Nr. 142.
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Vorwärts
10. Jahrg.
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Reduktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
An die
Wahlkomitee's unserer Partei!
Auch über den Ausfall der Stichwahlen bitten wir uns sofort nach dem Bekanntwerden telegraphisch Nachricht zu geben, soweit es sich um Stichwahlen handelt, in denen Kandidaten unserer Partei in Frage kommen. Die Telegramme find wiederum zu adressiren:
Dringend Sozialdemokrat Berlin .
Diejenigen Wahlkomitee's, denen telegraphische Nachricht über den Ausfall der Berliner Stichwahlen erwünscht ist, wollen uns dies per Postkarte mittheilen.
Die Parteipresse wird um Abdrud gebeten.
Das
Wahlrecht in Gefahr.
Dienstag, den 20. Juni 1893.
Expedition: SW. 19, 33euth- Straße 3.
Wahltyrannei treiben, zu gute fommen. Es ist ja selbstrebend, hat das Nachsehen. Er mag sich schweigend aussaugen daß maffenhaft Arbeiter entlaffen würden, die einen fozial- laffen. demokratischen Stimmzettel abgeben. Vielen ist aber selbst diese Reform" noch lange nicht genügend. Sie wollen das Wähler! Ihr habt es in der Hand, die Stichwahlen Macht die schäbigen ganze allgemeine Wahlrecht abschaffen. Die Beantwortung der zum glücklichen Ende zu führen. Frage nach einem Ersatz ist verschiedenartig; am meisten Machenschaften der Wahlrechtsfeinde zu nichte und zeigt am neigt man sich der Ansicht zu, einen Extrakt aus den Land: 24. Juni, daß Ihr dem herrschenden System entgegenstellt tagen als Reichstag funktioniren zu laffen. Die Einzel- das völkerbefreiende, demokratische, die Klassenherrschaft zerLandtage sollen die Reichstags Abgeordneten wählen ein trümmernde System des Sozialismus. Plan, der übrigens sehr viele Schwierigkeiten hat. Dafür ist auch das Ziel defto verlockender; würde man doch auf diese Weise einen Reichstag zusammenbringen, der nicht einen einzigen Sozialdemokraten zählt. Das wäre doch schon des Schweißes der Edelen" werth."
Wähler, seid auf der Hut, die Staatsstreichler wühlen raftlos weiter. Unumstößlich fest steht es, daß sie Hand legen wollen an das höchste, an das einzige politische Recht der Boltsmaffe, an das Wahlrecht. Wie sie es zu Grunde richten wollen, die Reaktionäre aller Schattirungen, darüber. mögen sie noch uneins sein. Sicher aber ist, daß sie einen Gewaltstreich planen.
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Kommt in den Stichwahlen eine Rartellmehrheit, eine konservativ nationalliberale Hurrah Majorität zu stande, dann wird dieser Gewaltstreich verwirklicht, und die rohe Gewalt des Geldsacks, des Junkerthums, der Baumwoll- und Kohlenritter triumphirt über den Kulturfortschritt, über die Freiheit.
Politische tebersicht.
Die Wahlergebnisse aus 396 Kreisen sind bis zu dieser Stunde bekannt. Der offiziöse Telegraph meldet:
213 Kandidaten find gewählt. In 183 Wahlkreisen finden Stich wahlen statt. Den einzigen noch ausstehenden Wahlkreis vertrat bisher ein Welfe. Gewählt find: Konsers vative 50, Reichspartei 9, Nationalliberale 18, Freifinnige Vereinigung 8, 3entrum 81, Freisinnige Voltspartei 0, Sozialdemokraten 24, Polen 13, Elfäffer 6, Antifemiten 2, Däne 1, Welfen 0, Süddeutsche Volkspartei 4, Bund der Landwirthe 1, bei feiner Fraktion 1. An den Stichwahlen sind betheiligt: 59 Konservative, 9 Bund der Landwirthe, 10 Reichspartei, 73 Nationalliberale, 82 Zentrum, 84 Sozialdemokraten, 14 Freifinnige Vereinigung, 37 Freisinnige Volkspartei , 11 Polen , 16 Antifemiten, 9 Welfen, i Elsässer, 10 jüddeutsche Volkspartei, 1 bei teiner Fraktion."
