Entscheidungsgründe des KaufmannSgerichts gebunden zu sein undwies die Klage ab, weil für Gewerbegehilfinnen, wenn nichtsanderes vereinbart ist, nur eine 14tägige KündigunSfrist gilt, dieder Beklagte eingehalten hat.6. Ter Sattler B., beim Sattlermcistcr Richard Seemann inArbeit stehend, sollte, als er mit dem Aussetzen vom 16. April abnicht einverstanden war/ in der Werkstatt arbeiten. Tas lehnte eraber ab, weil sich die Werkstatt in eine,» Raum befand, dessen Be-Nutzung polizeilich verboten worden ist. Wegen dieser Weigerungwurde B. entlassen. Er klagte deshalb auf 54 M. Lohnentschädi»gung für die 14tägige Kündigungsfrist. Das Schiedsgericht sprachihm diese zu, weil seine Weigerung berechtigt und der Beklagtedas Arbeitsverhältnis nicht fristlos aufheben durfte.7. Gegen den Schlossermcister Magnus klagten drei Anschlägerauf Zahlung rückständiger Akkordlohnbeträge von 15,65 M., 27,63Mark und 4 M. Der Vertreter des Beklagten lehnte es im Terminab, sich auf die Klagen zu äussern! Das Schiedsgericht verurteiltedarauf den Beklagten entsprechend den Klageanträgen.Verschlechterung des Reichsversicheriingsautts.Auf die immer ungünstiger werdende Rechtsprechung desReichsversicherungsamtes haben wir schon oft hinweisenmüssen. In den„Volkswirtschaftlichen Blättern" vomLl). April 1910, Heft 8, Seite 144, zweite Spalte, befindetsich eine Notiz, die vieles erklärt. Sie lautet:„An Stelle des in den Staatsdienst zurücktretendenRegierungsrat Dr. Bartels, der jetzt im Reich sver»s i ch e r u n g s a m t t ä t i g i st, ist Regierungsrat Dr. jur.Schweighofer als Stellvertreter des Geschäftsführers desZentralverbandes deutscher Industrieller berufen worden."Es fehlte jetzt nur noch, daß Herr Alexander Tille alsRegierungsrat ins Reichsversicherungsamt berufen wird, unddie Wünsche unserer Unternehmer auf Gestaltung der sozialenRechtsprechung sind alle erfüllt.Gegen Umgehung der Sonntagsruhevorschriftcn.Dieser Tao? wandte sich das Oberverwaltungsgericht gegen denVersuch einer Umgehung der Sonntagsruhevorschriften.Ein Herr Junge in Elmshorn war im Strafverfahren von derAnklage der Uebertretung der Bestimmungen der Gewerbeordnungüber die Sonntagsruhe in Fabrikbetriebcn freigesprochen. Darauferliess die Polizciverwaltung auf Veranlassung der Gewerbeinspek-tion an ihn folgende Verfügung:„Amtliche Feststellungen haben er-geben, daß die Bestimmungen des Z 105 b Absatz I im BetriebeIhrer Oelmühle nickst beobachtet werden. Es wird ihnen daher fürden mit regelmässigen Tag- und Nachtschichten eingerichteten Be-trieb Ihrer Oelmühle die Einstellung des werktäglichen Betriebs anden Sonn, und Festtagen für die in Z 5 näher bezeichnete Zeitdaueraufgegeben. Während der sonn, und jjsttägltchcn Betriebsruhedürfen, unbeschadet der sonstigen Bestimmungen des Z 105 e Abs. 1als Arbeiten, von welchen die„Wiederaufnahme des vollen werk-täglichen Betriebes abhängig ist"(§ 105 c Ziffer 3), nur vor»genommen werden: Das Anheizen der Dampfkessel, das Wärmender Pfannen und Pressen usw. Im Falle der Zuwiderhandlungwird der Betrieb der Oelmühle an Sonn- und Festtagen unter An»Wendung unmittelbaren Zwanges polizeilich geschlossen werden."