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und im Hintergrunds das mit 620 Gefangenen kelegte Zeven« gefängniS. Nach einer halben Stunde wurde es dunller und dunkler, die elektrischen Bogenlampen flammten auf, die Stimmung wuchs von Minute zu Minuke bis ein dreimaliges jubelndes Hoch auf die völkerbefreiende Sozialdemokratie und der schmetternde Gesang der Arbeitersänger die prächtig verlaufene Kundgebung beendete. Und um den Sieg über die Polizei vollständig zu machen: da? sonst übliche Massenaufgebot von Polizisten und die nervöse Ab- sperrung der Straßen unterblieb. Keine Helmspitze ließ sich blicken, sogar zum Rathaus und zur Regierung ließ man die Massen ziehen. Und siehe da: die Ruhe wurde nirgends gestört. Die Demonstration hat gezeigt, daß das Proletariat alles eher denn kampfesmüde ist, und jedenfalls Wort halten wird, waS es in der Resolution versprach: Nicht eher zu rasten und zu ruhen, bis für Preußen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht errungen ist._ Tie Schiffahrtsabgaben. Der Gesetzentwurf über die Schiffahrtsabgaben soll in etwa 14 Tagen dem Bundesrat vorgelegt werden. Da der Bundesrat bereits eine Abstimmung vorgenommen und fast alle Einzelheiten genügend durchberaten hat, wird mit einer Per- abschiedung der Vorlage im Bundesrat noch vor der Sommer- pause gerechnet. Der Entwurf soll dann dem Reichstage bei feinen: Wiederzusammentritt zugehen. Die dem Bundesrat zugedachte Befugnis, einen Staat auch gegen seinen Willen zum Beitritt zu einem Zweckverband zu verpflichten und Stromverbesserungen zu dulden, ist gestrichen worden. Die Uferstaaten bilden den Zweckverband selbst auf aenosseuschast- licher Grundlage. DeS weiteren sind in dem Entwurf Staffeltarife vorgesehen, gegenüber den früher vorgeschriebenen EntfernungS- tarifen mit tonnenkilometrifcher Erhebung, gegen die sich be- kanntlich die süddeutschen Bundesstaaten wegen Benachteiligung der Industrien an dem Oberlauf der Ströme auflehnten. Die Aufgabe der Zweckverbände soll im Gesetz selbst festgelegt werden. Hierzu wird jedenfalls gehören: die Rhcinregulierung bis Straßburg , die Vertiefung des Mittelrheins um bv Zentimeter, die Neckar - regulierung bis H e i l b r o n n und die Weiterführung der Main - Kanalisation. Bei den Stromverbänden sollen auch Interessenten mitwirken, so soll in jeden Zweckverband ein Beirat der Beteiligten gewählt werden, der neben der Vertretung der Regierung be- schließende Stimmen hat. Von der Zustimmung dieser Beiräte soll die Ausführung wichtiger Arbeiten und die Erhöhung der im Gesetz festgelegten Abgaben abhängen._ Qngam. Der Sieg der Regierung. Die Regierung hat einen Sieg errungen, der auch ihre eigenen optimistischen Schätzungen übertrifft. Nach den bis- herigen Wahlergebnissen entfallen auf die Kossuthpartei 37 Mandate, die Justhpartei 31, die katholische Volkspartei 12, die Nationalitäten 7, die Andrassyfraktion 14, die Parteilosen 16, die Demokraten 2, die Regierungspartei 225 Mandate, mithin 18 Stimmen mehr als die 267 Stimmen be- tragende absolute Majorität. Die Kossuthpartei der- liert 51. gelvinnt 9 Sitze, die Justh- Partei verliert 86, ge- tvinnt 9 Sitze, die Nationalitäten verlieren 15, gewinnen 1 Sitz. 12 Stichwahlen sind erforderlich. In 66 Bezirken werden die Wahlen erst in den nächsten Tagen stattfinden. Graf Khuen Hedervary wird also über eine ar- beitsfähige Majorität verfügen. Am schlechtesten abgeschnitten hat die k l e r i k a l e V o l k s p a r t e i. die zur Bedeutungs- losigkeit herabgedrückt ist, und die Partei des Herrn v. Justh, die am schärfsten die völlige Trennung von