nisch-wcstfälischen Scharfmacher. Diese Vcrireicr der Schwer- Industrie gehören eigentlich vollständig zu den F r e i k o n s e r- vativcn. Ihre politischen Tendenzen unterscheiden sich in keiner Weise von denen der Frcikonservativen und des Freiherrn von Zedlitz. Es fragt sich nur. ob der Einfluß der Kirdorf und Kon- forten auf die nationaliibcrale Partei mächtiger ist als der jener anderen industriellen Kreise, die sich im Hansabund und auch im Bunde der Industriellen zusammengefunden haben. Sticht nur der Hansabund, sondern auch der Bund der Industriellen Jjat sich ja gegen die Beschlüsse des Herrenhauses gewandt. Er hat als unbedingte Poraussetzung einer Zustimmung die direkte Wahl und die Neuein tcilung der Wahlkreise gefordert. Allerdings hat sich sofort wiederum die nicderrheinisch-westfälischc Bczirksgruppe des Hansabundcs unter Führung des Herrn Kir- d o r f und des nationallibcralen Abgeordneten Hirsch, des Syn- infus der Essener Handelskammer, gegen diese Erklärungen ge- wandt und die vom Hcrrenhause beschlossene Vergrößerung der Steuerdrittclungsbezirke bereits als eine Möglichkeit für das Zu- standekommen der Vorlage bezeichnet. Ob die Nationalliberalen wirklich dem Drängen dieser rcak- �tionären Scharfmacher nachgeben werden? Sie könnten der nationalliberalen Partei keinen schioereren S ch l a g v e r s e tz e n u n d d e m Z en tr u m k e i n e n g r ö ß e r c n Gefallen erweisen! Denn die Zentrumspresse jubelt ja geradezu über die Zerrissenheit im nationaliberalen Lager. Wären die Nationallibcralen nur einigermaßen gut beraten, so würden sie alle Verantwortung dem Zentrum und dem schwarzblaucn Wlock überlassen. Treibt das Zentrum seine Volksverrätereien so weit, die Herrenhausbcschlüffe auch nur zum Teil zu schlucken, so hätte es damit geradezu Selbstmord verübt. Bliebe aber das Zentrum fest und fiele damit die ganze diesjährige Wahl- reform ins Wasser, so wäre damit einer künftigen Wahl- reform im Lande vortrefflich vorgearbeitet. Und zwar einer Wahlreform, von der die L i b e ra l en die größten Vorteile für sich erwarten könntenl Aber überlassen wir die Entscheidung den Nationalliberalen selbst. Je mehr sich die bürgerlichen Parteien ohne Unterschied ihrer politischen Konfession als die eine AntiWahlrechts- masse entpuppen, um so besser für den proletarisch- deiiiokratischenWahlrechtskampfl Sie LnglÄvcker i» Segvpten. Aus London wird uns geschrieben: Eines der erfreulichsten 'Zeichen unserer Zeit ist das durch die russische Revolution und den rnssisch-japanischm Krieg bewirkte Erwachen, der orientalischen Völker aus dem geistigen Schlafe des Fatalis- niuS. In Persicn, Indien und selbst in China gärt und techt es, und in Aegypten scheint die freiheitliche Bewegung schon so weit fortgeschritten zu sein, daß sich nicht allein die Gebildeten, sondern auch die untere» Volksklasscn lebhaft daran beteiligen. Tie Ermordung Boutros Paschas und das Todes- urteil über seinen Mörder W a r d a n i hat die Aufmerksam- keit Europas von Neuem auf die nationalistifölsc Bewegung Aegyptens gelenkt. Kürzlich ist nun der Jahresbericht des englischen Agenten in Aegypten , des Sir E l d o n G o r st, erschienen. Dieser Bericht wird nicht der- fehlen, die Aufmerksamkeit dauernd auf die englische Gewaltherrschaft in Aegypten zu lenken. Das Schriftstück ist in einer solch gehässigen Weise abgefaßt, daß es einen großen Entrüstungssturm in Aegypten entfacht hat und daß sich die Führer der ägyptischen freiheitlichen Bewegung ent- schloffen haben, einen Appell an die Völker Europas zu rich- ten. Ein echter Bureaukrat