sächlich auf Post und Telegraph(640 beztv. 673) und die Eisenbahnen(10S bezw. 123). Die nächstwichtige Einnahmequelle bilden Steuern und ö l l e. Die Bundesstaaten erheben an direkten Steuern 666, ufwandsteuern 84, Verkehrssteuern 96 und Erbschaftssteuern 17, zusammen 862 Diillionen Mark. Das Reich bezieht aus Zöllen 739, aus Aufwandsteuern 667, aus Verkehrsstcuern 142 und aus der Erbschaftssteuer 30, zusammen 1478 Millionen, darunter 8S Millionen auf Grund der neuen Steuergesetze. Zahlenmäßige Nachweise über das StaatSbermögen der einzelnen Bundesstaaten konnten nur in bezug auf wichtigere Be. standteile erbracht werden. Neben Ueberschüssen früherer Rech- nungsjahre, verfügbarem Staatskapitalvermögen usw. besitzen die Bundesstaaten an Domänen ein Areal von 779 279 Hektar, an F o r st e n S 031 595 Hektar. Die Staatseisenbahnen repräsentieren eine Länge von 52 745 Kilometer(im Reich 1361) und ein Anlagekapital von 15 259(im Reick) 795) Millionen Mark. Die fundierten Staatsschuld en beziffern sich zu Be. ginn des Rechnungsjahres 1909 für die Bundesstaaten auf 13 679 (darunter Preußen 8225, Bayern 1795), für das Reich auf 3894 Millionen Mark. Die schwebenden Schulden betragen ins- gesamt 961 Millionen Mark; sie entfallen in der Hauptsache auf das Reich(360) und Preußen(545). Skandalöse Polizeipraktiken! Während die in den Großstädten Bochum - und Gelsenkirchen neu eingeführte königliche Polizei im allgemeinen davon absieht, diejenigen Wirte zu schikanieren, die ihre Lokale den organisierten Arbeitern zur Verfügung stellen, nimmt die küniglichePolizei in Essen eine andere Stellung ein. Diese läßt es die Wirte deutlich fühlen, daß ihr Verhalten in den Augen der Polizei Miß- fallen erregt. Hat ein Wirt in der„A rb e i t e r» Z e i t u n g" ein Inserat aufgegeben, so erhält er beim nächsten Straf- mandat wegen Uebertretung, die in solchen Fällen nicht lange auf sich warten läßt, weil die Polizei immer etwas finden kann, wenn sie will, das Inserat aus der„Arbeiler-Zcitung" fein säuberlich« ausgeschnitten, als Wink mit dem Zaunpfahl beigelegt. Eine sonderbare, wohl bisher einzig dastehende Praktik. Was sagt der Minister des Innern zu diesem Verfahren, das an Eindeutigkeit nichts mehr zu wünschen übrig läßtl frankmeb. Tie Wahlreform. Paris , 1. Juni. (Eig. Ber.) Die Grundzüge des von der Regierung vorbereiteten Entwurfs über die Wahlreform find nunmehr bekannt, und sie zeigen, wie wenig man Briand trauen darf, wenn er Geschenke bringt. Vor allem ist die Einführung der Verhältnisivahl mit der Verlängerung der Mandatsdauer auf sechs Jahre und der alle zwei Jahre er- folgenden Erneuerung eines Drittels der Mandate verbunden, zwei Bestimmungen, die mit der Proporzidee nicht das geringste zu tun haben und nur geeignet sind, die Beratungen über die Reform in die Länge zu ziehen. Sie können auch manchen Deputierten, die, der Volksstimmung Rechnung tragend, sich auf den Proporz verpflichteten, den Vorwand zur Ablehnung des Gesetzes geben. Aber auch was über die angekündigte Verhältniswahl selbst in die Ocffentlichkeit gekommen ist, muß Vcrtvunderung und Mißtrauen»»ecken. Denn, was da vorgeschlagen wird, ist überhaupt keine wirkliche Verhältniswahl, sondern ein ausgesprochenes Majorisierungssystem mit einer gewissen garantierten Minoritätenvertretung, also eigentlich eine in ihrer rechtsräuberischen Brutalität cttvas gemilderte Listenwahl. Die Zuteilung der Mandate soll nämlich in folgender Weise geschehen: Die Zahl der Wahl- berechtigten des Wahlkreises wird durch die Zahl der zu wählenden Deputiertendividiert. Das Resultat ist der Wahlquoticnt. Andererseits wird der Durch- schnitt der auf jede Parteiliste entfallenden Stimmen gezogen und jeder dieser