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Ar. 183. 27. Jahrgang. 1. JStijf ilcsHoraiittü" foitiet HolWliitt krettag. 10. Inn  ! 1910. Hbgeordnetcnbauö. 88. Sitzung vom Donnerstag, den S. Juni, vormittags 11 Uhr. Am Ministertische: v. Bethmann Hollweg  , Freiherr  V. Echoen, v. Trottzu Solz. Auf der Tagesordnung stehen die Interpellationen über d» Borromäus-Enzyklika Vom 26. Mai 1910. Die Interpellation A h r e n S sl.) lautet:Was gedenkt die könig  - liche Staatsregierung zu tun, um durch die preußische Gesandtschaft beim Vatikan   oder auf anderem Wege solchen Beschimpfungen der evangelischen Kirche, wie sie in der Enzyklika des Papstes vom 26. Mai enthalten sind und die den konfessionellen Frieden ernstlich gefährden, wirksam entgegenzutreten?" Die Interpellation Graf M o l t k e ssk.f lautet:In der päpst- lichen Enzyklika vom 26. Mai 1919 sind unerhörte Be- schimpfungen der Reformation, der Reformatoren und der evangelischen Kirche enthalten. Ist es der königl. Staatsregierung bekannt, daß ein Teil der katholischen   Presse Preußens diese Enzyklika im Wortlaut abgedruckt hat und daß sie zweifellos bestimmt ist, allen Katholiken bekannt gemacht zu werden? Welche Schritte ge- denkt die königl. Staatsregierung zu tun, um diesem ö f f e n t- lichen Aergernis zu steuern und um für die Zukunft derartigen Störungen des konfessionellen Frieden? innerhalb der preußischen Machtgrenzen vorzubeugen?" Die Interpellation Dr. Hackenberg(natl.) hat folgenden Wortlaut:Die in demOsservatore Romano  " Nr. 146 dieses Jahres veröffentlichte Borromäus-Enziklika enthält Schmähungen der evangelischen Kirche, ihrer Reformatoren und der der Reformation zugetanen deutschen   Fürsten und Völker. Welche Maßregeln gedenkt die Königliche Staatsregierung zu ergreifen, um den durch die Ver- öffentlichung dieser Enzyklika bedrohten konfessionellen Frieden in Preußen zu sichern?" Abg. v. Pappenheim  (l): Kein Land hat so unter inneren Kriegen gelitten wie Deutschland  . Deshalb ist auch bei uns das Gefühl für die Notwendigkeit des inneren konfessionellen Friedens besonders stark. Dieser bedarf bei uns besonderer Pflege, denn der Reibungsflächen gibt es so manche.(Sehr richtig I) Wir haben stets alles getan, um diesen Frieden aufrechtzuerhalten.(Sehr richtig! rechts.) Als am 29. Mai bekannt wurde, daß der Papst eine Enzyklika erlassen habe, in der verletzende und b e« leidigende Aeußerungen enthalten wären, haben wir sofort unsere Interpellation eingebracht. Wenn behauptet wird, daß diese Enzyklika nichts Beleidigendes enthalte, so steht das mit den Tatsachen in Widerspruch. ES handelt sich tatsächlich um Beschimpfungen der evanglischen Kirche, wie sie ernster und schlimmer die Geschichte nicht zu verzeichnen hat.(Sehr richtig I rechts.) Und das alles gegen- über den edlen Bestrebungen unferes Königshauses, den konfessio- nellen Frieden zu befestigen I Es sind mir eine Anzahl Zuschriften zugegangen, die beweifen, daß auch die Katholiken empfinden, wie schwer dieser Schlag unseren inneren Frieden gefährdet. Ich hoffe, daß die königliche Staatsregierung fich ihrer schweren Berant- Wartung in dieser Sache bewußt ist. daß sie alles, waS an ihr liegt, tun wird, um zu verhindern, daß in Zukunft solche schweren Gefährdungen deS inneren Friedens wiederkehren.(Lebhaftes Bravo I rechts.) Abg. Dr. Hackenberg(natl.) geht auf den Inhalt der BorromäuS- Enzyklika ein. Die Anhänger der Reformation werden dort ver- derbte Fürsten und Völker genannt.(Hört I hört I) Die Reformation selbst wird alsPest  " bezeichnet(Hört l hört l), ein Ausdruck, den einst Bismarck   durch die Borstellungen des Gesandten am päpsttichen Stuhl noch hintanzubalten wußte. Es ist begreiflich, daß diese Angriffe Befremden, Unbehagen und Entrüstung in weitesten Kreisen hervorgerufen haben. Nun �behauptet man, es handele sich nur um historische Urteile und Borgänge zur Zeit des Borromäus.