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Melters JVIcldmigen aus dem Reiche. Braunschweig . Vormittags fand ein Ausflug nach dem Walde bei einer Teilnehmerzahl von LS MO 30 000 statt. Daselbst gruppierte sich die Teilnehmerzahl zu zwei Versammlungen. Die Nachmittagfeier wurde in sieben Lokalen begangen. Im Herzog- tum fanden weiter 27 Maifeierversammlungen statt. Heldra (Mansfelder Seekreis). Welche Fortschritte mit unserer ganzen Bewegung auch der Maifciergedanke gemacht hat, trat besonders in dem Mansfelder Bergrevier zutage. Sowohl die politische wie die gewerkschaftliche Bewegung haben dort nach dem großen Mansfelder Bergarbeiterstreik bekanntlich einen ge- waltigen Aufschwung genommen. In verschiedenen Ortschaften wurden denn auch diesmal Maiseiern veranstaltet. In dem großen Bergarbeiterdorfe Heldra , wo bisher überhaupt noch keine Mai- feier zustande gekommen war, hatte Genosse Ledcbour am 1. Mai die Beackerung dieses sozialistischen Neulands übernommen. Von weit her waren aus dem ganzen Gebiet die Genossen zu- sammengeströmt, so daß, als um 4 Uhr nachmittags die Ver- ammlung eröffnet wurde, Billetts für die Feier an SSM Per- onen, darunter sehr viele Frauen, abgesetzt waren. Die Redner- tribüne mußte im Freien, unmittelbar vor den geöffneten Saal- fenstern errichtet werden, um den in Saal und Garten dicht zu- samniengedrängten Leuten das Zuhören zu ermöglichen. Mit freudi- ger Zustimmung begleiteten sie die Worte des Redners, als er die Bedeutung dieses Gedenktages des internationalen, Völkerbefreien- den Sozialismus erläuterte, so daß die Maifeier auch jetzt in Heldra fest eingewurzelt ist. Saarbrücken . Die Polizei hatte den Maiumzug mit Musik durch die Stadt nach dem Rastpfuhl und Raschütte genehmigt und die Genehmigung nicht zurückgezogen, sodaß der Maiumzug vom Gewerkschaftshaus in besagter Richtung ohne Störung stattgefun- den hat. Die Polizei ließ sich auf der ganzen Strecke, weder in der Stadt noch außerhalb sehen. Die Zahl der Teilnehmer betrug 6M bis 300, für Saarabien eine glänzende Beteiligung. Bonn . Die Vormittagsversammlung in Pützchen war sehr gut besucht. Der Kandidat des Kreises, Genosse Dr. Erdmann-Köln, erntete stürmischen Beifall. Die Abendveranstaltung im Volks- hause war überfüllt. Die Darbietungen wurden durchweg sehr gut aufgenommen. Die Maifeier in Elbing litt außerordentlich unter schlechtem Wetter. Immerhin nahmen 800 Genossen als Zuhörer das Referat de? Genossen Crispien-Danzig entgegen. In Rakel a. d. Rehe wurde zur Maiversammlung ein städti- scher Platz zur Verfügung gestellt. Trotz des schlechten Wetters waren rund 700 Personen erschienen. Dagegen verbot der Distrikts- kommissar für Steinburg , einem Vorort von Rakel, das Maifcst. In Rakel selbst steht der Arbeiterschaft kein größeres Lokal zur Verfügung, deshalb mußte das Fest nach dem Vorort verlegt werden. Die Begründung hat folgenden Wortlaut:Ihrem heuti- gen, im Auftrage des Gewerkschaftskartells gestellten Antrage um polizeiliche Erlaubnis zu einem Vergnügen im Lokale des Gast- Wirts Zittlow zu Steinburg für den 1. Mai d. I. muß ich die Genehmigung versagen, weil die durch die Bewegung im Bau- gewerbe in Steinburg und Brückenkopf hervorgerufene Erregung Ruhestörungen infolge eines derartigen Vergnügens befürchten läßt und weil ferner das Lokal des Gastwirts Zittlow für Ver- anstaltung eines größeren Vergnügens unzulänglich ist." Welche polizeiliche Fürsorgel Dafür leben wir auch in der polizeilich regierten Provinz Posen ! Sie Ifialfeler im flosland. Oesterreich. Wien » 2. Mai(Privatdepesche desVorwärts)'. Der Welt- feiertag wurde in Oesterreich überall durch Straßenumzüge und Versammlungen gefeiert. In Wien war die Be. teiligung an dem Marsch ik den Prater eine außerordentlich starke. Die Züge marschierten geschlossen unter Mitnahme ihrer Fahnen und Banner. Zwischenfälle ereigneten sich nicht. Schweiz . Bern , 1. Mai. Der h eu t i g e Ta g ist in der ganzen Schweiz vollkommen ruhig verlaufen. Nur in Gens kam es zwischen der Polizei und einer Volksmenge, die von auswärts nach der Stadt zurückkehrte und von Anarchisten geführt wurde, zu einem Zusammen st. Die Menge umringte einen Gendarmerie- Posten und schlug mehrere Fensterscheiben ein. Nach einer Stunde hatte die Polizei, die drei Ruhestörer verhaftete, die Ordnung wiederhergestellt. Frankreich . Paris , 1. Mai.(Eig. Ber.) Der Gewerkschaftsverband des Seine-Departements hat die Demonstration im Bois de Boulogne , die er zuerst dem Verbot der Negierung zum Trotz in den Pariser Straßen fortsetzen wollte, in letzter Stunde ganz abgesagt. Die ungeheuren militärischen Vor- bereitungen und die drohende Sprache der Regierung Herr B r i a n d selbst hat es unter seiner Würde gefunden, die Vertreter der Gewerkschaften persönlich zu empfangen ließen keine Hoffnung mehr, daß die Absicht der Gewerk- schaften, der Kundgebung einen friedlichen Charakter zu be- wahren, durchgeführt werden könnte. Wohl hatte von der Zusage der Gewerkschaftsführer abgesehen auch der Ort und die Zeit der Kundgebung eine Bürgschaft dafür gegeben, daß die Demonstration nicht durch das Eindringen vonAvachen" ihrer Würde verlustig werde, aber Briand , der noch vor einigen Monaten den Protestzug gegen die Hin- richtung Ferrers gestattet hat, fühlt sich jetzt nur noch als starker Mann", der vor der bewundernden Bourgeoisie das Proletariat niederzuzwingen hat. Als gewissenhafte Männer konnten die Vertrauensleute der Gewerkschaften nicht anders handeln, als dem sicheren Blutbad vorzubeugen, und die heutigen Vormittagsversammlungen auf der Arbeitsbörse haben denn auch, nach einem leichtbcgreiflichen Schwanken, ihren Standpunkt verstanden. Ein Flugblatt und eine Extra- ausgäbe derHumanits" verständigten die Arbeiterschaft von der Entscheidung. Die Arbeiter wurden darauf dringend er- mahnt, das Bois zu meiden und statt dessen auf den Boule- vards spazieren zu gehen. Die Anweisung wurde in ihrem ersten Teil ziemlich befolgt. Man sah im Park Polizei und Militär verschiedener Waffengattungen in riesiger Menge, recht viele Neugierige und nur wenig Arbeiter. Dagegen war auf den Boulevards, die ihr gewöhnliches Sonntagsgedränge zeigten, von Demonstranten nichts zu bemerken. Die Mangelhaftigkeit derOrganisation war nicht zu verkennen. Die EmpörungderArbeiterschaft über diesen neuen Streich Briands ist ungeheuer. Die leichtherzige, mit herausfordernden Redensarten bewirkte Herbeiführung einer Situation, die ein schreckliches Massaker fast unausweichlich erscheinen ließ, wirft die dritte Republik tatsächlich in eine Epoche zurück, wo die Arbeiterklasse durch brutale Gewalt jeder Regung beraubt war. Wer wird sie aus diesem Zustand hinausführen? Sicher nicht derB ü r g e r B r o w n i n g". an den H e r v 6 in seiner ebenso gewissenlosen wie unbedachten Renommisterei appelliert hat. Briand hat in dieser Phrase eine elende Ausrede für sein heutiges Vorgehen gefunden und sich natürlich darum nicht gekümmert,. daß Hecvö schließlich erklärte, daß er