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Die Halben und die Ganzen. Im Anschluß an den Evangelisch-sozialen Kongreß fanden Hestern abend in Chemnitz   drei von der Sozialdemokratie ein- berufene Versammlungen statt, in denen Pastor Pflüger- Zürich, Dr. Maurenbrecher- Erlangen und Paul Göhr« über das Thema:Christentum und Sozialdemo- kratie" sprachen. Alle drei Versammlungen waren überfüllt. In allen Versammlungen waren die hervorragendsten fortschritt- lichen Mitglieder des Evangelisch-sozialen Kongresses in großer Zahl erschienen. Maurenbrecher betonte nach einer scharfen Kritik der heutigen Form der offiziellen Staatskirche, in der Männer wie Traub und Liebster immer einsam bleiben würden, und die zu einem wirklichen Umbildungsprozeß längst unfähig geworden sei. den ursprünglich rein proletarischen Charakter des Christentums. Das Evangelium vom organisierten Willen zur Verantwortlichkeit gegenüber der Menschheit, zur Arbeit für die Menschheit, das sei die Sittlichkeit und Frömmigkeit des Sozialismus, die die christ- liche Frömmigkeit bisher nicht habe schaffen können. Das Priester- tum habe den Proletarierheiland zum Priesterheiland gemacht und die Religion in ein Werkzeug der Reichen umgewandelt. Darum wanderten die Massen der modernen Zeit aus der Kirche aus und ließen die Priester, die Gottheit und den Heiland der Staatskirche zurück, um den geschichtlichen Jesus der Armen und den armen Weber Paulus, die die Kirche seit zwei Jahrtausenden totgeschwiegen habe, zu retten, nicht als Gotteskindcr, sondern als Menschen von Fleisch und Blut, in denen das Feuer der Be- geisterung für eine bessere Zukunft blühe. Pastor M e n s i n g- Halle erklärte eS für einen Skandal, wenn Geistliche versuchten, durch Gründung evangelischer Arbeiter- vereine die Arbeiterverbindungen zu zersplittern. Und Pastor FuchS- Rüsselsheim versicherte, er werde niemals Zweifel darüber lassen, daß er tausendmal eher dem Sozialdemokraten seine Stimme geben werde als einem arbeiterfeindlichen Kandidaten. Weiter sprachen in der Versammlung Arbeitersekretär Fischer- Heilbronn und Pfarrer Lic. Traub- Dortmund  , der Mauren  - drecher in vielen Punkten zustimmte, aber zum Schlüsse das große Weltgeschehen und den inneren Drang des Herzens höher zu stellen aufforderte, als das rein Proletarische. Der Sozialismus allein tönne nicht das Gefühl vollen inneren Glückes geben. In ähnlicher Weise wie Dr. Maurenbrecher sprach Paul Göhre   in der zweiten Versammlung, der insbesondere alle die, die der Kirche innerlich fremd geworden seien, aufforderte. ihr den Rücken zu kehren. In der Diskussion sprachen neun Pastoren und mehrere andere Teilnehmer des Evangelisch-sozialen Kongresses, darunter Professor Gregory- Leipzig und Pastor v. Bröker- Halle. In der dritten Versammlung betonte der Prediger der evangelischen Gemeinde in Zürich  , Pastor Pflüger, die große Verwandtschaft des Urchristentums mit der Sozialdemokratie. In der ganzen Bibel finde sich niemals das Pfaffenwort vom »In den Himmel kommen", immer solledas Reich Gottes zu uns auf die Erde herunter st eigen". Mit diesem irdisch gerichteten Christentum sei der Sozialismus der heutigen Zeit eng verwandt. Er habe all die Bestandteile übernommen, die nach 2000 Jahren noch nicht veraltet seien. Pflüger zog dann eine Parallele zwischen den freien Kirchengemeinden der Schweiz  und der Unfreiheit der Geistlichen in Deutschland  , der Unfreiheit, die sich darin