— Herr Jung focht die Verfugung vergeblich durch Beschwerde an undklagte dann gegen den Oberprasidenten im Berwaltungsstrritver-fahren. In der Verhandlung vor dem Obervcrwalwngsgerichtwurde aus dem früheren Strafverfahren als festgestellt vorgetragen:Von Sonnabendabend 7 Uhr wird mit nach und nach sich aus-schaltenden Maschinen die Arbeit eingestellt, so dah die endgültigeEinstellung am Sonntag früh um 6 Uhr erfolgt. Am Sonntagabend7 Uhr beginnt die Arbeit wieder mit allmählich einschaltendenMaschinen. Am Montag früh ist der volle Betrieb um 6 Uhr wiederaufgenommen. Gänzlich ruht der Betrieb am Sonntag von 6 Uhrfrüh bis 7 Uhr abend». Die Strafgerichte waren nun davon aus»gegangen, dag die Sonntags vorgenommenen Arbeiten unter dieAusnahmen von der 24stündigen Betriebsruhe(§ 105 b) fielen,welche§ 105 c zulasse, insbesondere unter die Arbeiten, von welchendie Wiederaufnahme des vollen werktäglichen Betriebs abhängig ist.— Die Verwaltungsbehörden waren jedoch mit Recht andererMeinung. Sie wollten als solche Ausnahmen nur ganz bestimmteArbeiten zulassen.Das Obrrverwaltungsgericht ließ sich verschiedene Gutachtender technischen Deputation für das Gewerbe erstatten. Darauf wieSes die Klage des Herrn Junge ab. Es sei untunlich, wie in derFabrik des Klägers verfahren werde, indem dort gleichsam einedreizehnte Schicht herauskomme. ES sei falsch, wenn der Klägermeine, der volle werktägliche Betrieb sei erst dann im Gange, wennalle Produkte des Betriebes zutage träten. DaS fei durchaus nichtnötig. Der entsprechenden Ausnahmebestimmung des§ 105 cZiffer 3 werde schon genügt, wenn sämtliche Maschinen gingen unddie Arbeiterschaft im wesentlichen beschäftigt sei. Dann liege schonder volle werktägliche Betrieb im Sinne des§ 105 c Ziffer 3 vor.Es sei nicht dargetan, dass hier bei Jnnehaltung der polizeilichenAuflage eine irgendwie in Betracht kommende Arbeiterschaft desBetriebes bei der Aufnahme des werktäglichen Betriebes unbeschäf.tigt bliebe. Deshalb sei die polizeiliche Verfügung, die sich imRahmen deS Gesetzes halte, gerechtfertigt.Entschädigung für Richtausstellen eines Zeugnisses.Die Verkäuferin S. war von der Schokoladenfirma GebrüderStollwerck ausgeschieden, ohne ein Zeugnis erhalten zu haben. Aufihr mehrfaches Ansuchen war ihr von der Gcschäftsvertreteringesagt worden, sie möchte sich direkt an den Chef wenden, der sich inMühlhausen aufhalte. Darauf verzichtete jedoch die Klägerin, dasie nicht mit dem Chef persönlich, sondern nur mit der Firma zutun habe und im übrigen auch den Strandpunkt vertrat, dass eSSache der Bevollmächtigten des Prinzipals fei, sich mit diesem inVerbindung zu setzen. Die Klägerin verlangte vor der 5. Kammerdes Berliner KaufmannSgerichts Ersatz eines Monatsgehalts inHöhe von 70 M. Sie führte aus, dass es ihr trotz grösster Be.mühung nicht gelang, eine Stellung zu finden. Wo sie sich auchvorstellte, überall habe man als unerlässliche Vorbedingung denBesitz eines Zeugnisse» über die letzte Tätigkeit gestellt. Dcmgegen-über betont die Vertreterin der Firma, die übrigens an Führungund Leistung der Klägerin gar nichts auszusetzen hat, dass FräuleinS. das Zeugnis jederzeit zur Verfügung gestanden, wenn sie sichnur an den Chef nach Mühlhausen gewandt hätte. Im übrigenwill die Firnia die Klageforderung bezahlen, wenn Fräulein S. denNachweis erbringt, daß sie nur durch das Fehlen des Zeugnissesstellungslos blieb.Das KaufmannSgcricht entschied, dass die Klägerin nicht nötighat, den von der Beklagten geforderten Nachweis zu