(Lachen links.) Aber der leidenschaftliche Streit, der damals tobte, hat doch im Laufe der Jahrhunderte einer gerechteren Beurteilung Platz gemacht. Es ist unerhört, daß heute noch den Kämpfern der Reformation der Vorwurf gemacht werden kann, sie hätten den Kampf aus frechem Uebermut und sinnlicher Leidenschaft geführt.(Sehr wahr! links.) DaS deutsche   Volk hat seme Existenz in jenem Kampf aufs Spiel gesetzt, das tut man nicht aus finnlicher Leidenschaft.(Lebhafter Beifall links.) Bon allerhöchster Stelle ist das Wort gefallen, daß unter dem Kreuze sich alle Christen vereinigen. Ist das eine Antwort auf dieses kaiserliche Wort, daß man nun die Protestanten als Feinde bezeichnet?(Sehr gut I links.) Daß man uns als Ketzer bezeichnet, verstehen wir, aber kleines Feuilleton. PearyS Nordpolfahrt. Ausgerechnet in dieser HundStagShitze I Und, so unglaublich es scheinen mag. der Vortrag deS wagemutigen Commanders, der fünfzehn Jahre beharrlich daS Sternenbanner mit sich herumgeführt hat, bis er es auf dem Ziel seiner Wünsche auf- pflanzen konnte, wirkte stark abkühlend. Wenn er Selbsterkenntnis genug hat, auf Peary   selbst I Der große Saal der Philharmonie war nicht einmal zu zwei Dritteln besetzt. Trotz Massenaufgebots der hiesigen amerikanischen Kolonie, trotz einer sicherlich nicht geringen Zahl in letzter Stunde vergebener Freibilletts. Vor aflem in den Logen und auf dem vornehmen Balkon gähnende Leere. Mister Peary, was hätte das für eine häuserfüllende Sensation ge- geben, wenn Sie vor einem halben Jahre hierhergekommen wären! Aber so, woman" schon längst in den fashionablen Bädern sich wohlig am Strande dehnt, da mußten Sie schon auf da§ Publikum, das sonstüberall dabei sein" muß, auf die Premierentigerinnen mit den unheimlichen Turbanfrisuren und den noch unheimlicheren Hüten verzichten. Berlin   vergißt eben zu auch leicht. Und wissen- schaftliche Entdeckungen erst recht. Als Peary. der gar nicht den Eindruck eines eingebildeten PoltronS, wie man nach der Cook'schen Stimmungsmache annehmen müßte, sondern viel eher Den eines sympathisch-bescheidenen Mannes machte, mit den Worten schloß:So erreichte ich den Pol!" da fühlten wir für den Entdecker eine gar deprimierende Enttäuschung:Ist der Erfolg in Wahrheit so viele Anstrengungen wert gewesen?' Daß die Strapazen schier übermenschlich waren, das zeigten uns die technisch vollendeten und sehr geschmackvoll kolorierten Bilder, die verschiedenen Phasen der Schlittenexpeditionen, ihre Arbeiten und Gefahren, die Eskimo- teilnehmer vor und nach der Hauptschlittenfahrt darstellten. Außerordentlich gelungen waren die Aufnahmen von Eskimo- typen, jenes am höchsten nördlich lebenden Menschenstammes von Etah mit ihrem stark ausgeprägten niongololden Charakter? auch die Tieraufnahmen waren als Natururkunden trefflich gelungen. Der Bortrag PearyS selbst, der mehr schlecht als recht von Artur Linden- stead ins Deutsche übertragen wurde, wirkte eintönig; diese steten Wiederholungen und Aufzählungen, selten von einem noch dazu gezwungen klingenden Humor unterbrochen, spiegelten so recht jene unermeßliche, trostlose Einöde wieder, in die sie uns führen wollten. sog. Humor und Satire. «die Pariser ��.ssiotto au Beurro" hat eine Spezial-Nnmmer »Georg der Fünfte"(von England) herausgegeben, der wir das folgende m freier Uebersetzung entnehmen: Einfache Feststellung. Georg der Fünfte: Es ist wahr: «ch sehe meinem Vetter, dem Zaren Nikolaus, sehr ähnlich; aber wir dürfen verlangen, daß wir nicht beschimpft werden in unserer Ueberzcugung.