zeige, daß sie die empörendsten sozialen Mißstände ruhig dulden müßten, ohne wirksam dagegen auftreten zu tönnen. Er schloß mit der Erklärung, daß er als ehrlicher Mensch in Deutschland   nicht einen Tag Pfarrer sein würde. In der Diskussion wurde von N o s k e die soziale Rückständig- ?eit des Evangelisch-sozialen Kongresses scharf angegriffen. Das Lob Harnacks über die Reichsversicherungsordnung, die Begünfti- gung der evangelischen Streikbrechervereine, das Streben, den Arbeiter zu einem Pflichtbewußtsein zu erziehen, das er längst habe, und ähnliches zeigten die Tendenz des Kongresses, die Ar- deiter von dem bisherigen Wege ihres Aufstieges wegzulocken. Die Kirche habe die Arbeiterschaft in ihrem Borwärtsstreben bisher nur gehemmt und auch den« Evangelisch-sozialen Kongreß gegenüber bleibe das Wort von Marx wahr:»Die Befreiung der Arbeiterklasse könne nur das Werk der Arbeiterklasse selber sein!" In der Diskussion traten diesen Ausführungen Universitäts  - Professor Dr. W e i n e l- Jena. Oberlehrer Dr. Herz- Leipzig. Pastor Herz- Chemnitz und Pastor L i e b st e r- Leipzig sowie mehrere andere Theologen entgegen. Sie lehnten es ab, den Evangelisch-sozialen Kongreß für die Aeußerungen einzelner ver- antwortlich machen zu lassen, seien es auch Harnack   oder Professor v. Soden. Der Evangelisch-soziale Kongreß sei ein reiner Sprech- isaal, bestimmt zur freien Diskussion für alle, die unter den ge- bildeten Klassen den Sozialismus verbreiten wollten. Als zum Schluß Pastor Herz diejenigen aufforderte, die in der Religion ein tieferes Glück suchten, nun auch den wenigen einsamen, vor- wärtsdrängenden Geistlichen zur Seite zu stehen und ihnen Freiheit in der Kirche zu verschaffen, diejenigen aber, die mit der Kirche innerlich fertig seien, auszutreten, trat ihm Pastor Pflüger in jseinem Schlußwort lebhaft entgegen. Die Arbeiterschaft habe zur- zeit viel größere und viel wichtigere Jnterssen zu vertreten, als sich um die Wahl von sozialdemokratischen Kirchenräten zu lümmern. Seine Religion sei der Opfermut und die Begeisterung für den großen wirtschaftlichen und politischen Kampf zur Be- freiung der Menschheit. Den Arbeitern daneben noch ein besonderes Christentum einimpfen zu wollen, fei eine ebenso aussichtslose wie unnütze Auf» gäbe. Die Versammlungen fanden erst nach 2 Uhr nachts ihr Ende. Braunschwciger Justiz. Nachdem vor acht Tagen erst Genosse Wese meier vom BraunschweigerVolksstcund" als ein Opfer des Wahlrechts- kampfes zu der enorm hohen Strafe von 0 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, saß gestern bereits wieder ein Redakteur unseres Braunschweiger Parteiorgans auf der Anklagebank. Wegen Be­leidigung des Braunschweigischen Landtages   hatte sich Genosse Redakteur Brenner zu verantworten. Das Urteil der Straf- lammer lautete auf fünf Monate Gefängnis. Wenn die Braunschweiger Gerichte etwa glauben, daß der- artige unerhörte Urteile unsere Genossen von der weiteren Propagierung der Wahlrechtsfordenmgen abhalten werden, so be- finden sie sich in einem gewaltigen Irrtum. Diese Aktion der Justiz im Interesse der Reaktion wird vielmehr aufpeitschend auf die Ge- Nossen   wirken, mir erhöhter Kraft den, gesteckten Ziele zuzustreben und nicht zu ruhen und zu rasten, bis die Wahlrechtsforderungen erfüllt find._ Unterstützung der vom Militär entlassenen Tabakarbeiter. Die Regierung will endlich auch diejenigen Tabakarbeiter unter- stützen, die vom Militär entlassen