Oesterreich vertrat. Im allgemeinen zeigen die Wahlen vor allem zweierlei: Das öffentliche Sti in in recht öffnet ähnlich wie in Preußen der amtlichen Wahlbeeinflussung Tür und Tor, und die Regierung des früheren kroatischen Banus hat die Mittel der Wahlkorruption und des Wahlterrorismus skrupellos angewandt. Dann aber hat die Koalition, die Verbindung aller Parteien, die die Unabhängigkeit von Oesterreich wollten, gründlich und vollständig abgewirtschaftet. Die Trennungsideologie ist gründlich verflogen; die Wähler sind der staatsrechtlichen Zänkereien gründlich satt und der- langen endlich vernünftige politische Arbeit. Dazu wäre eine Wahlreform die Ivichtigste Vorbedingung. Für diese be- deutet aber der Ausgang der Wahlen kaum einen Fortschritt. Denn in der Regieruugsmajorität überwiegen die An- Hänger des junkerlichen Grafen TiSza, dieses Feindes des gleichen Wahlrechts, ganz beträchtlich. Doch die Wahlreform hängt auch in Ungarn nicht vom Privilegienparlament. sondern von der Energie der Massen ab. und nachdem der staatsrechtliche Spuk verflogen, wird der Kampf um das Wahlrecht in den Mittelpunkt der inneren Politik gerückt. Todesopfer. Budapest , 2. Juni. Die Wahlen sind in größter Ordnung(?!) ver­laufen. das Militär hat nirgends Veranlassung gesunden, ein- zuschreiten, nur in Nagysomkut kam eS zu Ausschreitungen, wobei ein Mann getötet wurde. In Csenger wurde ein Wähler, der einen Gendarm vom Pferde ziehen wollte, von dem Beamten mit dem Bajonetter stachen. franhrtxd). Die Fraktion und die Präsidentenwahl. Paris , 1. Juni. (Eig. Wer.) Die Kammerfraktion der geeinigten Partei beriet gestern über die Stellung bei der Wühl des Präsidiums. Jules Guesde beantragte die Aufstellung einer vollständigen sozialistischen Liste zur Demonstration des Klassen- charakters der Partei. Dabei machte er den eigenartigen Vor. schlag, daß ein Mitglied der Fraktion gewählt werden solle, das diese sozialistischen Kandidaten allein zu bestimmen habe. Der dazu gewählte Deputierte habe die Liste den Fraktionsmitgliedern in geschlossenen Umschlägen zu übergeben und die Deputierten hätten den Umschlag uneröffnet in die Urne zu werfen, wodurch eine Indiskretion verhindert und ausgeschlossen würde, daß Gegner der Partei gleichfalls für die sozialistischen Kandidaten stimmten. Dieses umständliche Verfahren wurde indes mit 35 gegen 15 Stimmen abgelehnt, ebenso die von Genossen Bedouce beantragte Stimmenthaltung, für die sich nur 7 Stimmen fanden. Auf Antrag JaureS wurde schließlich den Fraktionsmitgliedern das Verhalten bei der Präsidentenwahl freigegeben. Man kann nicht eben behaupten, daß die sozialistische Einigkeit im neuen Parla- ment mit dieser Debatte und mit diesem Beschluß besonders viel- versprechend debütiert habe. Bei der heutigen Wahl des Bureaus enthielt sich ein großer Teil der Fraktion der Abstimmung. Die Vizepräsidenten. PariS , 1. Juni. Die Kammer wählte zu provisorischen Vizepräsidenten den Links-Republikaner Etienne mit 3IS und den Sozialistisch-Radikalm Berteaux mit 2S6 Stimmen. Eine neue Parteigruppe. Paris , 2. Juni. Die Wahlreformer haben unter dem Vorsitz des Deputierten Benoist unter dem Namen«Gruppe der ver- hältnismäßigen Vertretung und der Wahlreform" sich heute zu einer neuen Gruppe vereinigt. Die neue Gruppe will die Ernennung eines Jggliedrigcn Ausschusses beantragen, der mit dem Studium aller die Wahlreform betreffenden Vorschläge betraut werden soll. Die Gruppe soll bereits über 200 Mitglieder zählen. Italien . Schandurteil in einem Preßprozeß. Rom , 30. Mai. (Eig. Ber.) Nach mehr als 40tägiger VerHand- lung ist in einem