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Nr. 125. 27. Jahrgang. 2. Anlage des Mittlvoch. 1. Inn ! 1910. Mgeoränetendaus. 75. Sitzung vom Dienstag, den 31. Mai, vormittags 11 Uhr. Der Gesetzentwurf betreffend die Deckung von Ausgaben des Rechnungsjahres 1308 im Wege der Anleihe wird in zweiter und dritter Lesung ohne Debatte angenommen. Es folgt die Beratung des Antrages Eickhoff sVp.) und Dr. Friedberg(natl.). die Regierung aufzufordern, in besonderen Ausnahmefällen, in denen die Errichtung von Studienanstalten und Lyzeen schon aus finanziellen Gründen erschwert ist, zur Befriedigung der Bildungsbedürfnisse der weiblichen Jugend den gemeinsamen Unterricht, die sogenannte Koedukation, zu gestatten. Nach längerer Debatte wird der Antrag gegen die Stimmen der Linken und eines Teiles der Freikonservativen abgelehnt. In der Debatte hatte sich auch der Ministerialdirektor Dr. S ch w a r tz- k o p f f gegen die Annahme des Antrages gewandt. Es folgt die Beratung einer Denkschrift über die Aus- führung des Ansiedelungsgcsetzes für die Polnischen Provinzen. Abg. v. Tilly(k.): Es handelt sich hier um ein Kulturwerk aller- ersten Ranges und wir erwarten eine nachhaltige Förderung dieses großen Werkes. Der Erfolg der preußischen Ansiedelungspolitik ist nicht zu bestreiten. Eine unerfreuliche Nebenerscheinung ist die Zerstückelung des preußischen Großgrundbesitzes in den polnischen Landesteilen, während der polnische Großgrund- besitz abgerundet wurde. Fast ausschließlich auf Kosten dieses Groß- grundbesitzes ist das Ansiedelungswerk durchgeführt worden. Während noch 1805 der preußische Großgrundbesitz den polnischen um 40 000 Hektar überstieg, steht er jetzt um 20 000 Hektar hinter demselben zurück.(Hört! bört! rechts.) Abg. Graf Spee(Z.): Es handelt sich hier um eine Wirtschaft- liche Maßnahme zur Erreichung eines politischen Zieles. Un- verständlich ist mir, wie man von einem Erfolge der Ansiedelungs- Politik sprechen kann angesichts der Tatsache, daß ein reiner Verlust auf deutscher Seite von 84 509 Hektar zu verzeichnen ist und daß die deutsche Bevölkerung in den polnischen Provinzen um 23 Proz., die polnische aber um 77 Proz. zugenommen hat.(Hört! hört!) Die Gegensätze tverden noch verschärft dadurch, daß man die polnischen Handwerker und Kaufleute boykottiert. Auch aus deutschen Kreisen regen sich Proteste dagegen, denn auch die Deutschen verlieren dadurch ihre polnische Kundschaft. Der Erfolg ist, daß der Deutsche bankrott geht und der Pole seine Kundschaft erhält. Das Enteignungsgesetz wird hoffentlich nicht Anwendung finden.(Beifall im Zentrum.) Landwirtschaftsminister v. Arnim: Ich möchte die Ausführungen des Herrn Borredners nicht unwidersprochen lassen. Die An- sicdclungSpolitik hat eingesetzt infolge der unerträglichen Zustände, die in de» Ostmarken durch das Lordringen der Polen herrschten. (Sehr richtig I rechts.) Der Grundbesitz der aus deutscher in polnische Hand übergegangen ist, enthielt übrigens sehr wenig Deutsche . 120 000 deutsche Arbeiter sind durch die AnsiedelurigS- Politik in die polnischen Provinzen gebracht resp. dort fest- gehalten, während vorher die Abwanderung der Deuffchen sehr stark war. Auch bei den Wahlen hat sich gezeigt, daß die Zahl der deutschen Stimmen in den Kreisen, wo die An- siedelungsko7nmission speziell tätig gewesen ist, erheblich zugenommen hat. Tc-ffache ist, daß die dort hineingesteckten Gelder in eminenter Weise fruchtbringend verwendet worden sind.(Bravo I rechts.) Abg. v. Kardorff(fk.): Auch wir sind der Ansicht, daß der Wirt- krhaftliche und politische Erfolg der Ansiedclungspolitik durchaus be- fnedigend ist. Die Dezimierung des Großgrundbesitzes erscheint allerdings auch uns bedenklich. Die Regierung zur Anwendung der Enteignung zu drängen, lehnen wir qjh, sondern überlassen es ihr, den Zeitpunkt dafür zu bestimmen.