmerie zum Einschreiten veranlagte, fünf Gendarmenerlitten Verletzungen.Quimper, 24. April. In der Gemeinde Penmerit wird derkonservative Kandidat Servigny von der Bevölkerung inder Bürgermeisterei gefangen aehalten. Gendarmerie istnach Penmerit entsandt worden.Bübereie».Paris, 24. April. In einer nachts auf dem Montmartre ab-gehaltenen, von dem sozialistischen Kammerkandidaten Rouaneteinberufenen Wählerversammlung feuerten mehrere Per»fönen Revolverschüsse ab. Rouanet wurde mißhan-d e l t und trug Verletzungen davon.Ferner drangen einige Personen in die Redaktionsräume dersozialistischen„Humanite" ein, prügelten einen Diener, zer.schnitten die Telephondrähte und richteten puch sonst mehr-fachen Schaden gy.Preststimmeu.Paris, LS. April. Mit Rücksicht auf die noch unvollständigenWahlergebnisse äußert sich die Presse über die Bedeu»tung des gestrigen Wahltages noch ziemlich zurückhaltend. Dieradikalen Blätter meinen, das Ministerium dürfe von denWahlen, welche einen republikanischen und demokratischen Siegbedeuten, vollauf befriedigt sein. Mit Genugtuung könneauch hervorgehoben werden, datz die Wählerschaft ihre Pflichteifrig erfüllt habe, was die beste Widerlegung der Behauptungender Gegner der Republik im Parlamente bilde, welche unermüd-lich erklärt hätten, daß das Volk von Gleichgültigkeit, ja sogar vonEkel gegen das bisherige Regime erfüllt sei.Einzelresultate.Paris, 2S. April. Unter den in Paris wiedergewählten Na-tionalisten befinden sich Georges B e r r h, Admiral B i e n a i m eund Maurice B a r r e s. In Lyon wurde der einstige Sozialist undspätere Gouverneur von Madagaskar Augagneur gewählt, inNogent-le-Rotrou Paul DeSchanel. In Narbonne unterlag derFührer der Winzerbewegung F e r r o u l dem UnterstaatssekretärSarraut. Kammerpräsident Brisson kommt in Marseille inStichwahl, ebenso sein Vorgänger Doumer und der frühere Mi-nister des Auswärtigen D e l c a s s e.llulZerorSentlicher üemiMhaftz-Kongreß.Berlin, den 25. April.Die Bedeutung der Reichsversicherungsordnung für die Ar-beiterschaft deranlatzte die Generalkommission der GewerkschaftenDeutschlands, einen außerordentlichen Gewerkschaftskongreß einzu,berufen, der heute hier im Gewerkschaftshause seine Arbeiten auf-nahm. Fast 2 Millionen organisierte Arbeiter waren durch422 Delegierte vertreten. Die christlichen Gewerkschaftler und dieHirsch-Dunckerschen waren der Einladung nicht gefolgt. Gen.Legten, der die Verhandlungen mit einer Begrüßungsansprache er-öffnete, bemerkte treffend, die Christlichen zögen es vor, mit Pro-fcssoren und— Ministern zusammen zu tagen, anstatt mit deneigenen Klassengenossen. In dieser Gemeinschaft können sie sicher-lich nicht so viel gewinnen, als sie durch die Nichtteilnahme an demArbeiterkongreß verloren haben. Eine Materialbeherrschung, alssie dem Gen. Bauer, der über die Krankenversicherung sprach,eignet, wird man kaum auf einer anderen Tagung wiederfinden.Was wichtiger ist: der Referent beleuchtete die Tücken und Rückender bestehenden Bestimmungen und zeigte, daß die„Reform" be-stehende Mängel noch vergrößern werde. Wer als Beobachter dieStimmung zu ergründen suchte, mußte überrascht sein über denErnst und die auffallende Interessiertheit, die der Kongreß be-kündete. Die spröde Materie verführte nicht zu Unaufmerksamkeit.wie das sonst bei minder wichtigen Fragen wohl der Fall ist.