Einzelbild herunterladen
 

Deat((l)land und Cngland.'1 Von Karl Kautsky . Die Feier des 1. Mai ist die Feier der internationalen Soli� barität. Ter Solidarität der Proletarier aller Länder gegenüber dem gemeinsamen Feind, dem internationalen Kapitalismus . Sie ist so gleichzeitig die Feier des Krieges und des Friedens; des internationalen Klassenkampfes des Proletariats und der Ver­brüderung der Proletarier aller Länder zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens. Ueberall ist die Maifeier ein Friedensfest. Nir- gcnds hat sie es augenblicklich mehr zu sein, als in England und Deutschland , den beiden Staaten, von denen heute mehr als von andern der Friede?? der Welt abhängt; deren Rüstungen heute mehr als die anderer Staaten den Weltfrieden bedrohen. Das Proletariat hat mit dem Gegensatz zwischen England und Deutschland nichts zu tun. Es ist nur ein Gegensatz seiner Aus- beuter. Und es hat nicht das mindeste Interesse an den maritimen Rüstungen, denn kein proletarisches, kein nationales Interesse steht bei dem Gegensatz zwischen England und Deutschland auf dem Spiele. l In dem grossen Kriege zwischen Deutschland und Frankreich , der vor vierzig Jahren entbrannte, wurde die Masse des deutschen Volkes von dem Drang nach nationaler Einheit getragen; die Masse des französischen Volkes nach dem Sturze Bonapartcs von dem Drange, das Gebiet der Republik unversehrt zu erhalten, die Vergewaltigung der clsässisch-lothringischen Brüder zu verhüten. Nichts Derartiges ist bei einem Kriege zwischen England und Deutschland für eine der beiden Nationen zu befürchten. ES handelt sich dabei nur um Fragen kommerzieller Eifersucht und kolonialer Ausbeutung, nicht nationalen Gedeihens oder nationaler iUnabhängigkeit und Freiheit. Die Verfechter der Seerüstungen in Deutschland begründen sie damit, dass Deutschland zur See stark sein müsse, um seinen aus- tvärtigen Handel zu schützen, ohne den seine Industrie nicht existieren könne. Andererseits behaupten die Verteidiger der See- rüstungcn Englands, ihr Land müßte zur See übermächtig fein, weil ihm sonst im Falle eines Krieges die Lebcnsmittelzufuhr ab- geschnitten werde. Außerdem sei Deutschland ein Land politischer Unfreiheit und England laufe Gefahr, wenn es nicht zur See Sieger bleibe, von einer Invasion Deutschlands detroffen pnd seiner Freiheiten beraubt zu werden. i- Die Deutschen wie die Engländer, die so sprechen, sind beide gleich im Unrecht. Natürlich schädigt jeder Krieg Handel und In» dustrie, aber Englands Seemacht wäre nie imstande, die Grund- lagen der Handelsblüte Deutschlands zu zerstören. Sie könnte höchstens die deutsche Reederei schädigen, aber nicht einmal während des Krieges den Handel Deutschlands unterbinden, da Deutsch » land zu viele Grenzen besitzt, die für Englands Seemacht un- zugänglich sind. Die Grundlagen der Handelsblüte Deutschlands bildet aber die Ueberlegenheit seiner Industrie und diese wieder hängt ab teils von den natürlichen Hilfsmitteln Deutschlands und seiner geographischen Lage, namentlich aber von der Bildung und Arbeitsfähigkeit seiner Arbeiterschaft. Nur durch Deutschlands eigene verderbliche innere Politik könnte seine Industrie und sein Handel untergraben werden, nie durch die äußere Politik Englands, wie gewaltsam diese auch werden mag. Ebensowenig wie Deutschland von England hat aber England von Deutschland zu fürchten. Um