Ein Mahnwort zu den Stichwahlen. Der Vorwärts" hält, wie unsere Leser wissen, seine Mittheilungen betreffs der Gefährdung des allgemeinen Wahlrechts aufrecht, auch gegenüber der Dementirung des Polizeipräsidenten. Das polizeiliche Dementi betrifft, so schrieben wir, nur die Form der Mittheilung. Herr Ob schrittweise oder mit einem Schlage das Wahlvon Richthofen ist nicht allwissend, und unsere Wahlrechts- recht zerstört wird, ist eine Frage zweiten Ranges. Wie notiz ist ebenso echt wie der Brief des Prinzen Albrecht", die siebengefcheidten Staatsweisen des Rückschritts sich erschrieb der Vorwärts". schöpfen in tausend Pfiffen und Kniffen, um das Wahl- Die Stichwahlen müssen die Entscheidung darüber Nun wird der ultramontanen Rö In. Bolts- recht zu erdrosseln, man sieht es. Die geheime Wahl, bringen, ob eine Hurrahmehrheit oder eine Majorität gegen Zeitung zu den offiziösen Behauptungen das Reichs- dieser naturnothwendige Schutz gegen die Obmacht des Militärvorlage und Staatsstreichgelüfte in den Reichstag tags- Wahlrecht sei keineswegs in Gefahr aus Berlin ge- maßregelnden, bedrückenden, verfolgenden, bösartigen Unter einziehen wird. Die Pflicht Aller, denen das Wohl der schrieben: nehmerthums, gegen die Späher und Angeber, die den Masse und die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt, ist " Wir wollen niemandem rathen, auf diese Dementis fleinen Beamten, den Staatsarbeitern auflauern, fie foll es, dafür zu sorgen, daß die Opposition siegreich aus Häuser zu bauen. Wer nämlich in hiesigen Regierungstreifen beseitigt werden. Schulze und Gendarm, Wertmeister und der zweiten Wahlschlacht hervorgeht. Je mehr Sozialverkehrt, wird kaum einen einzigen Anhänger des allge. Landrath , Obersteiger und Bergassessor, sie sollen wissen, demokraten in der Stichwahl fiegen, desto günstiger meinen Wahlrechts antreffen. Fast alle Leute machen das Reichs- wie der Arbeitsmann wählt. Die Folgen tann Jeder sind die Aussichten der Gegner jeder Mehrbelastung und tags- Wahlrecht für sämmtliche Kalamitäten, unter denen Reichs sich an den Fingern abzählen. regierung und Reich leiden, verantwortlich. Es ist zweifellos, Volksbedrückung.- Die Stichwahlen finden am 24. Juni statt, an
daß diese Stimmung über kurz oder lang in irgend einer Form Oder in der landtäglichen Herenküche soll ein Säftchen einen geseggeberischen Niederschlag finden wird. Wenn gekocht werden, worin feine Spur vom Gifte" des SoziaWenn gekocht werden, worin feine Spur vom Gifte" des Gozia- einem Sonnabend, diesem Lieblingstage reaktionärer das dementirt wird, so zucken wir fühl die Achseln. Man lismus sein wird, siebenfach gesiebt und" destillirt. Und das Wahlmacher, am Tage der Lohnauszahlungen, wo der Arleugnet fo etwas ja so lange ab, bis eine bes ausgebeutete Bolt soll diefem erzkapitalistischen Klüngel aller beiter am wenigsten Zeit hat. Nur in Frankfurt a. M. treffende Vorlage ausgearbeitet wird. Wer volksfeindlichen Strebungen und Gewalten wehrlos aus- ist nach Wolff's Telegraphen- Bureau die Stichwahl auf den sich aber bemüht, die Stimmungen tennen zu lernen, kann mit 23. Juni angesetzt. In Bayern ist der Stichwahl- Termin, viel mehr Sicherheit sagen, was