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Wahlrecht als Programmforderung tm Schilde führte, d»ie wirtschaftliche Ilnabhäiigigkeit Ungarns   von Oesterreich   fordert und die auch den gesamten Heroenkultus der ungarischen Volkslegende mit Franz Kossuths Führerschaft erblich erworben hatte. DieVolkspartei  " spielte der Koalition den klerikalen Volksverdummungsapparat in die Hände und durch Vermittelung derVerfassungspartei" A n d r a s s h s verfügte die Koalition über wirksame höfische Einflüsse. Jetzt ist diese Koalition geborsten, die Koalitions- regieruug verschwunden, die Unabhängigkeitspartei und die Volkspartei gespalten und die feudale Verfassungs- Partei Nndrassys in der neuen Regierungspartei nahezu restlos aufgegangen. Welches Zauberwort hat die neue Regierungspartei angewendet? Ihre Haltung in der Wahlrechtssrage ist mehr als zweideutig, Tisza selbst ist ein erklärter Gegner des gleichen Wahlrechts; auch die bis- herige Gemeinsamkeit mit Oesterreich soll aufrechterhalten werden. Trotz dieser offenen Reaktionspolitik hat die neue Regierungspartei schon heute die bisherige Mehrheit zur politischen Vedcutungslosigkeit herabgcdrückt und an dem kommenden Wahlsieg der"Regierung zweifelt man auch im Lager der Opposition keinen Augenblick. Allerdings, die Re- gierung hat den Verwaltungsapparat ganz in ihrer Hand. Aber haben nicht Graf Stefan Tisza, Graf Kuen- Hedcrvary und schließlich auch Graf Fcjervary bereits vor einem halben Jahrzehnt über die gleiche Waffe verfügt? Dennoch der- mochten sie nicht gegen den nationalen Kampf des separa- Wischen Mittelstandes aufzukommen. Warum soll also dem Grafen Kuen-Hedervary gegenüber der bisherigen starken Parlamentsmehrheit gelingen, was ihm gegenüber einer Minorität vor Jahr und Tag mißlang? Die bürgerliche Presse beantwortet rasch die Frage: Die Stimmung des Volkes habe sich geändert. Das Wunder der ungarischen Politik ist in Wahrheit ein Schulbeispiel für die bestimmende Kraft der Klassenkämpfe in der Politik überhaupt. Der magyarische nationale Kampf ist seit jeher die Erscheinungsform der Jnteressenkämpfe des Mitteladels gewesen. Die liberale Wirtschaftsweise brachte dieser Schicht den niateriellen Ruin und machte sie zum Parasiten der politischen Privilegien. Sie fristet ihr Dasein schuldenbedeckt in den Bcamtenstellnngen der Komitate, der Selbstverwaltungskreise, wo sie getreulich die Geschäfte der Feudalen, die Landarbeiterknechtung und die Wahlmache, und nur nebenbei den Vollzug der Staatsgesetze besorgt. Diese Vcrwaltungsstellungen iverden von den Komitatsvertretungen besetzt, sie verfügen auch über das Recht, die Beamten abzu- setzen. DieKoinitatsvcrtrctlliig, deren Wirkungskreis die größeren, autonomen Städte nicht umschließt, setzt sich zur Hälfte aus Höchstbesteuerten, zur anderen Hälfte aus Zensiten zusammen, sie ist also die eigentliche Interessenvertretung des Großgrundbesitzes. So erscheint die Bureaukratie in unmittel- barer Abhängigkeit von dem Großgrundbesitz, zugleich aber als wichtiger Faktor des ungarischen Staates, dessen Ver- waltung nahezu völlig von der Komitatsbureaukratie versehen wird."Allerdings haben sich zwischen niitteladeliger Bureau» kralle und dem Feudaladel schwere Differenzen ergeben. Während der feudale Großgrundbesitz mit Leib und Seele an der Zollgemeinsamkeit mit Oesterreich   hängt, weil diese seinen Produkten den geschützten Lebensmittelmarkt Oesterreichs   zollfrei öffnet, bekämpft die Bureaukralle die Ge- meinsamkeit grollend, denn nur durch fortschreitende Magyari- sierung der gemeinsamen