wurden und infolge der durch daS neue Tabaksteuergesetz hervorgerufenen ProduküonSeinschränkung keine Stellung finden konnten. In diesem Sinne ist soeben folgender Erlaß ergangen: .,«» ist angeordnet worden, daß den im Herbst 190S und 4809 vom Militär entlassenen Tabakarbeitern. denen zur Zeit die Unterstützung verweigert worden ist, diese Unterstützung auf Ansuchen aus Billigkeitsgründen nachträglich gewährt wird. Dabei wird angenommen, daß diese Arbeiter bei der Wiederaufnahme ihrer alten Berufstätigkeit nach der Entlassung vom Militär zu der Erwartung berechtigt waren, daß die Be- fchäftigung eine dauernde fein werde und daß sie bereits wieder einige Zeit beschäftigt waren, bevor die Arbeitslosigkeit einge- treten ist."_ Das neue Wassergesetz in Baden. Der badischen Ersten Kammer ist soeben ein neues Wassergesetz zugegangen, das bezweckt, die großen Wasservorräte Badens mehr wie bisher zur Ausnützung dem Staate z» sichern. Es sollen die Gemeinden das Eigentum an den nicht össentlichen Gewässenr be­halten, dagegen sollen die sogenannten natürlichen Wasserstraßen dem Staate zur Nutznießung vorbehalten bleiben. frankreick. Eine Aerzte-Gewerkschaft. Paris  , 20. Mai. Dem aus etwa 150 Aerzten bestehenden nationalen Syndikat für soziale Medizin ist auf An- suchen der Zutritt zur Arbeitsbörse und damit die Auf- nähme in den Allgemeinen Arbeits-Syndikats- verband gewährt worden. Das Ansuchen, das bereits dreimal vergeblich gestellt toorden war, ist damit begründet, daß mehrere Aerzte wegen ihrer bei Arbeitsunfällen ausgestellten Zeugnisse von llnlernehmern gerichtlich belangt und verurteilt ivurden. Der Arbeitsverband fei deshalb verpflichtet, die Aerzte zu schützen. KuKlancl. Judenverfolgungen. Aus Petersburg   wird gemeldet: Die Ausweisungen jüdischer Familien aus ihren bisherigen Wohnorten nehmen in Rußland   einen immer größeren Umfang an. Neben der grau- famen Austreibung von vielen Hunderten Familien aus Kiew  , die nun wohl unabwendbar bevorsteht, lammen aus Moskau  Nachrichten über Ausweisungen von unglaublicher Herzlosigkeit. Wenn man den Familienhäuptern nichts anhaben kann, so hat man folgende unmenschliche Methode gefunden, um zum Ziele zu kommen. Unter irgend einem Vorwand weist man die Kinder der Familien aus, selbst Kinder im allerzarte st en Alter. So wurde das zweijährige Töchterchen der Hebamme Bermann ausgewiesen, weil der Mann sich auf Geschäftsreisen befand und man erklärte, daß das Kind nur während der Anwesenheit des Vaters das Wohnrecht für sich habe. Die Mutter hat als Hebamme selbständiges Wohnrecht. Aehnliche Fälle von Kinderausweisungen, wenn die Bäter vorübergehend abwesend sind, und selbst dann, wenn die Mütter als Zahn- ärztinnen oder Hebammen usw. das Wohnrecht besitzen, stehen in Moskau   auf der Tagesordnung, obwohl ein Senatsbeschluß sich in solchen Fällen gegen die Vollziehung der Ausweisung ausgesprochen hat. Durch solche Maßregeln will man selbst wohnberechtigte jüdische Familien zwingen, Moskau   zu verlassen. Ciirhei. Die Kreta  -Frage. Kanea, 20. Mai. In der Nationalversammlung entwickelte gestern der Chef der provisorischen Regierung Venizelos   das Pro­gramm der Regierung, die alle diplomatischen Mittel anwenden wolle, um an der gecnwärtigen Lage nichts zu ändern und an der Protektion der Schntzmächte festzuhalten. Die Nationalversamm- lung erteilte der Regierung ein Vertrauensvotum. Venizelos   machte dann Mitteilung von der Warnung der