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Evenkuell sollte, einem Antrage des Berliner   AnwaltSvereinS ent- sprechend, die NichtVernehmung von öffentlichen Beamten nur dann nicht erfolgen, wenn die Vernehmung von der vorgesetzten Behörde für den Einzelfall verboten wird. Das Verbot soll nur erfolgen dürfen, wenn die Ablegung des Zeugnisses der Wehrkraft des Reiches oder eines Bundesstaates oder den Beziehungen zum Auslande oder den Bundesstaaten untereinander Nachteile bereiten würde. Ueber die Berechtigung der Zeugnisverweigerung solle endlich jedenfalls das Gericht entscheiden. Auch das Zentrum griff den Spitzelparagraph an. Es wünschte festgesetzt zu wisien:Die Genehmigung darf nur von der vorgesetzten obersten Behörde des Reichs oder des Bundes- staats versagt werden, wenn die Vernehmung dem Reich oder Bundesstaat in seine eBziehungen zu ausländischen Staaten oder zu Bundesstaaten Nachteil bereiten würde. Gleichzeitig mit der Ladung des Beamten soll die vorgesetzte Behörde von der Ladung bcnach- richtigt werden mit dem Ersuchen um Erklärung über die Gc- nehmigung." Ferner solle der Beamte in Beleidigungsprozefsen Auskunft geben müssen. In der gegen 4 Stunden dauernden Beratung wurden die Spitzelschäden an der Hand praktischer Beispiele bis zu den jüngsten Demonstrationsprozessen hin biosgelegt. Die Regierung sträubte sich mit Händen und Füssen   gegen eine Aenderung, die K o n s e r- va t iv en und Nationalliberalen   stellten sich auf denselbe" Standpunkt. Die Fortschrittliche Volkspartei  nahm eine eigenartige Stellung ein. Anerkannt wurde, dass Schäden bestehen. Die Fassung der vorgeschlagenen Aenderungen Passte den Herren aber nicht. Abg. H e ck s ch e r zog daraus die Folgerung, in der ersten Lesung für die Zentrumsanträge stimmen zu müssen. Als Heckscher in eine andere Kommission abgerufen war, erklärte Abg. Gyssling, sie würden in dieser Lesung gegen die Verbesserungsanträge, aber für die Regierungsvorlage stimmen. wiewohl ihnen auch diese nicht gefalle! Die A b st i m m u n g ergab Fall der Ve�besserungSanträgc und Annahme des Spitzel- Paragraphen mit 14 gegen 12 Stimmen. Die Fortschrittliche Volks- Partei:(Ghssling, Müller(Meiningen  ) und Müller(Jser- lohn) sind also Schuld an der Aufrechterhaltung des Spitzelparagraphen. Der verstorben« Abg. Munckel hatte seinerzeit für Aufhebung dieses zu den schmachvollsten Zuständen führenden Paragraphen gestimmt. Hus der Partei. Zur Maifeier. In der Provinz Brandenburg   wechseln Umzugs Verbote und-Genehmigungen bunt miteinander ab. Jede Behörde handelt nach ihrem Kopf von einer gemeinsamen Richtschnur ,st keine Rede. So ist in Nauen   der Umzug genehmigt worden mit folgender Begründung: Gemäss§ 7 des Reichsvereinsgesetzes vom IS. April 1908 wird dem Gewerkschaststartell die Erlaubnis erteilt, am Sonn- tag, den 1. Mai 1910, nachmittags um 2% Uhr, gelegentlich der Abhaltung eines Gewertschaftsfestes dieStrahen hiesiger Stadt mit Musik zu durchziehen, doch ist es v er- boten, Lieder zu singen. Fahnen zu entfalten. oder sonst in irgendwelcher Weise zu demon- st r i e r e n. In D r i e f e n dagegen hat der Bürgermeister grosse Befürch- tungen für die öffentliche Sicherheit gehabt und deshalb folgendes Verbot erlassen: Die am 14. d. M. für den t. Mai d. I. beantragte Genehmi. gung eines Aufzuges auf den Strassen und Plätzen des dies- fettigen Polizeibezirkes wird versagt, weil es nicht unwahr- s che i n l i ch ist, dass eS infolge der zurzeit im Baugewerbe Herr- schenden Spannung zu Ausschreitungen kommen kann, mithin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist. Der Landrat zu Friedeberg, an den sich das Gewerkschasts- tortell beschwerdeführend wandte, wobei es darlegte, dass es in »rieselt noch gar nicht zur BauarbeiterauSsperrung gekommen