— Undman wird es eventuell nicht bei moralischen Protestkundgebungenbewenden lassen. Die Väter der neuen Reichsversicherungsordnunghaben wohl kaum daran gedacht, daß ihr reaktionärer Feldzug gegendie Selbstverwaltung der versicherten Arbeiter in den Krankenkassenden Gewerkschaften neue Mittel zur wirksameren Be-kämpfung der Scharfmacherei der Arbeitgeber-verbände zuführen könnte. Wir meinen nicht die agitatorischenWaffen, die dieser Entwurf der Arbeiterschaft in die Hände gibt,sondern die reichen finanziellen Mittel, die das Arbeit-gebertum für die Entrechtung der Arbeiter aufbringen soll, inWirklichkeit aber den Gewerkschaftskassen zuführendürfte, wie in Krankenkassenkreiscn bereits betont wurde.Der neue Entwurf will beanntlich für die Beitragszahlung undVertretung in den Krankenkassen anstatt der bisherigen Drittelung,wonach die Versicherten zwei Drittel und die Arbeitgeber ein Drittelder Beiträge zahlten und dementsprechend auch an der Vertretungbeteiligt waren, die Halbierung der Beiträge und paritätische Rege-lung der Vertretung einführen. Diese neue Regelung soll derSelbstverwaltung der Versicherten in den Krankenkassen ein Endemachen. Die Wahl der Kaffenvorsitzenden und Stellbertteter, dieAnstellung der Kasscnbeamten, die Regelung der Dienstordnungen,Aerzte. und Apothckerverträg«, alles dies hängt künftig von derZustimmung der Arbcitgebervertretung ab und, falls eine Einigungmit letzterer nicht zustandekommt, greifen die bureaukratisch ge-leiteten VersicherungS- und Oberversicherungsämter ein. Gegendiese Beitragshalbierung haben zahlreiche Arbeitgeberorganisa-tionen(der Bund der Industriellen, der Deutsche Handwerkertag,die Mittelstandsvereinigung usw.) öffentlich Stellung genommen,— ja selbst die �Deutsche Arbeitgeber-Zeitung" wehrte sich gegendiese Zumutung und fand den Eingriff in die Selbstverwaltung derKrankenkassen durchaus unberechtigt. Nur der ZentralverbandDeutscher Industrieller— dieser Scharfmacherverband l»r excel-tence— stand hinter dieser Neuerung. Schon auf seiner Tagung imJahre 190? erklärte er sich für diesen Plan der Regierung und erhat ihn neuerdings abermals gutgeheißen. Nur im Interesse dieserScharfmacher soll die Entrechtung der Versicherten in den Kranken-lassen erfolgen— im Dienste dieser Scharfmacher arbeitet dieReichsregierung. Kein Wunder, daß die übrigen Arbeitgeberver-tretungen von dieser Aenderung der Beitragsverteilung nichts wissenwollen. Handelt es sich doch um keine Kleinigkeit, sondern umganz immense Summen, die die Arbeitgeber mehr aufbringen sollen.Im Jahre 1908 betrugen die Beiträge der Versicherten und Arbeit-geber in den Krankenkassen 310557 694 M. Auf die Versichertenentfielen davon zwei Drittel oder 207 038 462 M. Die Halbierungder Beiträge erspart den Versicherten ein Viertel davon, also etwa51,4 Millionen M., die jetzt die Arbeitgeber mehr zahlen sollen.Das ist angesichts der bekannten Klagen der Unternehmer über dieohnehin große Belastung der Industrie durch die Arbeiterversiche-rung in der Tat eine recht starke Zumutung.Der Arbeiterschaft könnte eine Beitragsentlastung schon rechtsein, wenn sie nicht mit einer Entrechtung und Lähmung ihresEinflusses verbunden wäre. In diesem Zusammenhangjedoch weisen sie die BeitragSersparung mit größter Einmütigkeitzurück. ES bleibt ja abzuwarten, ob der reaktionäre Plan der vonder schlimmsten Scharfmacherorganisation geleiteten Regierung imReichstage eine Mehrheit findet. Weder das Zentrum, noch dieliberalen Parteien scheinen Neigung zu haben, darauf einzugehen.Indes, wie die Dinge liegen, scheint es leider nicht völlig auSge»schloffen, daß dieser Weg, die Selbstverwaltung der Krankenkassenzu brechen, Anhänger in den verschiedensten Parteien findet.Die deutschen Gewerkschaften haben indes dafür gesorgt, daßdieser Schlag die versichert« Arbeiterschaft nicht unvorbereitettrifft. Eine Konferenz der Borstände der