römischen Preßprozeß ein Urteil gefällt worden, das den einstimmigen Protest der italienischen Presse hervorruft. Ein Mitarbeiter der«Tribuna", der Journalist Piazza, hatte in einem Artikel schwere Anklagen gegen die Militärverhältnisse in Benadir erhoben und darzutun gesucht, daß diese Kolonie unter dem beständigen Konflikt zwischen Zivil- und Militärbehörde litte. Der Kommandant der Kolonialtruppen, Majpr Di Giorgio, strengte gegen den Artikel die Beleidigungsklage an. Nach 40tägigen VerHand- lungen, während deren zahllose Zeugen und auch viele unter dem Privatkläger dienende Offiziere als Zeugen verhört wurden, er- schien der Wahrheitsbeweis des Beklagten so vollkommen gelungen, daß der Staatsanwalt die Anklage zurückzog. Trotzdem verurteilte das Gericht den Journalisten Piazza, dem selbst die Vertreter der Zivilpartei keine persönlichen Motive unter- zuschieben gewagt hatten, zu 12 Monaten, den verantwortlichen Redakteur derTribuna" zu 10 Monaten Gefängnis, außerdem beide zu Geldstrafen und zur Leistung eines Schadenersatzes an die Zivilpartei! Dieses Urteil ist um so skandalöser, als Piazza nur seines journalistischen Amtes, das ihm die Kritik wirklicher oder vermeintlicher Schäden zur Pflicht macht, gewaltet hatte. Mehrere Journalisten haben die sofortige Einberufung der Generalversamm- lung des Presscvereins beantragt, und in der Kammer ist eine Motion der Abgeordneten M e d a(kath.) und B o n o m i(Soz.) vorgelegt worden, die eine Reform des Strafrechtes für die Ehren- beleidigungen. die durch die Presse begangen werden, verlangt. Piazza wäre wesentlich billiger davongelommen. wenn er etwa seine Frau erschossen hätte! Ganz besonders skandalös ist der Fall dadurch, daß die«Tribuna" erst kürzlich vor einem römischen Gericht wegen Vertragsbruches verurteilt wurde, weil sie den Artikel einer ihrer Redakteure nicht veröffentlichen wollte, da sie in ihm das Material für eine Beleidigungsklage zu finden glaubte. Nun sagt das Blatt: Wenn wir nicht veröffentlichen, so werden wir verurteilt; veröffentlichen wir, so geht es uns ebenso; nach welchen Grund- sähen sollen wir da unsere Redaktion einrichten? CKWa. Anonyme Drohungen. Peking , 2. Juni. (Meldung des Reuterschen Bureaus.) Sämt- liche Gesandtschaften erhielten a n o n y m e Z u s ch r r f t e n. wie man vermutet, von der revolutionären Part ei in Schanghai . In den Zuschriften heißt es. daß ein großer an t i. dynastischeH Aufstand bevorstehe. Wenn sie nicht die Mand- schuS unterstützen, sollte den Ausländern kein Leid zugefügt werden. im anderen Falle würden sie in einem allgemeinen G e» metzel umkommen. Die Zuschriften wurden in geheimnisvoller Weise zugestellt und trugen alte Briefmarken. Angesichts ähnlicher Briefe, die die Konsuln in Nanking kürzlich erhielten, macht sich eine allgemeineBeunruhigung bemerkbar. II«! der Reichsvcriidlcrungsordnungs* ßommiiiioo. Die Wahl der Arbeiter- und Arbeitgeberver- t r e t e r für die Versicherungsämter soll nach dem Entwurf wieder eine indirekte sein. Sie soll von den Vorständen der Kranken- lassen ausgeübt werden. Dabei richtet sich die Stimmenzahl einer jeden Kasse nach der Zahl ihrer Mitglieder und dem Bezirke des Versicherungsamts. t m, Die Sozialdemokraten beantragten, daß die Vertreter in besonderen Wahlgängen von den Arbeitgebern und Arbeitern mittels des allgemeinen, gleichen, direkten und ge- Heimen Wahlrechts unter Anwendung der Verhältnis- wähl gewählt werden. Hierfür traten aber außer den Sozial» demokraten nur die Freisinnigen, der Pole, die Wirtschaftliche Ver- einigung und ein Teil des Zentrums ein. Vom Zentrum hatte