ist, WieS die Beschwerde mit folgender Begründung ab: Schon die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass in der gegenwärtigen, politisch stark bewegten Zeit gelegentlich eines derartigen Umzuges auch Strassenlundgebungen veranstaltet »erden würden, bei deren Unterdrückung die öffentliche Sicherheit  ernstlich gefährdet werden könnte. Der Hinweis darauf, dass in Driefen seitens der Bauunternehmer bis jetzt keine Aussper- rungen vorgenommen wurden, Differenzen am Orte also gar nicht bestehen, ist nicht geeignet, jene Befürchtung zu beseitigen. Wenngleich Aussperrungen dort nicht stattgefunden haben, so liegt doch die Wahrscheinlichkeit vor, daß die Teilnehmer durch den Hinweis auf die Konflikte im Baugewerbe an anderen Orten und auch durch die Wahlrechtsverhandlungen im Landtage auf- gereizt werden und dass es infolgedessen zu Ausschreitungen kommt. Mit dieser Gefahr ist um so mehr zu rechnen, als eS erfahrungSgemätz schwer ist. politisch erregte Massen im Zaume zu halten und als sie dann den Anweisungen der Führer nicht mehr gehorchen. Im vorliegenden Falle kommt noch hinzu, dass der Umzug cm einem Sonntag abgehalten werden soll, an dem mit einer, grossen Beteiligung gerechnet werden muh und an dem die Strassen von harmlosen und friedlichen Passanten ohnehin belebt sind. Es ist daher zu befürchten, dag bei einem eventuellen Ein» schreiten gegen die Demonstranten auch unbeteiligte Passanten zu schaden kommen könnten. Die.bisherigen Erfahrungen' beweisen genau das Gegenteil dessen, was der Landrat annimmt, sie zeigen jedem, der sehen will. dass ein solcher Umzug ohne jede Gefahr für die öffentliche Sicher. heit verläuft, wenn die Polizei sich vernünftig verhält. Die Be- sorgniS, dass der Umzug Strassenkundgebungen veranlassen könne, worunter wohl Rufe und Lieder verstanden werden sollen, ist übri- gens sehr bezeichnend. Man sollte meinen, dass der preußische Staat das noch aushalten könnte. Oder doch nicht? Die preussische Gemeinde Steilshoop   wird vor der In- vasion der roten Hamburger   bewahrt bleiben. Wie wir vor kurzem berichteten, hat der Amtsvorsteher des preussischen Be- zirks Poppenbüttel   die Ueberleitung des Hamburger   Mai. festzugeS auf preußisches Gebiet und die Abhaltung einer Ver- f a m m I u n g unter freiem Himmel verboten,weil er durch die Ansammlung der zu erwartenden grossen Menschen. massen in der kleinen Gemeinde Steilshoop   eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit erblickt.' Obwohl die kleine Gemeinde Steils. hoop eine Viertelstunde Weges von dem in Aussicht genommenen und völlig isoliert liegenden Lokal..Forsthof' entfernt ist, hat sich der Land rat und freikonservative Landtagsabgeordnete für den Kreis Stormarn   von Bon in dieser klassischen VeribotSbegrün- dung voll angeschlossen. Der besagte preussische Bezirk bleibt also am 1. Mai von der hamburgischen Invasion und damit die kleine Gemeinde Steilshoop   von einer schweren Gefahr verschont. Die in Betracht kommenden preussischen Lokalinhaber sind wenig erbaut von der staatsretterischen Tätigkeit ihrer Kreisbehörden. Die Hamburger Genossen werden nun in ihrem engeren Vater- lande demonstrieren und den Festzug nach den Lokalen.Mühlen- kamp' und.Schützenhof' leiten. In Helmstedt  (Braunschweig  ) wurde unterm 23. März ein Maiumzug von der StadtpolizeibekKrde genehmigt; jetzt aber wurde im Auftrage der herzoglichen Kreisdirektwn die Geneh» migung wieder zurückgezogen. Die nachträgliche Ver- sagung der Genehmigung charakterisiert sich als die Rache für die Wahlrechtsdemonstrationen. Es wird ausdrücklich ausgeführt, dass die sozialdemokratische Partei ohne polizeiliche Genehmigung einen Etrassenumzug und Protestkundgebungen veranstaltet habe, die von der Mehrheit der Bevölkerung missbilligt wür- den. weshalb der