seine Lebensmittelversorgung zu sichern, braucht Großbritannien keine Uebermacht zur See. Eine Aendcrung des geltenden Seerechts würde genügen, in der die Bestimmungen über Seebeute und Konterbande eine Fest- stellung erfahren, die Lebensmitteltransporte von der Beschlag- nähme durch die Kriegführenden ausschließt. Wenn England nur will, kann eine derartig« Gestaltung des Völkerrechts erreichen. > Davon aber, daß Deutschland ein Stück Englands an sich reißt, oder Englands Freiheiten bedroht, davon könnte selbst im Falle einer deutschen Invasion keine Rede fem. Deutschland wird nicht einmal mit seinen Polen fertig und empfindet diese als Pfahl in seinem Fleische. Die deutsche Regierung hat kein Bedürfnis nach anderen fremden Untertanen, die nur eine Quelle der Schwäche, nicht der Kraft für sie würden. Andererseits gibt es kein Land, das dank seiner insularen Lage so sehr ein unzerreißbares Ganzes bildet, wie England. Seit den Tagen der römischen Cäsaren ist bei allen Wechselfällen des Krieges nie ein Stück Englands in fremdem Besitz gewesen. Großbritannien kann man nur ganz oder gar nicht besitzen. Die Freiheiten eines selbständigen Volkes durch äußere Ge- Walt anzutasten, ist aber im 20. Jahrhundert nicht mehr möglich. Es ging schon vor 40 Jahren nicht mehr. Frankreich wurde von Deutschland völlig niedergeworfen, trotzdem vermochten Bismarck und Wilhelm nicht, Frankreich die Monarchie aufzuzwingen. Ge» rade der unglückliche Krieg brachte Frankreich die Freiheit, die Republik . Und heute ist die deutsche Regierung kaum noch im- stände, das eigens Volk im Zaum zu halten, das nach mehr Freiheit verlangt. Von ihr hat das englische Volk für seine Freiheit nichts zu fürchten. So wenig wie in Deutschland haben wir Sozialdemokraten daher in England irgendeine Ursache, im Interesse des Volkes kriegerische Rüstungen zu verlangen oder auch nur zu billigen. Wir Sozialdemokraten in Deutschland bekämpfen sie mit aller Macht. Unsere Arbeit würde uns aber aufs' äußerste erschwert, wenn es Sozialdemokraten in England gäbe, die für ihr Land kriegerische Rüstungcn verlangen. Wir Sozialdemokraten in Deutschland können nur dann erfolgreich die Rüstungen dcS eigenen Landes bekämpfen, wenn das gleiche in England geschieht. Gewiß sind in Deutschland wie in England die herrschenden Klassen noch stark genug, auch gegen den Willen unserer Partei Rüstungen und selbst Kriege zu unternehmen. Aber man wagt nicht leicht einen Krieg mehr ohne die begeisterte Zustimmung des Volkes und daß ein Krieg gegen England die entschiedenste Ablehnung weitester Bolkskreise in Deutschland finden würde, das sieht heute schon fest, dank der Aufklärungsarbeit der deutschen Sozialdemokratie. So ist unsere Partei heute schon eine starke Friedcnsbürg- schaft geworden, und sie wird immer mehr in diesem Sinne wirken können, wenn die englische Sozialdemokratie in gleichem Sinne wirkt. *) Dieser Artikel erscheint gleichzeitig in der Maifestnummer Ser Londoner.Justice, llnd so wollen wir hoffen, daß die Feier des 1 Mai in diesem Jahre hüben wie jenseits des Kanals allenthalben in gleichem Sinne des Weltfriedens, des Krieges gegen jeden Jingoismus und gegen jegliche kriegerischen Rüstungen eine machtvolle Demon- stration bilden wird, die den Ausbeutern und Machthabern aller Nationen die geschlossene Phalanx der Ausgebeuteten und Unter- drückten aller Nationen