Durchschnitte durch den Wahl- guotienten dividiert. So oft der Wahlquotient im Durchschnitt enthalten ist, so viel Mandate erhält die betreffende Partei. Aber in der Regel bleiben dann noch Mandate übrig— mindestens eins, da der Wahlquotient nie in den Wählcrzahlen restlos aufgehen kann, schon darum, weil die Wahlbeteiligung nie 100 Proz. ausmacht. Die übrig- gebliebenen Mandate sollen nun einfach als Prämie der Partei zufallen, die die meisten Stimmen aufgebracht hat. Nehmen»vir z. B. an, ein Wahlkreis von 200000 Wählern habe 10 Deputierte zu wählen. Die Wahlbeteiligung ist 80 Proz., die Zahl der abgegebenen Stimmen also 160000. Es sind drei Parteilisten aufgestellt. Die Liste A vereinigt 60000 Stimmen auf sich, die Liste B 55,000, die Liste C 45 000. Da der Wahlquotient 20000 beträgt, werden nächst der Partei A(60000 dividiert durch 20000) drei Mandate, der Partei B und der Partei C je zwei Mandate zugeteilt. Es bleiben also noch drei Mandate zur Verfügung und diese bekoinmt nun A als Prämie, so daß diese Partei mit 60000 Stimmen sechs Mandate errungen hat, die beiden anderen mit zusammen 100000 Stimmen nur viert Inwiefern diese Wahl noch „proportional" sein soll, ist wirklich nicht leicht zu sagen. Der Majorität werden eben nicht nur die verlorenen Quotienten- bruchteile der Minderheitsparteien, sondern alle nicht- abgegebenen Stimmen zugerechnet, was, wie das„Journal des Debats " sehr richtig bemerkt, eine Prämie auf die Fabrikation falscher Wähler ist. wobei sogar, weil niemand ihre Stimmen in die Urne zu werfen braucht, die Straflosigkeit gesichert ist. Man sieht also, daß BriandS Bekehrung zum Proporz mit Vorsicht aufzunehinen ist. Die Kammersitzung. Paris » 4. Juni. In der gestrigen Kammersitzung wurden 504 Mandate für gültig erklärt. Die restlichen 93, dprunter das Mandat DelcasseS, sowie das des Unterstaatssekretärs im Kriegsministerium S a r r a u t, gegen die Proteste einliefen, dürf- ten mehr oder weniger lebhafte Erörterungen veranlassen. Der Pariser Deputierte B e r r y will bei dieser Gelegenheit beantragen, über die Gültigkeit der Mandate öffentlich und namentlich abzustimmen. Ministerpräsident Briand dürfte am nächsten Donnerstag, wo sich die Kammer endgültig konstituiert, die R e. gierungserklärung verlesen, die zweifellos eine mehrere Sitzungen ausfüllende Jnterpellationsdebatte über die allgemeine Politik des Ministeriums hervorrufen wird. Italien . Eine Rede LuzzattiS. Rom , 4. Juni. Die Deputiertenkammer verhandelte heute das Budget des Innern. In Beantwortung verschie- dener Anfragen erklärte Ministerpräsident Luzzatti, er werde einen Gesetzentwurf vorlegen, durch den das Zwangsdomizii abgeschafft und durch andere auf bestrafte Personen anzuwendende Maßregeln ersetzt wird. Luzzatti trat dann für schnelle Erledi- gung der von Giolitti eingebrachten Vorlage betreffend die Für- sorge für verlassene Kinder ein und erklärte weiter, er werde mit größter Strenge für die Unterdrückung der Schmutzliteratur sorgen. Der Minister ging dann auf politische Fragen ein, fxrgch gegen dg? glkgeWSine Stimmrecht und erklärte, er mach« LaS Wahlrecht von der Bildung abhängig. Die Regierung werde, wie auch früher, sich jeder Beeinflussung der Wahlen enthalten. Was die A u s st ä n d e anbetreffe, habe die Regierung in gleicher Weise für die Freiheit der Arbeit wie für die Freiheit, die Arbeit einzustellen, zu sorgen, und Gewalttätigkeiten, von welcher Seite sie auch begangen werden, zu unterdrücken. Mit der Redensart von der Freiheit der Syndikate könne er sich nicht ein- verstanden erklären. Alle Freiheiten beruhten auf der Freiheit des JndividuuinS, und Freiheit des Syndikats könne dahin aus- arten, daß sie die Freiheit des Individuums