(Bravo I rechts.) Die Hauptsache ist die Einigkeit aller deutsch gesinnten Parteien in der Provinz Posen . Ich hoffe, daß die große Verbitterung der Parteien, die heute unser politisches Leben durchzieht, an der Provinz Posen Ha lt machen wird.(Bravo I rechts.) Abg. Wamhoff(natl.) betont, daß seine Freunde daS Ansiedelungs- werk wie bisher unterstützen werden. Abg. v. JazdzcwSki(Pole): Die Behauptungen des Herrn Landwirtschaftsministers über die Motive zur preußischen An- siedelungspolitik haben eine tatsächliche Unterlage nicht. Es ist nicht richtig, daß die polnische Bevölkerung die Deutschen systematisch ver- I drängt habe. Diese Behauptung ist hervorgegangeir aus Verleum- I düngen der polnischen Bevölkerung.(Sehr wahr! bei den Polen .) �Der preußischen Polenpolitik fehlt die Grundlage der Ge- 'rechtigkeit, deshalb verurteilen wir diese Politik. Wir erkennen in ihr kein Werk der Kultur, sondern der Unkultur.(Bravo ! bei den Polen .) Abg. Ströbcl(Soz.): Die Ansiedelungspolitik hat zweierlei Absichten, einmal die Polen zurückzudrängen durch Aufteilung des Grundbesitzes und zweitens den Wunsch, einen zahlreichen Bauernstand dort anzusiedeln, um neben den Polen auch das große Agrariertum dort zurückzudrängen. Das letztere ist die Absicht der Liberalen bei ihrer Zustimmung zur Polenpolitik. Gegen diese Absicht können wir natürlich nichts haben, es fragt sich nur, ob das Mittel der Polcnpolitik dazu geeignet ist. Das Zurückdrängen der Polen halten wir nach wie vor für zweck- und sinnlos. In dieser Beziehung hat auch die preußische Politik völlig Fiasko gemacht. Und selbst wenn es gelänge, die Polen auf die polnischen Provinzen zurückzudrängen, würden sie lediglich ab- geschoben in die Jndustriebezirke. Dort assimilieren sie sich nicht der übrigen Bevölkerung, sondern bilden Sonderorganisationen. Also die angebliche Gefahr, die in dem Bestehen von fünf Millionen Polen für das Deutschtum bestehen soll, würde auch dadurch nicht beseitigt. Man sollte nicht durch eine Zwangspolitik, sondern durch eine kluge Versöhn ungspolitik die polnischen Elemente für Preußen zu gewinnen suchen; man sollte dieselbe Politik verfolgen, wie sie Frankreich seinerzeit im Elsaß angewandt hat. Gerade durch die Ostmarkenpolitik haben sich die polnischen Organisationen befestigt und die polnische Propaganda immer weiter ausgebreitet. Die Zwangsgermanisierung ist unsinnig und schädlich und das Verbot des Gebrauchs der Muttersprache ist barbarisch.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Durch die Aufteilung des deutschen Grundbesitzes sind die Landpreise enorm in die Höhe getrieben. Dadurch haben die Herren Agrarier außerordentliche Borteile. Die sogenannten nationalen Opfer, die die Rechte gebracht hat, hat für viele ihrer Mitglieder große Gewinne gebracht. Freilich hatten dieselben auch eine Kehrseite für die Agrarier. Die An- siedler verlangen jetzt eine radikale Aufteilung des Großgrund» besitzes. Ich erinnere an die Bestrebungen des Bauernbundes. Seit dieser Zeit haben auch die Konservativen ein Haar in der Polenpolitik gefunden und stehen dieser mit gemischten Ge- fühlen gegenüber. Der Pole Morawski schreibt in seiner Broschüre Der kommende Tag": der Appetit der Ansiedler auf die großen Güter wachse, sie verlangen eine völlige Zerschlagung des Groß- grundbesitzes. Er prophezeit, daß nach der hakatistischen Scylla die sozialistische Charybdis kommen werde. Er erzählt von folgendem Vollsliede: Michel sagt zu seinem Sohne: Hol der Teufel die Barone; Ob sie deutsch sind oder Polen , Alle soll der Teufel holen I(Heiterkeit.) Nun, ich glaube freilich, daß durch die Ansiedelungspolitik die Macht der Junker nicht gebrochen