MS erster Zeuge wurde heuie Genosse Jean L o n g u e tdorgerufcn. der das Lockspitzeltum als eine traditionelle ruf-fische Einrichtung nachweist.„Das ist alles alte Geschichte,"ruft v. Kotten,„meine Regierung hatmich nurher-geschickt, auf die Angriffe zu antworten, die meineAffäre und nicht die Polizei im allgemeinen betreffen."Willm belchrt den Herrn, daß die russische Regierung über dieFührung einer französischen Justizverhandlung gar nichtsvorzuschreiben habe.— Der russische Advokat S t a a I weistKottens Behauptungen über angebliche Rechtsgarantieu beider Deportation als Lügen nach.— Jaurös gibt die Ge-schichte seiner Intervention im Fall Harting wiederund streift die Gefälligkeit, die ein Teil der französischenPolizei für die russische Geheimpolizei hat.— Willm teilthier den Geschworenen ausdrücklich mit, daß Harting undAlexairdrow-Lucicn identisch sind.Rubanowitsch behandelt die Affäre Azew.8 8 Attentate hat Azew mit Polizeihilfe organisiert. InWilna hat ein Polizeiagent, der sich für einen von seinemLeutnant mißhandelten Soldaten ausgab, 15jährige Mittel-schülcr zur Fabrikation von Explosivstoffen angeleitet. InWarschau hat der vom Gendarinerjeobersten beschäftigte Lock-spitze! S ch e b e l s k i Sozialisten zur Herstellung von Bom-ben bewogen und an den Galgen gebracht.Burzew bezeugt die Ehrenhaftigkeit des Rips. Kottenhat diesen nämlich verdächtigt, seine Polizeirolle ernst genom-men zu haben. Eine Untersuchung von Kottens Tätigkeithat ihm diesen als Spezialisten im Anwerben vonLockspitzeln gezeigt. Einmal hat Kotten einen Per-hafteten mit dem Revolver in der Hand zurAnnahme seines Antrages gezwungen. DieDame I o s ch e n k o. die v. Kotten in Berlin besucht hat, hatBurzew erzählt, daß Kotten ihr gesagt habe, daß er von Har-Äng zu Rips Hotel begleitet worden sei.— v. Kotten gibtzu. mit Frau Joschenko in Berlin gesprochen zu haben.B a k a i, Burzews bekannter Gelvährsmann in der Azew-Affäre, fügt interessante Details über die L o ck s p i tz e l e ihinzu, die von allen„Anzeigern" betrieben werde. Ererklärt, daß v. Kotten mit Azew in Verbindunggestanden habe.Herr L a b o r i eröffnete sein Plaidoyer für v. Kottenmit der Erklärung, daß er keine Verurteilung des Angeklag-ten fordere, aber die Ehre v. Kottens verteidigenmüsse. Die russische Polizei und die russischen Revolutionärekämpften beide mit Einsetzung ihres Lebens. Die den Revo-lutionären in Frankreich gewährte Gastfreundschaft gehe zuweitl— Der Generalanwalt forderte eine Verurteilung, diesich auS dem juristischen Tatbestand ergebe. Die VerteidigerT h o m a s s i n und Willm forderten die Freisprechung.Willm beleuchtete auch die„Oberstenschaft" v. Kottens, derals Hauptmann der Artillerie ausgetreten und alsPolizist in drei Jahren Oberst geworden sei. SeineTitel und Ehren seien aus Kot und Blut emporgehoben wor-den. Willm beleuchtete die Beziehungen v. Kottens mitFrau Joschenko, einer Provokateurin� die mitHar-ting und Azew im Bund den Posizeipräfekten vonMoskau von einem jungen Mädchen töten ließ. Er zeigte,daß der Fall Rips eine Episode in dem Kampf sei, den inRußland diejenigen, die die Wiedergeburt ihres Landes wollen,mit Leuten führen, die Ehre rmd Freiheit zur Ware machen.Rips habe seine Ehre gerächt, sein Akt sei provoziert worden.Die Jury möge zeigen, daß sie ihre Unabhängigkeit zu wahrenversteht.Die Beratung der Geschworenen dauerte 20 Minuten.Tann wurde unter rauschendem Beifall der Freispruch ver-tjmdet._poUtifcbe üeberltcbtBerlin, den 17. Juni 