Konsuln, den Eid dem König der Hellenen zu leisten, und sagte, die Mitarbeit der Musel- manen in der Nationalversammlung sei unmöglich, da er von ihnen annehmen müsse, daß sie gegen den kretischen Staat handelten. Die Regierung werde ihnen aber weiter den notwendigen Schutz ge- währen, da sie die Muselmanen als Opfer der türkischen   Poletik be. trachte, ohne daß sie sich dessen bewußt seien. Nach langer Debatte wurde beschlossen, die Muselmanen zur Nationalversammlung nicht zuzulassen. Darauf vertagte sich die Versammlung auf 40 Tage. Konstantinopcl, 20. Mai. Die Auffassung der offiziellen tür» tischen Kreise über die weitere Entwicklung der Kreta  - frage geht dahin, daß die Türkei   unbedingt durch eine Aktion auf die Entschließungen der Schutzmächte einwirken müsse. Hier- für sei eine Flottendemonstration vor Kanea mit einer ettvaigen Ausschiffung von Truppen geplant. Die Türkei   wolle dadurch die Schutzmächte zu einem energischen Ein- greifen zwingen. Gefahr eines Krieges mit Griechen- land bestehe indessen nicht, solange sich die griechische Regierung von Provokationen fernhalte._ Der Aufstand in Albauie«. Saloniki, 20. Mai. Trotz der fortschreitende« Beruhigung in einzelnen Bezirken Albaniens   wird die Lage noch alS zweifelhaft bezeichnet. Nach den Angaben der Arnauten stehen noch bei Dsakova 17 000, im Gebiet von Drenitza 20000 und zwischen Prizread und Tettow noch 8000 Aufständische. Die letzteren werden von dem früheren Gendarmeriekommandanten Romadan Zossida befehligt. Alle aus Samsun   eingetroffenen acht Bataillone, von denen em Teil für die thessalische Grenze bestimmt war, gehen nach Albanien   ab. Amerika. Eine Intervention der Bereinigte» Staate«. New Aork, 20. Mai. Aus BluefieldS   in Nicaragua  tvird gemeldet, daß die amerikanischen   KreuzerDubuque  " undPaducah  " Marinesoldaten gelandet haben. um die amerikanischen   Interessen zu schützen und einen Kampf im Weichbilde der Stadt zu verhindern. Klus der Partei. Der Parteitag der deutschen   Sozialdemokratte findet vom 18. bis 24. September in Magdeburg   statt. Die römische Parteisektion gegen daS ministerielle Votum. Die römische Parteisektion hat eine Tagesordnung gegen das Votum der Parlamentsfraktion angenonnnen. Sie wendet sich auch gegen denAvanti", den sie der Intoleranz und der Haltlosigkeit bezichtigt. Sie fordert schließlich die schleunige Einberufung des Parteitages. Ob mit dieser Forderung dem nichtrefornnstischen Flügel wirklich gedient wäre, steht übrigens dahin. Uns scheint, daß die Jntransigenten noch weniger für den Parteitag vorbereitet sind wie die Reformisten.  _ polizeiliche»,©trichtlkhe» ulw. Bier Prozesse an einem Tage hat unser BreSlauer Parteiblatt wieder einmal zu verzeichnen. Genosse Darf wurde zu zwei Monaten Gefängnis ver- urteilt wegen der Kritik eines Urteils der Strafkammer in Hohen- falza, die wegen eines Jungenstreichs zwei zwölfjährige Polen­kinder zu einem Jahre bezw. einem Jahr und einer Woche Ge- fängnis verurteilt hatte. Genosse Schiller   erhielt 75 M. Geld- strafe. Er soll den Fürsten von Pleß. Han« Heinrich XV. dadurch erneut beleidigt haben, daß in einem Prozeßbericht die inkriminierten Artikel noch einmal abgedruckt wurden. In zwei früheren, gleich- liegenden Fällen waren die Redakteure freigesprochen worden. Wegen angeblicher Beleidigung eine» katholiichen Pfarrers wurde dann Genosse Schiller   zu 100 M. und Genosse D a r f zu 30 M. Geldstrafe verurteilt. Unter