Jnstitullonen, der Diplomatie, des Heeres, aber auch der Industrie und des Finanzwesens hofft sie die zur Stillung ihres Hungers genügend ausgiebigen Futter- stellen zu finden. Doch der Knüppel lag beim Hunde, der Großgrundbesitz bändigte die Bureaukratie. Im Jahre 1903 trieb die wirtschaftliche Krise den Mittel- adel intensiver in den nationalen Kampf um Stellungen. Der Kampf riß sogar die liberale Regierungspartei mit sich, in der ein Teil der Feudalen gegen das jüdische Kapital, gegen die Gläubiger, Sturm lies, denn dieses Kapital bildete seit jeher einen Bestandteil der je- welligen Regierungspartei. Es kam also zur Spaltung in der liberalen Partei, ein Teil der Grafen   und deren Ver- treter schlössen sich der nationalen Opposition an. Man wollte so erst das jüdische Kapital kirre machen, zugleich aber auch an die Spitze der Bureaukratie treten, um dieser Gefahr für das gemeinsame Zollgebiet zur rechten Zeit entgegentreten zu tonnen. Die Gelegenheit zur Spaltung bot der un- parlamentarische Gewaltakt Tiszas, der die Obstruktion mit einer Reform der Geschäftsordnung niederknüppeln wollte. Es folgte die Auflösung des Parlaments, und in den Wahlen unter- lag die liberale Partei. Die Bureaukratie hatte mit der feudalen Fronde die Wahlen entsprechend besorgt. Die aus der feudalen Verfassungspartci Andrassys, aus den Kossuthisten und Klerikalen gebildete Koalitionsniehrheit nahm nunmehr den Kampf um die Regierung aus. DaS Kabinet Fejer- Vary kam. Und nun erinnere man sich dieser Tage I Umsonst ivaren die Bestechungsgelder, umsonst der militärische Aufwand Fejer- varys, die Verwaltung im Lande stockte, denn die Bureau- kralle der Komitate hatte die Arbeit mit Zustimmung der Komitatsvertretungen eingestellt. ES gab weder Steuern noch Rekruten, kaum ein Aktenstück wurde erledigt und jede Neuwahl hätte der Regieruug nur eine größere Niederlage gebracht. Erst der drohende Agrarstreik und das drohende all- gemeine und gleiche Wahlrecht erzielte eine Umkehr. Der Feudaladel und die Bureaukratie tauschte die nattonalen Forderungen für die Regierungsgewalt ein, ein neues Erekutionsgesetz erhöhte die Sicherheit der bedrohten Bureaukraten und Grundbesitzer gegenüber den Gläubigern. Agrargesetze und der Ausgleich mit Oesterreich   sicherten die Interessen des Großgrundbesitzes. Die Schule wurde den Klerikalen ausgeliefert und die innere Kolonisatton sollte den ' Mitteladel durch eine pamnagyarische Nationalitätenpolitik für den aufgegebenen Kampf um die Armeetrennung einiger- maßen entschädigen. Das jüdische Kapital war aus der Regierungspartei.ver- drängt, der Mitteladel aber mutzte klein beigeben, sobald die Feudalen es wünschten. Der nationale Kampf war zu Ende. Doch Graf Andrassy   wollte mehr. Er versuchte, den ab- gerüsteten anlldualistischen Mitteladel nunmehr durch die Einführung eines Pluralwahlrechtes des . politischen Einflusses zu berauben. Da griff die Justh- g r u p p e der Unabhängigkeitspartei in Heller Verzweiflung zur B a n k f r a g e; die unlösbare Frage der Banktrennung sollte der feudalen Wahlreform den Weg der Parlamentarischen Erledigung verrammeln, die Partei des Mitteladels aber, die Unabhängigkeitspartei, kraft ihrer Rolle als parlamen- tarische Mehrheit zur Regierung bringen. Damit war der Konflikt zwischen der feudalen Verfassungspartei und der Unabhängig- keitspartei des Mitteladels in den Vordergrund getreten und tpreilgte die Koalitioil. Und jetzt geschah das Wunder. Graf Stefan Tisza kam und richtete das Banner der alten liberal-fendalen Partei mit Kuen-Hedervary