1910.Die Angst am Friedberg-Büdinge»kommt in dem Organ des Bundes der Landwirte zum kräfti-gen Ausdruck. Die„Deutsche Tageszeitung" beschwört dieNationalliberalen, ihre ganze Kraft aufzubieten, um denWahlkreis vor der Sozialdemokratie zu retten. Zwar wolledem Vernehmen nach die nationalliberale Partei für dieStichwahl die Parole ausgeben, den bündlerischen Kandidatenzu wählen und da? nationalliberale Parteiorgan habe dieAufforderung ja auch schon ergehen lassen. Leider aber werdedie offizielle Stellungnahme der Nationalliberalen nichtgerade unterstützt durch die Art, wie ihre Presse gleichzeitigden Bund der Landwirte mit Gehässigkeiten überschütte,„zuderen richtiger Kennzeichnung selbst das stärkste� Wort kaumausreichen würde". Das Bündlerblatt bittet die National-liberalen, zu bedenken,„daß es aller Kraft bedürfen wird, daSehemalige Mandat des Grafen Oriola und des national-liberalen Führers Miguel dem Bürgertum zu erhalten".Anders die„Kreuz-Zeitung". Sie scheint auf die Er-oberung des Kreises schon nicht mehr zu rechnen. So bringtsie heute als Leitartikel eine Zuschrift aus Hessen, die über dieNationalliberalen in der schärfsten Weise herzieht. Es heißtdarin unter anderem: �...... Die Bauernschaft kehrt der Partei den Rücken. Da»bedeutet aber für die Nationalliberalen nichts Geringere? als denVerlust ihrer sämtlichen Mandate....Der nationalliberalen Partei treu geblieben sind nur dieKveise, die ihr den Spottnamen„Kasinopartei" eingebracht haben:die nach Bildung und Besitz in den �KreiS- und Amtsstädtchenmaßgebenden Kreise, vornehmlich der überwiegende Teil der Be-amtenschaft. Hier gehört es seit beinahe Menschengedenken zumguten Ton, nationalliberal zu sein. Bedenkt man die engengesellschaftlichen und Familienzusammenhänge, die die kleinstadt-lichen Verhältnisse mit sich bringen, so ist eS nicht verwunderlich,daß die Zahl der liberalen Mitläufer gerade in diesen Kreisen nichtunbeträchtlich ist. Man möchte nicht auffallen und kein Stören-fried sein. Recht peinlich wird man eS nun empfinden, bei derbevorstehenden Stichwahl Farbe bekennen zu müssen in punctoSozialdemokratie. Kenner der Verhältnisse neigen zu der An»nähme, daß ein beträchtlicher Teil der Beamten unmittelbar durchWahl oder doch mittelbar durch Wahlenthnltung sich für die Parteide» Umsturzes entscheiden wird. Daß man dabei sich doch seinenationale Gesinnung bewahrt hat, wivd man durch eifrige Tätig,keit bei KriegerveremS- und ähnlichen Festen beweisen. Zunächstist aber alles erlaubt, wenn.es gilt, die Reaktion niederzu-ttltQCTl»Zum Schluß wird den Nationalliberalen angekündigt,daß die Konservativen den Kampf wider den Nationallibera-liSmuS energisch fortsetzen werden, daß sie sich als Ziel dieEroberung aller nationalliberalen Mandate Hessens gesetzthaben.Die nationalliberale Presse ergeht sich indes tu bitteren* Klagen ob der unerhört gehässigen und skrupellosen Agitationder Konservativen. Die„Köln. Ztg." bringt eine Korre-spondenz aus dem Wahlkreise, worin von Hetzreden derBündler und Antisemiten die Rede ist,«deren Wiedergabe inder„Kölnischen Zeitung" unmöglich erscheint". In dieserKorrespondenz wird auch ausgesprochen, cS scheine zweifelloszu sein, daß die nationallibcrale Partei für den bürgerlichenKattdidaten v. Helinolt eintritt.