Anklage standen hier zwei Artikel, die wüste Schimpfereien des Pfarrers auf die Sozialdemokratie ins rechte Licht setzten._ Gegen die Schwindclkassen. Eine derbe Abfuhr holte sich vor dem Schöffengericht in Karlsruhe   ein gewisser Grimm, Vertreter der HilsskasseGer- mania", von dem unser Karlsruher   Parteiorgan behauptet hatte, daß er schwindelhafte Manöver zuungunsten der Mitglieder der Kasse vorgenommen habe. Der also Gekennzeichnete glaubte seine arg zerzauste Ehre durch eine Klage gegen den verantwortlichen Redakteur, Genoffen W e i ß m a» n, reparieren zu können, erlebte damit aber einen gründlichen Reinfall. Nach fast siebenstündiger Dauer der Verhandlung sprach das Gericht den Genossen Weiß mann frei und legte dem P r i v a t k l ä g e r d i e K o st e n a n f. In der Be- gründung des Urteils wird hervorgehoben, daß der Beweis für den in dem Artikel hervorgehobenen Vorwurf der Untreue und der Verwendung eines großen Teils der Einnahme im eigenen Interesse voll und ganz gelungen fei. Der Vorwurf der Untreue fei auch er- wiesen durch die Tatsache, daß Grimm mit Kassenmitteln sich Stempel zu Privatzwecken habe anfertigen lassen. Darin liege eine st r a f b a r e Handlung GrimmS. ES sei festgestellt, daß Grimm wiederholt die Kassengelder ihrem eigentlichen Zweck entzogen und für sich verwendet h a t. Auch hierin liege auf feiten GrimmS eine st rafbare Untreue vor. Das Gericht sah zwar eine Be- leidigung als vorliegend an, billigte dein Angeklagten aber den Schutz des§ 193 zu. Der Privatbcklagte habe mit dem Artikel vor den Schwiudelkassen warnen wollen. Das Gericht habe die Frage, ob der Redakteur in diesem Falle fremde Interessen in berechtigter Weise gewahrt habe, bejaht. Hier habe eL sich um Wahrung be­rechtigter öffentlicher Interessen gehandelt, die nur von der Presse gewahrt werden können. Aus all diesen Gründen war der Beklagte freizusprechen. ES wäre zu wünschen, daß stet? in so objektiver Weise daS Recht der Preffe beurteilt wird, im Interesse der Allgemeinheit öffentliche Mißstände zu rügen. Leider aber neigt daS Reichsgericht noch immer der Ansicht zu, daß eS für die Presse kein allgemeines Recht der Vertretung öffentlicher Interessen gebe, und spricht daher der Presse den Schutz des 8 103 ab. Soziales. Ungültige Polizeiverordnung. 5|n den Borschriften über die Art der Veröffentlichung von Orts« Polizeiverordnungen, die der Regierungspräsident zu Köln   gemäß dem 8 5 des PolizeiverwaltungsgesetzcS erlassen hat. ist bestimmt, daß Verordnungen erst gültig seien, wenn sie binnen 14 Tagen am Gemeindehaus öffentlich ausgehängt werden. Die Bürgermeisterei Willich   hatte nun eine Polizeiverordnung vom 18. August im Haus- flur deS Gemeindehauses anschlagen lassen. Der Hausflur ist während der Bureaustunden jedermann zugänglich und wird auch in der Dunkelheit beleuchtet. Das Landgericht in Bonn   hielt den Aushang der Verordnung im Hausflur für einen solchen, der nach der Ver- fügung deS Regierungspräsidenten genüge, erklärte die Verordnung für gültig und verurteilte einige Leute<Wierig und Genossen! wegen Uebertretung der Verordnung.   