(Sehr richtig I) Eine schwere Gefährdung des lon- fessionellen Friedens aber müssen wir vor allem darin erblicken, daß ein Zentrumsblatt das sogenannte historische Urteil der Enzyklika als wahr hinstellt.(Hört l hört!) Aber wir werden uns nicht erbittern und hinreißen lassen zum Kampfe durch diese Stimme, die von jenseits der Berge zu uns herüberlönt.(Bravo  !) Es fragt sich nun, ob der Regierung staatsrechtliche Mittel zur Verfügung stehen, um solchen Beschimpfungen entgegen zu treten. Eine ruhige klare Stellungnahme der Regierung dürfte wohl dazu beitragen, die Wogen zu glätten. Man hätte wohl auch durch den Gesandten beim päpstlichen Stuhl Vorstellungen erheben können. Wenn aber der Gesandte in diesem Falle nicht vorstellig wird, dann dürste wohl seine Existenzberechtigung zu bezweifeln sein. (Bravo  ! und Sehr richtig!) Der Papst will als weltlicher Souverän anerkannt werden, dann muß er aber auch die Formen eines solche» Souveräns annehmen.(Heiterkeit und Bravo  !) Ich schließe mit der Frage unserer Interpellation:Was gedenkt die Regierung zu tun, um einer solchen Gefährdung des konfessionellen Friedens in Zukunft vorzubeugen?"(Bravo I links.) Abg. Graf Mottle(sk.) begründet die dritte Interpellation, bleibt aber im einzelnen auf der Tribüne unverständlich. Zur Beantwortung der Interpellationen nimmt daS Wort: Ministerpräsident v. Bethmann Hollwcg: Die Enzyklika, die heute den Gegenstand der Interpellation bildet, enthält Urteile über die Reformation und die ihr zugetanen Fürsten und Völker, welche unsere evangelische Bevölkerung sowohl in ihrer religiösen, als auch in ihren staatlichen und sittlichen Empfindungen schwer ver- letzen.(Sehr wahr I) Die auch in ihrer Form verletzenden Urteile erklären die tiefgehende Erregung weiter Kreise des Volkes und schließen in ihrer Wirkung eine ernste Gefährdung des kon- fessionellen Friedens in sich.(Sehr richtig!) Ich habe deshalb un- mittelbar, nachdem mir der offizielle lateinische Wortlaut der Enzyklika zugegangen war, unseren Gesandten am Vatikan beaus- tragt, in amtlicher Form bei der päpstlichen Kurie Verwahrung ein- zulege» und der Erwartung Ausdruck zu geben, daß die Kurie Mittel und Wege finden werde, die geeignet wären, die aus der Ver- öffentlichung der Enzyklika sich ergebenden Schäden zu beseitigen. Diese Erwartung ist um so berechtigter, als die Kurie nach den gestern im Osservatore Romano  " veröffentlichten Mitteilungen nicht im entfernte st en die Absicht gehabt hat(Heiterkeit), d i e evangelischeu Völker und ihre Fürsten zu kränken. Der Gesandte hat seinen Auftrag gestern ausgeführt, eine ab- schließende Antwort der Kurie ist noch nicht ersolgt, hat bei der Kürze der Zeit auch nicht erfolgen können. Bei diesem Stande der Angelegenheit muß ich mich jetzt weiterer Erklärungen ent- halten.(Lachen links.) Es schien mir aber notwendig, die Interpellation schon heute zu beantworten, weil an- gesichts der Beunruhigung, die sich im ganzen Lande bemerk- bar gemacht, das Verlangen berechtigt war, ohne Verzug über die Stellungnahme der königlichen Staatsregierung unterrichtet zu werden. Das hohe Haus wolle aus meiner Erklärung entnehmen, daß die königliche StaatSregicrung im allgemeinen staatlichen Interesse entschloffen ist, das ihrige zu tun, um den konfessionellen Frieden im Lande zu wahren und zu schützen.