„Justizrat Windecker hatsich gestern in der öffentlichen Versammlung schon entschiedendafür ausgesprochen. Daß die Freisinnige Vvlkspartei das-selbe tut, ist nach der Stimmung im Wahlkreise nicht anzu-nehmen. Und deshalb erscheint es recht zweifelhaft, obv. Helmolt geivählt wird..."Der nationalliberale Abgeordnete Fuhrmann hat ineiner Versammlung zu Friedberg in ähnlicher Weise dieAgitation der Bllndler gekennzeichnet. Nach der„Franks.Zeitung" hat er gesagt:„Das eine aber müsse er auch aussprechen, daß er noch nieeinen Wahlkampf von einem solch liefen Niveau geführt habe.Wenn man so traurigen Gesellen gegenüberstehe, wie denjenigen,mit denen man sich vielfach hier hätte herumschlagen müssen, dannmöchte einem manchmal der Ekel aufsteigen, und er müsse die-jenigen bedauern, die solchen Leuten als Agitatoren ihr Schicksalin die Hand geben. Wir stehen hier einer rücksichtslosen undbrutalen Interessenvertretung gegenüber, und wenn ich einenVorwurf gegen den Bund der Landwirte erhebe, so ist es der, daßer den Idealismus aus den Herzen der deutschen Bauern gerissenhat."Tie„Frankfurter Kleine Presse" gibt eine artige Probeder duftigen bündlerischen„Aufklärung", die die„Kreuz-Zeitung" nicht genug zu loben weiß. Danach hat in einerVersammlung ein Redner des Bundes der Landwirte, derGutspächter Schmidt aus der Pfalz, erklärt:„Da sind sie,die Herren Beamten, arbeiten wollen sie nicht,immerzu Ferien wollen sie haben und Kotelettsso groß wie Abtrittsdeckel fressen— und dieBauern müssen alles bezahlen."RZan begreift nach alledem die Angst der„DeutschenTageszeitung" und die Resignation der„Kreuz-Zeitung" sehrgut. Natürlich wird dieser erbauliche Streit im bürgerlichenLager unsere tapferen hessischen Genossen nicht einen Augen-blick in dem Bewußtsein wankend machen, daß sie für dieStichwahl nur auf die eigene Kraft bauen dürfen.Heeringens Hnsarenritt gegen die freie Jngendbewegung.Die„Kreuzzeitung" hat auf Anfrage vom Kriegsminister dieVersicherung erhalten, daß er neuerdings keine Vorstellungen beimStaatSministerium wegen der antimilitaristischen Agitation unter derJugend gemacht habe. DaS klingt wie ein einwandfreies Dementi.aber es stimmt doch nicht. Etwas ist an der Meldung, denn die„Deutsche Tageszeitung" weiß darüber das Folgende zu erzählen-„Daß die heeresfeindliche Agitation in der Jugend wie in dererwachsenen Bevölkerung an den zuständigen Stellen Beachtunggefunden hat, und daß der Wunsch, d,e schulentlassene Jugendvor der sozialdemokratischen Verhetzung besser als bisher zubewahren. auch zu Erwägungen im Schöße desStaatSmini st eriumS geführt und auch bereits auf dieFörderung deS Fortbildungsunterricht» wie aller Bestrebungen,die Jugend in gesundem und patriotischem Geiste zu erziehen,eingewirkt hat, ist ohne Zweifel zutreffend. Aber von einerbesonderen. Vorstellung" deS KriegSministerS wie voneiner Erklärung, daß er bei Fortdauer der gegenwärtigen Zuständedie Verantwortung„für die«chlagfertigkeit deS Heeres nicht mehrübernehmen könne, ist nicht die Rede. Zu einer Be-unruhigung in dieser Beziehung liegt denn doch glücklicherweisetrotz der sozialdemokratischen Wühlarbeit noch kein Grund vor.Niemand kann daran zweifeln, daß die Schlagfertiakeitunseres Heeres und daß im ganzen auch der soldatische Geist inunserer Armee unerschüitert und unantastbar dasteht. ES handeltsich bisher nur darum, vorbeugende Erziehungs-arbeit an unserer Jugend zu leisten, um sie vor Verhetzungund Verwahrlosung besser zu behüten; nicht aber um Maßnahmen,die zur Beseitigung akuter Gefahr nötig wären."Hm, hm! Akute Gefahr liegt also noch nicht vor, aber dochGefahr! Offenbar hat der Kriegsminister gegen die freie Jugend»bewegung scharf gemacht. Und nun erwägt man wohl im