Charlottenvurg. All« Parteigenossen werden dringend ersucht, zu der am M i t t w o ch und D o n n e r st a g Abend von K Uhr ab stattfindenden gewissenhaften Verbreitung von Flugblättern sich im Restaurant H. W e r n i ck e. Krumme- straß« 19, reckt zahlreich einzufinden� Es versäume keiner seine Pflicht zu erfüllen, denn unsere ganze Kraft einzusetzen ist er- forderlich. Di« nächst« Wählerversammlung findet Freitag Abend in Bismarckshöhe statt. Das Lokal-Wahl'Komitee. I. A.: G. B e y e r. Wallstr. 4«. Die Genossen von Schöneberg werden hiermit ersucht, Donnerstag, Abends 7 Uhr, an der Flugblattvertheilung zu der bevorstehenden Stichwahl im Teltow -Becskow-Storkowcr Kreise sichs recht rege zu betheiligen. Die Genossen, welche helfen wollen. mögen sich in folgenden Lokalen melden: Restaurateur Pinzer, Nollendorffstr. 18. Restaurateur Siegler, Goltzstraße 43, Hoff- mann. Sedanstr. 16. Das Wahlkomitee. Achtung! Parteigenossen! Alle in Berlin und Umgegend arbeitenden, im Kreise Jüterbog-Luckenwalde-Zauch- B e l z i g wohnenden Genossen werden aufgefordert, am 24. d. M. ihr Stimmrecht auszuüben, um unserem Genossen Genscher in der Stichwahl den Sieg erringen zu Helsen . Das Wahlkomitee. Parteigenossen! Wir haben Sonnabend, den 24. Juni, einen heißen Kamps zu bestehen. Wenn wir«inen Sieg erringen wollen— und wir müssen siegen— so können wir es nur mit Hilfe der Berliner Genossen. Der Sieg hier in unserm Kreise ist für unsere Partei um so wichtiger, weil hier die Landbevölkerung ausschlaggebend ist. Hauptsächlich müssen der Kreis Zauch- Belzig und die Städte Baruth und Dahme mit Umgegend, welche Ihr mit der Bahn erreichen könnt, bearbeitet werden. Von Luckenwalde aus ist es sehr schwierig, dorthin zu gelangen. Darum auf, Genossen, unterstützt uns, aus zum Kampf und Sieg. Das sozialdemokratische Wahlkomitee Belzig - Luckenwalde . I. A.: Eugen Bartsch, Luckenwalde , Dahmerstr. 13. Gr.- Lichterfelde- Lankwitt. Diejenigen Genossen, welche sich an der Flugblattvertheilung betheiligen wollen, werden ersucht, sich am Mittwoch, den 21. Juni. Abends 7 Uhr, im Lokale des Herrn Albert Schlüter, Wilhelmstraße, einzufinden; auch werden dort diejenigen Genossen notirt, welche am Tage der Stichwahl helfen wollen. Der Vertrauensmann. Parteigenosse» des Teltow- BceSkow- Storkow- Charlottenburger Kreises! Großartig war Euer Opsermuth zur Hanptwahl für unsere Sache, daher auch der große Erfolg von"über 12 000 Stimmen Zuwachs in unserem Kreise. Aber trotz der 31 400 abgegebenen Stimmen für unseren Kandidaten Zubeil müssen wir noch einmal in den Wahlkampf. Da wir jetzt die Agitation an den Werktagen betreiben müssen und unsere Geldniittel im Kreise stark angegriffen sind, so appelliren wir daher nochmals an Euren stets bewährten Opfer- muth und bitten, die Sammellisten noch einmal zirkuliren zu lassen. Neue Listen sind beim Komitee, Berlin , Naunynstr. 86, oder bei Wer» icke, Charlottenburg . Krummestr. 