(Lebhafter Beifall.) Auf Antrag des Abg. v. Pappenheim  (k.) findet eine Besprechung der Interpellation statt. Abg. Herold(Z.): NamenS meiner politischen Freunde gebe ich die nachfolgende Erklärung ab: Die ZentrumSftaition lehnt es a b, über eine Kundgabe des Oberhauptes der katholischen Kirche  , welche kirchliche Angelegenheiten behandelt(Lachen links), e i n Urteil abzugeben und auf dem politischen Boden des Hauses der Abgeordneten in eine Diskussion darüber einzutreten. Zugleich sprechen wir die Hoffnung aus, daß die Beziehungen der Katholiken zu den evangelischen Mitbürgern nicht leiden. Wir werden, getreu unseren Traditionen und unserer bisherigen Haltung nach besten Kräften stets bemüht sein, den konfessionellen Frieden zu wahren und in jeder Weise zu fördern. Daher werden wir unS auch an der Debatte nicht beteiligen.(Bravo  ! im Zentrum.) Abg. v. JazdzewSki(Pole) schließt sich dieser Erklärung an. Abg. Gysfling(Vp.): Den Standpunkt des Zentrums, sich an der Debatte über diese Interpellationen nicht zu beteiligen, verstehe ich nicht. Es kann keine Rede davon sein, daß die Enzyklika lediglich dogmatische kirchliche Angelegenheiten behandelt.(Sehr wahr! links.) Wir müssen lebhaft Protest einlegen dagegen, daß der Papst es wagt, gegen das protestantische Volk und seine Fürsten solche Beschimpfungen zu richten. Diese Beschimpfungen waren um so weniger angebracht, als der Träger der Krone bei uns alles getan hat, um den konfessionellen Frieden zu fördern. Präs. v. Kröcher: Ich bitte Sie, den Träger der Krone nicht in die Debatte zu ziehen. Abg. Gyßling(fortfahrend): Ich spreche nur von dem Träger der Krone alssumnrns episoopus"(Oberhaupt der evangelischen ich glaube, eS wird gescheidt sein, wenn ich ihm nicht zu sehr ähnele.. Die wahre Popularität. Ein englischer Soldat zum anderen:Als wir nach den Kolonien gingen, hat man uns gesagt: wir müßten auf alle Weise dazu beitragen, England größer, stärker und bevölkerter zu machen." Der andere Soldat:Na was denn, Kamerad! hat der große König Eduard nicht selber das schönste Beispiel gegeben?" Diplomaten-Schwatz. Wilhelm:Mein lieber Pichon, nennen Sie mir eine Verständigungsbasis, und es wird mir ein Vergnügen sein, Frankreich   zu beweisen, daß Ich sein ergebener Freund bin." Pichon:Eine Verständigungsbasis? Wie wär'S, weim wir ein bißchen von Elsaß-Lothringen   redeten?" Die Schutzmänner: So lange er Prinz von Wales war- ist Eduard ein toller Hecht gewesen, und dann wurde er ein solider König. Wenn nur Georg der Fünfte, der ein solider Prinz von Wales gewesen ist, als König kein loller Hecht wird I Im Elysöe. Der Präsident der französischen   Republik: Da hat mir dieses Viech von Bureauchef zive» Telegramme auf- gesetzt: eins zum Kondolieren und eins zum Gratulieren. Aber er hat mir nicht gesagt, welches ich zuerst absenden soll!" Notizen. Die AlkoholverbotSabstimmunginSchweden. Im November vorigen Jahres beschlossen die Vertreter aller großen Abstinenzorganisationcn Schwedens  , eine allgemeine Volksabstimmung über die Frage zu veranstalten, ob es an der Zeit sei, mit der Durch- sührung eines allgemeinen dauernden Alkoholverbotes zu beginnen. Da man mit dem für die Zeit des Generalstreiks durchgeführten, allerdings nicht übermäßig strengen Alkoholverbot selbst nach Ansicht trinklustiger Leute gute Erfahrungen gemacht hatte, machte» sich die Alkoholgegner um so mehr Hoffnung auf ein ihrer Sache günstiges Ergebnis der Abstimmung, an der alle über achtzehn Jahre alten Männer und Frauen teilnehnicn sollten. DaS Endergebnis der Abstimmung liegt jetzt vor. Es haben 1 845 249 Personen mit Ja, also für das Alkoholverbot, ge- stimmt und nur 16 471 mit Nein. Schweden   hat rund 5 300 009 Einwohner, und von ihnen sind 3 388 000 über 18 Jahre alt. So- mit haben 54 Proz. der Gesamtzahl der Erwachsenen sich für das Alkoholverbot erklärt und nur 0,5 Proz. dagegen. Die übrigen sind teils von den Listenführcrn, die von Haus zu HauS gingen, um die Stimmen einzusammeln, nicht angetroffen worden, teils sind es Leute, die sich weigerten, an der Abstimmung teilzunehmen, teils solche, die in Kommunen wohnen, welche von der Abstimniung nicht erreicht Ivurden. Zuny-Kaffee i m Ron, an. Ein gewisser Ludwig Bendler hat einen sogenannten Theaterroman(Moderne Kirche).