Staats«Ministerium, wie man der unbequemen Erscheinung zu Leibe kommenkann. Da sich die freie Jugendbewegung aber streng im Rahmen des Ge-setze» hält und selbst die BuSlegungstünste deutscher Richter ihreGrenze haben, so wird eS wohl ohne ein kleines Ausnahmegesetznicht abgehen. Wir werden ja bald sehe»», ob der Husarenrittv. Heeringens praltische Folgen hat.Noch eine Enzyklika-JnterpeNation.München, IS. Juni. Nun hat auch daS bayerische Abgeordneten-hauS seine Enzhklika-Debatte gehabt. Die Liberalen fühltenda« Bedürfnis zu einer Besprechung dieler Angelegenheit und reichteneine Interpellation ein, in der bei der Regierung angefragt wird,waS sie gegen die schweren Beleidigungen der evangelischen Glaubens-genossen zu tun gedenke.Das Haus ist gut besetzt, die Galerien sind gefüllt, die äußerenAnzeichen eine»„großen TageS" also vorhanden. Aber die Sensationblieb aus. Dr. Casselmann begründete die Interpellation inlanger Rede, die die Anschauungen der Evangelischen wiedergab undnaturgemäß neue Momente nicht bringen lonnte.Im Namen der Gesamiregierung beantwortete der Kultus-minister die Interpellation mit einer Erklärung: Bayern fei einparitätischer Staat und müsse alles abzuwehren suchen, was denlonsessionellen Frieden stören könne. Die bccherische Regierung habebald nach der Erscheinung der Enzyklika ihren Gesandten in Rombeauftragt, bei der Kurie die nötigen Schritte zu tun. ES sei derNuntmS infolgedessen von Rom aus angewiesen worden, dieVerbreitung und Veröffentlichung der Enzyklika in den Kirchen»mdden bischöflichen Amtsblättern Bayerns zu verhindern.Die Besprechung der Interpellation wird beschlossen durchUnterstützung der Bündler und Sozialdemokraten.Zunächst erhält B e ck h, der Vertreter des Bauernbundes, daSWort zu Ausführungen, die sich ungefähr decken mit denen Cassel-manns. Für die Sozialdernokraten gab Genosse Müller einelurze Erklärung ab, die daraus hinweist, daß unsere Partei eSablehnt, sich in die konfessionellen Streitigleiten zwischen Protestantenund Katholiken einzumischen. Unsere Partei sei für Trennung vonStaat und Kirche, um eben zu verhüten, daß kirchliche und religiöseFragen daS öffentliche und politische Leben beschäftigen und denFrieden der Bevölkerung stören können. Genosse Müller gab dannnoch dem Gedanken Ausdruck, daß der reformierte Junker und derkatholische ZentrumSmann trotz der Enzyklika sich bei den Wahlenschon finden werden.Da« Zentrum erklärte, wir im preußischen Dreiklassenhouse,sich überhaupt nicht an der Besprechung zu beteiligen,»veil die En-zyklila eine innerkirchliche Angelegenheit der katholischen Kirche seiund im bayerischen Parlament nicht Gegenstand einer Besprechungsein könne._Abgeordneter Schmidt-Warburg gestorben.Am Freitag früh verschied infolge eines Herzleidens der Reichs-tags- und Landtagsabgcordncte Schmidt-Warburg. Der Verstorbenegehörte als Zentrumsabgeordneter dem Landtag seit 18SS, dem Reichs-tag seit 1803 ununterbrochen an. Er vertrat den westfälischen Wahl-kreis Warburg- Höxter. Bei der letzten Reichstagswahl entfielenauf ihn bei einer Wahlbeteiligung von 8S.2 Proz. 14 813, auf denlonservotiven IVSS, auf den sozialdemokratischen Kaiididaten437 Stimmen. Mit ihm. der am Mttwoch.