Parlamentarische Vorarbeiten. Ueber dis an den Reichstag und den preußischen Landlag für die nächste Session gelangenden gesetzgeberischen Vorlagen meldet <inc parlamentarische Korrespondenz: Mit den Vorarbeiten für die Einreich ung der neuen Etatsforderungen sind zurzeit die RcffortS im Reiche und in Preußen beschäftigt. Der Reichsetal für 1911 soll dem Reichstage auch in diesem Jalzre bereits Ende November zugehen. Nachdem nunmehr auch in Preußen parlamentarische Ferien ein-. getreten sind, werden auch die Vorbereitungen für daS neue gesctz- geberische Material in Angriff genommen werden. Der Reichstag hat bekanntlich neben dem Z u w a ch s st e u e r- gesetz und den sozio Ipo litt schein und juristischen Gesetzen auS der Frühjahrstagung den neuen Etat zu beraten. Von neuen Vorlagen werden dem Reichstage in erster Linie zugehen ein neues Friedenspräsenzgesetz, der Ent- Wurf über die Neugestaltung der elsaß - lothringischen Verfassung, eine Vorlage zum StaatSangchöriglcitsgesetz, eine Novelle zum Patentgesctz, ein ReichSapothekengesetz, ein Kurpfuscher- gesctz. ein Abdeckereigesetz, eine Novelle über Neuregelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe, und da» mit der Reichsvcrsicherungsordnung in Verbindung stehende Einführungs- gesetz. und das H i l f s ka ss eng e se tz. Da? neue Material für den P r e u ß i s ch e n Landtag wird ziemlich reichhaltig sein. Neben den« Etat handelt es sich zunächst um die Neuregelung der Steuerverhältnisse in Ver- bindung mit einer anderweitigen Gestaltung des Veranlagung?- Verfahrens. Auch ein Teil der Verwaltungsreform wird voraussichtlich schon dem Landtage uncrbreitet werden. DaS neue Wasser- und Fischereigesetz dürfte so rechtzeitig fertiggestellt werden, daß es zu Beginn des neuen Jahre» zur Vorlegung gelangen kann. Un» bestimmt ist noch die Einbringung eines Feuerbestattungsgesetzes, da gewisse Voraussetzungen noch nicht erfüllt sind. Von kleineren Gesetzen stehen in Aussicht ein Zweckverbandsgesetz, ein Entwurf über' die Schulpflicht taubstummer Kinder� einige Stadterweiterungsvorlagen, Entwurf über die Verpflichtung zum Besuche von Fortbildungsschulen und zur Errichtung von Fortbildungsschulen in Orten über 10 000 Einwohnern. Daneben sollen noch die unerledigt gebliebenen Vorlagen: WegereingungS gesetz. ostpreußische Wcgeoronung, Novelle zur rheinischen Land- gemeindeordnung erneut vorgelegt werden. Und«» bleibt die Wahlrrform für Preußen? Veteranenbeihilfe und Wehrstener. Am Sonnabend wurde im Reichsschatzamt die zweite Beratung über die künftige Gestaltung der Vcteranenbeihilfe vorgenommen. Eine Abstimmung war nicht beabsichtigt, sondern im Verfolg de« Ergebnisses der ersten Sitzung � vom 10. Juni— nur eine grundsätzliche Einigung über die Aufbringung der Mittel für die Besserstellung der Kriegsveteranen im Sinne der Wünsche des Reich». tageS. Die beste Aussicht auf eine Verständigung scheint eine k l a s s e n> a b g e st u f t e W e h r st e u e r zu haben, da nian annimmt, aus einer derartigen Steuer ließen sich die erforderlichen Mittel sehr leicht beschaffen.-.