(Heiterkeit.) Von der Vorstellung des preußischen Gesandten verspreche ich mir ja nicht viel. Der Papst wird im Interesse seiner Autorität unter den Katholiken seine Worte aufrechterhalten. Jedenfalls hat der preußische Gesandte beim Vatikan   seinen Zweck verfehlt, wenn es nicht gelingt, solche Beschimpfungen in Zukunft zu verhüten. Wir trauen der Regierung nicht die Kraft zu, um eine wirkliche Sühne vom päpstlichen Stuhl zu verlangen. Herrn v. Heydebrand möchte ich bei dieser Gelegenheit fragen: Wie steht es denn jetzt mit der gemeinsamen chri st lichen Welt- an schauung der Konservativen und des Zentrums, die er neulich proklamiert hat?(Sehr gut! links.) Diese Brücke ist schwach. und die Herren Konservativen dürfen sich nicht wundern, wenn in der Oeffentlichkeit die Anschauung Boden gewinnt, sie hätten ihre Interpellation nur eingebracht, weil infolge dieser Bundespolitik mit dem Zentrum ihre protestantischen Anhänger von ihnen abrücken.(Zustimmung links. Große Unruhe rechts; Zurufe: Wahlrede! Abg. H o ff m a n n(Soz.) ruft in den Lärm: Der Leutnant kommt I Große Heiterkeit.) Un- bestreitbar ist, daß das Zentrum durch die Politik der Konservativen und der Regierung zur ausschlaggebenden Partei gemacht worden ist. Daher kommt das erhöhte Machtgefühl deS Zentrums und auch des päpstlichen Stuhles. Ein Schlußantrag der Konservativen wird gegen die Stimmen der Linken angenommen, das Zentrum hat den Saal verlassen. Abg. Hoffmann(Soz.): Ich konstatiere vor dem Lande, daß Sie es durch diesen Schluß- antrag mir unmöglich gemacht haben, die Ansicht meiner Partei hier zu vertreten. Gegenüber den Ausführungen der anderen Redner habe ich alle Ursache gehabt, den ganz abweichenden Standpunkt meiner Partei darzulegen. Nachdem Sie es mir unmöglich gemacht haben, zum Wort zu kommen, verspreche ich Ihnen dafür, hundert Versammlungen abzuhalten, die zum Austritt aus der Kirche auffordern.(Heiterkeit.) Abg. Winckler(k.): Wir wollen, daß, wenn in diesem Häuft über religiöse Dinge geredet wird, daS in Formen geschieht, die der Würde des Gegenstandes entsprechen.(Sehr richtig I rechts; große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, mußten wir annehmen, daß die Ausführungen des Redners, der zunächst zum Wort gemeldet war, dieser Würde nicht entsprechen würden.(Sehr wahr I rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen, daß die Debatte in dem Ernst, wie sie bisher verlaufen ist, ins Land geht und nicht durch einen Mißklang gestört werde.(Bravo I rechts.) Abg. Hoffmann(Soz.): Herr Winckler hat durch die Worte:Wir wollen" wohl am besten gekennzeichnet, worauf es ihm ankommt. Nebenbei hat er sich noch als Spiritist produziert, der vorher wußte, wa§ ich reden würde. Was jetzt von ihm als Grund angeführt wird, ist nichts als eine faule Ausrede, weil die Herren fürchten, ihr Techtelmechtel mit dem Zentrum könnte in das richtige Licht gestellt werden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Präs. v. Kröcher: Dieser Ausdruck war doch etwas un freund- lich!(Heiterkeit.) Abg. Fischbeck(Fortschr. Vp.): Durch den Schluß der Debatte ist es mir unmöglich gemacht, die Beziehungen der Konservativen und des Zentrums näher zu beleuchten. So sehr nötig ist es aller- dings auch nicht, denn die Abmachung, die bei dieser Ab- stimmung zwischen dem Zentrum und den Konservativen wieder zu Tage getreten ist, spricht Bände.(Sehr wahr! links.) Das Volk wird danach über diese Interpellation zur TageS- o r d v u n g übergehen. Abg. Dr. Fricdberg(natl.) stellt fest, daß er durch den Schluß der Debatte verhindert worden ist, zu der Erklärung des Ministerpräsidenten namens seiner Freunde Stellung zu n e h m en.