öS Jahre att gewordenwar, verliert da" Zentrum ein auch bei den anderen Parteien sehrbeliebtes Mitglied. Schmidt-Warburg war Landgenchisrat. Er istwohl infolge seiner unbeugsamen, aufrechten, altwestfälischen liberalenGesinnung nicht Landgcrichtsdircltor geworden. Er war meist mitZivilsachen beschäftigt. Hatte er in Strafsachen zu entscheide«, sofiel sein Bestreben, insbesondere auch dem Arbeiter und dem poli«tischen Gegner gegenüber objektiv, gerecht und milde zu sein, an-genehm auf. Wegen seiner entschiedenen Abneigung, in Zweifelsfällenzu verurteilen, legten ihm seine Kollegen den ehrenden Spitznamen„Bedenken-Schmidt" bei. Im Parlament trat er bei Beratung vonJustizgesetzen oft temperamentvoll auch gegen die Mehrheit seinerFralnon zu Gunsten des Mittelstandes und der Arbeiter und fürunparteiische Rechtspflege ein. So bekämpfte er energisch, leider ver-gebiich, die unter der Etikette einer Entlastung deS Reichsgerichts angestrebte PlutokraWerung der Zivistechtspflege. Bei den früherenStrasprozeßreformen wendete er sich mit Entschiedenheit gegen eineMinderung der wenigen Garantien für eine gesunde Rechtsprechung.Bei der später gescheiterten Strasprozetzreformvorlage machten imReichstag seine gegen das Hilssrichtertum und das Dreiinänner-kollegium gerichteten Ansiührungen großen Eindruck, weil sie frischund lebendig die Mißstände dieser Organisationen an der Handpraktischer Erfahrungen schilderten. Leider ist die von ihm vertreteneRichtung mich im Zentrum im Schwinden begriffen. Der jetzt tagen-den Strasjustizkommission gehörte er bis vor wenigen Tagen an.Erhöhung des SektzolleS.Wie aus Paris gemeldet wird, hat Baron V. d. Sanken,der den Botschafter Fürsten Radolin vertritt, dem Minister desAenßern P i ch o n eine Rote der deutschen Regirrung überreicht, inder die E r h ö h u n g des Zolltarifs auf moussierendeWeine, C h a m p a g n e r und Kognak vom 1. Juli d. I. abangekündigt wird. Baron v Lanken erklärte dem Minister Pichon,daß diese Zollerhöhung von der deutschen Regierung beschlossenworden sei, um ein Defizit von 14 Millionen Mark, das sich inden beiden letzten Monaten ergeben hätte, auszugleichen.ES handelt sich dabei formell nicht um eine neue Zollerhöhung,sondern um die Aufhebung einer Zollherabsetziing, zu der derBundesrat ermächtigt war, waS aber praktisch natürlich einer Zoll-erhöhung gleichkommt. In Frankreich ist man von der Maßregelnatürlich nichts weuiger als entzückt. Man ist, wie der„Mahn"schreibt, über diesen Entschluß der deutschen Regierung um so mehrerstaunt, als Deutschland erst kürzlich durch die französische Kammerin bezttg auf die Einführung von Spielwaren bedeutende Zugeständ-niffe gemacht worden seien._Koloniale Unruhen.Au» Deutsch-Ostafrika berichtet der stellvertreterrdeGouverneur, daß die Anfangs Mai gemeldeten Unruhen in derLandschaft Süd-Ujunga infolge des Erscheinens der Truppe unterHauptmann Breutzel auf ein kleines Gebiet beschränkt geblieben find.Die Groß-Sultane stehen treu zur Verwaltung. Auf die Einlieferungder bis jetzt noch nicht gefaßten Rädelsführer sind Preise ausgesetzt.Die halbe 6. Kompagnie ist nach Udjidji zurückgekehrt, die weiterenOperationen werden von der 10. Koinpagnie allein durchgeführt.Rückgang des Flottenvereins.Wie dem„B. T." aus Darmftadt gemeldet wird, ist der Mit«gliederbestand deS deutschen Flottenvereins in Hessen im letztenJahre um 849 zurückgegangen, nachdem bereits im Borjahre784 Mitglieder ausgetreten sind. Der Rückgang, der wahr-fcheinlich nicht nur in Hessen zu verzeichnen ist, erscheint sehr erklär-lich, nachdem sich der bei den letzten Wahlen erzeugte patriotischeTaumel in einen gründlichen Katzenjammer verwandelt hat.Erfolge der preußischen Regierung in Nordschk-swig.Fünfundvierzig Jahre sind nun die NordschleSwiger dempreußischen