jetzige Umzug zu versagen sei. Genehmigt wurde ein Umzug in N e u st a d Mn Ober» schlcsien! In Wiesbaden   ist die Genehmigung zu einem U m- zuge erteilt worden, obgleich, wie die bürgerliche Presse erschauernd hervorhebt, am 1. Mai nachmittags die Ankunft des KaiserpaareS erfolgt._ Die Rechtsgleichheit in Hesse». Zum zweiten Male nacheinander haben jetzt KreisauSlchuss und ProvmzialauSschutz dem Genossen Peter Erkrath III die Be- jtätigung zum Beigeordneten in Mühlheim   a. M. verweigert. Genosse v. Vellmar   ist von der Lungenentzündung, die ihn be- fallen hatte, erfreulich schnell genesen. Am Montag erschien er schon wieder in der Sitzung des bayerischen Landtages und wurde von dm Genossen lebhast begrüßt. Ein neues Parteisekretariat. Der Sozialdemokratische Verein Stuttgart hat ein Sekretariat errichtet. Die Adresse lautet: H. Bullmer, Stuttgart  , Poststratze IS II._ poUzctltches, OcncbtUcbeo ukw. Strafkonto der Presse. Wegen Beleidigung eines gegen die sozialdemokratische Presse in terroristischer Weise kampfenden Pfarrers wurde Genosse G r u b e r von derMünchener Po st" vom Schöffengericht Mallersdorf   zu 60 M. Geldstrafe verurteilt. Sozialea. Der Hansabund zur Reichsversicherungsordnung. In dem grossen Ausschuß des Hansabundes für die Reichs- Versicherungsordnung war man bei Beratung der Frage der Kosten der neugeschaffenen Versicherungsämter einstimmig der Ansicht, daß die vom Regierungsamt des Innern mit 6 760 000 M.über- schläglich" berechneten Aufwendungen offenbar vicf zu niedrig angesetzt sind. Nach dm Erfahrungen im Betriebe ähnlicher In- stitutionen, etwa der Handwerkskammern, wird vielmehr, wie von Sachverständigen festgestellt worden ist, ein durchschnittlicher Kostenauswand von 25 000 M. pro Amt nicht zu hoch gegrifsen sein, und davon dürften etwa vier Fünftel auf Mehrkosten gegen- über den jetzigen Verhältniffen entfallen. Die toten Kosten der Sozialversicherung würden also bei tausend Aemtern um rund 20 Millionen Mark vermehrt werden, so dass gegm diesen Punkt der Vorlage im Interesse von Gewerbe, Handel und Industrie, der Arbeitgeber wie der Angestellten� nach Ansicht des Hansabundes energisch Widerspruch erhoben werden mutz. Seinerzeit hatten wir dargelegt, dass auch 20 Millionen die Höhe der Kosten der Versicherungsämter und Oberversicherungs- ämter noch lange nicht erreichm. Die Anträge des ZeatralverbandeS deutscher Konsumvereine zum 7. ordentliche» KonsumgenossenschaftStag. DieKonsumgcnossenfchaftliche Rundschau" veröffentlicht in ihrer Nr. 17 vom 23. April den Text von fünf gemeinschaftlichen Anträgen dcS Borstaudcs und Ausschusses des Zentralvcrbandes deutscher Konsumvereine, die mit der Gencralkoulmission der Ge- werkschasten vereinbart sind und dem GenossenschaftStag in München  , der vom 13. bis zum 16. Juni dieses Jahres tagen soll, unterbreitet werden sollen. An grosse, wichtige, aber auch teil- weise recht schwierige Aufgaben wagen sich die Organisationen heran. Durch den ersten Antrag wird eine Regelung bezw. Be- einflussung der Heimarbeit und HauSindustrie bezweckt. Nach Aufzählung der Gefahren dieser Industrie für die Arbeiter und die Bevölkerung heißt es: Im Interesse aller Beteiligten erscheint e» daher geboten, der Heimarbeit möglichst den Boden zu entziehen und ihren Ueber- gang zur geregelten Betriebsarbeit in gesunden Arbeitsstätten zu fördern. Soweit der genossenschaftliche Zusammenschluß der Heimarbeiter und Hausindustriellen diesen Erfolg verspricht, ist er zu unterstützen. Soweit die Herstellung der Nahrungs- und Genußmittel durch die Hausindustrie in Frage kommt, sind generell dir hausindustriellen Produkte von der Bedarfsbefriedigung der organisierten Konsumenten auszuschließen. Im übrigen ist über geeignete Massnahmen zur Abhilfe von Mißständen und zur Reform