■--- Ungültige Ordnungsstrafen. Bei dem kürzlich beendeten Bäckerstreik in Magdeburg beschloß die Zwangsinnung, alle Meister, die das sogenannte Be- willigungsplakat des Verbandes der Bäcker und Konditoren in ihren Verkaufsräumen aushängen, in eine Ordnungsstrafe von 20 M. für jeden Tag der Zuwiderhandlung z» nehmen. Die Innung gab sich redlich Mühe, durch Versendung zahlreicher eingeschriebener Briefe die Ordnungsstrafen einzutreiben. In einer Anzahl von Fällen gelang ihr da« auch; bei einigen Bäckermeistern wurde sogar h u r Pfändung geschritten. Schließlich beschwerte sich aber ein Meister bei der Aufsichtsbehörde, dem Magistrat der Stadt Magdeburg . Dieser hat nun die Beschwerde für begründet und die Ordnungs- strafen für ungültig erklärt. Der JnnungSkassierer muß also da» zu Unrecht eingezogene Geld wieder herausrücken. Steuerdrückebergerei in der Industrie. Auf dem in Bochum abgehaltenen westfälischen Land» gemeindetag brachte der Amtmann v. Wehren- Rauxel die Steuerdrückebergerei der Zechen- und Werksherren zur Sprache und führte dazu einige drastische Beispiele aus seinem Amts- bezirk an. Eine Zeche— Nomen wurden nicht, genannt— habe es verstanden, an Substanzenverlust so viel abzuschreiben, daß sie an- statt 40 000 M. Gemeindesteuern nur noch 1400 M. gnädigst zahlen wolle/ Die Zech: habe aber dessenungeachtet sehr hohe Dividenden ausbezahlt. Hätte sich die Gemeinde nicht mit einer be. sönbercn Gewerbesteuer zu helfen gewußt, so hätten die Kom. munalsteuerzuschläge um 110 Proz. erhöht werden müsien. In einem ähnlichen Falle habe eine Zeche gleichfalls so viel Substanzenverlust abgeschrieben, daß sie noch 1700 M. Steuern zahlen mußte. Auch hier habe die Gemeinde durch eine besondere Gewerbesteuer sich 23 500 M. geholt. Eine andere auswärtige Zechenverwaltung habe in einer Gemeinde eine Kolonie für 300 Familien gebaut. Jede dieser Familien habe der Gemeinde abzüglich der gezahlten Steuern noch 72 M. Kosten verursacht. Die Zeche zahlte ganze 1700 M., die Gemeinde hätte also nahezu 20 000 M. hinzuzahlen müssen, wenn sie sich nicht durch eine besondere Gewerbesteuer zu helfen gewußt habe. Leider sei der Erlaß einer solchen Steuer nicht immer durchzudrücken, denn in den Gemeinden, wo die Zeche und Werksvertreter in der Mehrheit seien, sähen sie nicht auf das Interesse der Gemeinde, sondern nur auf daS der Industrie. Besondere Borsicht sei geboten, damit die Steuer nicht durch fingierte Verkäufe und allerhand Machereien umgangen werden. Der Vertretertag stimmte den Aus führungen lebhaft zu._ Ein vernünftiges Urteil. Frankfurt a. M, 18. Juni. Wegen groben Unfugs erhielt der Genosse Redakteur Hermann Wendel von der.Volks« stimme' einen gerichtlichen Strafbefehl über drei Wochen Haft, weil er am Wahlrechtssonniag, am 13. Februar, sich auf den Sockel des Bismarck-Denlinals geschwungen und„Auf, alle hierher, hoch lebe das freie Wahlrecht', gerufen haben soll. Er erhob Einspruch gegen den Strafbefehl, mit dem Erfolge, daß ihn das Schöffengericht am 18. April zur Höchst- strafe von sechs Wochen Hast verurteilte. Hiergegen legte er Berufung ein, die heule die Strafkammer in mehr- stündiger Sitzung beschäftigte. DaS Gericht kam zu einem frei- sprechenden Urteil._ Ein militärisches Schreckensurteil. Der Unteroffizier Kugler aus Wittön vom 25. Pionierbataillon hatte bei einer Mannschastsübung auf den Befehl eines Leutnants, die Mannschaften sollten lebhaftere Schritte machen, zu seiner Gruppe geäußert:»Gelaufen wird nicht, und wenn er sich auf den Kopf stellt. Wenn er laufen will, so soll er nur laufen'. Auf die A,i zeige eines Gefreiten wurde Kugler vom Mainzer Kriegsgericht wegen Aufwiegelung unter Anklage gestellt. Kugler» Vorgesetzte schilderten ihn als einen aus- gezeichneten Unteroffizier. Der Angeklagte hat vier Jahre in Süd- Westafrika gedient und an den Kämpfen teilgenommen; et besitzt auch das allgemeine Ehrenzeichen. Kugler erklärte in der Verhandlung, es handle sich um eine unüberlegte Reden»- art infolge körperlicher Müdigkeit. DaS Kriegsgericht verurteilte ihn trotzdem wegen Aufwiegelung zu der unerhört