jeder Redner eine andere Ansicht über die direkte Wahl der Vertreter für das VersicherungSamt. Dem Abg. Erzberger erschien hier eine direkte Wahl unnötig, da die Mitglieder schon bei der Wahl des Vorstandes ihr Wahlrecht ausgeübt haben; Abg. Becker wollte zwar noch hier der direkten Wahl zustimmen, aber von weiteren direkten Wahlen der Ver- treter für die Oberversicherungsämter und für das Reichsver- sicherungsamt nichts mehr wissen. Abg. Hitze versicherte, daß er grundsätzlich für die direkte Wahl sei, aber leider sei keine Mehr- heit dafür. Ihm wurde sofort geantwortet, daß für die direkte Wahl die Mehrheit vorhanden ist, wenn das Zentrum dafür stimmt. Abg. S ch i r m e r endlich stellte sich ganz auf den Stand« Punkt der Sozialdemokraten. Der Vertreter der württembergischen Regie- rung, die bereits vielfach bei derartigen Wahlen das direkte Ver- fahren durchgeführt habe, erhob ebenfalls Einspruch gegen die direkte Wahl. Zu viele derartige Wahlen seien gefährlich, sie würden Beunruhigung in die Bevölkerung hineintragen, Verstimmungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hervorrufen. Die Debatte über die Art, wie die indirekte Wahl gestaltet werden müsse, war sehr ausgedehnt und ergab, daß das vorge- schlagene Verfahren sehr verwickelt und umständlich ist. Um eine, Vereinfachung zu erreichen, schlug daS Zentrum vor, daß nicht der Vorstand der Krankenkassen, sondern die einzelnen Vorstands- Mitglieder wählen sollen, und zu diesem Zweck die einer Kasse zu- stehende Stimmenzahl auf die Vorstandsmitglieder verteilt werde. Die Sozialdemokraten wiesen oarauf hin, daß bei einer solchen Wahl die Mitglieder der Landkrankenkassen rechtlos sein würden. Schließlich wurde der Antrag der Sozialdemokraten mit 9 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Den Ausschlag gab da? Zentrum, von dem nur die Abgg. Schirm er und Becker für den sozialdemokratischen Antrag, die anderen Vertreter aber da- gegen stimmten. Außerdem wurden auf Antrag des Zentrums alle die Kassen- Mitglieder von der Wahl ausgeschlossen, deren Kasse im Bezirke des Versicherungsamts weniger als 50 Mitglieder habe. Wählbar sollen nach der Vorlage nur Männer sein. Die Sozialdemokraten hatten beantragt, daß das Wahlrecht aufdieweiblichenPersonen ausgedehnt wird. Ministerial- direktor C a s p e r erhob gegen den Anrrag Einspruch. Dre Re- aierungen könnten grundsätzlich nicht zustimmen, daß weiblichen Personen obrigkeitliche und richterliche Funktionen übertragen werden. Abg. Mugdan erinnerte daran, daß dieser Grundsatz bereits in der Gesetzgebung durchbrochen sei, die Aerztinnen könnten nach dem Gesetz in die Aerztekammern gewählt werden. Die Sozialdemokraten fügten hinzu, daß auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung sehr wichtige Interessen der Arbeiterinnen auf dem Spiele stehen: die Wochenhilfe, Familienhilfe, Witwenfürsorge usw. Daher sei- es ganz unberechtigt, die Arbeiterin von der Mitarbeit in den Versicherungsämtern auszuschließen. Das Zentrum erklärte, daß es vorläufig gegen den sozialdemokratischen Antrag stimmt. Bei der Ab- stimmung gab denn auch das Zentrum den Ausschlag da- hin. daß die Frauen für unfähig erklärt werden. in die Versicherungsämter gewählt zu werden. EL wurde dabei von den Konservativen und den Rationallikeralks unterstützt.< Räch Seift Entwurf solleft Versicherls flüe daftft fft STe Ve?« ficherungsämter als Arbeitgebervertreter gewählt werden können, wenn sie regelmäßig mehr als zwei Versicherungspflichtige be- schäftigen. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde be- schlössen, daß in dieser Beziehung Versicherte dann den Arbeit- gebern zugerechnet werden, wenn sie als selbständige Gewerbe- treibende gelten, Hausgewerbetreibende dann, wenn sie in der Regel mehr als eine Person beschäftigen. Dadurch ist einer größeren Zahl von kleinen Geschäftsleuten die Wählbarkeit als Arbeitgebervertreter gesichert worden. Werden von einem Versicherungsvertreter Tatsachen bekannt, die seine Wählbarkeit ausschließen oder eine grobe Verletzung seiner Amtspflicht darstellen, so soll nach dem Entwurf der Vorsitzende des Versicherungsamts ihn vorläufig seines Amtes entheben und dem ObcrverficherungSamt unverzüglich Anzeige erstatten. DaS Oberversicherungsamt muß ihm Gelegenheit zur Aeutzerung geben. Das Oberversicherungsamt(Beschlußkammer) kann ihn des AmteS entsetzen. Gegen den Beschluß hat er die Beschwerde an daS Reichsversicherungsamt. Die Konservativen wollten hier mit der Entlastung deS Reichsversicherungsamtes beginnen. Sie beantragten: In einem derartigen Falle soll der Vorsitzende den Beisitzenden seines Amtes dauernd entsetzen. Ist damit der frühere Beisitzende nicht cinver- standen, dann kann er Beschwerde an das Oberversicherungsamt einlegen. Dieses entscheidet als Beschlutzkammer endgültig. Da? Reichsversicherungsamt soll also nicht angerufen werden können. Die Sozialdemokraten rieten dringend von dieser Aenderung der Vorlage ab. Praktisch habe die beabsichtigte Eni- lastung des Reichsversicherungsamtes keine Bedeutung, da solche Fälle nur ganz selten vorkommen werden. Wenn aber ein Bei- sitzer beschuldigt wird, sich einer so groben Verletzung seiner Amts- Pflicht schuldig gemacht zu haben, daß er seines Amtes entsetzt werden mutz, so sei das der schwerste ehrenrührige Vorwurf. Des- halb sollte man dem Angeschuldigten die Möglichkeit geben, die Entscheidung der obersten Instanz anzurufen. Die anderen Parteien nahmen jedoch den konservativen Antrag an. Den Beisitzern im Versicherungsamt wollte die Vorlage die Pflicht auferlegen, auch ohne besonderen Auftrag dem Versiche- rungsamt alle ihnen bekannt gewordenen Angelegenheiten mit- zuteilen, die nach ihrer Ansicht für das Versicherungsamt oder einen Versicherungsträger wichtig sind. Auf Antrag der Sozial- deniokraten wurde diese Vorschrift g e st r i ch e n, da es dem pflichtgemäßen Ermessen eines jeden Beisitzers selbst überlassen sein muß, wie weit er in dieser Beziehung gehen kann. Hierauf begann die Kommission mit der Beratung der Vor- schristen über die Ausschüsse. Morgen wird fortgefahren. Eue der Partei. Parteiliteratur. Die Freiligrath -Nummer der Buchhandlung Vorwärts ist soeben erschienen. Das Titelblatt zeigt ein Bildnis Freiligraths in seinen besten Mannesjahren nach einem Gemälde seines Freundes Haseiielevers das in der Berliner Nationalgalerie hängt. Karl Korn gibt einen Abriß des Lebens, Wirken? und Schaffens des Dichters und Freiheitskämpfers. Kurt Eisner schreibt über:«Der Dichter in den Revolutionen". Franz D i e d e r i ch hat einen Artikel:»FreiligrathS Charakter" beigesteuert.Von Freiligraths Beziehungen zu Marx-EngelS" berichtet Ed. B e r n st e i n. Ueber F r e i 1 i g« rath und die Sozialdemokratie" schreibt W. BloS. Den Beschluß bilden markante Stellen aus den Werken des Dichters selbst. Die Nummer ist mit zahlreichen Illustrationen und Faksimiles geschmückt. Einen Teil davon'verdankt der Verlag der Freundlichkeit der einzigen noch lebenden Tochter deS Dichters. Der Preis ist 20 Pfennig. Freiligrath » zündende Freiheitssänge sind unverlierbares Eigen- tum der einzigen revolutionären Klaffe der Jetztzeit, der Arbeiter« schaft. Und gerade in der Zeit des