Einzelbild herunterladen
 

Nr. 139.

Abonnements- Bedingungen:

Abonnements- Preis pränumerando: Bierteljährl. 3,30 M., monatl. 1,10 m., wöchentlich 28 Pfg. frei ins Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags. nummer mit illustrierter Sonntags Beilage Die Neue Welt" 10 Bfg. Post­Abonnement: 1,10 Mark pro Monat. Eingetragen in die Post- Zeitungs Preisliste. Unter Kreuzband für Deutschland   und Desterreich- Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat. Postabonnements nehmen an: Belgien  , Dänemart, Holland  , Italien  , Luxemburg  , Portugal  , Rumänien  , Schweden   und die Schweiz  .

Ericheint täglich außer Montags.

Vorwärts

Berliner Volksblatt.

27. Jahrg.

Die Infertions- Gebühr Geträgt für die sechsgespaltene Kolonel geile oder deren Raum 50 Pfg., für politische und gewerkschaftliche Vereins. und Versammlungs- Anzeigen 30 Pfg. ,, Kleine Anzeigen", das erste( fett gedruckte) Wort 20 Pfg., jedes weitere Wort 10 Pfg. Stellengesuche und Schlaf stellen- Anzeigen das erste Wort 10 Pfg., jedes weitere Wort 5 Pfg. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 5 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist bis 7 Uhr abends geöffnet.

Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  "

Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.

Freitag, den 17. Juni 1910.

Dem Dichter des Zornes!

Wie hat mir dieses Aufbrausen und das Herz im Maule" führen nicht schon geschadet!" So schreibt der junge Freiligrath einem Freunde. Wir wissen heute, daß dieses Aufbrausen in dem Dichter Freiligrath   gerade die besten Kräfte gelöst hat, daß er gerade dadurch zum sturm­gewaltigen Sänger des lodernden männlichen Zornes ge­worden ist.

"

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Mr. 1984.

-

schöner als durch Errichtung eines Denkmals für Hermann[ als sein unbändiger Born endlich die kühne Bahn gefunden betätigen. Was liegt nicht alles in unserer Zeit! Wer hatte, auf der er ungehemmt in gewaltigen Wogen dahin­das Zeug dazu hat, sie recht zu paden, der brausen konnte, da blieben die anderen weit hinter ihm zurück, macht wohl noch anderes als Denkmäler." Und dann rühmt da stand er begeistert und begeisternd in den vordersten er des österreichischen Dichters Karl Beck   Gepanzerte Lieder". Schlachtreihen der Kämpfenden und feuerte sie durch die hin­" Der ist ein Gewaltiger, dieser einundzwanzigjährige Ungar reißende Kraft seines Gesanges zu immer kühneren Taten an. .. Respekt vor dem Kerl!" In einem Briefe an einen Born, lodernder Zorn, der in der hocherhobenen Rechten Rebellentrotz stedte im dem Dichter Freiligrath   von seiner anderen Freund kommt er nochmals auf Jakob Grimms Ent- die blizende Waffe schwingt, das ist es, was aus allen frühsten Jugend an. Die weitausgreifenden Flügel feiner laffung zurück. Und wieder zudt's ihm in den Fingern: seinen Revolutionsgedichten mit unwiderstehlicher Gewalt stürmenden dichterischen Phantasie stießen gegen die Enge er doch alles so recht paden könnte, was hervorbricht." Selten oder nie," sagt Robert Brug, ein Zeit­seiner Umgebung, gegen die traute Spießbürgerlichkeit seiner in unserer Beit liegt das könnte Gedichte geben!" genosse und gleichgesinnter Dichter über das erschütterndste Familie, gegen den aufgezwungenen Beruf des Spezerei- In einem dritten Briefe aus jener Zeit zittert derselbe bren- Revolutionsgedicht Freiligraths  , über die furchtbar- gewaltige warenhändlers, gegen die tausend Hemmnisse, die sich in den nende Wunsch nach großer, starker politischer Gestaltungskraft: Predigt der Toten an die Lebenden, hat der glühendste Zorn, zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Ob Hölty wohl auch Mailieder gemacht hätte, wenn Anno der inbrünstigste Haß, die zähnefletschende Verachtung sich jedem freigesinnten Manne in den Weg stellten. 1773 sieben Professoren par ordre de moufti eriliert worden in so wahrhaft großartiger, so erschütternder Weise aus. wären?' s ist ein schwüle Zeit, der Poet steht vereinsamt gesprochen, noch ist es viel anderen Dichtern gelungen, die in ihr, ein überflüssiges Gerät! Wohl ihm, wenn er an sich widerwärtigsten und grausigsten Szenen noch in einer die Interessen der Zeit so zu erfassen verso edlen poetischen Beleuchtung zu zeigen... es ist etwas steht, wie in neuester Beit Grün und Beck." von dem wilden Schlachtenmut der alten Katten in diesem blauäugigen Sohne Westfalens  ".