hohen Strafe vonfünfJahren Gefängn i s. <)esUmld,. Natiönake Siholfrnget». Die Frage der. M i nd e rhei ts sch ulen hat in der letzteg Zeit zu einem Konflikt zwischen de» deutschen und tschechi? I schen Genössest geführt. Fm Bud'getausschuß stimmlen tue ßVüI-i schen Sozialdemokraten gegen eine Resolution des tschechischen I Agrariers Stanjek, worin die Verstaatlichung der tschechischen Volksschulen in Wien verlangt war. Sie taten da» deshalb, weil es nichts Demagogischeres gibt, als Einzelfragen aus dem Komplex der nationalen Frage herauszureißen und in den sich anhäufenden Resolutionsmischmasch hineinzuwerfen. Die Parteileitung der tschechischen Sozialdemokratie erließ aber ein förmliches Manifest, das den deutschen Genossen ziemlich deutlich nachsagt, sie seien bloß in der Theorie für die Schulbedürfnisse der tschechi- scheu Arbeitermassen Wiens. Nun hat der sozialdemokratische Ver- band durch Genossen Dr. Adler einen Antrag eingebracht, der die staatliche Unterstützung der Minoritäts- schulen provisorisch regeln will. Danach soll der Staat jährlich 3 Millionen Kronen zur Verfügung stellen, aus denen d i e Gemein- den, welche Minderheitsschulen erhalten müssen und die Schul- vereine, welche MinderheitSschulen errichten unterstützt werden sollen. Diese 3 Millionen werden auf die 8 Nationen des Reiches im Verhältnis ihrer Volkszahl verteilt und nur die Abgeordneten der betreffenden Nationen haben über die Verwendnung des natio- nalen Anteils zu bestimmen, zu welchem Zwecke daS Abgeordneten- hauS in 8 nationale Abteilungen geteilt wird. Diesen Antrag hat Genosse Dr. Adler Freitag in der Budgetdebatte begründet. � frankmeh. Die Kretafrage. Paris , 18. Juni. Im heutigen Ministerrat sprach fi ch o n über die kretischen Angelegenheiten. Die von rankreich ergriffene Initiative habe da» Ergebnis gehabt, einen Meinungsaustausch der Schutzmächte und Vorschläge zu veranlassen, in betreff deren sich eine völlige Uebereinstimmung ergeben habe. Sie habe auch zur Folge gehabt, die B e u n r u h i- gungzumildern, welche in der Türkei entstanden sei. Um sich die Achtung vor ihren Entscheidungen zu sichern, und um auf alle Fälle gerüstet zu sein, würden die vier Mächte ihre Streit» kräfte zur See in der Suda-Bai verstärken. Italien . Kommunalwal, lcn. Rom , 15. Juni. (Eig. Ber.) Die kommunalen Wahlen vom vorigen Sonntag, bei denen durch Listenwahl ein Drittel der Stadtverordnetenschaft in verschiedenen italienischen Städten er- neuert wurde, sind zum großen Teil den Volksparteien günstig gewesen. So hat der Bloef der Sozialisten, Republikaner und Radikalen in Genua . Gallarate. Parma . Modena , Ascoli Piceno , Arezzo , Tivoli, Frosinone und vielen kleineren Städten den Sieg davongetragen. Unterlegen sind die Volksparteien in Lucca und Perugia . Eine empfindliche Niederlage hat die Sozialisten in Alexandria getroffen, wo sie seit Jahren die Stadtverwaltung innehatten. Hier haben die Liberalen mit fast 900 Stimmen Mehrheit ihre Liste durchgebracht, so daß man sogar von einer Krise der ganzen Stadtverwaltung spricht, da die am Ruder befindlichen Sozialisten aus dem Ergebnis der partiellen Wahlen entnehmen können, daß die Mehrheit der Wählerschaft nicht mehr auf ihrer Seite ist. Der für unsere Partei ungünstige Aus- gang der Wahl von Alexandria wird auf die Zwistigkeiten in der lokalen Partei zurückgeführt. Portugal . Demission des Ministeriums. Lissabon » 17. Juni. Das Kabinett hat seine Ent l a s s u n g eingereicht. London , 18. Juni. Die. aus Lissabon in London über die Demission des Kabinetts eingetroffenen Nachrichten lauten sehr