werden lvird. Dies wird nicht möglich sein, solange das Dreiklasscuwahlrecht in Preußen besteht. Wenn man also den Großgrundbesitz bekämpfen will, muß man einen energischen Kamps für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht führen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir verwerfen die Ansiedelungspolitik auch deshalb, weil wir nicht die geringste Ursache haben, eine Handvoll Bauern an- zusiedeln auf Kosten der Gesamtheit. Die Hunderte von Millionen, die für die Ansiedelungspolitik ausgegeben worden sind, verzinsen sich nur etwa mit 2 Prozent, also auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus können wir eine solche Politik nicht unterstützen. Herr Dr. Hahn hat uns im vorigen Jahre eine lange Vorlesung gehalten über die landwirtschaftliche Gliederung in Preußen. Er hatte damit ganz recht, daß in einigen Provinzen die großen Latifundien überwiegen, während es in anderen nur kleine Bauern gibt. Es gab in Preußen 1907 13 000 Großbetriebe über 100 Hektar, die 29,03 Prozent der gesamten Bodcnflüche be- herrschen; 183 000 großbäuerliche Betriebe von 20 bis 100 Hektar. die 31 Prozent der Bodenfläche ausmachen; das sind etwa 200 000 Betriebe, die nicht weniger als 60 Prozent des gcsamlcn Grund und BodenS in Preußen einnehmen. 37 Prozent des Bodens sind im Besitz von'/i Millionen Besitzern, und demgegenüber gibt eS 2'/, Millionen kleine Parzellenbesitzer, die noch nicht 13 Prozent des gesamten Grund und BodenS ihr eigen kleines feuilleton. Eine originelle Volksbücherei in französischer Sprache wird jetzt unter dem TitelLa Feuille Littüraire" in Brüffel und Paris heraus- gegeben. Literarisch wertvolle, erzählende und belehrende Werke anerkannter Verfasser werden im großen Format der fran- zösischen Zeitungen aus sechsmal gespaltener, in der Mitte abgeteilter Seite auf gutem ZeitungS- papier und in anständigem Druck veröffentlicht und u m Sehn Centimes verkauft. Die erste acht Seiten arke Nummer enthält einen Roman:Les Vices du Jour" von Msrouvel, im Druck sind dieKosaken " von Tolstoi , die Er- zählungen M u s s e t s, dieHavarierten" von B r i e u x,Gestirnte Träume' von Flammarion.Eugenie Grandet " von Balzac , weiter Werke von Paul Adam , Camille Lemonnier u.a. Das Programm des Unternehmens stellt auch Werke von berühmten Philosophen, Geschichtsschreibern. Naturforschern in Aussicht. Kurz den Massen des französischen Volkes, dessen Lesebedürfnis bisher von billiger Schundliteratur arg mißbraucht wurde, soll eine unver- fälschte geistige Nahrung von einer unerreichten Wohlfeilheit dargeboten werden.' Man wird wohl den in Deutschland verbreiteten billigen Buchansgaben die größere ästhetische Vornehmheit nicht ab- streiten können, aber unleugbar ist der in denFeuilles LittöraireS" verwirklichte Gedanke beachtenswert, die Scheu vieler zeitunglesender Leute vor einer Buchlektüre durch die List zu be- siegen, die das Buch dem Leser in Zeitungsform eingibt und ihm anschaulich macht, daß die Bekanntschaft mit einem guten, nach« haltigen Werke von ihm nicht mehr Zeit und Energieausgabe er- fordert als der Wust des von ihm täglich verschluckten unverdaulichen Aktualitäts-Klatsches. (Etwas AehnlicheS versucht in Deutschland die wöchentliche literarische ZeitungDie Lese", die in München unter der Redaktion' von Georg Etzel und Georg Muschner erscheint.) Ueber Elterninstinkte bei Fischen bringt die Zeitschrift Natur", die von der Deutschen naturwissenschaftlichen Ge- sellschaft(Geschäftsstelle Theodor ThomaS in Leipzig ) herausgegeben wird, folgende Mitteilungen: In jüngster Zeit wurde der Bestand unserer Aquarienfische durch einen interessanten Fremdling aus dem alten Wunderlande Aegypten bereichert, der nicht nur durch sein farbenprächtiges Kleid die Wonne