erbringen, eskam vielmehr schon auf Grund des Ergebnisses der Verhandlung zueiner Berurteilung der Firma in Höhe des Klageantrages. DaSGericht nahm ohne weiteres an, dass eine junge Verkäuferin ohneTestierung über die letzte Tätigkeit keine Stellung findet. Diekaufmännischen Verbände schreiben eine solche Angestellte gar nichterst ein. Auch war es Sache der Beklagten bezw. deren Vertretung,für rechtzeitige Behändigung deS Zeugnisses Sorg« zu tragen.Den Aktionären Riescngewinne— den Arbeitern Schwindsucht.Die chemische Fabrik Griesheim-Elektron» Frank«furt a. M., hat in letzte. Zeit in der Oeffentlichkeit verschiedeneMale Aufsehen erregt. Das letztemal handelte eS sich darum, dassman in der Fürsorgeerziehungsanstalt St. Josephsstift in Klein-zimmern bei Darmstadt unter katholischer Aufsicht einen Filias-betrieb eingerichtet hatte. Die Firma selbst machte auch im ver-oangenen Jahre ein glänzendes Geschäft. Der Rcinaewinn beträgtbei 14 Millionen Mark Aktienkapital 2,8 Millionen Mark. DieHerren Aufsichtsräte und Prokuristen können 479 206 M. Tan-tiemen und Gratifikationen einstecken, im Vorjahre waren e»„nur"402 000 M. Die Herren Aktionäre erhalten wieder 14 Proz.Dividende. Ihnen gehts also trotz der wirtschaftlich ungünstigenZeit gar nicht so übel. Man mühte nun annehmen können, dassvon diesen Niesengewinnen auch die Arbeiter etwas profitieren.Nach einer Schilderung von völlig mit den Dingen vertrauter Seitegibt es in dem Merke Abteilungen, wo die Arbeiter wirklich ausserihrem niedrigen Lohn noch etwas bekommen, nämlich die Schwind-sucht. Es handelt sich um die Abteilung für Chlorfabrikation. Siewird im„Proletarier" geschildert:„Schon beim Betreten dieses Betriebes befällt den Eintreten-den ein stinkender Dunst, der zum Husten reizt und das Atmen un-gemein erschwert. Die unerträgliche Atmosphäre wird verursachtdurch das Ausströmen des Chlorgases aus den Bädern. Wir habenin der hiesigen Fabrikation 90 Chlorbäder mit 1080 Zellen, welche in24 Stunden ungefähr 3000 Kubikmeter Chlorgas liefern. Jede derZellen muss jeden Tag mehrmals mit Salz gefüllt werden, mankann sich denken/ was diese Arbeiter, die, nebenbei bemerkt, allein jugendlichem Alter stehen, in dieser heissen, mit Chlor geschwän-gelten Atmosphäre zu leiden haben. Die Salzfahrer sind diejenigenArbeiter, die oft schon nach mehrmonatlicher Arbeit durch das Ein-atmen des heissen Chlorgases der Lungenschwindsucht anheimfallenund dann unrettbar verloren sind, weil Lunge und Nieren vomChlorgas zerfressen sind."Es wird nun noch weiter geschildert, dass der Stundenlohn beizehnstündiger Arbeitszeit 32 bis 37 Pf. beträgt. Die riesige Gefahrfür die Arbeiter wird erst richtig klar, wenn beachtet wird, dasspro Arbeitsschicht 160 Zentner Chlorkaliumsalz zur Lösung ver-arbeitet wird. Das Salz läuft ununterbrochen mit Lauge vermischtin heihem Zustande aus die Filter, die so schnell ausgewaschenund entleert sein müssen, dass im Zulauf keine Störung eintritt.Es wird dann weiter geschildert, dass der größte Teil der neuein»gestellten Arbeiter den Betrieb schon nach wenigen Tagen wegen derfürchterlichen Arbeitsbedingungen verlätzt. Das Einatmen derheißen Dünste verursacht häufig Lungenbluten, von der Chlor-abteilung befinden sich fortwährend mehrere Arbeiter im Kranken-hauS und in der Lungenheilanstalt. Von der Lungenheilanstalt