19, zu haben. Das Zentral-Wahlkomitee des Kreises Teltow- Beeskow-Storkow» Charlottenburg . I. A.: W e r n i ck e. B ö k e r t. R e tz e r a u. Cin tapferer Fortschrittsheld— einer von den„guten" Revolutionären, die Virchow entdeckt hat— ist Herr Dr. Langer- Hans, der seine letzte Wahlrede, wie das„Berliner Tageblatt" berichtet, mit den Worten schloß: „Ohne wirklich an dem Vaterland ein Un- recht zu begehen, dürfen wir nicht einer Partei Gefolgschaft leisten, welche den Zweck hat, u n s e r e j e tz i g e G e s e l l s ch a f t s o r d n u n g z u stürzen, um eine neue an derenStelle zu setzen, welche der menschlichen Natur ganz und gar zuwider i st." Um diesen Helden aufs Panier zu erheben, hatte der wasser- siieflige Freisinn nicht nöthig, den Wadenstrümpfler Ällexander Meyer zu verdrängen. Diejenigen Fortschriltler, welch« hierbei wirklich die Absichl hatten, ernst den Kampf mit dem Militaris- mus und der Reaktion auszunehmen, werden einsehen, wie sie sich getäuscht haben, als sie sich die Kandidatur des Langerhans auf- drängen ließen, und werden sich in letzter Stunde entscheiden müssen, dem sozialdemokratischen Kandidaten ihre Stimme zu geben. Wir brauchen in deni Kampfe Männer, aber kein altes Weib. Unsere polnischen„Briider". Aus betheiligten Arbeiter- kreisen erhalten wir folgendes beachtenswerthe Schreiben: Einen jeden Genossen hat es gewiß mit hoher Freud» erfüllt, als vor einigen Jahren das Organ ins Leben gerufen wurde, welches auch unter den polnischen Arbeitern das leider nur zu kehr vöthige Licht verbreiten sollte. Bei der jetzigen Wahlagitation haben wir gesehen und sehen wir es noch, daß dasselbe schon die „Der Richter von Zalamea" ist die letzte Vorstellung vor den Sommerferien.(Für die 2., 3. und 4. Abtheilung findet die Vorstellung am 2S. Juni, 2. und 9. Juli statt.) Ein Rückblick auf den Spiel- plan des hiermit abschließenden Spieljahres zeigt, daß Aus- schuß und Vorstand der„Freien Volksbühne " sich in diesem Jahre mit Glück von einseitiger Pflege einer bestimmlen Richtung der dramatischen Kunst fernzuhalten fjewußt haben. Dieser Spielplan erweist sich als so mannigfaltig wie irgend möglich, unter welchem Gesichtspunkt man ihn auch betrachten möge. Unter den Autoren der 10 Stücke, welche in 9 Vor- sltllungen(Oktober bis Juni) geboten wurden, waren 4 klassische (Lessing , Goethe, Kleist und Calderon ), und 6 moderne(Augier, Anzcngruber, Sudermann, Blumenthal und Kadelbnrg, sowie die beiden Neulinge auf dramatischem Gebiet: Faber und Bader ). Neben 8 deutschen Autoren kamen 2 nichtdculsche(der Spanier Calderon und der Franzose Augier) zu Worte. Unter den 10 Stücken waren 1 Tranerspiel(Goethe's„Egmont "), 6 Schauspiele(Lessina's„dramatisches Gedicht"„Nathan der Weise ", Calderon „Richter von Zalamea", Augier„Die arme Löwin", Sudermann's„Die Ehre", Faber's„Der freie Wille ", Bader's„Andere Zeiten"). 1„Volksschauspiel"(Anzengruber's „Das vierte Gebot "), 1 Lustspiel(Kleist'S„Der zerbrochene Krug ", Einakter), 1 Schwank(Blninenthal u. Cadelburg's„Großstadtluft"). Ein Stück(„Der freie Wille ") war wenigstens für Berlin Novität, ein anderes(„Andere Zeiten") wurde durch die Freie Volksbühne zur überhaupt ersten Ausführung gebracht. Auch wer sich nicht mit allen diesen Stücken einverstanden erkläre» konnte, muß diese Zusammensetzung des Spielplanes billigen.„Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen". Und damit jedem etwas gebracht werden kann, muß jeder seine Privatwünsche gelegentlich auch einmal dem Interesse der Gesammtheit unterordnen können. Eine größere Mannigfaltigkeit des Spielplanes kann, natürlich abgesehen von der Zahl der Borstellungen und Stücke, selbst von einer stehenden Bühne kaum verlangt werden. Die Freie Volksbühne ist durch das ablaufende Spieljahr, dai in künstlerischer Beziehung als das erfolgreichste seit ihrem Bestehen bezeichnet werden muß, aus dem Stadium des unsicheren Umhertastens und Experimentirens herausgehoben worden und hat nunmehr ein festes Ziel vor Augen. Sie ist daher in diesem Jahre in dem Bestreben, dem arbeitenden Volke die Kunst und der Kunst das arbeitende Volk wiederzugewinnen, ein tüchtiges Stück weiter g«kommen. Glückauf zum nruen Spieljahr! schönsten Früchte getragen hat. Doch wir wissen auch alle, daß die Agitation von Mund zu Mund noch stets die beste gewesen ist. Ties gilt auch den polnischen, meistentheils aber auch etwas deutsch sprechenden Arbeitern gegenüber. Leider hat der Schreiber dieses schon die oft wiederholte Wahrnehmung gemacht, daß gerade von diesem Mittel den„Pollacken" gegenüber gar kein Gebrauch gemacht wird, vielmehr stehen gerade die Berliner Arbeiter und ganz besonders die„gelernten" oder sonst besser situirten den polnischen Arbeitern direkt feindlich gegenüber. Jeder Mensch, oer nur die blasse Ahnung von den wirthschastlichen Verhältnissen im Osten hat. der sollte doch wissen, daß es ganz gewiß nicht die„Wanderlust" ist, welche jene Leute nach dem Westen treibt, sondern einzig und allein die tieftraurigen und erbärmlichen Verhältnisse, unter denen sie gezwungen sind, dort zu leben. Trotzdem giebt es, wie gesagt, auch in Berlin noch zuweilen Ardeiter, welche es geradezu als Sport betreiben, solchen „Pollacken" in der brutalsten Weise entgegenzutreten, dieselben ans die raffinirteste Weise zu chikaniren und ihnen solange zuzu- setzen, bis dieselben aus Verzweiflung eniweder die Arbeit aufgeben müssen oder aber— was leicht begreiflich— Gleiches mit Gleichem vergelten und handgreiflich werden, um dann ebenfalls den Kürzeren zu ziehen. Einem mir persönlich nahe stehenden Arbeiter aus Oberschlesien , welchen ich als eine» durchaus tüchtigen, sehr ruhigen und zu- verlässigen Arbeiter kenne, ist dies thntsächlich wiederholt so ergangen. Und gerade solche Arbeiter vermochten sich zu solchen „Heldenthaten" aufzuschwingen, von denen man das nicht erwarten sollte: Maurer und Steinträger! Wen» die betreffenden glauben, daß sie die polnischen Arbeiter durch solche Mittel zu ziel- beivußten Genosse» erziehen können, dann liegt deren Bildnngs- Niveau noch tief unter dem— des„dümmsten Pollacken"! Der Gesangverein„Vereinte Sänger Moabit" hält am Sonnabend, den 24. Juni, ein Sommerfest im Moabiter Gesell- schaftshause ab. Der genannte Verein i>t der einzige in Moabit , welcher sich der Partei bei jeder Gelegenheit unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat, und ist ihm daher bei dem von ihm ver- anstalleten Fest zahlreiche Belheiligung zu wünschen. Das Gcwcrbcgericht(K a m wer IV) fällte in der vorigen Woche ein Urtheil, das für Alkordarbeilcr von Bedeutung ist. Der Tischler Gucknecht war bei der Frau Lüpnih, deren Man» ihr Werksührer ist, als Geselle thälig. Er hatte einen Akkord iin Gesammtbetrage von 123 M. angenommen, gerieth aber vor dessen Fertigstellung mit dem Meister in Differenzen. Unter anderem sollte