Schon als Sechzehnjähriger zeichnet er in leidenschaft­lichen Versen das Biel seines Lebens. Er berauscht sich in seiner Phantasie an dem Bilde eines kochenden Vulkans, der mächtige Steine und ein Meer von heißen Harzen auf den beschneiten Naden einer fernen Nordlandsinsel schleudert. Und dieser Insel soll sein eigenes Leben gleichen: Wie rot und heiß Hekla   Steine von den Binnen Wirft nach der Faaröer Eis: So aus meinem Haupt, ihr Kerzen Wilder Lieder, sprühn und wallen Sollt ihr, und in fernen Herzen Siedend, Bischend niederfallen."

Was der Sechzehnjährige mit wildem Sehnen erträumt, das hat der Mann gehalten. Seine wilden Lieder sprühen und zünden noch heute wie Lavaglut, wenn sie in die Herzen tämpfender Arbeiter fallen.

Als die Julirevolution wie eine Windsbraut durch die Länder fegte, begrüßte der einundzwanzigjährige Freiligrath sie wie einen Hoffnungsstrahl kommender Freiheit. Als bald danach die alte Unfreiheit wieder im Sattel faß und das Staatenroß" fest im Bügel hielt, träumte sich Freiligrath  in den Bann von Meffas Toren, wo seine Hand ein Schwert führen, wo aber seiner Dichtung innere Flamme in lodernden Gefängen den Zorn, den Groll auf die Männer überströmen

folle, benen glühend wie meines in heißen Schädeln brennt das Hirn". Oder er sieht in dem Nebel am Strande die Wolfe der Finsternis, die über Deutschland   liegt und: mir ist, als zürn' in ihr, wie der Groll des Donners  , meines Liedes Dräuen;- als fahre, wie niederfährt der Blitz aus dunkler Luft, so mein Gedanke zuckend durch den Duft, daß

zündend er sich außen offenbare".

Noch war Freiligrath   kein politischer Dichter, noch ent­sprang fein zorniges Grollen mehr seinem allgemeinen mensch­lichen Empfinden, seiner Unzufriedenheit mit der Enge der Beit. Aber er war schon auf dem Wege zu der Dichtung, deren kühnster Wortführer er werden sollte. Ein Beitungs­blatt fällt ihm in die Hände, in dem er liest: Weil ein irisch Weib, in Witwennöten, den Zehnten nicht zeitig abgetragen, ließ ihr den einzigen Sohn ein Priester- töten!" Eine Beitungsnotiz! Aber in dem Dichter läßt sie lodernden Born über solche Büberei aufschäumen.

" Die Lippe bebt mir, aber nicht zu beten, Und die von selbst geballten Fäuste droh'n. Ohnmächtig Zürnen! nennt es nicht so!- ward Das Wort mir nicht, au züchtigen den Fron? Dies Blatt ist einzig für die Gegenwart, Den Augenblid, fort rast es mit der Stunde; Doch um den Dichter drängen sich geschart Die Gnkel noch; was er mit seinem Munde Gebrandmartt, bleibt es; mächtig dringt das Lied In Ohr und Herzen, sorgend, daß die Kunde Nicht untergeht."

Gerade dieses Gedicht ist fennzeichend für Freiligrath  , auch für den späteren politischen Revolutionär. Aus einem unscheinbaren Anlaß erwächst ihm ein Bild der Beit; ein Ereignis, das am nächsten Tage vergessen sein würde, erweďt seine dichterische Begeisterung, und er formt daraus eine Dichtung, die noch die Fabel ergreifen soll. Er will bewußt die Gemeinheit mit dem Borne des Dichters brandmarken, damit die Kunde daran nicht untergeht, sondern noch auf fernere Zeiten wirken kann.

Es bedurfte nur des richtigen Anstoßes, um Freiligrath vor die eigentlichen Aufgaben seines poetischen Könnens zu stellen.

