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Holzmeier und die Bedelgratulanten in die Schranken zu treten. Erfreulicherweise hat der Korreferent in der Frage der Gchulaufsicht und Schulleitung, einer der mannhaften Hamburger Lehrer, Ge- lcgenheit genommen, ein mannhaftes Wort gegen die reaktionäre Schulleitung in Bremen zu sagen. Und es war ebenso erfreulich, daß seine scharfe Kritik den lebhaften Beifall der vieltausendköpfigen Versammlung fand. Die Lehrerversammlung ist im übrigen ohne besonders auf- regende Debatten und Ereignisse verlaufen. In der Frage der Jugendfürsorge haben die Thesen des Referenten die Zu- stimmung der Versammlung gefunden. Inwieweit die papierenen Beschlüsse Leben gewinnen werden und inwieweit die Volksschul- lehrer bei ihrem neuen Versuch praktischer Sozialreform die mannig­fachen Klippen umschiffe» werden, auf denen die bürgerliche Reformarbeit nur zu leicht Schiffbruch leidet, muß abgewartet werden. Jedenfalls scheint den Lehrern die große Bedeutung der proletarische» Organisationen für die Jugendfürsorge noch nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein, geschweige, daß sie mit ihnen Verbindung zum Zwecke geineinsamer Arbeit gesucht hätten. Auch in der Frage der Schulaufsichtuiid Schulleitung hat die vermittelnde Richtung die Mehrheit gefunden. Wohl hatte der radikale und demokratische Hamburger Paulsen, der sich schon in München beim Streit um die Weltlichkeit der Schule als wackerer Streiter für' freiheitliche Prinzipien bewährt hatte, von Anfang bis Ende seines Korreferats das Ohr der Versammlung; er trat für Demokratisierung des Schulwesens ein, für Befreiung der Lehrer» arbeit von Bureaukratie und Schablone, für maßgebende Unterweisung der Eltern und der Lehrer bei der Schulverwaltung, für Heran- ziehuug der weitesten Oeffentlichkeit bei der Schularbeit; und er fand auch eine nennenswerte Minorität für seine Thesen. Aber die Mehrheit stimmte den Forderungen des Referenten zu, die zwar eine Reihe von Verbesserungen der jetzigen unhaltbaren Zustände erstreben, aber am Wesen der heutigen autoritativen und bureaukratischen Schulorganisation nichts ändern wollen. Nicht ohne symptomatische Bedeutung war die Tatsache, daß am Begrüßungsabend, an dem es von tönenden Worten über die endlich errungene Einheit der deutschen Volksschullehrer nur so dröhnte, ein Vertreter der französischen Lehrerschaft die Grütze der französischen Kollegen überbrachte. Inmitten der patriotischen Atmosphäre und inmitten von Straßburg bedeutete diese Begrüßung ein anerkennenswertes Zeugnis der Vorurteilslosigkeit und inter« nationalen Kollegialität der französischen Lehrer. Mögen die deutschen Volksschullehrer sich daran ein Beispiel nehmen, aber auch daran, daß man in Frankreich nicht die lächerliche Rotscheu kennt, an der leider auch die deutschen Volksschullehrer kranken. In Frankreich rückt man nicht ängstlich von den sozialdemokratischen Lehrern ab, sondern sie gelten als� vollwertige Kollegen. Hoffentlich dauert es auch in Deutschland nicht allzu lange, bis der Lehrerverein nicht nur der guten Ausrede halber, sondern in Wirklichkeit eine paritätische Organisation ist, in der die sozialdemokratischen Kollegen so gut Schutz und Hilfe gegen Maßregelungen aller Art finden wie alle anderen!