der Heimarbeit von Fall zu Fall zu beschließen.' Der zweite Antrag behandelt zunächst die Schäden der Straf- anstaltsarbcit für Arbeiter und Konsumenten und erklärt dann: Daher erscheint die Ausschaltung solcher Strafanstalts- erzeugnisse vom freien Wettbewerbe und der Ucbergang der Pro- duktion in Strafanstalten zur Herstellung des Bedarfs öffentlicher Anstalten und konimunaler oder staatlicher Verwaltungen in eigener Regie sowohl im Interesse der freien Arbeiter als auch deS organisierten Konsums dringend geboten.... Die Boestände der Konsumvereine werden ersucht, bei ihren Wareneinkäufen und Bestellungen keine Artikel zu kaufen, die ganz oder teilweise in Strafanstalten angefertigt sind, und Firmen, die in solchen An- stalten herstellen lassen oder Strafanstaltserzeugnisse in Vertrieb bringen, bei Einkäufen oder Bestellungen nicht mehr zu berück- sichtigen.... Die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft und die Mitglieder der Konsumvereine werden in ihrem eigenen Interesse dringend ersucht, bei allen Einkäufen, wo es auch sei, Strafanftaltserzeugnisse stets zurückzuweisen." Ein dritter Antrag behandelt die Anerkennung der Gewerk- schaften und deren mit Unternehmerorganisationen vereinbarten Tarifen. Bei Lieferungsaufträgen und Werkverträgen sollen Vertragsklauseln die Anerkennung der Gewerkschaften und der von diesen mit den Unternehmern abgeschlossenen Tarife und Vereinbarungen sichern. Der vierte Antrag handelt von den genossenschaftlichen Pflichten der Gewerkschaftsmitglieder. Eigentlich wäre ja ein Gewerkschafts- kongress der Ort, wo diese Frage zu erledigen ist, und wo sie ja auch schon früher behandelt wurde. In dem vierten Antrag heißt eS unter anderem: Der Kongreß erachtet die Gewerkschaften für verpflichtet, durch genossenschaftlich aufklärende Borträge in den Filialen und durch geeignete Artikel und Hinweise in ihrer Fachpresse sowie durch Druckanscbläge in ihren Bureaus und Sitzungsräumen die Werbetätigkeit der Konsumvereine nachhaltigst zu unterstützen. Auf Antrag der Konsumvereine ihres Bezirks sind die örtlichen Gewerkschaftskartelle verpflichtet, aus Gewerkschaftern und von den Konsumvereinen bestimmten Genossenschaftern zu gleichen Teilen bestehende Kommissionen einzusehen, die geeignete Mass- nahmen zur Förderung der genossenschaftlichen Propaganda m die Wege zu leiten haben." Der Antrag klingt sympathisch. Freilich dürfte auch für eine moralische Verpflichtung der Gewerkschaften nur ein Gewerkschafts- kongress bestimmen können. Gemeint sollen wohl selbstredend nur die Konsumvereine des ZentralvcrbandcS sein. Klar ausgesprochen ist es ja nicht. Die Gewerkschaften haben natürlich weder Anlaß noch Lust, etwaBcamten'konsumvereine oder abgesplitterte Christliche  ' zu päppeln. Der letzte sehr wichtige Antrag betrifft die Errichtung in- dustrieller Arbeitögcnossenschaften(Produftlvgenossenscbaften). In dem Antrage wird festgelegt, daß die über den örtlichen Rahmen hinausgehende Eigenproduktion für die Konsumvereine eine Auf- gäbe der zentralen Grosseinkaufsgenossens�aft ist. Die Errichtung besonderer Produktwgenossenschaften kann daher nur gutgeheißen werden, wenn eS sich handelt: 1. um Vereinigungen von Genossenschaften eines Bezirkes zur gemeinsamen Produktion bezw. zur Umwandlung einer Ar- beitSgenossenschaft in eine Produktivgenossenschaft, deren Mit- glieder die Genossenschaften find; 2. um industrielle Arbeitsgenossenfchaften(sogenannte Ar» beiterprodnktivgenoffenschastenX durch eine Gruppe von gewerl» schaftlich organisierten Arbeitern, Eft solche häufig«ach erfotgkof« Streiks vorkomnien; und wenn deren Errichtung im Einverständnis mit de« Bor  « stand des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine und der Großcinkaussgesellschast deutscher Konsumvereine sowie der