entgegenstellt. GmeMhatten und fflaidemonftraflon. Kein Jahr ist so geeignet, uns die Notwendigkeit und Wirksam- kcit der Massendemonstration zu erweisen, wie das Jahr 1910, in welchem Preußen unter dem Zeichen solcher Massenkund- gebungcn steht. Wer das Meisterstück der Organisation, die Kund- gcbung der 150000 im Berliner Tiergarten , wer das Wunderwerk der Disziplin, die Riesenversammlung der 180 000 in Treptow , mit eigenen Augen gesehen hat. der fühlte, daß niemand sich dem mäch- tigcn Eindruck zu entziehen vermag, den eine so gewaltige ein- heitliche Willenkundgebung auf Beteiligte und Zuschauer ausübt. Machtvoll und werbend zugleich. S o wünschten wir auch unsere Maifeier. Machtvoll, dem Gegner zeigend, welche unübersehbare und doch geschlossen und einheitlich auftretende Schar die Fordernden bilden. Und werbend, die Unentschlossenen und Schwankenden der eigenen Klasse herüberziehend und aufklärend. Im letzteren Sinne hat ja die Maifeier trotz aller Zweifel gewirkt. Gerade wer in Gewcrkschaftskämpfen erfahren ist und ihre EntWickelung seit über zwanzig Jahren verfolgt, der weiß, wie schwer es war, vor der systematischen Propagierung der Acht- stundenforderung die Masse der Gewcrkschaftöangehörigen für einen Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit zu begeistern. Damals fürchtete man in Arbeiterkreisen noch ganz allgemein, mit der Ver- kürzung der Arbeitszeit auch einen Lohnvcrlust in Kauf nehmen zu müssen, unter dem dann die Familie zu leiden hätte. Heute ist die Verkürzung der Arbeitszeit gerade eine Hauptforderung der großen Masse, und sie wird nie dringender erhoben, als gerade in den Zeiten der Krise» wo allerdings trotz aller humanitären Redensarten sich das Unternehmertum allen Arbeiterforderungen, und auch dieser, am heftigsten und erfolgreichsten widersetzt. Früher ging die Masse für Lohnforderungen mit allem Feuer, um eine Verkürzung der Arbeitszeit nur widerwillig in den Streit. Heut murrt man, wenn aus Gründen der Taktik die Forderung der Arbeitszeitverkürzung nicht mit in das Programm einer Lohn­bewegung aufgenommen ist. Und der Effekt dieser Aenderung in der Auffassung ist auch deutlich greifbar im Resultat der Kämpfe seit Einführung der Maifeier erkennbar. Es gibt keine Gewerkschaft, die seitdem nicht auf Kämpfe im Sinne der Maiidee zurückblicken kann, und er- freulicherweise auch keine, die nicht auch Erfolge nach dieser Rich- tung hin zu verzeichnen hätte. Nach 1895 überwog im Maurerberuf bespielsweise die Zahl der Orte mit elfstündiger die derjenigen mit zehnstündiger Arbeitszeit dreimal. Nach der letzten Statistik war es gerade umgekehrt. Und in einer Reihe von Großstädten ist außerdem für die Maurer der Zehnstundentag, den die Unternehmer jetzt durch ihre Aussperrung stabilisieren wollen, ein feit Jahren über- wundener Standpunkt. Die Zimmerer zählten im Jahre 1895 noch 79 Zahl- stellen mit 36,59 Prozent der Beschäftigten, die mehr als zehn Stunden täglich arbeiten mußten. 1903 arbeitete kein organisierter Zimmerer mehr über zehn Stunden. 1895 arbeiteten nur 54 von der Statistik erfaßte Zimmerer unter zehn Stunden, für 62,73 Prozent der Zimmerer galt der Zehnstundentag. 