_ Defizit und Dreadnoughts. Aus Wien wird uns vom 19. d. Mts. geschrieben: Nun wird auch Oesterreich- Ungarn in die Reihe der Dreadnoughts"- Staaten treten. Die maritimen Rüstungen, die vorbereitet werden, und für die von den nächsten Dele- gationen einaußerordentlicher" militärischer Kredit von vier- bis fünfhundert Millionen verlangt werden wird, sind eine unmittelbare Frucht der glorreichen Annexionspolitik. Erstens hat diese den auf dem Schindanger der Welt- geschichte verkrachten Habsburgischen Imperialismus neu be- lebt und in Oesterreich einen patriotischen Koller hervor- gerufen. der die Bewilligung militärischer Ansprüche mit einer Art freudiger Genugtuung vollzieht. Während Militärforderungcn sonst dem größten Widerspruch begegnet sind und in dem Privilegienparlament nur mit Hilfe der Großgrundbesitzer durchgebracht werden konnten, ist jetzt ein, weiterhin zwar nicht erklärbarer, Reichsgedanke in Mode ge- kommen, dem zu huldigen die deutschbürgerlichen Parteien als ihre wahre Staatspflicht erachten und aus dem heraus sie für jede militärische Forderung zu haben sind. Diese Bekehrung der Deutschbürgerlichen zum Staatsgedanken" hat verschiedene Ursachen: auf der einen Seite das Emporkommen der Christlichsozialen, die das schwarz-aelbe Oesterreichertum von Natur aus präsentieren, auf der anderen diedeutsche" Schwenkung der Dynastie, die sich nach außen in dem rückhaltlosen Aufgehen in dem Bündnis mit dem Deutschen Reiche, nach innen in der Negierung Bienerth äußert, die von der deutschen Bourgeoisie zwar sehr überschätzt wird, wenn sie eine deutsche Regierung genannt wird, die sich aber den tschechischen Aspirationen gegenüber jedenfalls ungleich kühler verhält, als alle Regierungen von Taaffe an. Die österreichische Dreadnoughtsmanie steht mit der Haltung Deutschlands in der Annexionsfrage höchst wahrscheinlich auch in direktem Zusammenhange; wenn damals unwidersprochen erzählt werden konnte, daß sich Deutschland alsLohn" für seineNibelungen- treue" ausbedungen habe, daß sich Oesterreich-Ungarn mit Dreadnoughts ausstatte, die die maritime Stärke der Zentral- mächte vermehren helfen sollen, so wird daran sicherlich etwas Wahres sein, wie man auch annehmen kann, daß die Forcierung des Baues der Dreadnoughts, mit dem man vor der parlamentarischen Bewilligung beginnen will, höchst wahrscheinlich mit einem Begehren Deutschlands zusammenhängt, nicht zufällig hat man mit dem Baubeginn in Oesterreich eingesetzt, nachdem Aehrenthal in Berlin gewesen ist. Und nicht zuletzt hat der mit der Annexion betätigte Ausdehnungsdrang Oesterreichs die Reflexbewegung in Italien hervorgerufen, die zu den italienischen Dreadnoughts führte, gegen die nun die österreichifch-ungarischen gebaut werden müssen". Der österreichisch- ungarische Imperialismus ist notwendigerweise in bescheidenere Formen gebannt, aber kost- spielig ist er. wie das Exempel mit den Dreadnoughts zeigt, dennoch. Jedenfalls so kostspielig, daß die Staatswirtschaft beider Staaten den maritimen Luxus der Großmacht nicht zu ertragen vermag. Tatsächlich befinden sich die Finanzen sowohl Oester- reichS als Ungarns in der denkbar traurigsten Verfassung. Der österreichische Etat für das laufende Jahr wird unzweifel- Haft mit einem enormen Defizit abschließen, und nur um die normale Gebarung bestreiten zu können, mußte man eine An- leihe von nicht weniger als 220 Millionen Kronen auf­nehmen, wovon etwa 150 Millionen zum Ersatz der AnnexionSrüstungen dienen sollen. der Rest aber eine vulgäre Defizitanleihe ist. die