für diesmal denBürger Browning" nicht mitspazieren führen wolle. Hervös Albernheiten entschuldigen Briand nicht rm geringsten, aber vielleicht werden sich noch mehr revolutionäre Gewerkschafter als bisher ihre Gedanken über den vorwitzigen Ratgeber machen. Auch wäre das hart- näckige Unglück, das die Maiunternehmungen der C. G. T. verfolgt, wohl geeignet, die Kritik einer Taktik und Organi- sationsmethode nahezulegen, die die Bourgeoisie anmaßender und übermütiger, die indifferenten Arbeiter noch skeptischer zu machen geeignet ist. Paris , 2. Mai. Der 1. Mai ist im allgemeinen ruhig ver- laufen. Im Bois de Boulogne zerstreute die Polizei kleinere Gruppen von Mitgliedern der Syndikate, die den Verkehr hemmten. Hierbei wurde ein Polizeibeamter verletzt; ein Demonstrant wurde verhaftet. Auch an anderen Stellen kam es zu Verhaftungen, von denen im ganzen sieben aufrecht er- halten wurden. Die Verhafteten werden sich wegen Beamtenbelei- digung zu verantworten haben. Belgien . Brüssel , 2. Mai(Privatdepesche desVorwärts)'. Die Mai- feier verlief hier unter sehr starker Beteiligung in gewohnter Weise. An dem Straßenumzug, in dem die roten Banner mit- geführt wurden und an dessen Spitze Musikkorps schritten, beteiligten sich viele Tausende; sehr stark war auch die Teilnahme der Frauen. Vor dem Volkshause hielten verschiedene Redner An- sprachen, in denen namentlich auf die große Bedeutung der bevor- stehenden Wahlen hingewiesen wurde. Ebenso fanden in allen anderen Städten Umzüge und Versammlungen statt. Besonders groß war die Manifestation der Streikenden in den Kohlen- bezirken. Ueberall nahm die Feier einen würdigen und un- gestörten Verlauf. England. London , 2. Mai. (Privatdepesche desVorwärts".) Die Sozialdemokratische Partei , die Sozialistische Liga der anglo- konischen Kirche, die Unabhängige Arbeiterpartei, die Gewerk- schaften und die ausländischen Sozialisten Londons zogen heute mit Musik und etwa lOOFahnen von Charing Croß durch Trafalgar Square , Pall Mall, Piccadilly nach Hyde- Park, wo 10 Wagen als Tribünen aufgestellt waren. An dem Umzug nahmen zirka 25 000 Personen teil. Unter den Fahnen fielen die drei der christlichen Sozialisten mit dem weißen Kreuz auf rotem Grunde auf. Besondere Auf- merksamkeit lenkten die zahlreichen Kinder der soziali- stischen Sonntagsschulen auf sich, zu denen mehrere Redner von der ersten Tribüne sprachen. Auf Tribüne 10 sprachen deutsche, französische, ungarische, russische, polnische und lettische Redner. Um 5 Uhr wurde auf allen Tribünen folgende Resolution verlesen und einstimmig angenommen: Wir senden brüderliche Grüße an unsere sozialistischen und gewerkschaftlichen Genossen aller Länder zum Zeichen der inter - nationalen Solidarität und wir wiederholen unseren Entschluß, für die Befreiung von der Lohnsklaverei zu kämpfen und ein kor- poratives Gemeinwesen auf Grund des Gemeinbesitzes der Pro- duktionsmittcl zu kämpfen. Als Mittel zu diesem Ziele verlangen wir: Erhaltung der Schulkinder auf Staatskosten, Organisierung der Beschäftigungs- losen, Achtstundentag, Verbesserung des Alterspensionsgesetzes, All- gemeines Wahlrecht. Abgeordnetendiäten und Wahlkosten aus staat- lichen Mitteln, Verhältniswahlen. Wir verurteilen aufs entschiedenste die lBemühungen der Jingopresse, Feindschaft zwischen dem deutschen und britischen Volke zu säen eine Feindschaft, die aus der Rivalität der kapitalistischen Klasse beider Länder entsteht und die die Arbeiter nicht berührt, da das Proletariat sowohl