1998 war der Zehnstundentag für 56,11 Prozent der Zimmerer bereits etwas Gewesenes; 17 379 Zimmerer hatten ein kürzere Arbeitszeit Auch die Holzarbeiter haben seit 1893 ihre Arbeitszeit beständig zu verkürzen vermocht. Die Durchschnittsdauer der wöchentlichen Arbeitszeit betrug bei ihnen für das Jahr 1893 1397 1902 1996 61.5 59.3 53,3 57 Stunden. Di« Berliner Holzarbeiter konnten die Arbeitszeit in der- selben Periode von 56,5 auf 52 wöchentliche Arbeitsstunden ver­kürzen, sind also dem Achtstundentag nahe. Die Buchdrucker erzielten 1896 eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine halbe Stunde pro Tag, 1907 ein weitere Ver- kürzung von einer halben Stunde pro Woche. Das seien nur Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen. Der früher gefürchtete Lohnausfall durch die Verkürzung der Arbeitszeit ist nirgends eingetreten. Im Gegenteil. Um nur eins herauszugreifen: Ter Durchschnittslohn der Zimmerer beträgt in den Orten mit zehnstündiger Arbeitszeit 5,04 M., in den Orten mit weniger als zehnstündiger Arbeitszeit 6,06 M. Das sind allerdings auch die größeren Orte und die Orte mit umfassenderer Organisation. Die Verkürzung der Arbeitszeit hat sich zweifellos als ein Segen für den einzelnen erwiesen. Sie ist aber auch ein Segen für die Organisation. So mancher Gewerkschaftsleiter mag in der Zeit der gegenwärtigen Krise gewünscht haben, eS wäre für seinen Beruf gelungen, die Arbeitszeit noch weiter herabzusetzen als geschehen konnte. Millionen von Arbeitergroschen, die in Form von Arbeitslosenunterstützungen an die Opfer der Krise gezahlt werden mußten, konnten dann für weitere Kämpfe um die Ver- besserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen verwandt werden. Nun hat man sich gegen die Form der Maifeier gewandt, ins- besondere gegen die Feier durch ArbeitSruhe. In diesem Jahre, wo der 1. Mai auf einen Sonntag fällt und die Frage ja nicht so aktuell erscheint, läßt sich mit mehr Ruhe als sonst darüber reden. Man hat eingewandt, daß die Maifeier durch Arbeitsruhe den Unternehmern einen Vorwand geben könnte, mit Aussperrungen vorzugehen. Das kann ganz gewiß nicht geleugnet werden. Aber die gewaltige Aussperrung der 100200000 Bauarbeiter in diesem Jahre zeigt auch, daß die Unternehmer solcher Vorwände gar nicht bedürfen, wenn sie sich stark genug glauben, der Arbeiterschaft entgegentreten zu können. Solche Kämpfe sind Machtfragen. Macht- volle Arbeiterorganisationen werden auch der Maifeier in Form der Arbeitsruhe nicht aus dem Wege zu gehen brauchen. Fühlen sich andere nicht stark genug dazu, so muß daö für sie eine Mahnung sein, die Angliedcrung der Berufsangehörigen und den inneren Ausbau weiter zu betreiben, bis auch sie den Drohungen der Scharfmacher in allen Lagen mit kühler Gelassenheit zu be- gegnen vermögen. Die Propaganda einer Idee, wie sie der Pariser Kongreß von 1889 inS Proletariat der gesamten Welt warf, darf man nicht schwächen. Nein, man muß alles tun. ihre Wirkung zu steigern! Virmari'! Die Beschlüsse des Herrenhauses haben die gute Wirkung. die Parteien der Volksfeinde nur noch niehr in Ver» »v i r r u n g gebracht zu haben. Nur die Freikonser» Vati den, die geschworenen Feinde der Arbeiter, jubeln: Herrenhaus und Regierung haben ihnen den Willen getan und dem geplanten Mandatsraub zugestimmt. Für die anderen Parteien aber ist die Situation nur noch unsicherer und unbehaglicher geworden. Die Beseitigung der Drittelung nach Urwahlbczirken ist eine empörende und aufreizende Gemeinheit. Denn ein Gesetz, das die plutokratischen Wirkungen verstärkt, die lächer- lich geringe