nicht vermieden werden konnte, wenn der Staatsbetrieb vor schweren Stockungen behütet werden soll. Zur bloßen Bedeckung des Defizits im Staatshaushalte werden nun so etwa hundert Millionen Steuern gebraucht, und die Sanierung des HcmS- Haltes der Länder wird nicht viel weniger nötig haben. Woher aber die neuen Steuern nehmen, wo in Oesterreich schon so ziemlich alles besteuert ist,, und die Steuern nach ihrer Höhe schon regelrechte Kriegssteuern sind l Zwar liegt ein halbes Dutzend Steuervorlagen vor(Erhöhung der Brannt- weinsteuer und der Weinsteuer, Einführung einer Mineralwasser- und Syphonsteuer, Einführung des Zündhölzchenmonopols, Einführung einer Eisensteuer, Erhöhung der Pcrsonaleinkommen- und der Erbschaftssteuern), aber alles das ergibt in der Summe nicht halb so viel als erforderlich wäre, wobei die neuen drohenden Ausgaben nicht berücksichtigt sind; und alles das ist angesichts der an jedem Punkt so hart angezogenen Steuerschraube für die Entwickelung der Volkswirtschaft nicht ohne Bedenken. Und da die Regierung einer festen und tragfähigen Majorität entbehrt, ist es kein Wunder, daß die Verhandlungen im Finanzausschuß auf einen toten Punkt gelangt sind und mau heute schon entschlossen ist, die Steuerreform auf den Herbst zu verschieben. Aber der Herbst kann vielleicht schon den Zusammenbruch dieses künstlichen Systems, dieser unredlichen Fmanzwirtschast und dieser verlogenen Großmachtspolitik bringen. Womöglich noch schlimmer steht es um die Finanzen Ungarns , tvo mangels eines bewilligten Budgets die direkten Steuern nicht eingehoben werden können, und der Staat darauf angewiesen ist, was ihm freiwillig gezahlt wird. So schließt die Gebarung des vorigen Jahres mit einem Manko von 72 Millionen Kronen ab. und für dieses Jahr wird das Defizit auf 200 Millionen veranschlagt. Im vorigen Monate hat die Regierung eine Anleihe von 112 Millionen begeben, deren Erlös sie aber nicht für die Zivecke, für die sie bewilligt war. sondern für die laufende Wirtschaft verwendete. Uird da sie nicht imstande gewesen wäre, die in diesem Monate fälligen Zinsen der Staatsschulden zu bezahlen, hat sie sich dieser Tage bei dem Rotschildkonsortium 100 Millionen aufKontokorrentrechnung" ausgeborgt: fo ausgeplündert sind die Kassen, in denen der Militarismus seine gierigen Hände gehabt hat I Und in dieser Zeit schwerster wirtschaftlicher Depression wagt man, den Paria- menten mit den Dreadnouahtsforderungen zu kommen! Natür- lich wird auch hier eine derZwangslagen" konstruiert, mit denen der ebenso freche, als feige Militarismus in Oesterreich- Ungarn seine Forderungen zu erpressen sucht. Die Delegationen werden nämlich erst im November zusammentreten; aber man wartet ihre Bewilligung nicht ab, sondern hat den Bau zweier Dreadnoughts bereits auffremde Rechnung" unternommen. Um eine formale Deckung zu haben denn der Bau solcher Schiffe kann natürlich nicht verheimlicht werden, wird vorgeschwindelt. die Schiffsbaugesell- schaft in Trieft baue die Ungetüme aufeigene Rechnung" und würde sie, wenn sie der Staat mangels einer Bewilligung nicht würde übernehmen können, an irgend einen anderen Staat losschlagen. Selbstverständlich ist das nicht mehr als eine unverfrorene Gaukelei, und ganz sicher sind die Regierungen bei dieser Umgehung der verfassungs- mäßigen Anordnungen mit im Bunde, wobei sie auf die an- geborene und erworbene Feilheit der bürgerlichen Parteien