Staate einverleibt, und noch immer ist es der preußi-scheu Regierung nicht gelungen, sie mit ihrem politischen Schicksalauszusöhnen. DaS wäre schon an und für sich nicht zu ver-wurrdern. Der NordschleSwiger braucht bloß über die nahe Grenzezu schauen und die politischen Freiheiten seiner Stammesgenossenmit denen der neuen preußischen Brüder zu vergleichen, um da»Gegenteil von Liebe für da» alte muffige Preußen zu empfinden.Aber die preußische Regierungskunst tut noch ein übrige». Sie istein ständiger Krieg gegen die Sprache, die Sitten uird die Ge»brauche der dänischen NordschleSwiger. So muß denn kommen,wa» in solchen Fällen immer kommt: die Unterdrückten organisierensich zum Widerstand. Und dieser Widerstand wächst, langsam abersicher. In diesen Tagen hielten die drei dänischen Widerstands-Organisationen ihre Generalversammlungen ab. Es sind dies der„Schulverein', der„Sprachverein" und der„Wählerverein"; diedrei Generalversammlungen bilden gewissermaßen den Parteitagder dänischen Partei NordschleSwig». In allen drei General-Versammlungen wurde ein guter Fortschritt konstatiert. Der„Sprachverein" hat seine Mitgliederzahl im letzten Jahre von4711 auf 5071 erhöht, die Zahl der Büchersammlungen istvon ISS auf 139 vermehrt worden, im ganzen wurden5229 Bände an die bestehenden Bibliotheken abgegeben.—Der„Schulverein" hat im letzten Jahr» 388 sim Vorjahre 383).im ganzen seit seiner Wirksamkeit 394S junge Leute beiderleiGeschlechts durch Unterstützungen zum Besuch einer Nach-, Hoch-,Molkerei-, Handwerker--, Handels- oder londwirtscbaftlichen Schuleim Königreiche Dänemarl verholfen. Sein Einnahmen» und AuS-gabentonto stieg von 19 399,32 M. im Vorjahre auf 31 836 01 M.in diesem Jahre. Der Wählerverein vermehrte seine Mitglieder-zahl im Geschäftsjahre von S4S1 auf 6420 und seine Einnahmevon 8293,79 M. aus 13132,12 M. Berücksichtigt man dann noch»daß in Flensburg ein dänisches Arbeitersekretariat und in Apenradeein politischer Äufklärungskursus abgehalten worden ist, an dem47 Personen teilnahmen, so erkennt man die eiftige und ziel-bewußte Arbeit der Dänen in NordschleSwig. Man darf nämlichnicht vergessen, daß e» sich um einen Wirkungskreis handelt, in deinnur wenige Hunderttausend Einwohner leben. Die größte An»erkennung für Stärkung ihrer Organisationen sind die dänischenNordschleSwiger aber der Unduldsamkeit und Unfähigkeit der preu-ßischen Bureaukratie schuldig.lAekteiTelcb.Christlichsoziale Komödianten.Wien, 17. Juni.(Privatdepesche des„Vorwärts".) De-kanntlich hat der christlickffoziale Stadtrat H r a b a, derFinanzreferent der Stadt Wienz die führenden Männer ssinerPartei der Korruption beschuldigt und ihnen nach-gesagt, sie benützten ihre Stellungen zu ihrem Privatvorteilund beteten alle zum„Gott Nimm". Die Beschuldigtenstrengten Ehrenbeleidigungsklage an und nun hatHerr Hraba es mit der Angst zu tun gekriegt und alle Be-schuldigungen protokollarisch zurückgezogen. Die Pro-zesse werden infolgedessen nicht stattfinden. Natürlich wirdman diesen Ausgang als eine Folge von Verhandlungen hinterden Kulissen betrachten müssen und annehmen dürfen, daßdie christlichsozialen Führer einigen Grund dazu gehabt haben,den Gerichtssaal zu scheuen.Da» Attentat.Scrajewo, 16. Juni. Sofort eingeleitete genaue ErHcmmnenhaben bisher keinen Anhaltspunkt gegeben, der die An-nähme rcchtferiigte, daß dem Anschlag auf den Landeschefpolitische Motive zugrunde liegen. E» steht fest, daß Zerajieleinen Mitschuldigen hatte. Nach dem Ergebnis der Unter«