er Ztrbeitsmaterial in einen anderen Arbeitsraum schaffen, wessen er sich nach den Angaben der beklagten Frau Lüpnitz geweigert haben soll. Nach seiner eigenen Behauprung hat er dies nicht gethan, sondern nur verlangt, es solle ihm jemand dabei helfen. Dann hat Kläger seinen Akkord nicht mit einein anderen T'sckiler zusammen fertig machen wollen, den der Meiller beauftragt hatte, ihm zu Helsen . Das veranlaßle den Meister alias Werksührer alias Mann der Frau Lüpnitz, G»t- kriecht zu entlaffen. Von dem Akkord, der»och nicht lange an- gefangen war, hatte er 29,70 bezahlt erhalten und klngts nun de» Rest ein, mit der Begründung, daß er den Akkord fertig zu machen sich direkt erboten habe und er unrechtmäßiger Weise daran verhindert worden sei. Die Beklagte wurde ver- urtheilt, dem Kläger 07,30 Mark zu zahlen. Be- g r ü n d u»g: Das Gericht habe nach der Beiveisaufnahme nicht die Ueberzeuguiig gewinnen können, daß ein Grund vorhanden gewesen sei, de» Kläger sofort zu entlassen, umsoweniger, als er sich bereit erklärt habe, den Akkord fertig zu stellen. Wenn Klägerin den Akkord voreilig anderen Gehilsen zur Fertigstellung übergeben und diese dasür bezahlt habe, dann habe sie auch die Folgen zu tragen. Oester vorgekommen ist es, daß Beisitzer zu spät zu den Sitzungen erschienen oder ganz und zwar unentschuldigt ausblieben Bisher konnte in der Beziehung allerdings nur vor- wiegend über die Arbeitgcber-Beisitzer geklagt werden. Einer derselben, Spediteur Lichte, wurde wegen seines unentschuldigten Nichterscheinens zu einer Ordnungsstrafe von zwanzig Mark ver- urtheilt. Wiederum wird eine Mordthat a»S Charkottenburg gemeldet. Dort hat am Montag Abend der den Behörden als Hochstapler bekannte frühere Kutscher Max Heidemann zuerst seine Eheirau zu ermorden versucht und dann die Waffe gegen sich selbst gerichtet. Der am 30. August 1866 zu Schönerlinde im Kreise Niederbarnim geborene Thäter genügte früher seiner Militär- Pflicht bei dem Regiment der Gardes du Corps in Charlotten- bürg und lernte dort die am 26. Oktober 1369 geborene Schnei- denn Helene Mannig kennen, mit der er sich vor einigen Jahren verheirathete. War er schon während seiner Soldatenzeit wegen Fahnenflucht und Gehorsamverweigerung verschiedentlich bestraft und in die zweiteKlasse des Soldatenstandes versetzt worden, so zeigte er sich in seinem Zivilberuf erst recht nicht brauchbar, ließ sich von der Ehefrau, die die Schneiderei weiterbetrieb, ernähren nnd wurde schließlich zum Hochstapler. Bald als Stellenverniittelungs- schwindler, bald unter der Maske eines Bersicherungsbeamten wußte er sich Geld zu erschwindeln, verschmähle aber auch selbst Urkundenfälschung nicht, um Geld zu erlangen. Der junge» Ehefrau wollte das Leben an der Seite eines Taugenichtses durchaus nicht behagen; sie trennte sich Mitte dieses Monats von ihm und zog zu ihrer Mutter nach dem Hanse Magazin- straße 2 zurück. Seit dein suchte Heideinann nach einer Gelegen- heit, um sich zu rächen. Als die" Frau am Montage in der Wohnung des Rentners Lietzmann, Spreestr. 