ist dieser Sir E l d o n Gorst, der für die Bestrebungen des ägyptischen Volkes nicht das geringste Verständnis hat, der, durch die Kritik erbittert, das ganze ägyptische Volk beschimpft, die ägyptische Presse verun- glimpft. die Vertreter des ägyptischen Volkes im Legislativen Rat Schwätzer nennt und sich darüber aufhält, daß sich diese Vertreter von der Volksstimmung beeinflussen lassen. Nicht einen einzigen Freund hat das englische Regiment in Aegyp- ten: von dem durch die Einführung des modernen Kapita- lismus geschaffenen Proletariat bis zu den höchsten Schichten der ägyptischen Gesellschaft herrscht die Unzufriedenheit mit der Wirtschaft des Verwalters der europäischen Kapitalisten- cliquen. die Aegypten ausbeuten. Wie in Indien , so versuchen die englischen Bureaukraten auch in Aegypten die Krankheit zu heilen, indem sie die Symptome unterdrücken. Die Presse wird geknebelt. Als am 2. Februar des Jahres 1909 der Khedive die General Asscmbly eröffnete, petitionierte die Versammlung gleich, wie es der Legislative Rat im vorhergehenden De- zcmber getan, um eine Konstitution. Die Antwort darauf war, daß man das Preßgesetz. das von der Zeit der Okkupa- tioir 1881 bis zum Jahre 1894 bestand, wieder in Kraft fetzte und die Presse verfolgte. Zwei ägyptische Zeitungen erhielten eine Verwarnung,, eine wurde unterdrückt. Scheik S h a w i s h, der Redakteur der„L e w a", erhielt wegen eines gegen den Premierminister gerichteten Artikels drei Monate Gefängnis. Der Redakteur des unterdrückten Blattes wurde auf 12 Monate eingesperrt. Sir E l d o n G o r st schmiedet über dieses Ereignis folgenden charakteristischen Satz in feinem Bericht:„Während des Jahres 1909 wurde das Preß- gesetz, das im ersten Teil des Jahres wieder in Kraft gesetzt worden war, mit großer, vielleicht zu großer Mäßigung an- gewendet." Augenscheinlich scheint der englische Agent diese „Mäßigung" dafür verantwortlich zu machen, daß die bösen Aegyptcr iiber die paar administrativen Reförmchcn, zu denen sich die fremden Herrscher unter dem Eindruck der Ereignisse irn der Türkei und Persien entschlossen, die Nase rümpften: denn einige Absätze weiter droht er ganz in dem Tone eines verzweifelten preußischen Majors, daß er mit aller Schärfe vorgehen werde, wenn sich die Aegypter nicht besserten. Der Bericht ist übrigens nicht besser als der vom vorigen Jahre; «r deutet auf eine vernagelte und verbohrte Bureaukratenseele. Nach dem Bericht Sir Eldon Gorsts könnte es scheinen, als stehe Aegypten vor einer gewaltsamen Revolution, die alles Alte über den Haufen werfen und zu anarchischen Zu- ständen Anlaß geben würde. In der Tat dürfen wir uns nicht wundern, wenn die„Times" in nächster Zeit nicht allein von indischen, sondern auch von ägyptischen„Anarchisten" schreiben wird. Doch sehen wir uns nur einmal die Forde- rungen der Aegypter an, und wir werden erkennen, daß jelbst ein halbwegs vernünftiger Konservativer die Hauptpunkte der ägyptischen Reformatoren unterschreiben kann.. � Das Programm der„Konstitutionellen Resormliga" enthält folgende Hauptpunkte:„Die Aufrechterhaltuna der Autorität des Khedives; Vertretungskörperschaften mit voller politischer und administrativer Macht, insofern Aegypter und ägyptische Interessen allein in Betracht kommen: das allgemeine und freie BsUHwziehllngKwesea: der Wedrauch der arabischen Sprache in allen ägyptisches Regierungsschulen: Besetzung der Posten in der ägyptischen Regierung mit Eingeborenen nach Fähig- teil und Verdienst, um dadurch so viel wie möglich die Zahl der Ausländer in Regierungsdiensten zu vermindern: Aus- dchnung der Gerichtsbarkeit der gemischten Gerichtshöfe auf Kriminalfälle, in denen Ausländer verwickelt sind." Alles, was die englische Bureaukratie diesen Forderungen entgegen- halten kann, ist das fadenscheinige Argument, daß die Aegypter für die Selbstregierung noch nicht reif seien. Als wenn ein Volk anders als durch die Ausübung der Selbst- regicrung sich selbst regieren lernen könnte! Tie europäischen Kapitalisten, denen Aegypten eine Gold- grübe ist, tun sich nicht wenig daraus zugute, daß der Reichtum des Landes seit der Okkupation gewaltig zugenommen hat. Sie vergessen aber zu sagen, daß das ägyptische Volk von dieser wirtschaftlichen Entwickelung keinen Nutzen gehabt hat. Alle Reisenden, die das Land und seine Bevölkerung kennen und kein Interesse daran haben, das Werk Lord Cromers zu verherrlichen, stimmen darin überein, daß der Kapitalis- mus in Aegypten die Arbeiter mit ganz unnötiger Brutalität ausbeutet. Die Lage der arbeitenden Klasse ist eher schlim- mer als besser geworden: die Preise der Lebensmittel haben eine bisher unbekannte Höhe erreicht und die Arbeitslöhne sind nur ganz wenig gestiegen. Eine Besserung der Lage der arbeitenden Klasse Aegyptens bei den herrschenden unfreien politischen Zuständen scheint ganz ausgeschlossen. Die bürger- liche Presse Europas berichtet wenig oder nichts über die Anteilnahme des ägyptischen Volkes an der konstitutionellen Bewegung: aber ans ägyptischen Blättern ist zu entnehmen, daß das Proletariat der Städte die Bewegung des Bürger- tums— vielleicht jetzt erst nur instinktiv— energisch unterstützt. politische(lebersicbt. Berlin , den 17. Mai 1910. Ein Hcrrcnhäuslcr gegen das»Königswort". Unsere Junker im Abgeordnetenhaus und Herrenhaus haben bekanntlich den famosen Geschmack besessen, zu er- klären, daß sie das preußische Wahlrecht für absolut uicht reformbedürftig hielten und daß sie nur deshalb in eine Abänderung des Wahlrechts willigten, weil der K ö n i g durch eine Thronrede das V e r s p r e ch e n einer Wahlrcform gegeben habe. Die Junker des Dreiklassenparlaments so- wohl wie des erblich belasteten Munnenkabinetts erklärten also, daß sie ihre politische Ueberzeugung voll- ständig der Ansicht des Königs zu opfern bereit seien. Mit dieser Erklärung kamen die Braven freilich erst heraus, als sie sahen, daß die„Reform" nur die Parodie einer wirklichen Wahlreform bedeutete und den I u n- kerinteressen eher förderlich als schädlich sei. Vorher galt ihnen das Königswort nichts! Damals galt ihnen das Verspredhen der Thronrede nur als die Zu- sage Bülows, die man natürlich nicht zu respektieren brauche! Es macht sich nun sehr hübsch, daß es auch jetzt noch Hcrrenhauspolitiker gibt, die trotz der junkerlichen Bücklinge vor dem Throne und dem Versprechen der Thronrede aus das gegebene Königswort pfeifen, weil es ihnen nicht ge- fällt! So veröffentlicht die„Kreuz-Ztg." in ihrer letzten Nummer den Artikel eines Mitgliedes des Herren- Hauses, in dem es heißt: „Und alle diese Gefahren sollen wir laufen, nur, weil es dem Fürsten B ü l o w gefallen hat, im Interesse eines doch von vornherein politisch und parlamentarisch unhaltbaren Blocks dem Liberalismus diesen Wechsel auszustellen und sich dafür noch ein Allerhöchstes Akzept zu verschaffen. Nun, der Block ist dahingegangen, Fürst Bülow mit ihm, und wir sollten den Manen des Dahin- geschiedenen noch dies Opfer bringen?— Dazu fehlt es doch an jedem sachlichen Bedürfnis." Das..Königswort" ist hier auf einmal wieder zu der Unterschrift unter einem faulen Wechsel geworden, der von den..Königstreuen" deshalb noch lange nicht akzeptiert zu werden braucht!