jede« Besitzers erregt, sondern mehr noch durch seine eigenartige Brutpflege einen überraschenden Blick in daS an sich schon ab- Wechselungsreiche Brutlebcn der Fische gewährt. Es handelt sich um den sogenannten Maulbrüter, dessen Laichakt und Brutpflege in folgender Weise vor sich geht: Nachdem das Männchen eine flache Sandgrube, im Durchmeffer wie ein Fünfmarkstück groß, ausgeworfen hat, macht er dem Weibchen stürmische LiebeSanträge. indem er sich auf die platte Seite legt und zärtlich mit dem Schwänze wedelt. Das Weibchen folgt ihm auch bald lvillig nach der Sandgrube, wo er es immer- fort beschnuppert, leicht beißt und so den Reiz auslöst, der das Weibchen zur Laichabgabe zwingt; das Männchen schivimnit dann direkt hinter dem Weibchen her und befruchtet so die Laiöbkörner. Nachdem dies geschehen, schnappt das Weibchen den Laich wieder auf. So geht es eine halbe Stunde lang. Das Weibchen hat nun sämtliche Laichkörner im Maule, d. h. eS hat diese in einem von dem erweiterten Maule gebildeten Kehl - oder Kiemensack untergebracht. In dieserBrntma)chine" kommen die kleinen Fischchen zur Entwickelung. In kurzen Pausen wendet das Weibchen die Laichkörner durch ein Bewegen des MauleS, so daß die hinten gelegenen nach vorn kommen. Vom neunten Tage an konnte man sehr gut die Bewegungen der kleinen Fischchen beob« achten; am sechzehnten Tage wurden sie endlich zum ersten Male aus ihrem dunklen Gefängnis entlassen. Sie waren ungefähr ö Millimeter lang. Wenn man nun bedenkt, daß das Muttertier selbst nur 4 Zenti- meter lang ist und 25 Junge in dem verhältnismäßig kleinen Kehlsack zur Entwickelung gelangten, so kann man sich vorstellen, daß die jungen Fischchen wie Heringe in der Tonne, aneinandergeschichtet gelegen haben und trotzalledem wurden sie wie die Laichkörner ge- wendet. Sehr intereffant war eS zu beobachten, wie sich die jungen Fischchen von Zeit zu Zeit vor dem Maule der Mutter ansammelten und wie diese dann einen nach dem anderen aufschnappte, um sie nach ungefähr zehn Minuten wieder auszuspeien. ES geschieht dies täglich mehrere Male, um die Jungen zu füttern. Der Kehlsack ist alio nicht nur.Brutmaschine", sondern dient später auch als Speisekammer". Und trotzdem nimmt ausfallenderweise das Weibchen vom Ablaichen an bis zum Ausschlüpfen der Jungen keinerlei Nahrung zu sich und sucht sich naturgemäß nach so langer Fastenzeit durch um so gründlichere Futteraufnahme zu ent- schädigen. Theater. Freie Volksbühne(im Thalia-Theater):Die Pa> r i f e r i n". Von Henri B e c q u e. Diese Sittenkomödie aus der Pariser Gesellschaft unterscheidet sich sehr zu ihrem Vorteil von vielen neueren Produkten ihrer Gattung. Ein wirklicher Dichter hat sie geschrieben, dem aber bei Lebzeiten nur spärlicher Erfolg be« schieden gewesen ist. Henri Becque verzichtet auf den Apparat einer äußerlichen geräuschvollen Situationskomik. Die Handlung spielt sich zwischen vier, eigentlich bloß drei Menschen ab. Der Angelpunkt der Handlung ist, bei Licht besehen, so alt wie die bürgerlich-kapitalistische Moral. Nicht der Rechtschaffene, Tüchtige kommt an den ihm gebührenden Platz, sondern wer verschlagen genug ist, um sich der Gunst buhlerischer Weiber als Krücken des Erfolges zu bedienen. In derGesellschaft" spielt das Weib die Hauptrolle. Ueberall arbeiten ehrgeizige Männer nach dem gleichen Rezept: Habe Glück bei den Frauen und dein Strebertum wird reichlich belohnt. Nun kann_ aber auch das umgekehrte Verfahren stattfinden, indem eine ehrgeizige Frau, zumal wenn sie jung und hübsch ist, ihren eigenen Gatten protegiert. Clotilde, die Heldin dieser Komödie, hat ihrVerhältnis". In dem Augenblick aber, wo es sich für sie darum handelt, den eigenen Gatten in eine einflußreichere Staatsstellung zu bringen, halftert sie den alten Liebhaber ab und fängt einen Freund des Ministers in ihren Netzen. Ihr Mann erhält den Posten und ist deS Glaubens, daß er ihn der Fürsorge seines Onkels verdanke. Der neue Lieb- haber ist jedoch als reicher Provinziale nach fünf Monaten sowohl nennen.