alsunheilbar Entlassene werden in dem Betriebe mit Hofarbeit be-schäftiyt.Die Glanzleistungen der Chemie werden zum Hohn, wenn nichtalles geschieht, um auch jede nur irgendwie mögliche Gefahr vonden dabei beschäftigten Arbeitern abzuwenden. Nach den Schilde-rungen erscheint es uns so, als wenn da noch vieles gerade bei derChlorfabrikation in der chemischen Fabrik Elektron, Griesheim,verbesserungsbedürftig sei. Es muss aufreizend wirken, wenn dieAktionäre alljährlich 14 Proz. Dividende bekommen, und die nurdadurch möglich wird, daß jahraus, jahrein so und soviele Arbeiterzur sicheren Schwindsucht verurteilt werden.Zum Gestndeunrccht.Dieser Tage wurde vor dem Kammergericht ein Prozeß ver-handelt, der wiederum zeigt, wie vorsintflutlich und ausnahm«-rechtlich die Vorschriften der Gesindeordnung sind.DaS Dienstmädchen Neumann, das bei dem Oberleutnantv. Kemnitz in Breslau in Stellung war, hatte alle 14 Tage ihrenAusgehtag. An einem dieser Sonntage sollte sie um 10 Uhr zurücksein. Sie besuchte ihre Mutter in dem Vororte Kasel. Gegen10 Uhr verschloß Herr v. Kemnitz die Tür und ließ den Schlüsselinnen stecken, so daß das Mädchen, als es noch vor?L11 Uhr kam,mit ihrem Drücker nicht öffnen konnte. Sie blieb auf der Treppeund klingelte eine Stunde lang, ohne dass ihr geöffnet wurde. Dannkam v. Kemnitz an die Tür und rief ihr zu, er lasse sie nicht Herrin,sie solle dahin gehen, wo sie hergekommen sei. Gegen 12 Uhr gingda? Mädchen fort. ES begab sich zu ihrer Mutter nach Kosel. Undzwar mußte sie den Weg zu Fuss zurücklegen. Am anderen Tage kamsie wieder und wollte den Dienst verlassen. V. Kemnitz erklärte ihrzedoch, wenn sie gehe, täte sie es auf eigene Verantwortung. Sieverließ trotzdem den Dienst. Der Leutnant v. Kemnitz stellte Straf-antrag auf Grund des Gesetzes vom 24. April 1354, betreffend dieVerletzung der Dienstpflichten deS Gesindes und der landlichenArbeiter.— DaS Landgericht in Breslau verurteilte auch die An-geklagte wegen vertragswidriger Aufgabe deS Dienstes zu einerGeldstrafe von 3 M. DaS Landgericht nahm an, dass die AuS-schliessung der Angeklagten nicht als eine ungewöhnliche und aus-schweifende Härte im Sinne des Z 137 der Gesindeordnung vom8. November 1810 angesehen werden könne. Eine Strafe von 3 M.genüge jedoch mit Rücksicht darauf, daß sie zu ihrem Handeln durchdie immerhin ungeeignete Behandlung seitens des Dienstherrn ver-anlaßt worden sei.DaS Mädchen legte Revision ein und machte geltend, da? Land-gericht habe übersehen, dass es sich um ein junges Mädchen von nurwenig mehr als 18 Jahren handele. Sie sei auch schwächlich. DerWeg. den sie nachts durch eine unsichere Gegend habe zurücklegenmüssen, um wieder zur Mutter zu kommen, betrage zwei Stunden.Eine grössere Härte sei kaum möglich als die, sie zu zwingen,übermüdet in der Nacht den Weg zu machen.Der Oberstaatsanwalt am Kammergericht„befürchtete", wie ersich ausdrückte, dah der Angeklagten wegen der tatsächlichen Fest»stellungen kaum zu helfen sein werde. Die Befürchtung traf ein.DaS Kammcrgericht verwarf die Revision des Mädchens mitfolgender Begründung: Der Revisionsrichter müsse sich Erwägungenentziehe,?, die tafi-icklicher Natur seien. Er habe nur den Rechts-Punkt zu erörtern. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Land-SerichtS wäre nun allerdings eine ungewöhnliche Härte in der Be-andlung seitens des Dienstherren zu sehen. DaS genüge abernicht, um einen Grund zum sofortigen Verlassen des Dienstes an-zunehmen. Der 8 137 der Gcsindeordnung stelle als solcken Grundhin eine Behandlung mit ungewöhnlicher und ausschweifenderHärte. Die Pchandlung müsse also einen ganz besonders schweren�.arakter haben, der nahe der Grausamkeit liege. Nun könnten jadie Meinungen darüber, wo die Grausamkeit anfange, verschiedensein. Vielleicht könnte hier eine kleine Grausamkeit an sich an«genommen werden. Aber die Vorinstanz sage in rein tatsächlichemSchluß, eS läge unter den obwaltenden Umständen keine aus-schweifende Härte vor. DaS könne der Revisionsrichter tatsächlichnicht nachprüfen und nicht seine eigenen Erwägungen an Stelle derdeS Landgerichts setzen. Ein Rechtsirrtum liege jedenfalls nicht indem landgerichtlichen Urteil. Somit scheitere die Revision an dentatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, dass eine ungewöhnlicheund ausschweifende Härte nicht vorliege.Also: Gröblichste Verletzung nach dem Dienstvertrag undnack den allgemeinen Regeln der Menschenpflicht seitens des Leutnants, aber Bestrafung des in ihren Rechten gekränkten Mädchens.weil die gegen sie verübte rohe und harte Behandlung noch nichtganz bis an die Grenzen der Grausamkeit gegangen war. Und dasnennt Preußen gerechte Gesetze und gerechte Rechtsprechung.Gemdts- Leitung.Eine Aeußerung berechtigten Unwillens— grober Unfug.Am Nachmittag deS 6. März, als sich die Berliner Schutzleuteals Verkehrshindernisse vor den Eingängen des Treptower Parksaufgepflanzt hatten und das Publikum auf den Strassen und inSchanklokalcn attackiert wurde, holten einige Schutzleute einenMann aus einer Schankwirtschaft in der Falckcnsteinstrasse. DieArt, wie der Mann von den Schutzleuten behandelt wurde, erregtedie Empörung des Publikums. Der Ruf:»Pfui, Gemeinheit I" er-schallte gleichzeitig aus vielen Kehlen. Schutzmann Rost, der ander Sistierung nicht beteiligt war, griff auS der Menge den ihmzunächst stehenden Arbeiter Tietz heraus, der auch seinem Unwillenüber die Behandlung des Sistierten durch das Wort„Gemeinheit"Ausdruck gegeben hatte. Tiey erhielt ein Strafmandat wegengroden Unfugs. Doch das Schöffengericht sprach ihn frei. In derschriftlichen Urteilsbegründung hat der Vorsitzende Richter mitunverkennbarer Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass er an derFreisprechung des Angeklagten keinen Anteil hat, sondern daß esdie Schöffe» waren, welche die Handlungsweife des Angeklagtennicht als groben Unfug ansehen konnten.Wenn schon ein in der Minderheit gebliebener Richter seinenvon der Mehrheit des Gerichts abweichenden Standpunkt in solcherWeise zum Ausdruck bringt, kann der Staatsanwalt der Frei-sprechung natürlich auch nicht ruhig zusehen. Er legte Berufungein. Infolgedessen wurde die Angelegenheit gestern vor der neuntenStrafkammer des Landgerichts l verhandelt.Daß der Angeklagte die Art der Sistierung als„Gemeinheit"bezeichnet hat, gab er ohne weiteres zu. Mehr konnte der als Zeugevernommene Schutzmann Rost in bezug auf den Angeklagten auchnicht sagen. Doch wollte er ganz bestimmt bemerkt haben, daß derAngeklagte den Ruf sehr laut ausgestoßen habe. Ein anderer Zeuge,Möbclpolierer Herrmann, der dicht neben dem Angeklagten stand,hat den Ruf nicht als besonders laut empfunden. Die Empörungdes Publikums über die Behandlung des Sistierten erklärte derZeuge dadurch, dass die Schutzleute in äußerst brutaler Weise dieSistierung bewerkstelligt hätten. Der Mann sei unter Schlägenund Püffen aus dem Lokal herausgeholt worden.Der Staatsanwalt beantragte fünf Tage Haft.Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Kurt Rosenfcld, begründeteseinen Antrag aus Freisprechung, indem er ausführte, daß die Merk-male des groben Unfugs in diesem Falle nicht gegeben seien. Dochselbst, wenn das Gericht anderer Ansicht sein sollte, würde sich dieVerhängung einer Freiheitsstrafe nicht rechtfertigen lassen.Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafevon 15 M. DaS absichtlich laute Rufen deS Wortes„Gemeinheit"in bezug auf die Schutzleute in der gegebenen Situation trage dieKennzeichen des groben Unfugs. Da der Angeklagte aber nicht zuden Leuten gehöre, welche absichtlich die Amtshandlungen der Schutz-leute gegen die Demonstranten erschwerten, so sei der Fall milde zubeurteilen.Da? also ist, selbst nach dem Urteil einer sonst recht unbefan-genen Strafkammer, die preußische Gerechtigkeit: Bist Du empörtüber das unrechtmässige Verhalten von Schutzleuten, so hüte Dich,daß kein laut gesprochenes Wort dem Gehege Deiner Zähne ent-flieht, denn sonst machst Du Dich, selbst wenn sich die Polizei nichtdurch Deine Aeußerung beleidigt fühlt, immerhin des gsoben Un«fugs schuldig.Vielleicht gelangt das Kammergericht zu einer zutreffenderenWürdigung.Wie stark da? Gericht glaubt, durch Verurteilung von Wahl-rechtsdemonftranten die„Staatsautorität" schützen zu müssen, be-weist auch der nachstehende Fall.Eine Polizeiattacke vom 6. März,die nachmittags zwischen 1 und 2 Uhr am Ringbahnhof Treptowgegen Gäste des Gartenlokals„Neues Gesellschaftshaus" ausgefiihrtwurde, brachte einem Buchdrucker Poßk eine Anklage ein. Er solltedadurch, daß er beim Anblick jener Attacke in lauten Rufen seineErregung geäussert habe, zwei Polizisten beleidigt haben, sollte durchdiese Rufe zugleich die Menge zur Begehung strafbarer Handlunge»aufgefordert haben, ohne dass die Aufforderung Erfolg hatte, undsollte schliesslich einem der beiden Polizisten durch Gewalt Wider-stand geleistet haben. Am Mittwoch stand P. vor dem Land-gerichts ll(Strafkammer 4 unter dem Vorsitz de» LandgerichtsratsBinutta). Der Angeklagte versicherte, er habe, als die Polizei indas Lokal eingedrungen war, um es zu räumen, lediglich den Gästenzugerufen:„Sitzen bleiben!" In der Anzeige gegen ihn hattenSchutzmann Wulff und Schutzmann Ditt angegeben, P. habe amAusgang des Gartens, während die Menge hinausgedrängt wurde,drohend die geballte Faust gegen die Beamten erhoben und gerufen:„Sitzen bleiben! Pfni, Satans verfluchte! Haut ihn! Nieder mitden Bluthunden!" Als Ditt ihn festnahm, habe P. sich energischvon ihm loszureißen versucht. So stands auch in der Anklage, undso beschworen es vor Gericht die beiden Schutzleute. Der Angeklagteerklärte, er erinnere sich nicht, getan zu haben, was ihm da sonstnoch zur Last gelegt werde. Er sei übrigens damals schon seitlängerer Zeit krank gewesen, habe an jenem Tage sich im Fieberbefunden und sei am anderen Tage nach dem Krankenhaus ge-gangen, wo er zur Heilung seines Leidens sich einer Operationunterzogen und bis jetzt gelegen habe. Der Staatsanwalt bean-tragte