_ Der deutsche Lehrertag. Die deutsche Lehrerversammlung, die am Montagabend eröffnet wurde, ist Dienstag früh zu ihrer ersten Hauptversammlung zu- sammengetrcten. Es waren gegen 4o<X) Lehrer anwesend. Auf der Tagesordnung dieser Versammlung standen folgende Punkte: Der Deutsche Lehrerverein, seine Aufgaben und seine Ziele. Referent Oberlehrer Schubert- Augsburg. Jugendfürsorge. Re- ferent Rektor H o e h n e- Berlin. Die Tagung wurde durch den Vor- sitzenden R o e h l- Berlin eröffnet, der namentlich den Anschluß des Elsatz-lothringischen Lehrerverbandes an den Deutschen Lehrerverein feierte. Danach wurden HuldigungStelegramm« an den Kaiser und den Statthalter abgeschickt. Die Versammlung wurde vom Ministerialdirektor Dr. A l b r e ch t, vom Bürgermeister Dr. Schwander, vom Rektor der Universität und vom Vorsitzenden des OrtS- auSschusieS begrützt. Der erste Vortrag, den der bayerische Landtagsabgeordnete Oberlehrer Schubert-AugSburg über den Deutschen Lehrerverein hielt, war beherrscht von der Abwehr klerikaler Angriffe. Er gab einen Ueberblick über den geschichtlichen Werde- gang deS Vereins, der heute 120(XX) von den 160 000 Lehrern umfaßt; trotz der Bekämpfung von ultramontaner und evangelisch-orthodoxer Seite. Der Lehrerverein sei eine Arbeitsgemeinschaft, die eine Hebung der Schule, des Lehrerstandes, eine bessere Schulorgani- sation, die Schulaufsicht durch Fachmänner und die Verbesserung der Rechte und der Stellung des Lehrers anstrebt. Der Redner tvehrte dann die Angriffe ab, die gegen das Wirken des Vereins erhoben worden sind. Der Verein sei nicht religionsfeindlich, er sei weder der Sozialdemokratie, noch dem Liberalismus unter- worfen, dagegen sei er für die völlige kousessio- nelle Parität. Im Anschluß daran erörtert der Redner ausführlich den Streil der reichsländischen Regierung mit den Bischöfen von S t r a ß b u r g und M e tz, der bekanntlich deshalb entbrannt war, weil die- Bischöfe die katholischen Lehrer von dem Uebertritt zum Lehrerverein abhalten wollten. Er dankt der Re- gierung und dem Statthalter für ihre Energie. Man könne dem Lehrerverein keinen Mangel an Religiosität vorwerfen, aber die Ultramontanen und die Mucker verzeihen ihm nicht, daß in seiner Mitte die Mitglieder sich über die Konfessionen die Hand reichen. Der Redner schließt unter langem Beifall. Nach einer Pause entwickelte Rektor H o e h n e- Berlin seine Lcit- sütze zur Jugendfürsorge, die im wesentlichen die Bedeutung der Jugendfürsorge hervorheben, die al» ein« Aufgabe der Gesamt- heit, in erster Linie des Staates und der Gemeinden, und als eine notwendige Ergänzung und Förderung der pädagogischen Tätigkeit bezeichnet werden müssen. Endlich empfiehlt der Referent den Lehrern, die Durchführung der zum Schutze der Jugend erlassenen Gesetze zu fördern, ihre Erweiterung anzustreben und sich an der Arbeit der Für- sorgeorganisationen zu beteiligen. In der Diskussion wurde ein Autrag Eharlottenburg u. a. von dem Lehrer Agahd verteidigt, der eine besondere Organisation für die Jugendfürsorge verlangte. Der Antrag wurde mit einer Mehrheit von einer Stimme ab- gelehnt. Ebensowenig finden die von den sächsischen Lehrervereinen zu den Leitsätzen des Referenten eingebrachten AbänderungSanträgc, welche die pädagogische Beaufsichtigung der Jugendfürsorge be- sonders unterstreichen, Annahme. Die Leitsätze wurden unverändert angenommen. Am Mittwoch kommt die Frage der Schulleitung und S ch u l a u f s i ch t zur Verhandlung. Der frühere Gendarm Munter» seit einer Reihe von Jahren