Vertretung der Arbeiterklasse mit Vernichtung be­droht. eine Wahlreform zu nennen, ist eine Provokation und Verhöhnung. die selbst das bisherige Gaukelspiel noch übertrifft.Mit der einen Hand schneidet manplutokratische Auswüchse" ab mit der anderen fügt man neue plutokratisch wirkende Bestimmungen in das Wahlrecht ein. Ein solches Vorgehen ist n i ch t natürlich, fast möchte man sagen, es ist kaum ganz ehrlich zu nennen", sagt selbst die D e u t s ch e Tageszeitung". Daß dieser freche Volksbetrug nicht einen einstimmigen Schrei der Entrüstung bei allen Par- teien auslöst, daß vielinehr eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Nationalliberalen diesem hinter- listigen Wahlrcchtsraub zustimmen werden, das ist aller- dings der schlagendste Beweis der Arbeiterfeindschaft dieser bürgerlichen Parteien. Aber der Beschluß des Herrenhauses ist glücklicherweise nicht nur volksfeindlich, er verdirbt auch dem schwarzblauen Block gründlich das Konzept. Er ist eine aus der Pistole geschossene Kriegserklärung an das Zentrum, das plötzlich wieder mit einem Fußtritt aus seiner Stellung als regierende Partei entfernt lverden soll. Ein ver- di enter Fußtritt! Denn eine Partei, die eine Volks- Partei sein will, aber das Volk verrät, wird macht- los und verächtlich und verdient keine andere Behandlung als Fußtritte von der herrschenden Kaste, deren Herrschaft ihr Verrat gefestigt hat. Das Zentrum ist jetzt auf die Gnade derer um Heydebrand angewiesen und wenn die Konservativen ihre Hand vom Zentrum abziehen, dann ist es noch um den Lohn seines Volksverrates geprellt und die Wahlreform" geht auf seine Kosten. Denn die neuen Drittelungsbestimmungen rauben nicht nur den Arbeitern ihre Vertretung, sondern ver- schlechtern auch die Position des Zentrums, namentlich im Rheinland . So kann das Zentrum nichts anderes sagen als: Unannehmbar. Unter diesem Titel schreibt die«Ger- mania": Die Wahlrechtsvorlage ist in der Fassung, wie sie heute vom Herrenhause angenommen worden ist, für die Zentrumsfraktion des Abgeordnetenhauses unannehmbar. Wir halten uns ver­pflichtet, dies sofort festzustellen und mit um so größerem Nach­druck zu betonen, als heute im Herrenbause Stimmen laut ge- worden sind, die der Erwartung beziehungsweise Hoffnung Ausdruck gaben, die ZentrumSfraklion des Abgeordnetenhauses werde sich damit zufrieden geben, das geheime Wahlrecht für die preußische LandtagSwahl erobert zu haben, und geneigt sein, als Gegen- konzession dem Antrage Schorlcmer, der die Drittelung in den UrWahlbezirken beseitigt und dafür eine nach rein-pluto- kratischen Interessen bemessene anderweitige Drittelung aufstellt, gewissermaßen mit in den Kauf zu nehmen.' Und ebenso dieKöln . Volkszeitung". die zu- nächst feststellt, daß die Ausschaltung des Zentrums erreicht sei, und dann fortfährt: »Niemals wird die Fraktion des Zentrums im Abgeordneten­hause solchen Verschlechterungen zustimmen können. In der Maximierung verschärft sie noch den plutokratischen Charakter des DreiklassenwahlrechtcS gegenüber dem Re- gierungsvorschlage. in der Drittelung sogar noch gegen- über dem bisherigen Zustand ganz ungeheuerlich, und der Kulturträgerparagraph ist zum Monstrum der Borlage geworden. Ein WahlrechtSeutwurf mit diesen wesentlichen Verschlechterungen ist für daS Zentrum unannehmbar. Die Freikonservativen und Nationalliberalen mögen sie annehmen, das