hier wie im Auslande um das Produkt seiner Arbeit beraubt wird. Wir versprechen, mit unseren deutschen Arbeitergenossen zusammen- zuwirken, um harmonische Beziehungen zwischen den beiden Ländern herzustellen, und wir protestieren energisch gegen die wachsenden Rüstungen in den kapitalistischen Ländern." Um 6 Uhr war das Massenmeeting zu Ende. Zwischen- fälle waren nicht zu verzeichnen. Die Polizei überließ die Aufrechterhaltung der Ordnung unseren Ordnern. Holland. Amsterdam , 1. Mai(Privatdepesche desVorwärts")'. Der Verlauf der Feier des ersten Maitages vollzog sich in hergebrachter Weise. Die Straßendemonstrationen und Feswersammlungen wiesen im ganzen Lande starke Teilnahme auf; unter der polt- tischen Stille des Augenblicks aber und der stets weiter um sich greifenden Neigung zum Reformismus hat sich die früher bei der Maifeier mehr hervortretende Wörme des erwachenden sozia» listischen FühlenS und Denkens der Massen etwas abgekühlt. In Amsterdam fand am Vorabend deS MaitageS der gebräuchliche Straßenumzug stall, unter klingendem Spiele mehrerer Musikkorps, erleuchtet von zahlreichen Fackeln, buntbelebt von Ban- nern und Inschriften, zog er durch den fünften Wahlkreis der Stadt, während Tausende sich wieder längs des Weges geschart hatten. Der eine halbe Stunde lange von 10 000 Teilnehmern ge- bildete Zug hinterließ einen starken Eindruck und nahm einen ungestörten Verlauf. Die Festversammlungen waren bis auf den letzten Platz gefüllt, sowohl die beiden der sozialdemokratischen, als auch die der freisozialistifch-anarchistifchen Arbeitern ein verlegenheitsprodM. Treffend hat so der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Rosenfeld am Montag vor der Berufungskammer des Landgerichts Berlin I die Anklage im Wahlrechts fpaziergangprozeß deSVor- w ä r t S" bezeichnet. Herr Erster Staatsanwalt Steinbrecht, der wieder die Anklage vertrat, hat dem eifrig widersprochen. Er glaubte den Verteidiger mattzusetzen durch den Hinweis, daß die Untersuchung gegen den verantwortlichen Redalteur desBor- wärts", den Genossen Barth, schon am S. März eingeleitet worden fei nicht erst nach dem 6. März, der der Sozialdemokratie den großen Erfolg brachte. Der Polizeipräsident sei aber nicht durch diesen Erfolg der Arbeiterschaft erst zur Gerichtsaktion bestimmt worden. Das stimmt, aber was der Herr Erste Staatsanwalt damit beweisen wollte, das hat er nicht bewiesen. Die Verlegenheit des Polizeipräsidiums begann nicht erst am 6. März, wenngleich sie natürlich nach dem glänzenden Gelingen der großen Demonstration angesichts des lachenden Europas am größten war. Sie begann schon, als es sich zeigte, daß sich die Arbeiterschaft Berlins durch da« unbegründete verbot und durch die Ankündigung des Polizeipräsidenten, daß er den politischen Wahlrechtöspazicrgang ge- waltsam verhindern werde, nicht einschüchtern, nicht beirren. nicht von dem Entschluß abbringen ließ, ihren Protest gegen das Wahlrechtsscheusal öffentlich kundzugeben. Damals suchte die Polizei nach einem Mittel, die weitere Ankündigung des Wahlrechtsspazierganges imVorwärts" zu verhindern. Sie fand kein anderes als eine Anklagedrohung gegen den verantwortlichen Redakteur, die ihn zwingen sollte, in den nächsten Nummern jede Erwähnung der kommenden Kundgebung zu unterdrücken. Das Mittel schlug fehl, mußte fehlschlagen, weil Genosse Barth damals ebensowenig wie heute anzuerkennen vermochte, daß die Mit- teilung, die Arbeiterschaft rüste zu einem Wahlrechtsspaziergang. eine Beranstaltung