wieder auf. Die Verfassungspartei schloß sich sofort der neuen Regierung an und mit ihr der Anhang des Großgrundbesitzes. Herr Justh hoffte noch auf frem berühmten Widerstand der Komitatsbureaukratie, aber diese konnte wohl dem Kaiser und seinen Ministern Widerstand leisten, den feudalen Großgrundbesitzern in den Komitatsvertretungen jedoch keinen Augenblick. Herr Justh erkanute zu spät die Gefahr. Er bot der Regierung Hedervary völlige Unterwerfung an, wenn diese von der Auflösung des Parlaments absehen würde. Das Angebot wurde brüsk ab- gelehnt. Die blutige Keilerei in der letzten Sitzung des Ab- geordnetenhauses war nur eine Verzwcislungtat des Kolosses, dessen tönerne Füße zusammenbrachen. Wohin die Kandidaten der Regierungspartei heute kommen mögen, überall werden sie von den Stuhlrichtern. Komitats- fiskalen usw. devotest begrüßt. Wo ist die Kossuthisttsche Ideologie? Wo ist die Frage des allgemeinen Wahlrechts? Wo ist die Verfassungstreue? Die herrschende Klasse Ungarns  ist auf die Seite der Regierung getreten, die Verivalwng ge- horcht ihren Brotherren, wie die Presse und die schwächliche Bourgeoisie. Die Stuhlrichter werden regierungstreu die Wahlmache betreiben, wie in den längst verschwundenen Tagen deL alten Koloman Tiszas. Dadurch aber erscheint das Wunder der Hedcrvaryschen Zuknnftssiege menschlich, allzu menschlich erklärt. Wie die Bureaukratie auf ein Geheiß des Großgrundbesitzes den Stefan Tisza bei den Wahlen beseitigte, so wird sie in den kommenden Wahlen auf Geheiß der komitatSallmächtigeu Grafen die Herren Kuen- Hedcrvary und Tisza wieder zum Siege führen. Die Stimmung des Volkes könnte nur bei Wahlen mit allgemeinem, gleichen Wahlrecht zur Geltung kommen. Von dem aber will die Regierung Hedcrvary so wenig hören, wie etwa Franz K o s s u t h oder Ä p p o n y i. Das Wunder des Stinnnnngswechsels ist nicht mehr und nicht weniger alS ein grandioser Wahlschwindel. politilcde(Jchcrücht. Berlin  , den 26. Mai 1910, Tie Kosten der Reichsversicherungsordnung. Ueber die Kosten, die durch die Errichtung von B e r- sicher» naSämtern. wie die Reichsversichermigsordnung sie vorsieht, entstehen, sind Zahlen in der verschiedensten Höhe genannt worden. Unter anderen, war auch behauptet worden, diese Kosten würden sich aus mindestens 20 Millionen Mark belaufen. In einer anscheinend offiziösen Notiz wird nunmehr darauf hin- gewiesen, daß die Annahme einer solchen Summe eine starke Ueber- treibung bedeute. In den letzten Wochen ist in der Rheinprovinz  und in Pommern   je ein Organisationsplan für die Errichtung der Versicherungsämter aufgestellt und auch in seiner finanziellen Trag- weite berechnet worden. Im Reichsamt des Innern ist man damit beschäftigt, diese Berechnungen zu verarbeiten, und erst wenn das geschehen ist, wird es möglich sein, annähernd genaue Angaben über die Höhe der Kosten zu machen. Konservative Drohungen. Bei der letzten ReichStagSwahl hatte dienationale Be- geisterung" auch in Leipzig   die bürgerlichen Parteien zu einem Block zusammenschweißt, der dem nationalliberalen Dr. Junk in den Sattel half. Die damals geschloffene Freundschaft scheint ober in die Brüche gegangen zu sein, denn der Vorstand des konservativen Vereins zu Leipzig   hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, selb- st ä n d i g bei der nächsten ReichStagSwahl in die Wahl­bewegung einzutreten. Der Hottentottenblock wäre also dem- nach gesprengt. DieLeipziger Neuesten Nachrichten", be- merken dazu melancholisch:Demnach scheint ein Zu- sammengehen der bürgerlichen Parteien, wie es bei der