33 zu Charlotten- bürg, arbeitete, fand er sich vor dem Hause ein und gab einem Dienstmädchen gegenüber seiner Absicht, die Frau zu erschießen, unumwunden Ausdruck, zeigte auch die Waffe. Daher begleitete das Dienstmädchen mit seinem Bräutigam nach Been- diguna der Arbeit Frau Heidemann aus dem Nachhausewege. Um 8V» Uhr bemerllen sie in der Nähe des Schlosses den seine Frau auslauernden Mann, der sich ihnen anschloß, an der Ecke der Magazin- und Schloßstraße aber die Gesellschaft allein weitergehen ließ. In der Nähe ihrer Wohnung bemerkte Frau Heidemann, die sich in böser Vorahnung umsah, daß ihr Mann nachgestürint kam. Während die geängstigt« Ehefrau die Treppen emporeilte, liefen die beiden anderen Per- sonen nach einem Schutzmann. Heidemann holte seine Frau im dritten Stock ein und stellte sie mit den Worten: „Nun entgehst Du mir nicht mehr." Inzwischen war der Schutz- mann Horn herbeigerufen worden. Als Heidemann seiner an- sichtig wurde, feuerte er aus einem Revolver nncheinander drei Schüsse auf sein Opfer ab. In der Hast muß er eben schlecht gezielt haben: zwei Gcschoffe trafen den linken Arm der Frau, einer das rechte Handgelenk. Bevor dann die Festnahme erfolgen konnte, jagte sich Heidemann eine Kugel hinter das rechte Ohr in den Kopf, verletzte sich aber gleichfalls anscheinend nicht lebensgefährlich. Beide Ehegatten wurden nach Aiilegung von Nothverbänden nach dem städtischen Krankenhause befordert. wo zu ihrer Vernehmung auf gestern Abend ein Termin angesetzt worden war. In einer großen Blutlache liegend wurde gestern früh um 6Vs Uhr ein Mann vor dem Grundstück Landsbergerstraße 60 aufgesunden. Der Unbekannte, der anscheinend vom Blulsturz befallen war, wurde nach der Wache des 19. Polizei-Reoiers gebracht, starb aber auf dem Wege dorthin. Seine Person hat noch nicht festgestellt werden können. Polizeibericht. Am 19. d. MtS. Nachmittags stürzte ein mit Brettern beladener Arbeitswagen bei der Auffahrt auf den Holzplatz Dieffenbachstraße SO um. Ein zehnjähriger Knabe, der auf dem Wagen geseffcn hatte, wurde herabgeschleudert und durch die auf ihn fallenden Bretter so schwer verletzt, daß er bald darauf im Krankenhause am Urban starb.— In der In- validenstraße gingen die Pferde eines Arbeitswagens durch und liefen vor dem Hause Nr. 44 gegen einen Pferdebahnwagen. Hierbei wurde der Kutscher von seinem Sitze herabgeschleudert und anscheinend innerlich verletzt.— An der Ecke der Linien- und Neuen Königstraße wurde ein Schuhmacher durch erneu Geschäftswagen überfahren und am Kopfe so bedeutend verletzt, daß er nach dem Krankenhause am Friedrich-Hain gebracht werden mußte.— Im Laufe des Tages fanden ö kleine Brände statt. Gerilkiks�eikUttg. Prozeß Paasch. Der seit langer Zeit schwebende, umfang- reiche Prozeß gegen den Kaufmann Paasch und Genoffen begann gestern vor der vierten Strafkammer des Landgerichts I . Die Anklage richtet sich gegen folgende acht Personen: I. Kaufmann Karl Rudolf Paasch. 2. Buchhändler und Kommissionär Theodor F r i t s ch in Leipzig . Buchdruckereibesitzer Franz Heinrich Niemann daselbst, 4. Buchhändler Karl M i n d e daselbst, 5. Buchdruckereibesitzer Gottfried Ernst Rudolf Hille daselbst, 6. Buchdruckereibesitzer Karl Paul R a d e l l i daselbst, 7. Dr. phil . t ermann Friedr. Wesendonck , 3. Buchhändler Otto Fritz rnst S ch w e r d t n e r in Magdeburg . Paasch und Frilsch werden beschuldigt, durch die Broschüre„Eine jüdisch-deutsche Gesandtschaft und ihre Helfer, geheimes