später paffiren wird. Der geliefert werden, ein zur Schlachtbank geführtes Opfer! Merger unserer Regierungsfreise über das allgemeine Wahl- Andere Spießgesellen des Despotismus wollen das 26. Juni festgesetzt. Ebenfalls findet in Weimar die Stitch da der 24. Juni ein Feiertag( Johannistag) ist, auf den recht wird sich schon zu Gefeßentwürfen verdichten, sobald wir gleiche Wahlrecht abschaffen, das heißt, der Zensus, wahl am 26. Juni statt. Troß des für den weitans größten nur eine passende Mehrheit, etwa nur eine Kartellmehr der Geldsack soll entscheiden. Je höher das Einkommen, Theil Deutschlands in Frage kommenden ungünstigen Wahlheit, im Reichstage haben. Ich habe in Kreisen hiesiger hoher desto größer das Wahlrecht! Die Krupp und Bleichröder , termins werden die Wähler der Reaktion die Wege weisen. Staatsbeamten zwei Meinungen vertreten gefunden. Die die Stumm und Rothschild , die Fürst Pleß und die Hansemann, gemäßigte" Anschauung wollte nur" Die Minimal grenze des Wahlrechts vom 25. bis zum 30. LebensNufere Genoffen im Auslande. Aus Krakau 25. bis zum 80. Lebens- die Steaktionäre, die Boltsbedrücker, die Ausbeuter werden jahr ausdehnen und die geheime Stimmabgabe ab- dann wie im Landtage, nein, noch viel mehr sogar als unter geht dem Vorwärts" folgende Drahtnachricht zu: schaffen. Dies würde am meisten den Konservativen und dem jezigen Klassenwahlsystem der Landtage, die Entscheidung Mit froher Hoffnung nehmen wir Antheil an dem Wahl den Nationalliberalen als den Parteien, die vorzugsweise in der Hand haben, und der Proletarier, der fleine Mann fiege der deutschen Sozialdemokratie. Möge es auch uns in
Feuilleton.
Nadbrud verboten.)
Die Fabriklerin.
Erzählung aus dem schweizerischen Volksleben
von einem Baseler Arbeiter.
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Wohl war Schmeichler bereits jeden Abend in seinem Zimmer, trieb jedoch daselbst durchaus nichts Verdächtiges, sondern las gewöhnlich in einem Buche, schrieb wohl auch hie und da Briefe. Eines Abends erlebte Karl ein lustiges Abenteuer. Da es zur Zeit des Vollmondes war, hatte er sich schon früh zeitig auf seinen Lauscherposten begeben, denn sobald der Mond aufgestiegen, wäre es schwierig gewesen, an seinen Posten zu kommen, ohne von jemand entdeckt zu werden.
Eine Stunde mochte Karl ungefähr auf seinem Bosten zugebracht haben. Der Mond war inzwischen aufgestiegen und beschien mit seinem milden Lichte das Dorf und seine Umgebung.
Da, es ging bereits gegen 11 Uhr, nahte sich jemand vorsichtig bem Birnbaum, auf welchem Karl saß, und blieb unmittelbar muter demselben stehen, aufmerksam nach dem
Dorfe spähend.
Eine Weile blieb es nun still, da wurde es im benachbarten Garten ebenfalls lebendig und die Gestalt eines verliebten Dorfjungen wurde bald darauf sichtbar und übersprang behende den die beiden Gärten trennenden Stafetenhag, um in die Arme seiner auserkorenen Geliebten zu eilen. Und nun entspann sich eine jener Liebesszenen, wie sie
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unter jungen Leuten eben vorkommen und die näher zu Abreise heran, ohne daß er nur das Geringste entdeckt beschreiben wir unterlassen wollen. hätte.