beeinträchtige. In der Auffassung des Begriffs der Freiheit bestehe ein großer Unterschied zwischen den angelsächsischen und den lateinischen Völkern. Für erstere bestehe die Freiheit darin, ihre Ideen unter Achtung der Ideen anderer zu verteidigen. Die lateinischen Völker verständen unter der Freiheit nur zu leicht die Möglichkeit, die Ideen anderer zu bekämpfen. Die Auffassung der angelsächsischen Völker führe zur wahren Demokratie, die der lateinischen Völker zur Demagogie und zur Tyrannei. Italien müsse die erstere wählen, denn die tvahre Freiheit führe zum Triumphe der Wahrheit, während Ge- walttätigkeit immer zum Ruine führe.(Lebhafter Beifall, der Ministerpräsident wurde von vielen Deputierten beglückwünscht.) Hierauf wurden alle Tagesordnungen zurückgezogen und das Haus trat in die Spezialberatung ein.:= Die Kammer hat das Budget des Innern bewilligt. Japan . Eine Tartarennochricht. Paris ,'4. Juni. Dem hiesigen New Uork Gerald wird aus Fo k o h a m a gemeldet, man fei dort einer großen s o z i a» istifchen Verschwörung auf die Spur gekommen. Meh- rere Agitatoren hätten in der staatlichen Waffenfabrik Bomben hergestellt, angeblich, um den Ministerpräsidenten und die übrigen Minister zu töten. Es gehört schon die ganze Verleumdungstechnik der„Deutschen Tageszeitung" dazu, diese Sensationsmeldung unter dem Titel: «Große sozialdemoßraltfsche Verschwörung in Japan " zu veröffentlichen. Das gewissenlose Verleumderblatt könnte schon wissen, daß Sozialdemokraten prinzipiell die terro. ristische Taktik verwerfen. In Wirklichkeit hat die japanische Re« gierung mit den brutalsten Mitteln die sozialistischen Organe» sationen gesprengt und ihre Führer verfolgt. Sollte an der Nach- richt überhaupt etwas wahres sein, so könnte es sich höchstens um ein Lockspitzelstück handeln, um neue Vorwände für Ber» folgungen zu schaffen._ flu ; der Relchsveriicherungsordnungs- Kommission. Will ein Senat des Reichsversicherungsamtes in einer grund- sätzlichen Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so ist die Sache zur Entscheidung an einen er- wetterten Senat zu verweisen. Dieser entscheidet nach dem geltenden Recht unter dem Vorsitz des Präsidenten des Reichs- bersicherungSamtes in der Besetzung mit zwei nichtständigen Mit- gliedern des Reichsversicherungsamtes aus den vom Bundesrat gewählten Mitgliedern, zwei ständigen Mitgliedern, zwei richter- lichen Beamten und je zwei Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeiter. An Stelle der vom Bundesrat gewählten Mitglieder können Mitglieder des NeichSversicherungSomteS zugezogen werden. Die Regierungsvorlage will die Besetzung des ertveiterten (Großen) Senats verringern, so daß statt zwei ständigen Mit- flliedern nur eins, statt zwei richterlichen Beamten nur einer und tatt je zwei Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur je einer mitwirken. Die Sozialdemokraten beantragten, daß die gegen- wältige Besetzung des erweiterten Senats beibehalten wird. Das bisherige Verfahren habe sich bewährt. Da die Entscheidungen des erweiterten Senats vor großer Bedeutung seien, so sollte hier nichts zeändert werden. Gespart werde durch die geringe Besetzung ber- chwindend wenig, da der erweiterte Senat nur einmal im Viertel- ahre tagt. Die Konservativen wollten den Vorschlag der Re- gierungen nur darin ändern, daß zwei weitere ständige Mit- glieder hinzugefügt werden. Dagegen wollten sie mehr Vertreter der Arbeiter und Arbeitgeber nicht haben. Meinte doch Herr v. Gamp, daß hier die Vertreter der Arbeiter und Unternehmer nur dekorative Bedeutung haben, sehnlicher Meinung ist der Staatssekretär. Er legt der Mitwirkung der Arbeiter- und Unternehmervertreter namentlich deshalb Bedeutung bei, weil sich die Herren persönlich davon überzeugen können, daß die Ent- scheidungen nur nach Recht und Gerechtigkeit gefällt»verden. Diesen beiden Rednern»vurde nachgewiesen, daß auch der er» »veiterte Senat bei seinen Entscheidungen oft genug die tatsäch- lichen wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat. Dem- gemäß habe sich die Mitwirkung der Arbeiter- und Unternehmer. Vertreter auch in dieser Beziehung bewährt.