letzten Wahl der Fall war, ausgeschlossen zu sein". Das nationalliberale Tageblatt" aber wiegt sich noch in Hoffnung, weil, soviel eS wisse, Verhandlungen über ein event. gemeinsames Vorgehen der bürger- lichen Parteien Leipzigs   zur nächsten Reichstagswahl noch nicht statt- gefunden hätten. Das konservative Vorgehen ist sicher nur eine Drohung, die die Nationalliberalen wieder gefügiger machen soll. Wenn erst die Wahlen da sind, werden sich die reaktionären Brüder schon wieder finden. Ebenso ist der Hohn zu bewerten, den dieKreuz-Ztg." über Herrn Bassermann ausgießt. Zu der Mitteilung, daß Basser- mann zurücktreten werde, wenn die Nationalliberalen für die preußische Wahlrechtsvorlage stimmen, bemerkt das konservative Blatt, Herr Bassermann dürfte durchaus geneigt sein, ganz ohne Rücksicht auf die Entscheidung der LandtagSfiaktion über die Wahl- rechtsvorlage sich dem parlamentarischen Leben zu widmen, wenn er nur erst wußte, woher er ein neues ReichStagsmandat erreichen könnte. Der Kreis, den Baffermann gegenwärtig ver- tritt, Rothenburg  -HoyerSwerda  , ist nämlich konservativer Besitzstand, der in der Zeit der Blocksteude dem Herrn Bassermann überlassen wurde._ Konservative gegen Christlichsoziale. Herr Behrens ist in Gefahr, seinen ReichStagswahlkreiS zu ver- lieren. Es handelt sich um den Wahlkreis Wetzlar  -Alten- k i r ch e n. wo Behrens mit Hilfe der Konservativen bei den letzten Wahlen über den nationalliberalen Kandidaten gesiegt hat. Die Konservativen haben nunmehr einen eigenen Kandidaten in der Person des LandratS v. Goerschen aufgestellt, dem auch die Stimmen des Zentrum? zufallen werden. Die Christlichsozialen sollten einmal eine Hilfstruppe für die Konservativen werden. Da eS sich aber immer mehr herausgestellt hat, daß den Christlichsozialen jede Werbekraft abgeht, so haben die Konservativen jedes Interesse daran verloren, den armen Teufeln noch Mandate zu überlassen. Dazu kommt, daß die Konservativen bei den nächsten Wählet» wohl jedes Mandat, das nur halbwegs für sie in Betracht kommen kann, mit allen Kräften zu erhalten suchen werden. Sie werden's nötig haben. Gegen das lächerliche Privileg. Eine Anzahl Pastoren hat gegen dasKulturträger"privileg folgende Eingabe an das preußische Abgeordnetenhaus gerichtet: Nach der Vorlage der Staatsregierung und nach den Be- schlüssen des preußischen Herrenhauses soll den sog. Kulturträgern bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus ein erhöhtes Wahlrecht zugebilligt werden. Auch den Geistlichen würde, da sie akademische Bildung genossen haben, danach eine Bevorrechtung vor der großen Menge der übrigen Volksgenossen zugedacht sein. Um der Kulturarbeit willen, die wir unserm Volke leisten wollen, legen wir gegen eine solche Bcvorrechtung Ver- wahr u n q ein. Wir erblicken in der Privilegierung gerade der Akademiker ein Armutszeugnis für diese selbst, das nur geeignet ist, sie von der V o l k s g c m c i n s ch a st l o s z u- lösen, das Vertrauen des Volkes zu ihnen zu erschüttern und ihre politische Energie zu lahmen. Die geistigen Qualitäten brauchen keine solche Bedorrechtung. Denn sie sind eine Bevor- Achtung und eine Macht in sich jelbst. Wir erblicken in einer solchen Bcvorrechtung auch eine Kränkung weiter Volksschichten, die mit mindestens derselben Hingebung und Treue an der Zukunft unseres Volkes arbeilen wie die, denen der Vorzug einer akademischen Bildung zuteil wurde. Wir »vollen nicht den kleinen Mann betrügen um die einzige Ge- legenheit, wo er sich als Vollbürger des Staates fühlen kann. Wir wollen bei