zu« ständigen Gewerkschaftsleitung erfolgt." Es ist sicher im Interesse der Arbeiter gelegen, wenn in Zu« kunft auf dem beregten Gebiet keine.wilden' Gründungen auf eigene Faust mehr erfolgen, sondern von den in Frage kommenden Instanzen erst die Vorbedingungen und Unterlagen geprüft werden. Mit dem mächtigen Erstarken der Konsumgenossenschasts- bewegung haben ja auch die bestehenden Arbeiterproduktivgenossen- schaften durch den gesicherten Absatz erst ein festes Rückgrat be- kommen. Es ist nur gut, wenn die Organisation noch geschlossener wird. In dem Antrag heißt es weiter: Arbeiterproduktivgenostenschaften, die ohne diese? Ein- Verständnis gegründet werden, sind lediglich als Privatunter- nehmungen zu erachten und können keinen Anspruch auf geschäft- liche Verbindung mit den Konsumvereinen des Zentralverbandes erheben. Die Generalkommission und die zuständigen Gewerk- schaftsvorstände verpflichten sich, ihre Mitglieder darüber auf- zuklären, dass die Errichtung von industriellen Arbeitsgenossen- schaften eine grosse wirtschaftliche Gefahr für die beteiligten Ar- beiter bringen kann, und nur dann einige Aussicht auf Erfolg ge- währt, wenn alle hierfür notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind, d. h. wenn einerseits für eine fachmännische Leitung und ausreichendes Betriebskapital gesorgt und andererseits der An- schluß an den organisierten Konsum gesichert ist." Die Gewerkschaften und Genossenschaften strotzen von Be» tätigungsdrang. Sie watzen sich an Aufgaben, die dem Staat und seinen Organen schon viel Kopfzerbrechen verursacht haben, ob- schon der selbstverwaltenden Tätigkeit unter der Zwangsherrschaft des Staates nur ein enjjer Rahmen gelassen ist. Anstatt diesen Nahmen zu erweitern, sinnt die Negierung im Gegenteil auf Mittel, die Selbstverwaltung und das Prinzip der gegenseitigen Hilfeleistung immer mehr einzuschnüren ausStaatsraison". Bersagung der Rente bei selbstverschuldeter Invalidität. Der Parkarbeiter S. unternahm am 4. September 1908 einen Selbstmordversuch, indem er sich vor die Eisenbahn warf; längere Krankheit und mißliche Familienverhältnisse trieben S. zu diesem Schritt. Infolge dieses Selbstmordversuchs verlor S. den linken Unterschenkel und trug eine Verstümmelung der linken Hand davon, wodurch er vollständig erwerbsunfähig wurde. Der von ihm bei der LandeS-Versichcrungsanstalt Berlin   erhobene Anspruch auf Ge- Währung der Invalidenrente wurde abgewiesen, weil nach§ l7 des JnvalidcnversicheruiigsgesetzcS dem Versicherten ein Anspruch auf Rente nicht zusteht, ivenn die Erwerbsunfähigkeit vorsätzlich herbei- geführt worden ist. Gegen diesen Bescheid wurde Berufung bei dem Schiedsgericht für Arbciterversicherung für den Stadtlreis Berlin  eingelegt, von demselben jedoch zurückgewiesen, und zwar weil an« genommen wurde, daß S. den Selbstmordversuch im Vollbewußtsein und bei voller Verfügungsfähigkeit über seine Handlungsweise auS rein äußerlichen Gründen den Entschluß faßte, sich das Leben zu nehmen. Angenommen muß werden, daß S., indem er sich vor- sätzlich das Leben nehmen wollte, auch indirekt sich der möglichen Folgen des Eintritts der Invalidität bewußt sein mußte.(?) Die Selbstverstümmelung ist daher als vorsätzlich anzusehen. S. habe nach allgemeinen Rechtsbegriffen eine unerlaubte Handlung gegen seine eigene Person unternommen. Die Entstehung eines Rechts- anspruches ist dadurch nicht zu rechtfertigen. Mit dem Rechtsmittel der Revision wurde diese Entscheidung beim Reichs-Vcrsicherungsamt angefochten. Aber auch diese wurde zurückgewiesen, indem das Reichs-Verstcherungsamt auf eine bereit? früher ergangene Revisionsentscheidung aus dem Jahre 1899 sich stützte. In der RevisionSschrist wurde geltend gemacht, dass S. den Selbstmordversuch nicht bei vollem Bewußtsein unternahm