— Schließlich wurde der Antrag der Sozialdemokraten mit großer Mehrheit ange» n o m m e n. Vor der Abstimmung über die Landesvcrsicherungsämter gab Abg. Becker dix Erklärung ab. daß er gegen den Zentrums- antrag stimmen werde, den er in der vorigen Sitzung unter- schrieben habe: Belassung der Landesversicherungsämter in den Bundesstaaten mit mindestens drei Oberversicherungsämtern. In der vorigen Sitzung sei die Frage an den Vertreter der preußi- schen Regierung gerichtet worden, ob etwa auch Preußen ein be- sondeves Landesversicherungsamt errichten wolle. Diese Frage sei nicht beantwortet»vorden. Daraus entnehme er die Ueberzeugung, daß es notwendig sei, alle Landesversicherungsämter zu beseitigen. Der Staatssekretär versicherte, er könne sich keinen Grund denken, weshalb Preußen die großen Aufwendungen für ein besonderes LaicdeSverficherungSamt auf sich nehmen solle.— In der weiteren Debatte wurde darauf hingewiesen, daß nach der Regierungsvorlage die Befugnisse der Landesversicherungsämter bedeutend erweitert werden sollten. Daher sei es höchste Zeit, im Interesse der Rechts. einheit, ein Ende»nit den Landesversicherungsämtern zu machen. Dagegen schlugen einige konservative und ultramontane Ab- geordneten vor, die jetzigen LandesversicherunaSämter bestehen zu lassen, aber nur mit den bisherigen Befugnissen. Dann werden gegen die Stimmen des Zentrums und der Konservativen die Landesversicherungsämter gestrichen. In dem Abschnitt über R e ch t S h i l f e ist den öffentlichen Behörden wie bisher so auch für fernerhin die Verpflichtung auf- erlegt worden, den Ersuchen der VcrsicherungS- und anderen öffent- lichen Behörden sowie der Organe der Versicherungsträger im Vollzuge der Versicherungsordnung zu entsprechen, insbesondere vollstreckbare Entscheidungen zu vollstrecken: Die Sozialdemo- k r a t e n hatten beantragt, daß auch Zeugen eidlich vernommen werden sollen. Bisher war es zweifelhast, ob die Gerichte zu einer solchen eidlichen Vernehmung verpflichtet seien. Für die Ar- bciter ist es aber sehr wichtig, daß die Zeugen eidlich vernommen werden. Der Antrag wurde»nit der Erweiterung angenommen, daß auch Sachverständige eidlich zu vernehmen sind. Ferner beantragten die Sozialdemokraten: Bei den Beweisaufnahmen ist den Parteien Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. Während eines Streitverfahrens sind Beweisaufnahmen der Versicherungsträger unzulässig. Der erste Satz hat sich aus der Praxis als notwendig ergeben, damit die an einem Unfall beteiligten Arbeiter bei den nur zu oft ganz einseitigen Beweisaufnahmen zugegen sein und etwaige Un- richtigkciten sofort richtig stellen können. Dieser Satz wurde denn auch einstiinmig angenommen. Für den ziveiten Satz dagegen stimmten außer den Sozial- demokraten nur die Fortschrittler und die Polen , und dieser Teil des Antrages wurde daher abgelehnt.