der Abgabe unseres Stimmzettels gleichberechtigte Volksgenossen sein, aber nicht»nchr. Es ist uns eine Gewissens- fache, wenn wir bitten: Hohes Haus der Abgeordneten, wolle zum wenigsten die evangelischen Geistlichen vor dein ihnen zu- gedachten Aufrücken in eine höhere Wählerklasse bewahren." Die Eingabe ist unterzeichnet u. a. von Dr. Pfannkuche- Osnabrück  , evangelischer Pfarrer, Pfarrer Lic. T raub- Dort- mund, Pastor Chapperzean und Pastor D ö r r i e s- Hau- nover, Pastor v. Bröcker- Halle a. S. Die Kieler Wahlrechts-Blutjustiz. Zu der gestern unter der StichmarkeKein Recht auf Notwehr" kurz gemeldeten harten Verurteilung eines Kieler Wahlrechts- denionstranten zu vier Monaten Gefängnis wird uns noch geschrieben: Die Anklage behauptete, daß der Angeklagte, der zwanzig- jährige Tischler Mielke, mit einem dreifingerdicken Stock geschlagen habe, so daß dein Schutzmann der Helm verbeult wurde und er selbst eine große Beule am Kopf davontrug. Sowohl Mielke als auch»nehrere Zeugen erklärten, daß dasgefährliche Werkzeug" nur ein ganz dünner Spazier stock war, der auch schon einen Bruch hatte. Mielke behauptete, er habe sich in Notwehr befunden, den» der betreffeiide Schutzmann sei mit der rechten Hai»d am Säbelgriff auf ihn zugekommen. Ueberhaupt sei dort von den Schutzleuten mit blanker Waffe in ungeheuerlicher Weise dreingeschlagen worden. Kriminalbeamte, die sich in der Menge befanden, hätten von hinten rücksichtslos auf die Dk enge mit ihren Knüppeln eingeschlagen. Hiervon wollten die als Zeugen geladenen Schutzleute nichts g e» sehen haben, trotzdem eine große Anzahl Zeugen, die zum Teil selbst Schläge bekommen hatten, diese Tatsache bekundeten. Ein Zeuge sah, daß eine Frau, die durch die SchutzmannSkette zu ihrem Kinde wollte, von hinten von einem Kriminalbeamten über den Kopf geschlagen wurde. Mit den Worten: Biester, Lausebande, Saubande, wollt ihr laufen," seien die Schutzleute hinter der Menge hergelaufen. Trotz dieser Besiindungen wurde Mielke zu der ungeheuerlichen Strafe verurteilt. In der Be- gründung führte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor S ch o r, aus, daß von Notwehr nicht die Rede sein könnte. Der Angeklagte hatte bei der Dsmoilstration fn i ch t S zu suchen, da er noch nicht wahlberechtigt war. Wenn er trotzdem hinging, muhte er auch die Folgen tragen. Das Gericht war auch bei diesem Urteil wieder weit über den Antrag des Staatsanwalts hinausgegangen, der zwei Monat« Gefängnis beantragt hatte. Harte Strafen scheinen die Kieler Richter für ein gutes Mittel gegen Wahlrechts- demonstrationen zu halten. Sie sollen sich bitter täuschen. Der Nutzen der Ottroibeseitigung. Manche Verteidiger der städtischen Abgaben auf notwendige Lebensmittel gebrauchen das Argnnient, daß die Beseitigung dieler Abgaben die Preise unverändert lassen werde, da der Zwischen- Handel die Steuerermäßigung den Konsmilenten vorenthalten werde. Daß diese Behauptung hinfällig ist und gegen solche Wuchcrpraktiken sehr wohl Abhilfe geschaffen werden kann, zeigt folgender Vorgang in Karlsruhe  . Die dortige Bäckerinnung hatte trotz Wegfall des Oktrois die Brolpreise erhöht und das Gewicht vermindert. Die Stadtverwaltimg griff aber ein und stellte an die Bäckeriiinnna die Forderung, umgehend die Brotpreis- erhöhung in einem besonderen Gutachten'zu begründen. Eine Warenhausfirma pries zu gleicher Zeit billigeres Brot mit höherem Gewicht an, der Karlsruher   Lebensbedürfnis- verein tat dasselbe und beide Geschäfte hatten riesigen Zuspruch. Nach Verlauf von drei Tagen und unter dein Druck