-

Noch konnte Freiligrath   für die Not der Zeit die richtigen Worte nicht finden. So schaffte er dem in ihm wogenden Aber die Revolution erlag, aus der heißen Märzenzeit Ungestüm einen Ausweg durch seine erotische Lyrik, durch waren schon kalte Tage geworden, als nur erst die Blüten die farbenreichen, lebendigen Gedichte über Wüste, Urwald, des Frühlings von den Bäumen fielen. Die tapferen Kämpfer Meer. Er hat es selber deutlich genug gesagt, daß seine mußten flüchten. In Freiligrath   aber blieb der Zorn lebendig. Wüsten- und Löwenpoesie im Grunde auch revolutionär, Es glüht wie sengender Atem aus jeder Zeile des stolzen allerentschiedenste Opposition gegen die zahme Dichtung, Trutgedichts Die Revolution", das er von London   aus in wie gegen die zahme Sozietät" war; wer die Gedichte mit die geschäftigen Dunstnebel der siegreichen Reaktion hinein. dem richtigen Verständnis für die Eigenart Freiligraths   donnerte. liest, wird in ihnen auch ganz unverkennbar die Tage des Löwen spüren. Er zog sich mit diesen Gedichten gleichsam hinter die Schlachtlinie zurück; er wollte erst mit sich selbst ins Reine kommen über das, was neu und unbändig in ihm gärte; es kam die St. Goarer Zeit, auf der ich einem Wendepunkt in meinem Leben ruhig entgegensehe. Ich will hier an mich herankommen lassen, was mir etwa noch bor­behalten ist, ohne mich darum zu drängen".

Der leichtentflammte, zornfunkelnde Kämpfer blieb er bei alledem: Beim Blizen Eurer Harnischzierde und beim Er klingen Gurer goldenen Sporen erwacht in mir die alte Kampfbegierde."

"

...

"

Und der Zorn blieb in ihm auch die langen Jahre der Verbannung hindurch. Wohl brach er nicht mehr wild und ungestüm hervor wie in den hoffnungsfrohen Kampfzeiten der Märzrevolution. Die Not der Zeit ließ unsere Saiten rosten", so flagt er in einem Briefe. Auch war er nie in dem Sinne ein streng geschulter, überzeugungsklarer Politiker gewesen, um wie Mary nach dem Zusammenbruch der März­revolution mit ernster wissenschaftlicher Gründlichkeit aus den

bitteren Erfahrungen der Revolution die ersten Bausteine der zukünftigen proletarischen Revolution zu formen. Freiligrath  war ein Kommunist und Revolutionär mit dem Herzen und mit der leidenschaftlichen Emphase des Dichters geworden zu einer Zeit,