— Abg. Becker erkannte ztvar an, daß auch in diesem Vorschlage„ein sehr berechtigter Kern" sei. Da er aber noch nicht die Tragweite der Bestimmung übersehen könne, stimmten er und alle anderen Zentrums- abgeordnete vorläufig" den Mtrsg akdec. Unter den Bestimmungen, die sich auf die„Leistung e n beziehen, ist in deln Entwurf neu vorgeschlagen worden, daß die Ansprüche des Berechtigten auch wegen„rückständiger Be»- träge, die nicht seit länger als drei Monaten fällig sind, über- tragen, verpfändet und gepfändet" werden können. Die Sozial» demokraten beantragten, daß die Frist auf einen Monat be- schränkt wird, weil sonst eine unverhältnismäßig große Harte für Erkrankte eintreten könnte. Der Antrag wurde einstimmig an- genommen.. Beschlossen wurde noch, daß nach dem 1. Buch nicht toie oe- absichtigt war, das letzte Buch, sondern das 2. Buch des Entwurfs über die Krankenversicherung beraten werden soll. Nächste Sitzung Montag. Uli! der Mtkliommlssion. Bei der in der Freitaassitzung vorgenommenn Abstii»»mung über den Z 116 wurden durch die Annahme des Antrages G r o e- ber wesentliche Verbesserungen zum«Schutze des Verhafteten rn die St. P. O. aufgenominen. Der Antrag unserer Genossen wurde abgelehnt. Auch bei 8 117, die Untersuchungshaft betreffend, wurden einige weitere Erleichterungen für den Untersuchungsgefangenerr gesetzlich festgelegt. Abgelehnt wurde neben dem sozialdemokra- tischen Antrag auch ein Antrag der Nationalliberalen, der vmn Bundesrat die einheitliche Regelung der Untersuchungshaft über das ganze Reich forderte. Durch einen vom Abg. Groeber eingebrachten Antrag sollte ein§ 117s geschaffen werden, in dem gesagt wird, daß, wenn der Verhaftete mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand nicht ein- geliefert werden kann, darf der Nichter die Unterbringung des Untersuchungsgefangenen in eine Krankenanstalt anordnen. Die Vernehmung des Verhafteten ist auszusetzen. Auch soll die Unter- suchungshaft unterbrochen werden, wenn der Verhaftete erkrankt. Von den sozialdemokratischen Kommissionsmitgliedern wurde dieser Antrag lebhaft unterstützt. Die Regierungsvertreter wendeten sich dagegen, indem sie behaupteten, daß diese„Selbstverständlichkeiten" bereits im 8 122 des Enttvurfs berücksichtigt worden seien. Dem- gegenüber führten unsere Redner an, daß der 8 122 nur bestimmt: Die Haftentlassung darf unterbleiben, wenn der Flucht oder Kölln- sionsgefahr durch andere Matznahmen vorgebeugt werden kann. Dazu beantragten unsere Genossen, die Anwendung dieser Be- stimmung durch das Wort„darf" nicht in das Belieben des Rich- ters zu stellen, sondern zu sagen, der Haftbefehl„hat zu unter» bleiben". Der sozialdemokratische Antrag wurde gegen die Stim- men der Sozialdemokraten, Freisinnigen und Polen abgelehnt; der Antrag Groeber gelangte mit 17 gegen 10 Stimmen zur Annahme. Der 8 HL sieht die Haftaufhebung gegen Si«cherheitsleistung vor. Die Höhe der Kautionssumme hat der Richter zu bestnnmen. Ein Antrag Spahn bezweckt in der Hauptsache, daß in leichteren Straftällen gegen Sicherheit die Haft zu unterbleiben hat. Ter Antrag wurde abgelehnt und beschlossen, wenn die Untersuchungs- Haft nur wegen Fluchtverdachts verhängt ist, der Haftvollzug unter- bleiben soll, wenn Sicherheit geleistet ist. In der RegierungS» Vorlage hieß eS anstatt„soll",„könne". freies Geleit kann der Richter dem Beschuldigten«ruf Grund 123 erteilen, wenn der Beschuldigte die Geleitsbedingungen innehält, keinen Fluchtversuch unternimmt, oder wenn nicht auf Freiheitsstrafe gegen ihn erkannt wird. Auf Antrag von Groeber und unseren Genossen wurden die letzten beiden Bedingungen ge» strichen. Nach dem 8 126 Absatz 2 ist der Haftbefehl aufzuheben, wenn die öffentliche Klage nicht innerhalb vier Wochen— bei Vergehen innerhalb zwei Wochen nach der Verhaftung beim Gericht erhoben ist. Unsere Genossen beantragten, anstatt dessen zlvci Wochen respektive eine Woche zu setzen. Das wurde abgelehnt. Dauert die Untersuchungshaft länger als zwei Monate oder ist nach Ablehnung eines Einivandcs gegen den Haftbefehl bereits diese Zeit vergangen, so hat der Untersuchungsrichter nach 8 127 über die Fortdauer