Judenthum , Neben» reaierupg und jüdische Weltherrschaft" das Auswärtige Amt, den kaiserlichen Gesandten v. Brandt, den kaiserlichen Legations- sekretär Freiherrn v. Ketteler, den kaiserliche» Konsul Feinde!, den Wirklichen Geh. Legationsrath Kayser und den Geheimen Legationsrath Lindau theils be- leidigt. theils durch nicht erweislich wahre Thatsachen ver- lenindet zu haben. Der Angeklagte Niemann soll sich der Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Außerdem werden Paasch, Wesendonck und Schwerdtner verantwortlich gemacht für den von Paasch verfaßten„Offenen Brief an 2e. Excellenz den Reichskanzler Grafen v. Caprivi". In dieser Druckschrift sollen außer den obengenannten Reichsbeamten und dem Auswärtigen Amt der Legationsrath Freiherr v. Eckardt- stein. Geh. Legationsrath Cahn, Generalkonsul Dr. Lindau und der Dolmetscher Dr. Lenz beleidigt sein. Hier werden Hille und R a d e l l i der Hilfeleistung beschuldigt. Der Angeklagte Paasch hatte im Laufe der achtziger Jahre der chinesischen Regierung Projekte über dieAusbeutung von Kohlen- und Eisengniben, sowie über Eisenbahnbauten vorgelegt, welche die Zustimmung der maßgebenden Instanzen nicht fanden. In der inkriminirten Schrift macht Paasch nun haar- slräubende Schilderungen von den Zuständen der kaiserlichen Ge- sandlschaft in Peking , welche er als vollständig vom jüdischen Geiste erfüllt und mit jüdischen und Börsenkreisen verquickt dar- stellt. Er behauptet, daß mau seitens der kaiserlichen Gesandl- schaft versucht habe, sich durch Gewalt in den Besitz der von ihm ausgearbeiteten Pläne zu sehen, um dieselben im eigenen Nutzen zu verwerthen. Paasch erwähnt bei dieser Gelegenheit sämmtliche oben genannte Reichsbeamte und beschuldigt dieselben einer ganzen Reihe strafbarer Handlungen, bezw. macht er über die- selben schwer ekrcnkränkeiide Aeuhernngen, insbesondere über die vortragenden Rälhe Kayser und Rudolf Lindau . Die Quint- effenz der Broschüre besteht in dem Versuche des Nach- weises, daß v. Brandl und eine ganze Anzahl von Bs- amten mit dem internationalen Judenthum und dem Börsen- wesen aufs Engste verknüpft seien und sich mit Hilfe des letzteren zu bereichern suchen. Paasch behauptet sogar, daß man sich mit Gewalt seiner habe entledigen wollen und ihm il. a. auch vergiftete Pastelchen vorgesetzt habe.— Der offene Brief an den Reichskanzler wiederholt den Inhalt der Broschüre in gedrängter Form. Den Vorsitz im Gerichtshofe führt LandgerichtSdirektor Martins, die Anklage wird vertreten durch den Ersten Staats- anwalt Drescher unter Beihilfe des Staatsanwalts v. d. N e ck. Die Vertheidigung führt Rechtsanwalt Dr. H e r t w i g. Von den Angeklagten fehlen Paasch und Schwerdtner. Bezüglich de? Angeklagten Paasch theilte der Gefängnißwärter. welcher ihn aus dem Untersuchungsarrest zum Termin vorführen sollte, unter Beifügung eines ärztlichen Atlcstes mit, daß Paasch infolge Verletzungen, welche er sich selb st bei- lebracht hat, erkrankt und nicht vernehmungsfähig ei.