Magistratsbureauassistent in Schöncberg, ist plötzlich an einer Gallcnsteinoperation g e- storben. Gegen Munter schwebte beim Magistrat eine Disziplinaruntersuchung und gleichzeitig ein Verfahren wegen Verleitung zum Meineide. Dies Verfahren war soweit gediehen, daß die Verhaftung Müntcrs bevorstand. Der Name Munter ist weiteren Kreisen dadurch bekannt geworden, daß Miinter seinerzeit in dem Prozeß gegen d-n Bergmann Schröder und Genossen Aussagen gcmachr hat, die zu der Verurteilung Schröders und seiner Mitangeklagten zu langjährigen Zuchthausstrafen führten. Gerade in der letzten Zeit war es Schröder gelungen, das Wiederaufnahmeverfahren in diesem Meineidsprozeß durchzusetzen.— Wir halten es für selbstverständlich, daß auch der Tod Münters für das Wiederaufnahmeverfahren völlig b e l a n g l o s ist. Denn die U n g l a u b w ü r d i g k e i t des verstorbenen Munter läßt sich durch Zeugenaussagen auch jetzt noch ebenso ein» iv a n d s f r c i feststellen! Die Rcichsversicherungsordnung. Zu den Kommissiousverhandlungen über die ReichSversicherungS- ordmmg, die am 27. Mai beginnen, haben untere Genossen beantragt, den Reichskanzler um Material über folgende Punkte zu ersuchen: 1. in welchen Kreisen und Gemeinden in Preußen die Krankenversicherung durch Statut ans Landarbeiter und Hausgewerbetreibende ausgedehnt ist: 2. wie oft von der Knappschaftsberufsgenossenschaft der Anspruch des Verletzten ganz oder teilweise in solchen Fällen abgelehnt worden ist, wo der Verletzte gegen die bergpolizeilichen Vorschriften verstoßen hatte; 3. wie oft die Seebcrussgenossenschaft Seeleuten die Rente ganz oder teilweise aberkannt hat. die verunglückten, indem sie gegen die Seemannsordnung verstießen. Luch das Zentrum, die Nationalliberalen und die Konservativen haben eine Reihe Anträge gestellt, um Auskunft über verschiedene mit der Materie zusammenhängende Berechnungen zu erhalten. Die Kommissionsverhandlungen werden durch die gestellten Anträge vor- auöstchtlich keine Verzögerung erleiden. Demokratischer Parteitag. Am Montag begann in Köln der zweite Parteitag der Demo- kratischen Vereinigung unter Beteiligung von 150 Delegierten. Der tahresbericht des Geschäftsführers Dr. G l a s e r- Berlin gibt der efriedigung mit den bisherigen Erfolgen der Bewegung Ausdruck. Die Bereinigung zählt gegenwärtig 7914 Mitglieder. Geklagt wird über die Lokalschwierigkeitc» im Osten, wo die Wirte das Miliiär- verbot fürchten. Der Bericht hebt sodann die Tätigkeit der Ver- einigung in der Wahlrechtsbewegung in Preußen hervor, wo man teils selbständig, teils mit den Sozialdemokraten vorgegangen sei. An der Geburtstagsfeier Bebels habe man sich durch Ab- sendung eines Glückwunsches an den großen VollSmann beteiligt. Auch der Bericht des Kassensührers drückt sich im allgemeinen lie- friedigend aus. Sodann gab Dr. V r c i t s ch e i d einen politischen Ueberblick aus die gegenwärtige Lage. Er gedachte einleitend des Hinscheidens von Dr. Barth, das einen Verlust nicht nur für die Demokratische Ver- einigling, sondern auch für das politische Leben Deutschlands überhaupt bedeute. Bei seiner Schilderung der Bülowschen Blockpolitik verweilte der Redner mit besonderem Nachdruck. Bei den» kurzsichtigen und würdelosen Verhalten der Liberalen, die von den Konservativen, als diese sie leid waren, wie ein räudiger Hund von der Schwelle gewiesen wurden. Der jetzige Block, so reaktionär er auch sei, habe wenigstens da» eine Verdienst, daß er die Massen aufrüttele, wie sich das bei der Reichsfinanzreform gezeigt habe. Wenn die Liberalen noch etwas von wirklichem