spekulieren. Aber da die Zeche dieser Großmachtsorgie das Volk zahlen wird, so wird es über alle Helfershelfer auch das verdiente Urteil sprechen. polittfcke Qcbcrlicht. Berlin , den 20. Mai 1910. Es fehlt die Begeisterung! In der freisinnigenKieler Zeitung " klagt der Kieler Theologic-Professor Baum g arten darüber, daß in den Kreisen des Bürgertums auch bei den wichtigsten politischen Kämpfen leider so gar nichts von einer Begeisterung zu der- spüren sei. Er sagt unter anderem: Man ist ja nicht ganz kalt, völlig gleichgültig. Man der- folgt ja die Verhandlungen, kommt wohl auch, wenn sonst nichts los ist, kein Konzert, keine Einladung, kein Bierabend und wann ist so etwas nicht loS 1 wohl zu einer großen Versammlung mit einem Reichs- oder Landtagsabgeordneten. Aber warn» ist man durchaus nicht, so warm und hin- genommen von dem Jammer der Ration. daß man ernstliche Opfer brächte für seine Parteikasse, sich für die Verbreitung ge- snnder politischer Anschauungen durch Rede und Schrift zur Ver- fügung stellte, selbst zu öffentlichen Erklärungen drängte, weil man eben muh I Wir müssen es uns eben gestehen: so viel gute politische Einsicht und allgemeine Ucbersicht unter uns sein mag, im heiligen Müssen, Verantwortlichkeitsgefühl, Einsatz und Opfer haben uns die Arbeiter über- holt. Und doch steht so Großes auf dem Spiel! ES handelt sich in diesem Augenblick um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft eines gesunden, gemäßigten Fortschritts I Dauert diese künstliche Zurück st auung aller vorwärts drängenden Kräfte in Staat, Schule und Kirche durch eine skrupellos ihre Privi- legten ausnutzende Liga der konservativen Jntere ssen noch lange an, dann wird sich die aufgereizte Bolksleidenschaft in Eruptionen Bahn schaffen, die über unseren bürgerlichen Fortschritt hohnlachend hinwegfegen.... Ach, nur eine starke Welle politischer Begei st erung, die das laue, träge Wesen wandelte in das Feuer heiligen MüssenS zum Segen unseres Vaterlandes!" Herr Professor Baumaarten war früher nationalliberal, er scheint sich jetzt zum Freisinnigen entwickelt zu haben. Daß er seine Klage in dem freisinnigen Blatte vorträgt, be- weist, daß er auch in den Kreisen deö freisinnigen Bürgertums so schmerzlich jene Energie und jenen Enthusias- muS vermißt, durch den sich die klassenbewußte Arbeiterschaft vor der Bourgeoisie auszeichnet. Und Baumgartens Klage ist nur zu berechtigt! Denn hätte auch nur das frei- sinnige Bürgertum sich in den verflossenen Jahren mit der gleichen Leidenschaftlichkeit und Begeisterungsfähigkeit der proletarischen Wahlrechtsbewegung angeschlossen, so wäre dem Volke die Beleidigung erspart geblieben, mit einer Wahlrechtsvorlage regaliert zu werden, wie sie im Anfange dieses Jahres dem preußischen Landtage zugegangen ist l Dann wäre, da der Vorstoß des liberalen Bürgertunis auch das Zentrum zu einer entschiedeneren Stellungnahme genötigt hätte, die ganze Wahlrechtscam pagne dieses �ahres anders ausgefallen. Aber weil es dem liberalen Bürgertum so völlig an Hingabe und Begeisterung für die Volksrechte fehlte, blieb das sozialistische Pro- l e t a r i a t in seinem Freiheitskampfe völlig isoliert, war eS Zentrum und Nationalliberalen möglich, aus einem Kampf um die Rechte des Volkes ein so widerliches Intrigenspiel um die Durchsetzung spezifisch agrarischer und spezifisch großindustrieller Interessen zu machen!