der Haft eine Gerichtsentscheidung herbeizu- führen. In dem Verfahren darüber ist dem Beschuldigten«in Verteidiger zu stellen. Dazu»vurde beantragt, zu bestimmen, daß die Strafsachen gegen Verhaftete bor allen anderen Sachen be- handelt und beschleunigt werden müssen. Die Einlvände gegen die Fortdauer der Haft sind nach den Bestimmungen des§ 116 zu behandeln. Den Nationalliberalen ging selbst die Regierungs - vorläge noch zu weit. Sie beantragten, diese Garantien dem Ver- hafteten nur dann zu gewähren, wenn er darauf nicht verzichten will. Unter Ablehnung aller Anträge wurde der 8 127 in der Fassung der Regierungsvorlage gegen die Stimmen der Konfer» vativen, Nationallibcralen und des Antisemiten angenommen, Fortsetzung der Beratung am Dienstag., Huö der Partei. Emmanuel Chanvidn gestorben. Pari«, 3, Juli. (Eig. Ber.) Gestern ist hier der sozialistische Deputierte des 15. Arrondissement, Genosse Emmanuel Chauvidre im Alter von 60 Jahren gestorben. Er war einer der Veteranen der französischen Betvegung. Als blutjunger Buchdrucker nahm er an dem Kampf gegen das Kaiserreich teil, in der Gefolgschaft B l a n q u i S, dessen putschistischer Richtung er lange treu blieb. Er beteiligte sich auch an dem von Blanqui orgaicisierten ver- ungliickten Handstreich gegen die Feuerwehrkaserne von Billette ain 14. August 1870. Wegen seiner Teilnahme an der Kommune wurde er zu fünf Jahren Gefängnis ver- urteilt, die er abbüßte. Hierauf ging er nach Belgien ,»vo er bis zur Amnestie blieb. Nach seiner Riickkehr arbeitete er eifrig an der emporstrebenden sozialistischen Presse der achtziger und neunziger Jahre mit und drang unter dem Einfluß V a i l l a n t s tiefer in die sozialistische Gedankenlvelt ein. 1883»vurde er zum Gemeinderat, 1893 zum Deputierten gewählt. Er behielt daS Mandat bis zuletzt. In den letzten Jahren, als sich nach der Einigung der sozialistischen Partei ihr Klassencharakter verschärfte, blieb er nicht immer iin Einklang mit der Organisation. Er zeigte starke blocksozialistische AnWand» hingen, und bei den letzten Wahlen stellte die sozialistische Seine- Föderation ihm sogar einen Kandidaten entgegen. Chauvidre be- hielt jedoch die größere Stimmenzahl und bor dem zweiten Wahl- gange kam eS zu einem Einvernehmen, so daß Chauvidre als Kandidat der Partei anerkannt und aelvählt wurde.— In den letzten Jahren hat Chauvidre feinen Eifer hauptsächlich Werken der Wohlfahrtspflege gewidmet._ Jugendbewegung. Der Kampf um die Jugend. Wie in anderen Städten, hat sich auch für Augsburg und die Vororte eine Jugendorganisation gebildet, die sich zum großen Leidwesen der katholischen Geistlichen zu einem statt- lichen Mitgliederstand entwickelte, während die Zahl der Mitglieder der katholischen Lehrlingsvereine ständig zurückgeht. Von der Geistlichkeit wird deshalb mit allen Mitteln gegen die Jugendorganisation und ihre Mitglieder gekämpft. In Pfersee , einem Vororte Augsburgs , wurde«in wahrer Feld- zug gegen die Mitglieder der Jugendorganisa» tion eröffnet. Nachdem man erst versucht hatte, den Jugend» lichen ihr Versammlungslokal abzutreiben, ließ der Pfarrer jede? einzelne Mitglied zu sich laden, um es unter den verschiedensten Drohungen zum Austritt zu bewegen. WS das nicht half, wurden die Eltern aufgesucht und bearbeitet. Das Lesen des OrganS „Arbeitende Jugend" erklärte der Pfarrer einfach als strafbar. Bis jetzt hat das Wüten der Pfcrseer Geistlichkeit gegen die Jugendorganisation keinen Erfolg gehabt, und die dortigen Ge- nossen sind auch keineswegs gewillt, sich die Uebergriffe der Geist- lichkeit so ohne weiteres gefallen zu lassen, sondern haben energische Schritte dagegey eingeleitet,
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