Liberalismus in sich hätten, müßten sie es als ihre Pflicht empfinden, der gegenwärtigen Regierung die fchärffte Opposition zu machen, sich an die Seite der freiheitlichen Parteien zu stellen und die Verantwortung für das weitere dem Reichskanzler und seiner blauschwarzen Schutztruppe zu überlassen. Die Geschichte der preußischen Wahlrefonn sei der Beweis vollendeter politischer Unkultur: ihr Wechsel- voller Verlauf zeige, daß eine wirksame Wahlreform nur durch das Volk gemacht werden könne. Wenn der Freisinn nicht nur in. sondern auch außer dem Parlamente seinen Mann gestanden hätte, stände es besser um die Dinge in Preußen. Die Demokratie werde die Peitsche schwingen über den Rücken der Lässigen, daß sie hinein- treten in die schärfste Opposition, in die Reihen de» um seine Rechte kämpfenden Volke«. Die Demokratische Vereinigung , die man als Störenfried im liberalen Lager hinstelle, leite ihre Existenzberech- tigung her aus der Ueberzeugung, daß von den Freisinnigen nicht da» Maß von politischer Entschiedenheit zu erwarten sei, da» die Zeit erfordere. Deshalb werde die Demokratie den Freisinn auch bei Wahlen uicht schonen, sondern ihn überall bekämpfen, wo man es für gut halte. Zu diesem Teil der Tagesordnung finden zwei Resolutionen An- nähme, wovon die eine, eingebracht von Frau Theodor Barth , der Witwe des bekannten Politikers, den um ihre Selbständigkeit kämpfenden Finnl ändern Erfolg wünscht, die andere sich zu- gunsten des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl» rechts in Staat und Gemeinde für Männer und Frauen aus- spricht, den Wahlrechtskämpfern in Preußen, Anhalt, Braunschweig und Bremen die Sympathie ausdrückt und auffordert, an denjenigen Parteien, die in diesem Kampfe versagen, bei den nächsten Reichstags- Wahlen das Strafgericht des Volkes zu vollziehen. Es folgt sodaim die Beratung des Parteiprogramms. Die demokratische Vereinigung hatte bisher kein Programm mit einzelne» bestimmten Forderungen, sondern nur kurz und allgemein gehaltene Leitsätze. Der erste Parteitag hat eine Koimnission mit den Vorarbeiten zur Schaffung eines Programms beauftragt, deren Ergebnis dem jetzigen Parteitage in Gestalt eines ausgearbeiteten Eni Wurfs vorliegt. Außerdem haben Entwürfe eingereicht die Vereine von Schöneberg -Friedenau , Breslau und Leipzig , und weiter liegt eine ganze Anzahl AbäuderungSanträge zu dem KommisstoirS- entwurf vor. Der Kommissionsentwurf, der(nach Barths Vorschlägen) ein- leitend die Grundsätze der Demokratre angibt und dann in zwölf Punkten die einzelnen Forderungen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art folgen läßt, wird von v. Gerlach in längerer Rede begründet. Die Grundlage eines demokratischen Pro- grammS sei die Feststellung der VolkSsouveränität und als Folgerung das parlamentarische Regiment; die Frage, ob Republik oder Monarchie. bittet er als nicht dringlich auszuscheiden. Er erläutert sodann die wesent- lichen Einzelsorderungen, von denen anerkannt werden muß, daß sie zu erfüllen streben, waS eine nicht sozialistische Partei zu erfüllen vermag. Es dauert geraume Zeit, bis die Generaldebatte vor lauter GcschäftSordnungSanträgen in Fluß kommt; sie ist reichlich zerfahren und wird vom Wesentlichen noch abgelenkt durch die weitläufig er- örterte Frage, ob überhaupt ein Programm erforderlich sei und ob man c« nicht bei wenigen Leilsätzen bewenden lassen solle. Siachdein 1 diese Frage zugunsten deS Programms erledigt war. begann die ' Einzelberatung, die sich bis in Vre späten Abendstunden hinzog.
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