_ Agrarische Daumenschrauben. DieDeutsche Tageszeitung" nimmt in ihrer Nr. 229 vom 20. Mai Stellung zu den HerrenhauSbeschlüssen- Sie erklärt die Steuerdrittekung für die entscheidende Frage und konstatiert, daß die Zentrums presse sich den HerrenhauSbeschlüssen gegenüber entschieden ablehnend verhalte. Gleichwohl erklärt daS Bündlerblatt, daß die Entscheidung der konservativen Partei unsicher erscheine. DieKreuz-Zeitung " habe die größeren Drittelungsbezirkeverhältnismäßig freundlich" behandelt. Zwar werde im Jntereffe deö Mittelstandes gegen die neue Drittelung manches Bedenken zu erheben sein, denn der gesamte gewerb- liche Mittel st and bliebe trotz des Kulturträgerprivilegs schwer benachteiligt. Dann ober fährt das Agrarier- organ fort: Ob allerdings alle diese lebhaften und schweren Bedenken hinreichen, um die Gründe zu entkräften, die vom Standpunkte einer Eindänrmung des sozialdemokratischen Ein- f l u s s e s wie schließlich auch aus der gegenwärtigen politischen Situation heraus für eine Annahme der Herrenhausbeschlüsse geltend gemacht werden, daS ist eine Frage. die wir auch heute noch nicht unbedingt mit Ja oder Nein beant- Worten möchten. Nur einer hier und da in der Presse au§- gesprochenen Anschauung möchten wir doch noch anfS nachdrflck- lichste entgegentreten: daß ein Scheitern der Vorlage eine Niederlage des Reichskanzlers bedeuten würde, die ihn womöglich zum Rücktritt veranlassen könnte." Also selbst dieDeutsche Tageszeitung" droht, ihre klerikalen Verbündeten im Stiche lasse» zu wollen! Sie billigt in verschämter Weise die Preisgabe des Mittelstandes und was sie nicht erwähnt auch der Zentrumsinteressen, da die Herrenhausbeschlüsse wenigstens die Garantie böten, die Arbeiterklasse noch vollständiger als bisher zu entrechten! Auch die Auslastungen des BündlerorganS bestätigen die Aus- fastung unseres gestrigen Leitartikels. daß die Konservativen sich die Gelegenheit nicht entgehen lasten würden, daS Zentrum zu weiteren reaktionären Zugeständnissen zu nötigen!_ Hansabund und Wahlreform. Die rheinisch-westfälische Bezirksgruppe des Hansabundes hatte bekanntlich eine Resolution angenommen, in der sie den Wunsch aussprach, daß die Vorlage auf Grund der Herrenhausbeschlüsse zustande komme. Demgegen- über bringen dieMitteilungen" vom Hansabund folgende Erklärung; Wir verkennen durchaus nicht die Vorteile, welche eine Steuerdrittelung in größeren Bezirken in bezug auf die bessere Vertretung der gewerblichen Kreise bieten kann. Es darf aber gemäß den Ausführungen derMitteilungen" des Hansabundes vom 11. Mai d. I. nicht übersehen werden, daß keine Wahl- reform die W a h l r e ch t s k äm pfe beenden kann, welche nicht die direkte Wahl und eine angemessenere Einteilung der Wahlkreise oder eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten vorwiegend gewerblicher Wahlkreise ge- währt." Auch der Vorstand des nationalltberalen Vereins in Köln nahm in einer Sitzung am Donnerstag eine Resolutton an, in der an die nattonalliberale Fraktton des preußischen Abgeordnetenhauses die dringende Bitte gerichtet wird, den Beschlüssen des Herrenhauses nicht zu- zustimmen._ Die Regierung und der augenblickliche Stand der Wahlreform. Eine hiesige halboffiziöse Korrespondenz, deren Mit- teilungen sich oft als richtig erwiesen haben, weiß ausunter- richteten Kreisen" zu berichten: Wie am 27. Mai im Abgeordnetenhause bei der erneuten Beratung der Wahlvorlage die