— Nach dem Attest des Anstaltsarztes Dr. S t e r n b e r g hat sich Paasch in einem Zustande großer nervöser Ausregung Verletzungen am Unterarm beigebracht, in der Absicht, s i ch d i e P u l s a d e r n z u ö f f n e n. Die Verletzungen, welche er sich beigebracht, seien geringfügiger Natur, dagegen erklärt der Arzt, daß sich Paasch anscheinend in einem Zustande höchster Exaltation befände, so daß derselbe ohne Nachlheile für seine Nerven schwerlich dem Termine werde beiwohnen können. Erster Staatsanwalt Drescher: Nachdem der Angeklagte noch einmal den Versuch gemacht hatte, die Sache abermals hinailszuziehen durch eine bei der Staatsanwaltschaft ein- gegangene Strafanzeige gegen Herrn von Brandt, war allerdings vorauszusehen, daß noch irgend ein Zwischenfall einirelen würde, um die Sache abermals hinauszuziehen. Das habe ich allerdings nicht erwartet, daß der Angeklagte— mag es nun ernsthast gemeint oder fingirt sein— Hand an sich selbst legen würde. Ich muß bei dieser Gelegenheit folgendes vor der Oeffentlich- keit feststellen: Der Angeklagte Paasch hat versucht, die öffentliche Meinung fortgesetzt dnhin zu täuschen, daß die Behörden eine Verschleppung seiner Angelegenheit betreiben. Sein ganzes Verhalten— ich erinnere daran, daß der letzte Haupt- Verhandlungstermin vor einem Jahre stattgefunden hat— und dieses neueste Ercigniß laffen es unzweifelhaft erscheinen, daß, wenn überhaupt von einer Verschleppung die Rede sein kann, dieselbe durch die Thäligkeit des Angeklagten selbst beabsichtigt und herbeigeführt wird. Wer die Akten gelesen hat, wird sich darüber längst klar sein und das heutige Ereigniß muß jeden Zweifel in dieser Beziehung beseitigen. Ich muß deshalb vor aller Oeffentlichkeit konstatiren, daß es nur der Angeklagte ist, welcher zu verschleppen sucht. Es ist leicht, die öffentliche Mei- nimg zu täuschen, wie der Angeklagte es gethan hat. aber an dieser Stelle will ich richtig stellen, daß die Behörden kein Vor- wurf trifft. Es ist bedauerlich, daß der Angeklagte Paasch sich in einem Zustande befindet, der ihn vernehmiingslinfähig machen soll, aber so ohne weiteres kann ich mich bei dem Atteste, welches uns vorliegt, nicht beruhigen. Vielleicht hat der Zustand des Angeklagten sich etwas gebessert und ich beantrage deshalb die Einholung eines Zeug- niffes eines königl. Gerichts-Physikus. Rechtsamvait H e r t w i g: Ich möchte diese Bemerkungen nicht unwidersprochen laffen. Mein Freund Paasch befindet sich seit dem 17. Mat, an welchem Tage die 8. Strafkammer das überaus strenge Urtheil gefällt hat, in einer bedenklichen Ge- müthsverfassung. Seit mehreren Tagen schon hat er mir gegen- über Selbstmordgedanken geäußert, und ich habe Mühe gehabt, ihn gute» Muths zu erhalten. Ich schließe mich dem Antrage aus Besragung eines Gerichts-Phynkus ausdrücklich an. Ter Gerichtshof beschließt, sofort den Medizinalrath Long zu laden und denselben mit einem Gutachten darüber zu betrauen. ob eine Borsührmig des Angeklagten Paasch möglich er- scheint. Tie Verhandlung wird zu diesem Zweck« auf zwei Stunden vertagt. Unter den Zeugen, welche zur Stelle sind, befinden sich der ehemalige kaiserliche Gesandte in Peking , Wirklicher Geh. Rath von Brandt, Geh. Finanzrath I e n k e, Pastor L ü tz o w, Frhr. v. Eckardt st ein, Frhr. v. B u l g S d o r f. die verwittw. Geh. Ober-Reg.-Rath v. L e d b i n u. A. Außerdem sind noch zwei Dolmetscher geladen. Da Medizinalrath L o n g zu Hause nicht mehr angetroffen
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