Das Kammergericht hob daS Urteil auf und sprach die Angeklagten frei. ES führte aus: Die Gültigkeit der Verordnung der Ortspolizeibehörde hänge ab von der Befolgung der Vorschriften deS Regierungspräsidenten  . Diese seien aber nicht befolgt, denn das Landgericht gehe fehl, wenn es den Aushang im Gemeindehanfe sHausflur) gleichstelle einem Aushang am Gemeindehause, wie ihn der Regierungspräsident ver- lange. Rein grammatikalisch sei ohne weiteres klar, daß beides etwas Verschiedenes sei. Ein Aushang am Hause sei eben ein Au«- hang, der außen am Hause erfolge. Demnach genügte der Aus- hang im Hansflur nicht. Die Verordnung der Bürgermeisterei sei darum ungültig._ Miete und Einkommen. DoS Statistische Amt der Stadt Breslau   hat im Jahre 1880 und 1900 Untersuchungen über das Verhältnis von Miete und Ein- kommen veranstaltet, deren Ergebnisse im 28. Band, l. Heft der BreSlauer Statistik vergleichsweise nebeneinander gestellt werden. ES zeigt sich da folgende EntWickelung: Durchschn. Miete Miete in Proz. Einkommenklasse M. bis 420 420 600 600 900 900 1200 1200 1500 1800 2400 8000 3600 4800 6000 12000-15000 1800024000 30000-36000 48000-60000 über 60000 1880 M. 110 187 180 218 264 400 665 979 1434 1978 2310 1860 2050 1000 M. 105 151 177 211 269 423 667 801 1184 1615 1824 2270 2586 des Einkommens 1880 28,9 25,6 21,6 21,0 19,9 19,1 19,8 18,3 18,7 8.4 6,9 8,6 3,4 1900 81,8 26,7 22,4 20,0 20,0 20,1 16,9 14,6 11,8 7,8 5,6 4,5 2.« Zu« oder Ab- nähme 1880-1900 2.9 1.1 0.9 - 1.0 -i-O.l + 1,0 - 2,9 3,7 2.4 0,6 1,4 + 0.9 - 0,8 Diese Zahlen beleuchten kraß die gewaltige Diferenz in den prozentualen Anteilen, die die Miete bei den geringen oder höheren Einkommn ausmacht. In der untersten Einkommensstufe muß fast ein Drittel des gesamten Einkommens für die Wohnung aus» gegeben iverdcu, in der Einkommensstufe von 000 bis 1200 M. immer »och ein Fünftel. Dagegen beträgt der Anteil der Miele vom Ein» kommen in der Einkommensstufe von 30 000 bis 36 000 M. nur noch 5,6 und in der von über 60 000 M. gar nur 2,6 Proz. des Ein» kommenS. Besonder» beachtenswert ist daher die Tatsache, daß bei de» unteren Einkommrnsstufen der Prozentantcil der Miete in diesem 20jährigen Zeitraum gewachsen ist, während er in den oberen Ein» kommcnSstufcn im allgemeinen gesunken ist. Anknüpfend an solche Feststellungen heißt es i» dem Bericht weiter:Im übrigen würde es nicht einmal als schlimm anzujrhen sein, wenn eS tatsächliäj dahin gekommen sein sollte, daß die Lohnstcigcrungcn voll in die Taschen der Hauswirte geflossen sind.... Wir glauben daher die Zahlen, gerade auch die für die Arbeiterschaft iu günstigem Sinne auslegen zu sollen. Denn wir lesen aus ihnen heraus, daß der Arbeiter heute mehr Gewicht auf eine behagliche Wohnung legt als früher. ES ist ein Fortschritt zum Soliden, allein ein Fortschritt, den man oft recht vermißt, gerade bei Arbeiterhaushalten. Wenn dabei andere Ausgaben zurückgedrängt werden sollten, so braucht daS noch garnicht so bedauerlich zu sein. Es kommt durchaus darauf an, was für Posten das sind." Sehr richtig! ES kommt vor allem darauf an, was für Posten das sind! Aber hat der Breslauer Statistiker noch nichts davon gehört, daß in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Steigerung der Lebensmittelpreise stattgefunden hat, hinter der die der Miete noch erheblich zurückbleibt? Wenn der Arbeiter aber mehr für Miete ausgeben muß, so kann er eben um so weniger auf seine Ernährung vcrlvenden, und wenn diese auch noch teurer geworden ist, so befindet er sich allerdings in einer traurigen Zwickmühle und es bleibt einem preußischen amtlichen Statistiker vorbehalten, die Zahlen, die dies bestätigen, dann auch nochim Pinstigen Sinne" auszulegen. Bei den BreSlauer Arbeitern wird er wohl mit dieser Auslegung wellig Glück hgben,