gegen P. 3 Monate Gefängnis. Der Verteidiger, Rechts-anwalt Dr. Hcincmgnn, bat, zu beachten, dass der bisherunbescholtene Angeklagte im Fieberzustand gehandelt habe. Ihn zueiner so harten Strafe zu verurteilen, werde das Gericht schon des»halb gewiss keinen Anlass sehen, weil inzwischen die Polizei selberVersammlungen unter freiem Himmel gestattet und hiermit zu-gegeben habe, daß das damalige Verbot ungerechtfertigt gewesenwar. Dem Angeklagten sei als mildernder Umstand anzurechnendie Erregung über dieses Verbot sowie über die Szenen, die er amBahnhof Treptow sich abspielen sah. Das Gericht erkannte dieMilderungsgründe an und erachtete eine Geldstrafe von 100 M.als ausreichende Sühne.Wahlrechtsdemonstrationsprozesse in Spandau.Das Schöffengericht in Spandau hatte sich am Mittwoch miteiner Anklage, welche gegen den Genossen Friedrich Seeland aufGrund der Wahlrcchtsdemonstrationen am 13. Februar und am15. März cr. erhoben war, zu beschäftigen.Am 13. Februar hatte die Polizei, nachdem die Versammlungbei Köpenick, Pichelsdorfer Strasse, zu Ende war, die Klosterstrassean der Hamburger Straße abgesperrt und verlangte von den inlosen Gruppen ankommenden Versammlungsbesuchern, dass sie dieHamburger Strasse entlang gehen sollten. Seeland, der von Pickels-darf her mir der Straßenbahn gefahren war, stieg kurz vor derHamburger Strasse ab. Er wollte, obwohl der crste�grössere Truppnoch etwa 50 Meter hinter ihm war, langsam der Stadt zu gehen,wurde hieran aber durch die Polizeibeamten behindert. Trotzdemließen die Beamten noch verschiedene andere Personen passieren, wieder als Zeuge vernommene Polizeikommissar Marx aussagte, habeer die Leute, denen man ansah, daß sie nicht an der Demonstrationbeteiligt waren, durchgelassen. Seeland wehrte sich gegen die Zu-rückHaltung und wurde schliesslich gefesselt nach der Polizeiwache ge-schafft. Im zweiten Falle soll Seeland nach der Versammlung beiBohle am 15. März wiederholt„Nieder mit Betlnnann Hollweg"gerufen haben. Hierin erblickte die Anklagebehörde grobe» Unfug.Der AmtSanwalt beantragte ohne weitere Begründung 2 WochenHaft und 3 Wochen Gefängnis. DaS Gericht erkannte auf insgesamt85 M. Geldstrafe. Als bei der Urteilsbegründung der Vorsitzende,Amtsgerichtsrat Birke, in ganz unmotivierter Weise ausführte,«es sei bekannt, baß die sozialdemokratische Partei geneigt sei, evcnt.zu Gewalttätigkeiten zu schreiten", nahmen verschiedene im Zu-Hörerraum anwesende Genossen ihre Notizbücher aus der Tasche, umsich diese amtsrichterliche Weisheit zu notieren. Da erregte sich derHerr ganz gewaltig und cr herrschte die Genossen an:„Ich verbittemir jede Notierung im Zuhörerraum." Einen anwesenden Polizei-beamten ersuchte er, aufzupassen, dass niemand Notizen mache. Erfuhr dann fort:„Ich brauche keine Kritik zu fürchten, auch vondenen da hinten nicht. ES ist eine bekannte Tatsache, daß dieSozialdemokratie zur Gewalt greift!"Die anwesenden Genossen amüsierten sich köstlich über diesenWeisheitserguß. Das Urteil zeigt, wie weltenfern die Ergründungder Wahrheit dem Richter liegt. Was lässt sich auch von einemRichter Besseres erwarten, der durch sein durchaus ungesetzlichesVerbot, Notizen zu machen, zeigt, dass ihm selbst die einfachen, zumSchutz gegen Missbrauch der Richtergewalt in der Strafprozeß-ordnung enthaltenen Vorschriften unbekannt sind.