der Stadt- verwaltung gaben die Bäckermeister klein bei, er» mäßigten die Preise und erhöhten das Gewicht. Ueber die bayerischen Gymnasien. München  , 24. Mai. Aus der Debatte über die humanistischen Gymnasien mögen ilur wenige Punkte von allgemeiner Bedeutung herausgegriffen werden. Der Redner der liberalen Fraktion besprach zunächst emige so- genannte Fälle, darunter eine»», in dem der wenig brave und weiiig kenntnisreiche Sohn eines Grafen in»überraschend schneller Weise und unter Jgnorierllng der für gewöhnliche Menschenkinder gülligen Schulordnungen das Gymnasmin absolvierte. In einem anderen Falle, der seinerzeit großes Aufsehen in der Oeffentlichkeit erregt�, hat ein Absolvent des Gymnasiums bei der üblichen Abschiedsfeier eine nicht übliche Rede gehalten, in der er den Unterrichtsbetrieb der Anstalt einer abfälligen Kritik unterzog. Dieselbe scheint nicht ganz unberechtigt gewesen zu sein, deiln seitdem sind schon eine Reihe von Perionalverändcrungen an der betreffenden Anstalt vor- genoninien worden. Auch die Frage der ungleichen Behandlung der Israeliten bei der Zulassung als Professoren an den humanistischen Gymnasien wtirde besprochen. Der Kultusminister ging um die Sache herum, wie die Katze um den heißen Brei. Eine verlangt« Erklärung, daß daö jüdische Religionsbekenntnis kein Hindernis für die Anstellung an humanistischen Gymnasien sei, gab der Herr Minister vorläufig »ficht ab. Ein weiterer Punkt der Debatte war die Frage des Kirchen- zwanges für die Mittelschüler. DaS Zentrum besteht auf dielen Kirchenzwang, ebenso der Kultusminister, weil die christlich- religiöse Erziehung über alles gehen müsse� Die Liberalen wolle» zum Teil den Kirchenzwang befefiigt, zum Teil nur gemildert wissen. Der Redner unserer Partei, Genosse v. Volkmar, legt als Stand- punkt der sozialdeinokratifchen Partei klar, daß jeder Zwang zun» Kirchenbesuch und zun» Besuch des Religionsunterrichts beseitigt iverden müsse. Er verweise dabei sehr treffend_ auf de» berühmten Toleranzantrag des Zentrun»? in» Reichstage, in dem ein Paragraph gleichen Inhalts enthalten ist und zwar m»t Zustinunung deS ZenfiuinS. Endlich wurde noch die Frage des staatsbürgerlichen Unterrichts erörtert und niit Recht darauf hingewiesen, daß eS ein Unding fei, wenn zivanzigjährige junge Leute zwar ganz genau über die Ver- fasiung des alten Griechenlands   und noch ältere» PerserreicheS unter- richtet wären, aber von der Verfassung deS Deutscheu Reiches gar keine Ahnung hätten._ Höhere Besteuerung der Titel und Orden« Im badischen Landtage wurde gegen die Stimmen des Zentrums und der Konservativen eine Resolution des Genossen Dr. Frank angenommen, welche die Regierung ersucht, bei der beabsichtigten Acnderung deS VerwaltungSgebührengefetzeS folgende Ergänzung vorznnehmei»: Bei der Gewährung von Titeln an Privatpersonen oder für die Anerkennung der von einen» auS- wärtigen Staat oder Souverän verliehenen Titel Geheimer K o nin» erzienrat sind an den badischen Staat 8000 M. zu entrichten. Die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen eines Ordens, der von einem auswärtigen Souverän verliehen worden ist, sind je nach der Bewertung des Ordens 1001000 M. zu entrichten. Gleichzeitig verlangte die sozialdemokratische Resolution, baß die Gebühren für die Erlaubnis zur Errichtung eines Stamm gut es auf 1 Proz. des Wertes, aber»nindestenS bei»,» Herrenftand auf 10 000 M., beim Ritterstand auf 4000 M. zu er- höhen sind; ebenso sollen die Gebühren für Vergrößerung und Veräußerung der Stamgüter sowie für Verleihung des Adels ent«