Wahlrechtskampf?? wecken sie in der Brust der Proletarier lebendigen Widerhall. Die Genossen werden deshalb gern zu der Freiligrath -Nummer greifen, die ihnen den Dichter, Kämpfer und Menschen Freiligrath näher bringt. Spießrutculaufcn mutzte am Mittwoch ein Breslauer Polizeikommissar namens Gottlieb Simniok. ein bevorzugter Liebling des Polizeipräsidenten. Herr S. hatte nach einer Wahlrechts- demonstratio» mitten in der Stadt eine Straße abgesperrt. obwohl nur vier Personen zu sehen waren. Das hatte den zufällig vorübergehenden Genossen Albert veranlaßt, im Vorbeigehen zu bemerken:«Merkwürdig, daß das immer nur bei Herrn S. passiert I' Nach einiger Zeit ließ der Kommissar durch einen Polizisten L. zurückholen und notieren, weil der bereits 30 Schritte entfernte A. stehen geblieben sei und seine Auf- forderung, weiter zu gehen, nicht befolgt habe!!«. erflärte: Aber d a hört doch alles auf I Sie lassen mich weit zurück- holen und behaupten, ich fei stehen geblieben. Wer so etwas sagt, schwört doch einen glatten Meineid I' Dadurch fühlte sich S. beleidigt und stellte gegen A. Strafantrag. In der Verhandlung aber vor dem Schöffengericht wurde dem Liebling des Präsidenten Übel mitgespielt: Der Angeklagte erbot sich, Beweise für die Unglaubwürdigkeit. Unzuverläisigkcit, Nervosität und für das provozierende Austreten des S. zu erbringen. DaS Gericht lehnte das aber ab. Daraufhin las der Verteidiger A. eine lange Liste von Heldentaten des S. vor. die ein eigentümliches Licht auf diesen Herrn warfen,«ber nicht nur da? mußte S. über sich ergehe» lassen: fein Borgesetzter, ein Inspektor Wohlfromm, wurde von der Verteidigung derartig in die Enge gedrängt, daß er Herrn S. arg belastete. Auf die Frage des Verteidigers, ob Herr S. disziplinarisch bestraft sei, verweigerte er die Auskunft. Als der Verteidiger schmunzelnd sagte:«Da» genügt mir auch", platzte der Zeuge mit der Aeußerung heraus:Aber so oft Herr S. bestraft worden ist. es geschah n i e wegen Beschwerde des Publikums l" Tableaul Als dann der Ver» teidiger fragte:Ist es richtig, daß wegen des Kommissars Simniok einmal 10 Schutzleute sich haben versetzen lassen, weil mit Simniok kein Auskommen sei?" Daraus höchst eifrig der Polizeiinspektor: «Zehn? o nein l".Na, dann sieben oder acht", meinte lachend der Verteidiger. Und so ging es fort. Die uniformierten Zeugen sagten im Sinne des S. aus, während wohl 1012 Zivilzeugen unter Eid das Gegenteil bekundeten. Am schlimmsten aber erging eS dem Polizei- mann im Urteil; Genosse Albert wurde von der Anklage der Uebertretung glänzend freigesprochen. ES wurde festgestellt, daß der Kommissar kein Recht hatte. Albert zurückzurufen, kein Recht hatte, seine Personalien auf der Straße aufzunehmen<S. kannte Albert seit Jahren!)>llnd kein Recht hatte, Albert eine Ungesetzlichkeit vorzuwerfen. Weil aber Albert aus Aerger über diese Ungesetzlichkeit deS S. und weil er wußte, daß S. zu feinem Vorgehen kein Recht hatte, obige Aeußerung getan, anstatt Hübich stramm zu stehen undKusch" zu machen, erhielt er wegen Be- leidigung 10 0 Mark Geldstrafe. Als Verurteilter, als für ewig Bloßgestellter verließ Kommissar Gottlieb Simmiok den Gerichts- faal. In Breslau herrscht darüber ungeteilte Freude, vor allem, weil Herr v. Oppen nuninehr mit seinem Liebling keinen Staat mehr machen kann...._ Personalien. DaS GothaerBolkSblatt" meldete am 31. Mai: Die heutige Nummer ist die letzte unter Redaktion de» Genossen I o o s. Da Genosse G e i t h n e r erst am IS. Juni die Redaktionsgeschäfte übernehmen kann, steht daSBolkSblatt" bi» dahin unter der Leitung des Geiwsse» Aschenbach.