nicht genehmigter Umzüge und Versammlungen unter stetem Himmel und die Aufforderung an andere zum gleichen Verstoß gegen das Reichsvereinsgesetz sei. Und nach dem S. März wurde dann das unbrauchbare Mittel zur Unterdrückung der Kundgebung zu einem ebenso unbrauchbaren Mittel, der Polizei aus der Verlegenheit zu helfen, in die sie der Verlauf des 6. März gebracht hatte, den Eindruck zu verwischen, den ihre Ueberlistung durch das Berliner Proletariat in der Oeffentlichlett hervorrief. Es war ein unbrauchbares Mittel. Denn obgleich die Staats« anwaltschaft nun in beiden Instanzen die Verurteilung des An- geklagten durchgesetzt hat, so ist doch der Erfolg des Polizei- Präsidenten ein sehr fragwürdiger. Das, worauf es ihm weit mehr ankommen mußte, als auf die Verurteilung deSVorwärts"« Redakteurs, nämlich den Eindruck seiner Blamage zu verwischen und den Erfolg der Sozialdemokratie in der Oeffentlichkeit abzuschwächen, das ist ihm nicht gelungen. Im Gegenteil, die Sozialdemokratie kann mit großer Genugtuung auf den Prozeß blicken. Am 1. April schrieben wir in der Besprechung deS Schöffen- gerichtsprozesses: Für den Herrn Polizeipräsidenten fiel die Schale ab, für die Sozialdemokratie der Kern, für das System Jagow-Moltke-Bethmann die Verurteilung, für die Trägerm des Wahlrechtskampfes die Begründung. Und die Ver- Handlung! Die Verhandlung die Beweisaufnahme. Oder kann es eine glänzendere Anerkennung der Disziplin und der poli- tischen Schulung geben, die die Sozialdemokratie der Arbeiterschaft vermittelt hat, als diese Verhandlung I Ein packenderer Beweis für die politische Reife der deutschen Arbeiterschaft. ihrer Reife für gleiches Wahlreckt und für das Recht auf die Straße, als diese Verhandlung vor dem Schöffengericht zu Moabit l Man schaue sich diese Bekundungen von Männern an, die nicht im Lager der Sozialdemokratie stehen, die aus jenen politischen Kreisen stammen, in denen bis vor kurzem die allgemeine Meinung noch entschieden gegen Straßendemonstralionen war, die endlich durch ihren Beruf zur scharfen Beobachtung besonders ge- schult sind. Ihre präzisen Angaben über das Verhalten der Wahl- recktöspaziergänger im Tiergarten zeigen, wo die Kultur und Ge- sittung zu finden ist, die die Polizei des Herrn v. Jagow angeblich gegen die demonstrierenden Massen schützen mußte. Der Herr Polizeipräsident und die Staatsanwaltschaft haben uns zu der eidliche» Feststellung durch klassische Zeugen verholfen, daß die Wahlrechtsspaziergänger unter sich die strengste Ordnung hielten, daß sie sich sorgfältig hüteten, den Verkehr zu stören, daß Sonntagsspaziergänger, Automobile und andere Fuhrwerke stets durchgelassen wurden, daß Teilnehmer, die die Selbstbeherrschung nicht völlig bewahrten, schnell und gründlich zur Raison gebracht wurden.. Wir können dieses Urteil heute uneingeschränkt wiederhslen. Die Berufungsverhandlung bot in allem Wesentlichen dasselbe Schauspiel wie die der ersten Instanz. Freilich waren sowohl von der Anklagebehörde wie von der Verteidigung neue Zeugen geladen worden. aber sie brachten nichts Neues mehr, sie unterstrichen nur einige Stücke der Beweisausnähme von dem Schöffengericht. Die Bekundungen derTage- blatt"-Redakteure wurden bestätigt durch die Aeußerungen der Zeugen Dr. Oehlke, Dr. Heuß, Loewh und Fräulein Ruth Brö und des Reichstagsabgeordneten Gothein, und eine Reihe von Schutzleuten vermehrte die Zahl der polizeilichen Schilde- rungen des Tages. Die Polizeizeugen sahen die Ereigniffe mit anderen Augen