Genug, als das Liebeln und Küssen auch gar kein An diesem Tage befand sich Karl begreiflicherweise in Ende nehmen wollte, riß Karl sachte eine Birne vom Baume großer Aufregung. Ruhelos wanderte er umher und faum los und warf fie so geschickt zwischen das Liebespärchen hatte sich die Dämmerung auf das Dorf herabgesenkt, als hinab, daß er das Mädchen gerade auf die Nase traf. er wieder auf der Lauer saß. Heute fühlte er indeß die Mit einem unterdrückten Schreckensruf riß sich diese nun Kälte nicht, die seine Finger beinahe erstarren ließ, denn aus den Armen ihres Liebhabers los und griff nach der ihn bewegte nur ein Gedanke und machte ihn gegen alles Nase. Tiefe hatte indessen keinen Schaden gelitten und als andere unempfindlich, der Gedanke nämlich: Schmeichler der Bursche den Gegenstand, welcher die unsanfte Störung seines Verbrechens zu überführen, koste es was es wolle. verursacht hatte, aus dem Grase aufhob, brachen die beiden in ein Richern aus; denn daß die Birne jemand heruntergeworfen, davon hatten sie natürlich keine Ahnung.
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etwas in Schmeichler's Zimmer regte, nicht einmal ein Stunde auf Stunde ging jedoch vorüber, ohne daß sich Licht wurde angesteckt. Schmeichler mußte gar nicht zu einem langen Kusse und auch Karl kletterte von seinem Gleich darauf trennte sich das verliebte Pärchen mit Sause sein. luftigen Size herunter und begab sich zur Ruhe. Da es hatte bereits 11 Uhr geschlagen hörte er jemand das Zimmer betreten und gleich darauf wurde es Noch manche Woche beobachtete Karl unablässig das hell. Es war Schmeichler, welcher wahrscheinlich irgendwo Treiben Schmeichler's, als er jedoch auch gar nichts Ver- seinen Abschied gefeiert hatte, denn er befand sich, wie Karl dächtiges wahrnahm, begann sich sein Eifer allmälig in sofort bemerkte, in angeheitertem Zustande. Wuthlosigkeit umzuwandeln. Nachdem Schmeichler die auf dem Tische stehende Da kam ihm etwas zu Dhren, was ihm zu neuem Lampe angezündet, starrte er eine Weile in Gedanken vers
Gifer antrieb: Schmeichler hatte seine Stelle in der Fabrik gekündigt und eine solche in 2. angenommen, wohin er in einem Monat zu übersiedeln gedachte.
Nun galt es auf der Hut zu sein und den Verbrecher nicht entwischen zu lassen, wäre doch in diesem Falle die Hoffnung auf Rosa's Befreiung für immer dahin gewesen.
Indeß die kostbare Zeit verstrich und obschon der Bucklige Abend für Abend auf dem Baume saß und sich beinahe die Augen ausstarrte und dabei fror wie ein nasser Budel denn es war inzwischen Herbst und empfindlich falt geworden, so nahte doch der Tag vor Schmeichler's
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junken vor sich hin. Endlich aus seinem Brüten aufwachend, ging er zur Thüre und verschloß dieselbe sorg
fältig von innen, dann schickte er sich an, einen gegen das Innere des Hauses gehenden Wandschrank zu öffnen und die darin hängenden Kleidungsstücke herauszunehmen.
In diesem Momente trat die Sichel des Mondes zwifchen den Wolken hervoz und überfluthete Schmeichler's Bimmer mit seinem Lichte.
Dies schien ihn erst darauf aufmerksam zu machen, daß er vergessen hatte, die Läden zu schließen, welches Ver säumniß er dann auch sofort nachholte, zum großen Schrecken des