Zentrum wird nicht dafür sein können. und im Lande draußen wird man seine Haltung verstehen und billigen. Darüber wird bald der L a n d e S a u S s ch u ß der preußischen ZentrumSpartei reden können, der. wie wir hören, für die allernächste Zeit einberufen werden wird. Der Ministerpräsident aber wird zeigen können, ob das Wort wahr wird. daß er das Gesetz gegen keine der großen Parteien deS Abgeordnetenhauses machen wird." Die Nationalliberalen wissen natürlich absolut nicht, was sie tun sollen, aber auch das bloße Schwanken tvird ihnen das arbeitende Volk nicht vergessen. Die neue Regelung der Drittelung ist eigentlich nationalliberale Forde- rung von Anfang an gewesen. Aber noch am 8. April er- klärte Herr Schiffer auf dem Brandenburger Parteitag: Die Abschwächung der Drittelung in den UrWahlbezirken wird für uns nicht ausreichen, unsere Zustimmung zur Vor- läge zu geben." Aber was sind Erklärungen und Entschlüsse eines Nationalliberalen. Ein Hauch berührt sie und sie sind nicht mehr. Schon drängen die rechtsstehenden Organe, die Gelegenheit zu benutzen, um den Bund mit den Kon- servativen zu schließen.Hamb . Nachr.",Rhein . Wests. Zeit." nicht nur, sondern auch derHannov. Cour." und noch nachdrücklicher dieMagd. Zeit." DieNational Zeit." ist unentschieden: Die Regelung der Drittelung... könnte der Ausgangspunkt für eine andere Mehrheitsbildung sein. Aber diese Frage wird an Wichtigkeit übertroffen durch die noch immer ungelöste der geheimen und direkten Wahl, auf der die National» liberalen und die Freisinnigen bestehen. Die Span» nung ist auch im jetzigen Stadium der Wahlrcform noch nicht ge- wichen, denn niemand wird ernsthaft glauben, daß die national- liberale Fraktion nunmehr mit Pauken und Trompeten den veränderten Gesetzentwurs begrüßt. Der zweite Teil dcS Kampfes steht erst bevor." Man kann natürlich für einen Gesetzentwurf stimmen. ohne ihn mit Pauken und Trompeten zu begrüßen, und die neue Mehrheitsbildung" lockt diese Entmannten. Auch die Nationall. Korresp." hüllt sich in Dunkel, doch hebt sie das Entgegenkommen gegen die Mittelparteien" und dieimmer- hin diskutablere Fassung", wie sie die neuen Verschlechte- rungen tauft, mit Anerkennung hervor. Die Herren möchten also gerne umfallen, aber sie trauen sich noch nicht recht. Ungewiß ist die Haltung der K o n s e r v a t i v e n. Diese Partei ist jetzt vor die Frage gestellt, ob sie den Bund mit dem Zentrum, dem sie den Sturz des verhaßten Blllow, die Branntweinliebesgabe, die Befreiung von der Erbschafts - sieuer und noch so manches andere schon verdankt und von dessen reaktionärer Enttvicklung sie noch so viel erhoffen darf, opfern soll, um den Nationalliberalen ein paar Mandate zu» zuschanzen und dem ganz gleichgültigen und unhaltbaren Herrn v. Bethmann einenErfolg" zu verschaffen. Die Kreuzztg." hüllt sich noch in diplomatisches Schweigen. Umso schärfer geht dieD. Tagesztg." in's Zeug, der die Erhaltung der reaktionären Gemeinschaft mit dem Zentrum über alles geht. Das Bündlerorgan schreibt: Durch die gestrigen Beschlüsse des Herrenhauses ist die preußische Wahlrechtsvorlage nicht nur nicht verbessert, sondern verschlechtert worden, und zwar in sachlicher wie in taktischer Hinsicht. Ihre Aussichten im Abgeordnetcnhause sind zweifellos wieder unsicherer geworden. Die Hauptfrage ist dabei zweifellos, wie sich die Konservativen nunmehr stellen wer-