Würfel fallen werden, ist ganz ungewiß. Wie verlautet, will der Ministerpräsident selbst die An- nähme der Herrenhausbeschlüste dringend empfehlen. Wenn sich jedoch eine Mehrheit finden sollte, die die Herrenhausbeschlüste einer noch- maligen Abänderung unterwirft, so kann die Vorlage als gescheitert gelten, denn die Regierung dürfte kaum Wert darauf legen, wegen einer Vorlage, die ihre bescheidenen Wünsche ignoriert und dem Mindestmaß nicht mehr entspricht, an dem die Regierung un- bedingt festhalten muß, die Session bis in den Hochsommer aus- zudehnen. Aendert das Abgeordnetenhaus die Vorlage am 27. Mai ab, so kann erst am 18. Juni die vorgeschriebene Schluß- abstimmung im Abgeordnetenhause stattfinden und selbst wenn das Herrenhaus alsdann den neuen Beschlüssen der Zweiten Kammer beitteten sollte, müßte auch im Herrenhause wieder eine 21tägige Pause eintreten, so daß die Session vor dem IS. Juli nicht ge- schloffen werden kann. Und selbst bei allen Zeit» und Geld- opfern steht das endgültige Resultat der Vorlage auch dann noch nicht fest."_ Ter Rachezng gegen die WahlrechtSdemonstrante». Auch die Hallesche WahlrechtSjusttz greift schärfer zu. Am Frei« tag wurde vor der Strafkammer deS bekannten Landgerichtsdirektors Schubert gegen drei Opfer des IS. Februar verhandelt. Die Ler- Handlung war deswegen so weit hinausgeschoben worden, weil die drei Angeklagten schwerverletzt waren und lange Zeit im Kranken- Hause zubringen mutzten. Mehr als 50 Zeugen waren geladen, darunter von der Verteidigung, die Dr. Liebknecht- Berlin und Dr. Müller-Halle führten, 43. Die Entlastungszeugen äußerten sich höchst abfällig über die Polizeibrutalitäten vom 13. Februar. Die Polizei habe nur von hinten in die Fliehenden hineingeschlagen. Nach achtstündiger Verhandlung winden zwei der Angeklagten zu je drei Monaten zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Einer wurde freigesprochen. Gegen das Urteil soll Revision eingelegt werden. Der Bund der Industriellen und die rheinische» Scharfmacher. Der Bund der Industriellen wendet sich dagegen, daß die amt« lichenBerliner Politischen Nachrichten" die Behauptung verbreiten. die gesamte Industrie sei mit der Wahlrechtsoorlage einverstanden. ES handle sich lediglich um die rheinisch-westsälische Großindustrie. In den Kreisen des Bundes der Industriellen, der als die Vertretung der verarbeitenden und der Fcrttgindustrie an- aeschen werden müsse, herrsche die Auffassung, daß die Be- seittgung der indirekten Wahl zu fordern sei. Nach wie vor ver- ttete deshalb der überwiegende Teil der deutschen Industrie den Standpunkt, daß die geheime und direkte Wahl nach dem Vorgänge fast sämtlicher Bundesstaaten auch in Preußen einzuführen sei. Die Annahme der gegenwärtigen unklaren Borlage bedeute eine Ver- schlechterung gegen den früheren Zustand und würde einer zweck- entsprechenden Wahlreform auf Jahre hinaus die Wege verlegen. Der Bund der Judusttiellen gibt deshalb nochmals der Er« Wartung Ausdruck, daß die ihm nahestehenden Parteien d. h. vor allem die Rationalliberalen der Wahlrechtsvorlage ihre Zustimmung verweigern._____ Eine nationalliberale Erklärung gegen die Wahlrechts- vorläge. Der nattonalliberale Verein in Köln hat der nattonalliberalen Fraktion eine Erklärung zugeschickt, in welcher die dringende Bitte ausgesprochen wird, der Wahlrechtsvorlage in der Fastung de» Herrenhauses auf leinen Fall zuzustimmen.