(Sehr wahr I links.) Abg. Graf Praschma(Z.) bestreitet gegenüber dem Abg. Fischbcck, daß eine Abmachung zwischen dem Zentrum und den Konservativen vorgelegen hat. Das Zentrum habe von vornherein erklärt, sich an der Debatte nicht zu beteiligen. Abg. Dr. Lohmann(natl.): Ich bedauere, verhindert zu sein, auf den letzten Teil der Erklärung des Herrn Ministerpräsidenten zu antworten und vor allem die Erklärung deS Zentrums in das rechte Licht zu-setzen, daß eS verhindert sei, sich an der Debatte zu be- teiligen. DaS Zentrum ist ja bekanntlich keine konfessionelle Partei. (Sehr gut! und große Heiterkeit links.) Damit sind die Interpellationen erledigt. ES folgt dt« zweite Lesung der Borlage, betreffend die Erhöhung der Zivilliste. Abg. v. JazdzewSki(Pole) gibt eine Erklärung ab, wonach seine Freunde, wenn auch angesichts der Polenpolitik der Regierung nur Sklavinnen") verfaßt. Das fünfte Kapitel dieses Romans bringt u. a. einen plumpen Hymnus auf den Zuntzschen Kaffee l Da heißt es: Tante Christine... hatte besten Zuntzschen, daS Pfund zu 2 M., herbeigeschafft..."Zuntzscher Kaffee ist eine vorzüg- liche Marke," ereiferte sich die Tante für ihr allerdings herrlich duftendes Gebräu.Das Beste vom Besten. Wir ziehen ihn allen anderen Sorten vor."Ich weiß, ich weiß," erwiderte vollauf überzeugt Stolzenberg,meine Schwester ist gleicher Ansicht." Leider hat unser Kieler Parteiblatt, das den Roman abdruckt, den widerlichen Reklamepassus auszumerzen vergessen, so daßDer Zeitungsverlag" sich erlauben zu dürfen meint, in seiner Nummer vom 3. d. M. dieSchlesw.-Holst. VolkSztg." zu bespötteln. Dieser Vorfall sollte unsere Parteiredaktionen jedenfalls veranlassen, in diesen Dingen recht vorsichtig zu sein. Gegen einen technischen Sprachunfug hat sich der berühmte Metallurg   Professor Arnold mit aller Schärfe erklärt, nämlich gegen die Gewohnheit, neue Erzeugnisse der Industrie nüt Bezeichnungen zu belegen, die nach dem Namen des Erfinders ge- bildet sind. Die Technik ist auf diesem Wege schon mit Sprach« ungeheuer» wieMartensit",Austensit",Osmandit",Westrumit" und so weiterbereichert" worden. Solange sich diese Mode nur auf Parfüms und Schuhcröme bezieht, brauchte man sich nicht um sie zu bekümmern. Dagegen sollte für wichtigere Dinge der Grundsatz in Geltung bleiben, ihnen einen Namen zu geben, der nach Möglichkeit über ihre eigentliche Natur und Berwertung etwas aussagt. Eine Kinderlesehalle. Einen Versuch mit einer Kinderlesehalle machte man in Wiesbaden  . Die Halle wurde vom dortigen Volksbildungsverein in einem vom Magistrat zur Verfügung gestellten Lokal eingerichtet. Im ganzen enthält sie vorläufig 170 Bände, vornehmlich Bilderbücher, ferncrMärchen, Sagen, Schwänke, auch einiges aus dem Gebiete der Naturkunde, Geographie und Ge- schichte. Um den Kindern das sinnlose Blättern und das flüchtige Lesen abzugewöhnen, werden die Bücher an einem Lesetag überhaupt nicht oder höchstens einmal gewechselt. Zum Nachzeichnen liegen 25 Zeichenblocks nebst Bleistiften, Gummi, Vorlagen usw. aus. Die Beschaffung von plastischer Knetmasse ist für die Folgezeit vor- gesehen. Ferner ist ein Nevolverstereoskop mit verschiedenen Bilder- serien vorhanden. Am Ende der Besuchszeit finden regelmäßig ProjektionSvorsührungen mit Lichtbildern nach Märchcnillnstrationeu oder in einer dem kindlichen Fassungsvermögen angepaßten Form ans den Gebieten der Hygiene, Länderkunde, Astronomie usw. statt. Im Durchschnitt wurde die Lesehalle, die wöchentlich zweimal ge- öffnet war, von 85 Kindern hauptsächlich VolkSschülcr» be­sucht; infolge Raummangels mußte häufig eine ganze Anzahl zurück- gewiesen und auf daS nächste Mal vertröstet werden.