als die Zivilisten, wie ja natürlich indes wird der Erste Staatsanwalt nicht viel Gläubige in Prrußen finden, wenn er meint, daß auf der Seite der Polizeibeamten die größte Objektivität ist. Sie find in diesem Falle Partei viel mehr Partei als die vom Angeklagten geladenen Zeugen, die sämtlich im bürgerlichen Lager» nicht in den Reihen der Sozialdemokratie stehen. Für die Ob- jektivität der Polizeizeugen spricht gerade. daß keiner von ihnen einen Kameraden mit dem Säbel hat einHauen sehen, obgleich das, wie schon die Aussage des Genoffen Stodthagen zeigt, vorgekommen ist. Unter sich sind sie uneinig darüber, ob die Schimpfworte Wider sie. wie Bluthunde, vor oder erst nach den Attacken gefallen sind, sobald aber den Aussagen, die das erstere behaupteten, etwas näher auf den Grund gegangen wurde, so zeigte sich jedesmal, daß die Leute, die derartige Rufe aus- stießen, vorher schon Objekt oder Zuschauer polizeilicher Attacken gewesen waren. Zwei der intereflantesten Zeugen der Schöffen» gerichtsverhandlung hatte die Staatsanwaltschaft diesmal nicht geladen die beiden Gendarmen, von denen der eine damals gläubig die Räubergeschichte von dem schriftlichen Parteibefehl an die Demonstranten erzählte, die Schutzleute niederzuschlagen. .Herr Steinbrecht hatte wohl eingesehen, daß die allzu naiven Aus­sagen dieser Zeugen die Position des Polizeipräsidenten nicht verbesserten. Wertvoll für die Feststellung der historischen Wahrheit über den 0. März war die Aussage eines berittenen Schutzmannes, daß der Polizeimajor Lange, der die Attacke am Großen Stern machen ließ, von weiteren ähnlichen Aktionen absah, weil er sich mit seiner Handvoll Leute ohnmächtig gegen die Zehntausende fühlte. Damit sind die krampfhaften Versuche der Polizei, die Oeffcnt- lichkeit darüber zu täuschen, daß sie durch die Verlegung der Demonstration in den Tiergarten völlig überrumpelt würde, wohl endgültig erledigt. Mit dem politischen Ertrag des Prc�esses kann also die Sozialdemokratie sehr zufrieden sein. Genosse Barth hat diesem stolzen Gefühl in seiner Schlußrede den treffendsten Ausdruck verliehen. Ein Monat Haft ist gewiß kein Pappenstiel aber die Sozialdemokratie ist daran gewöhnt, ihre Erfolge mit Opfern zu bezahlen. Schließlich steht das Urteil, wie die vortreffliche. pointierte wie politisch gleich stichfeste Verteidigungsrede des Ge- nossen Rosenfeld nachweist, auf sehr schwacher juristischer Basis. Die Richter entschieden, wie sie es für recht hielten. Sie werden sich bemüht haben, gerechte, unparteiische Richter zu sein, aber sie haben nicht verhindern können, daß ihnen unbewußt die Staats- mison das Urteil lenkte. Denn sie sind Glieder der herrrschenden Klasse und vor ihnen stand der Sozialdemokrat, der seine Tat nicht bereute, sondern sie als ein Recht verfocht und den Wahl- rechtSkampf im Gerichtssaal proklamierte. DaS Urteil ist hier wie in so vielen politischen Prozessen nicht das wichtigste. Alles andere aber außer dem Urteil hat die So- zialdemokratie in die Bücher ihrer Erfolge eingetragen und wahr wird das Wort, das der Angeklagte im Schlußwort sprach, daß dieser Prozeß fördern werde den WahlrechtSkampfl.1 poUtilcbe ücbcrficbt. Berlin , den 2. Mai 1910. Stellenvermittelung. Aus dem Reichstag . 2. Mai. Die UebelstSnde der gewerbsmäßigen Stellenvermittelung werden vor allen Dingen von den Arbeitern aller Berufszweige empfunden. Deshalb tehen die Arbefter, steht auch die sozialdemokratische Partei )er Regelung des Stellenvermittelungswescns durchaus