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Da kann man nicht von einergroßen nationalen Tat" reden, wenn man ein paar tausend Ansiedler im Osten seßhaft macht, im Jahre 1909 im ganzen 16529. darunter niehr als 2000 mit weniger als 5 Hektar. Das sind doch keine selbständige Bauern, sondern höchstens Arbeits« kräste für die Großgrundbesitzer. Wir haben keinen Anlaß, Mittel dafür aufzuwenden, daß zuerst notleidenden Großgrund« besitzern zu teueren Preisen ihr Land ab» gekauft wird, um es dann an andere zu verschleudern. Interessant ist, daß in den Jahre» 1888 bis 1908 nur 41 Rcstgüter geschaffen worden sind. 1909 aber allein 11. Das beweist, lvie man den Großgrundbesitzern entgegenkommt. Es wäre eine nationale Aufgabe ersten Ranges, für eine normale Besitzver« teilung in Preußen zu sorgen, so daß alle die, die das Land be- bauen, auch einen entsprechenden Ertrag von ihrer Arbeit haben. Das sind aber nicht die Ziele der Ansiedelungspolitik. Herr Dr. Hahn hat seinerzeit auch ausgeführt, der Großgrundbesitz sei not- wendig, weil die technischen Fortschritte nur durch ihn eingeführt werden können. Wir Sozialdemokraten stehen ja auch auf dem Standpunkt daß der Großbetrieb auch in der Landwirtschaft die rationelle Be« triebsform ist. Wenn unser Genosse Ar tu r Schulz eine andere Meinung vertritt, auf die sich unsere Gegner vielfach berufen, so konstatiere ich. daß er in der Partei mit dieser Anschauung isoliert steht. Wir laffen natürlich jeden seine Meinung frei aussprechen. Wenn wir unS gegen den Standpunkt einzelner Revisionisten wenden, so nur, um zu verhüten, daß solche Anschauungen Ein« gang bei der großen Masse der Partei finden, um die Ansichten durch die Diskussion zu klären. Den Standpunkt der Partei in dieser Frage hat unser Genosse, der Großgrundbesitzer H o f e r in Skaisgirren in derNeuen Zeit" in einer Reihe interessanter Artikel dargelegt, worin er nachweist, daß der Großbetrieb dem Kleinbetrieb an Produktivität, Arbeitsersparnis auf allen Gebieten überlegen ist, sowohl bei der Getreideprodultion wie bei der Viehzucht. Hofer schlägt vor, daß der Großgrundbesitz den Landarbeitern zum genossen« schaftlichen Betriebe überwiesen werde. Dafür sind die Herren der Rechten natürlich nicht zu haben. Sie halte» in ihrem Spezialinteresse die Klassenscheidung für eine gottgewollte Ordnung. Es wird erst einer starken sozialdemokratischen Partei be- dürfen, damit auch auf diesem Gebiete wirkliche Fort- schritte erreicht werden. Wir lehnen also die Ostmarken« Politik ab, weil sie politisch unklug und unwürdig ist, iveil sie die Vergewaltigung eines fremdsprachlichen Volksstammes bedeutet und weil sie unter der falschen Flagge einer nationalen und Kultur« Politik lediglich eine Bcgünstigungspolitik für einige Wenige auf Kosten der Gesamtheit des Volkes darstellt.(Lebhaftes Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Nach einigen weiteren Bemerkungen des Abg. Graf Spee(Z.) wird die Debatte abgebrochen. Nach debatteloser Erledigung mehrerer Petitionen vertagt sich das Haus. Nächste Sitzung: Donnerstag 12 Uhr. Kleinere Vorlagen, Initiativanträge, u. a. Fortsetzung der Debatte über den Antrag Borgmann auf Aufhebung des Bagabundcnparagraphen, Petitionen. Schluß 4 Uhr. flus der Keichsverlicherungs- ordDunoS'KorotniffiOD. Auch gestern ist noch fast die ganze Sitzung von der allge- meinenDebatte über die Versicherungsbehörden in Anspruch genommen worden. Aus der Debatte ist zunächst eine Angabe des MinisterialdirektorZ Casper darüber