AIs aber wortgewandte, bewegliche Streiter, ungeduldige als der Kampf seiner poetischen Gestaltungskraft die packendsten Husaren der Revolution auf ihn einredeten, als man ihn mit Stoffe bot. As der Kampf der großen Züge entbehren Gewalt, bevor noch die innere Entwickelung in ihm zum Ab- Stoffe bot. Als der Kampf der großen Züge entbehren schluß gekommen war, in ein Parteilager ziehen wollte, bäumte mußte, als er in der Heimlichkeit und Mühsal des Erils fich der alte Westfalentrot in ihm auf. Da schrieb er sein mit äußerlich unscheinbaren, versteckten Mitteln geführt werden biel zitiertes Wort vom Dichter, der über den Parteien stehen mußte, bot er der Muse Freiligraths   keine rechten Anregungen müsse. Um so tapferer war der Mut, mit dem er bald danach mehr, und sie zog sich allmählich ermüdet und frösteľnd vom seine ganze dichterische Vergangenheit, seinen Ruhm, seine und Rampfplage zurück. seiner Familie Existenz aufs Spiel fette, als er sich zu seiner Aber Freiligrath selbst blieb, der er war, fest und un­neuen Weltanschauung durchgerungen hatte, als er sein erschütterlich, wie er's im Glaubensbekenntnis gelobt hatte, Glaubensbekenntnis" wie einen feden Schuß in die Dede nur daß sein Zorn und Groll sich in sein Inneres zurückzog. und schwüle Stille jener Tage warf. Er bekennt offen, daß auch seine wenigen Kriegsgedichte von 1870 widersprechen er seinen Standpunkt über den Parteien aufgegeben hat, dieser Tatsache nicht. Schließlich brach hier in ihm nur wieder fest und unerschütterlich trete ich auf die Seite derer, die der Grimm über eine angebliche Beleidigung Deutschlands  mit Stirn und Brust der Reaktion sich entgegenstemmen. durch den französischen   Zäsaren unerwartet hervor und zu­Kein Leben für mich ohne Freiheit. Mein Gesicht ist gleich die Hoffnung, daß endlich ein freies großes Deutsch­ land   erstehen werde. Freiligrath   war in den Glutsommertagen der Zukunft zugewandt!" Jetzt hat er den Anschluß an die großen, bewegenden 1870 nicht der einzige Sozialist, der die deutschen Truppen Fragen der Zeit gefunden; jetzt versteht er die Nöte der mit Begeisterung in das Feld ziehen sah. Ein Wort, das Beit, ihre Sorgen und Qualen, aber auch ihre drängenden, seiner alten, ehrlichen Ueberzeugung widerspräche, sucht man jauchzenden Ideale; jezt ist die Unruhe und die selbstquäle- aber in den Gedichten wie in den Briefen Freiligraths   aus rische Unzufriedenheit in seinem Innern vorbei; jetzt weiß fener Zeit vergebens. Statt dessen geht aus einem Briefe aus dem Jahre 1871 er, wofür der Dichter zu kämpfen hat: ich segne noch stündlich den Schritt, der mich dahin führte, wo ich jetzt stehe. Meine an den jüngst verstorbenen Julius Wolff   hervor, daß in Stellung ist eine ganze geworden, Gott sei Dank, und ich Freiligrath   schon in den Kriegsjahren längst wieder der alte brauche meinen 8orn nicht mehr täglich in Born   gegen niedrige Gesinnung und Brutalität über den kurzen Rausch nationaler Begeisterung gesiegt hatte. Wolff hatte einem mich hineinzufressen". Kriegsgedichte einen widerlichen und abscheulichen Schluß" angehängt, in dem er deutsche Soldaten als Henter französischer Franttireurs schilderte und pries. Da begehrte der alte Freilig­ rath   auf! Schill und Lützow   und Andreas Hofer   und die spanischen  Guerillas feien auch nur Franktireurs gewesen, und ein Poet solle sich über solche Roheiten nicht schmunzelnd die Hände reiben: Bitter, bitter beklagen soll er die durch den Krieg gebotene Grausamkeit und, wenn er nicht ganz und gar schweigen will, nur in solchem Sinne seine Stimme erheben... Der Teufel hat Sie geritten, daß Sie, und mit Behagen, uns

Und die Zeit eilte mit großen Schritten vorwärts. Ueberall in Deutschland   wetterleuchtete es. Die Konflikte zwischen Bourgeoisie und Krone verschärften sich von Tag zu Tag, der Ton der radikalen Presse wurde fecer und fecer, die satirischen Dichter sandten Spottpfeil auf Spottpfeil in die Perrücken und Sosenböden der Reaktionäre.

"

In Freiligrath   aber trieb das Nahen des Völkerfrühlings die ganze lange verhaltene revolutionäre Kraft seines dichte­rischen Temperaments zu vollster Entfaltung. Sie waren Aber der Anstoß kam nicht so bald. Zwar wirkten die rascher entflammt gewesen, die Süddeutschen und die Ober­größeren Ereignisse im politischen Leben auch auf Freiligrath flächlicheren, und hatten ihren revolutionären Tatendrang die armen Gehenkten zeigen mußten." ein. Als man in Lippe- Detmold zur Errichtung des Hermann- rascher in poetische Form zu gießen gewußt als der herbe, Und einige Jahre später, mitten in dem tollen patriotischen Aber als diesen erst Taumel über die Einigung Deutschlands  , fährt Freiligrath   feinen denkmals rüstete, schrieb Freiligrath einem Freunde bitter: tropige, aufrechte Sohn Westfalens. Ich dächte, in einer Zeit, wo die Göttinger Sieben, einmal der Geist der Zeit gepackt hatte, als er sich nach Freund Berthold Auerbach   unwirsch an wegen seiner Einheits­und unter ihnen ein Jakob Grimm  , Landes verwiesen werden, ernſtem inneren Kampfe zum sieghaften Glauben an das freude":" Ich brauche Dich nicht daran zu erinnern, wie ich in könnte sich der deutsche Patriotismus auch wohl anders und Bolt und seine revolutionäre Mission durchgerungen hatte, den Tagen der Gefahr mich rückhaltlos auf die nationale Seite