Gewerkschaften hat zudieser Sachlage Stellung genommen und dem außerordentlichenGewerkschaftskongreß folgenden Antrag unterbreitet:Für den Fall, daß die in dem Entwurf der ReichKierstche-rungsordnung vorgesehene Halbierung der Beiträge und derVertretung für die Krankenversicherung Gesetz werden sollte,verpflichten sich die der Generalkommission angeschlossenen Ge-toerkschaften, dahin zu wirken, daß dle Gewerkschaftsbeiträgeum denjenigen Betrag erhöht werden, den die Arbeiter infolgeder geminderten Beitragszahlung zur Krankenversicherung er-jpsm». ST« dgdurch erzielten MeyrcinnghMu jsSc» dazu fäl«1 tvand! werden, den Einfluß, der den Arbeitern innerhalb derVerwaltung der Krankenkassen genommen wird, durch per-schärften gewerkschaftlichen Kampf auf wirtschaftlichem Gebietezu erweitern, um so den der Arbeiterklasse durch die Rcichsver-sicherungsordnung zugefügten Schaden auszugleichen.Dieser Antrag pariert den Schlag, den Scharfmacherverbandund Reichsregierung gegen die Arbeiterschaft führen wollen. Esist kein Zweifel, datz der Gelverkschaftskongretz ihn einstimmig an-nehmen wird. Ebenso zweifellos bürgt der Einfluß der starkenGewerkschaftsorganisationen für seine Durchführung. Selbstber-ständlich würden auch die sozialdemokratischen Parteiorganisa-tionen ihren Einfluß aufbieten, um auf diese Weise die Absichtender Scharfmacher zuschanden zu machen. Ileberdies wird die Eni-rüstung der Arbeiterschaft gegen die Entrechtung dafür sorgen, daßder Beschluß des Gewerkschaftskongresses überall ein Echo und auchstrikte Nachfolge findet. Ist dies aber der Fall, woran wir nichtzweifeln, dann sind es die deutschen Arbeitgeber, die solcherart denGewerkschaften neue finanzielle Kampfesmittel zuführen. Siekönnen sich dafür bei der Reichsregierung und beim Zentralver,band deutscher Industrieller bedanken.Genossin Gertrud Hanna als Referentin hatte die Aufgabe,die Mutterschaftsversicherung zu beleuchten. Sie zeigte in über-zeugender Weise, wie die Frage der Kindersterblichkeit eine Folgedes mangelnden SchwangerenschutzeS ist. Der weitschauende Sozial-Politiker wird ihr beistimmen, wenn sie erklärte: bielleicht das wich-tigste Stück der Reichsversicherungsordnung ist der Mutterschutz!— In seinem Referate über die Unfallversicherung beleuchtete Ge-nosse Wissel! die sozialpolitische Situation, die die Regierungauf dem Rückmarsch bor den Scharfmachern zeigt. Daß übrigensdie bürgerlichen Parteien nicht an der Seite der Arbeiter kämpfenwerden, dafür darf der Kongreß als Symptom gelten: der Ein-ladung der Generalkommission war von den Reichstagsfraktionennur die sozialdemokratische gefolgt!— Weitere Referate erstattetenGenosse Müller-Hamburg über die Seeunfallversicherung und Ge-nosse Timm-München über die Invalidenversicherung. Auch diesebeiden Referenten konstatierten, daß der Reformentwurf in seinerGesamtheit als Arbeitertrutz anzusprechen sei, der den Ausfluß der„gottgewollten Abhängigkeit" der Regierung von Junker- undScharfmachergnaden darstellepoUtilcbe(leberNckt.Berlin, den 26. April 1910.Ko-Ko-Gericht und kleine Aktien.Aus dem Reichstag, 25. April. Nach Erledigungeiniger unwesentlicher Petitionen nahm der Reichstag nachkurzer Debatte einen Anttag der Budgctkommission auf Ver-Minderung der Drucksachen des Reichstages an. Die Debatteführte dadurch zu einem interessanten Intermezzo, daß derVertreter der Reichspostverwaltung, UnterstaatssekretärFrancke eine recht weltfremde Ansicht über das Verfahrenbei Druckaufträgen vortrug. Die Kommission hatte bemängelt,daß die Reichsdruckerei unverständlich hohe Beträge fürDruckkosten liquidiere, während eine große