und inS- besondere nicht die Absicht bestanden habe, Invalidität herbeizu- führen. Der Zweck des Selbstmordversuches, nicht die Folgen seien in Betracht zu ziehen. Demgegenüber erklärte das ReichS-Versiche- rungsamt, daß das Schiedsgericht in durchaus unanfechtbarer Weise festgestellt hat, daß der Kläger   die Schäden, die seine Erwerbsfähig- keit herabsetzten, durch Selbstmordversuch, den er nicht im Zustande der Willensbeschränkung begangen hat, sich selbst zuzog. Im Vorentwurf zum Deutschen   Strafgesetzbuch wird im ß 59 bestinimt:Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Wissen und Willen deS Täters liegen auch dann vor» wenn er alle zum gesetzlichen Tatbestande der strafbaren Hand- lungen gehörigen tatsächlichen Umstände als nicht unwahrscheinlich vorhanden, und soweit zu dem gesetzlichen Tatbestand ein bestimmter Erfolg gehört, diesen als nicht unwahrscheinlich eintretend ansieht." Das Reichs-Versicherungsamt hält es nicht für erforderlich, daß der Wille desjenigen, der den Selbstmordversuch unternimmt, un- mittelbar auf Herbeiführung der Erwerbsunfähigkeit sich richtet. Es genügt, daß der Vorsatz der Selbstverletzung im allgemeinen vorhanden war. In dem Standpunkt des ReichS-VersicherungSamteS liegt unseres Erachtens eine große Härte, denn der, der durch Verzweif- lung getrieben, Hand an sich legt, handelt in diesem Augenblick wohl immer in einem Zustande, wo die freie Willensbestimmung aus­geschlossen ist.__ Hm Inckurtrie und fiandd. Rührende agrarische Selbstlosigkeit. Die Einfuhr von Butter tn Deutschland unterliegt einem Zoll, während Rahm   zollfrei eingeführt werden kann. Deshalb wird in steigendem Masse aus ausländischem Rahm in Deutschland   Butter produziert. Die Agrarierpreffe nennt solche Betriebe auS reinem Nationalismus Butterzollumgehungsstätten. Dass ihnen die hohen Butterpreise entgehen, das schmerzt die Agrarier natürlich nicht, aber dass der Staat um den Zoll geprellt wird, da« macht fie tief­traurig und konzentriert ihre Aufmerksamkeit ans Abhilfe. Die Deutsche Tageszeitung" bemerkt in einer Notiz, dass der Zoll» ausfall infolge des Betriebes der Butterzollumgehungsstätten sich auf2l/z bis 3 Millionen Mark beziffern dürste". Da» trifft die Junker ins nationale Herz. Sie begnügen sich jedoch nicht mit rat- und tatenlosen Klagen, dem Staate soll geholfen werden. Aber wie? Agrarpfifstgkeit weiss den rettenden Weg zu finden. Die Zolllücke muh ausgefüllt, ein Rahmzoll eingeführt werden. Doch halt, das genügte nicht; im Interesse des Vaterlande» wird auch ein Milchzoll verlangt. Wenn die Junker das Ziel erreichen, dann ärgert sie keine Konkurrenz mehr und die Preise können noch weiter hinausgesetzt werden. Und daS ist der Zweck der Junker» Übung. Sollten wir uns darin irren, dann werden die Agrarier hoffentlich nun auch energisch da» System der Ausfuhrprämie bei der Getreideausfuhr bekämpfen. Bcstenerung des industriellen Grundbesitzes. Eine Reihe Gemeinden im rheinisch-westfälischen Industriegebiete muss weit über 109 Proz., bis zu 490Proz. Kommunalsteuerzuschlag erheben, um die Etats balanzieren zu können. Trotzdem steht e» in vielen Fällen mit den öffentlich sanitären und den Schulverhältnissen nicht gerade musterhast aus. Mit der schnellen industriellen Ent- Wickelung wachsen die Ausgaben für Schulen, Strassenbauten usw. mit solcher Plötzlichkeit und in solchem Ausmasse, dass nur durch hohe Kommunalsteuerzuschläge die dringendsten Bedürfnisse befriedigt werden können. Die industriellen Werke entziehen sich der an und für sich unzureichenden Steuerpflicht vielfach noch in erheblichem Masse, indem sie ihren Einflutz in den Gemeindeverwaltungen dazu benutzen, ihre Steuerleistung pauschalieren zu lassen. Da« geschieht selbstverständlich stets auf Kosten der Gemeinden, daS Pausch-