hervorzuheben, wie sich die wenigen Rentenstellen, die wir bis jetzt haben, be- währen. Der Herr teilte auf eine Anfrage mit, daß die Ersah- rungen sehr günstig seien: So habe die Zeit vom Eingang deS Antrags auf die Gewährung einer Invalidenrente bis zu der Er- ledigung desselben in dem Regierungsbezirk Oppeln vor der Ein» richtung der Rentenstelle durchschnittlich 126 Tage betragen, nach der Einrichtung der Rentenstelle nur noch 83 Tage und ebenso in der Provinz Hessen-Nassau vorher 76 Tage, nachher 60 Tage. Ferner habe in dem Regierungsbezirk Oppeln , mit Ausschluß des Bezirks der Rentenstelle, von den eingegangenen Anträgen ungefähr die Hälfte einer nochmaligen Bearbeitung bedurft, in dem Bezirk der Seinestadt wie der Geliebten überdrüssig und geht aufs Land zurück. Nun tritt der verabschiedete Liebhaber Nummero EinS wieder in seine alten Rechte. Die von Fritz W i t t e« W i l d vorzüglich in Szene gesetzte Komödie fand einen großen unbestttttenen Beifall. Als Clottlde gab Mila de l a Chapelle Zeugnis von einer ganz hervorragenden Darstellungskunst. Jede Bewegung, jeder Blitzbltck, die Beherrschung der Konversation, charmante Liebenswürdigkeit, Temperament und Laune, die sich gehen zu laffen. aber auch im gebotenen Moment zu zügeln wissen: daS alles erscheint hier in einem äußerst sympathischen Bühnenbilde. Daß diese Clotilde eine Pariserin ist, glaubt man der famosen Dar» stellerin aufS Wort. Ihr gegenüber hatten die übrigen Mitwirkenden einen erschwerten Stand. Robert H a rt b e r g mochte als Lafont ein wenig schwerfällig erscheinen; auch hatte seine Gebärdensprache etwas Gezwungenes; gleichwohl gelang eS ihm, seinen Helden in seiner komischen hilflosen Verliebtheit glaubhaft zu machen. Für Simpson, den Landjunker, dem seine Jagdflinten doch über alles gehen, brachte Fritz Junkermann die richtige Verfassung mit. Auch die Darstellung de« Du Mesnil durch Karl Wilhelm war im ganzen vortrefflich. Toni WilkenS war eine hübsche schnippische Adele; nur für ein Pariser Stubenmädchen doch ein wenig outriert. v. k. Humor und Satire. D e r A st r o n o m. Er erklärt mit mathemattscher Schärfe, daß sich zwischen Erde und Sonne ein Komet befände, der könnte aber auch anderswo stehen. Er erklärt, an schärfste Zeitbestimmungen bis zur Vim Sekunde gewöhnt, der Durchgang würde um 2 Uhr 20 Mi» nuten stattfinden, es könnte aber auch 15 Minuten später werden, nämlich um l/zä Uhr oder nach zwei Tagen oder nach einer Woche und S1/« Sekunden. Er erklärt, der Komet habe einen Schweif und zwar nur einen, vielleicht aber zwei oder drei oder gar keinen. Er erklärt, daß der Schweif des Kometen mathematisch gerad» linig sei, falls dieser nicht eine sehr bedeutende Krümmung aufweise. Er erklärt, daß der Komet stets mit der Erscheinung von Meteorfällen auftrete, daß aber die Meteorfälle nichts mit dem Kometen zu tun haben und daß die Meteore überhaupt nicht zu er» scheinen brauchen. Er erklärt, daß das Auftauchen des Kometen auf der Erde immer magnetische und elektrische Störungen bewirke, so daß man sicher auf einen Kometen schließen könne, wenn nicht die Spur einer magnetischen und elektrischen Störung vorhanden sei. Er erklärte schließlich, daß das Publikum von dem Kometen keine Ahnung habe, und daß man, um den Kometen als einen ganz unsicheren Kantonisten zu erkennen und über seine Natur gänzlich im Dunkeln zu tappen, dreißig Jahre lang Astronomie studiert haben müsse. _(Lustige Blätter".) Notizen. Berichtigung. Korole nkoS StimmungsbildIm '''""'------------- S«lt'" Sturm", das in Nr. 103 und 104 dcS UnterhaltungSöKtlttes ab» gedruckt ist. schildert nicht, wie der Druckfehler wollte, die Flucht dieses Revolutionärs, sondern eines Revolutionärs. Korolenko ist u. W. als Revolutionär nicht hervorgetreten.