Privatfirmasich erboten habe, die Sache wesentlich billiger zu machen.Es wurde nach den Gründen gefragt, weshalb die. Preise derReichsdruckerei so hoch seien. Herr Francke erwiderte, manhabe bei der Privatdruckerei angefragt, weshalb sie es cigent-lich billiger machen könne, da doch die Reichsdruckerei Tarif-preise zahle. Genosse Fischer stellte zunächst fest, daß diefragliche Privatdruckerei selbst tariftreu sei, daß dagegen dieReichsdruckerei keineswegs durchweg Tarifpreise zahle und daßdie Differenz deshalb nur durch ungewöhnlich hohe Spesender Reichsdruckerei verursacht werden könne. Darauf schwiegdie Verwaltung.Dann erfolgte die erste Beratung eines Gesetzentwurfesbetreffend die Errichtung eines ober st en Kolonial-und Konsularge richtshofes, der als dritteInstanz in allen Rechtsstreitigkeiten der Kolonien und Kon-sularbczirke dienen und gleichberechtigt neben dem Reichs-gericht stehen soll. Daß eine dritte Instanz für solche Streit-fälle geschaffes werden muß, darüber herrscht Einigkeit. Aberob gerade ein solcher besonderer Gerichtshof mit dem weit-läufigen Namen, den man passend in Ko-Ko-Gerichtabkürzen könnte, zweckmäßig ist, darüber gehen dieMeinungen auseinander. Genosse Stadthagen meinte,es sei richtiger, den Konsulargcrichtshof dem Reichsgericht an-Oltedern. Er bemängelte auch die ungenügendenistischen Unterlagen des Entwurfs und wies auf dieSymptome hin, die beweisen, daß man es auch bei dieserVorlage mit einer Vertretung kapitalisttscher Interessen zutun habe. Im weiteren Verlauf der Debatte entspann sichnoch ein Meinungsstreit darüber, ob das geplante Ko-Ko-Gericht in Berlin. Lübeck oder Hamburg domiziliertwerden solle. Schließlich wurde der Entwurf an eineKommission von 14 Mitgliedern überwiesen.Zu lebhaften Auseinandersetzungen kam es dann bei derersten Lesung des Gesetzentwurfs betreffend die Einführungkleiner Aktien in den Konsulargerichts-bezirken und im Schutzgebiet Kiautschou.Schon in voriger Session hatte der Entwurf denl Hause vor-gelegen. Auch diesmal gingen die Meinungen selbst inner-halb einzelner Fraktionen stark auseinander. Der Zweck derVorlage ist, den deutschen Aktiengesellschaften in den erwähntenBezirken die Konkurrenz mit den englischen in der Gewinnungkleiner Mttonäre zu ermöglichen.Nach deutschem Recht können nämlich nur Aktien von1000 M. im Werte ausgegeben werden, während in EnglandAktien bis zu 20 M. herunter zulässig sind. Die Vorlage willnun für deutsche Aktien in jenen Bezirken die Grenz-summe auf 20O M. heruntersetzen. Dafür legtensich hauptsächlich die Herren O e r t e l(natl.) undK a e m P f(Fortschr. Vp.) ins Zeug. Die Sozial-demokratie ist, tvie Genosse Eichhorn darlegte, cnt-schieden dagegen, da durch die Herabsetzung der Grenz-summe die kleinen Leute zur Spekulation verleitet werden.Wenn Herr Kacmpf meine, das Geschäft mit den kleinenLeuten tverde auf solche Weise der englischen Konkurrenz indie Hände gespielt, so könne man mit diesem Argument auchdie Errichtung einer amtlichen Spielhölle in Deutschland be-gründen, weil jetzt viele Leute ihr schönes Geld nach Monacotrügen. Aehnlich sprach sich auch der ZentruniSvertteterSchwarze- Lippstadt aus, aber selbst ein Parteigenosse desHerrn Kacmpf, Herr Heckscher, warnte vor dem Betretender abschüssigen Bahn, zu dem die Herren Kaempf und Oertclaufgefordert hatten. Aehnlich gingen auch die Meinungeninnerhalb der Reichspartei auseinander, so daß die Stimmungfür den Regierungsvorschlag nur äußerst gering ist. DieVorlage wurde schließlich an die Budgetkommiffion überwiesen.Am Dienstag sollen endlich die aufgestapelten Wahl-Prüfungen zur Verhandlung kommen.