c r n st. Man spricht von einer neuerlichen A b d a n» k u ng d c s K ön i g s M a n u e l. Jedenfalls ist der Boden für eine Republik in Portugal außerordentlich gut vor bereitet. Sckxvecleu. Ein Sozialdemokrat in der Ersten Kammer. Von den Landsthingswahlen, die im März in den Landkommunen, im Mai in den Stadlkommunen vollzogen wurden, liegt jetzt das Ergebnis für Stockholms Län vollständig vor. I» diesem, den Um- kreis der Hauptstadt bildenden LandSthingSgcbiet sind 32 konservative, 12 liberale und 8 sozialdemokratische LandSthingSvertreter gewählt. Bisher hatte die Arbeiterschaft nur einen Vertreter in diesem Landsting, wie es ja vor der großen Wahlrechts! reform der Sozialdemokratie nur an sehr wenigen Orten einmal möglich war, in diese vorwiegend ländlichen kommunalen Körperschaften einzudringen, die nebenbei die Aufgabe haben, die Erste Kammer zu wählen. Da die Wahlen zur Ersten Kammer ebenso wie die Landsthingswahlen auf Grund eines Proportional systems erfolgen, werden die Konservativen dabei drei Mandate, die Liberalen eines und unsere Genossen ebenfalls ein Mandat erhalten. ES ist also sicher, daß, wenn Anfang nächsten JahreS der neue Reichstag zusammentritt, auch in dem bisher ganz»sozialistew reinen', erzreaktionären Herrenhause die Sozialdemokratie ein Wort mitzureden hat. Rußtand. Für die Freiheit Finnlands . Petersburg, 18. Juni. In verschiedenen Gegenden Finn- lands fanden starkbesuchte Volksverfamm- l u n g e n statt, in denen beschlossen wurde, daß das finnische Volk niemals ein Gesetz annehmen werde, welches gegen die unverletzlichen Grundgesetze des Landes verstoße. Das Volk werde sich bis zum äußersten gegen alle die geplanten neueren Verfügungen und Gesetze wehren, die nur geeignet seien, das Volk zu knechten und zu entrechten. Russische Selbsthilfe. TäbriS , 18. Juni. Der Gcneralgouverneur hat die Forde- rung des russischen Generalkonsuls, wegen der Mißhandlung eines russischen Untertans durch persische Polizeibeamte eine gemein- same Untersuchung anzustellen, abgelehnt. Darauf hat der Chef der rustischen Truppeuabteilung in TäbriS in der Straße. wo der russische Untertan mißhandelt worden war, neunzehn Polizeibeamte durch eine russische Patrouille verhaften lassen, um die Schuldigen festzustellen. Rumänien . Der Konflikt mit Griechenland . Bukarest , 18. Juni. Die offizöse„Jndöpendance Roumaine' meldet: Die rumänische Regierung, die Wert darauf legt, den ae- uauen Tatbestand bei dem Angriffe auf den Pjostdampfer „Jmperatul Trajan" im PiräuS festzustellen, lieh sämtliche Schiffsbücher des Dampfers nach Bukarest kommen. Der Minister des Aeußern Djuvara übermittelte dem italienischen Gesandten in Bukarest eine offizielle Note,-in welcher die rumänische Regie- rung nach Darlegung des Sachverhalt» die Genugtuung be« zeichnet, die von der griechischen Regierung erwartet wird. Da. durch, daß Italien mit. dem Schutze der rumänischen Interessen in Griechenland betraut ist, nehmen die diplomatischen Schritte einen langsameren Weg. und die Regierung wird deshalb acht Tage auf die verlangte Genugtuung warten. Wenn jedoch nach Ablauf dieser Frist die Genugtuung ausbleiben sollte, wird die Regierung alle notwendigen Maßnahmen zur Wahrung der Jnter- essen und der Würd« Rumäniens ergreisen. ftnerlka. Der Reklameheld. New Jork , 18. Juni. Unter stürmischen Ovationen einer großen Menschenmenge traf Theodore Roosevelt heute früh S'A Uhr an Bord der„Kaiserin Auguste Viktoria' an der Quarantänestation am Hudson ein. Als Roosevelt sich dort an Bord des ZollkutterS be« gab, begrüßten ihn die Signale der Sirenen sämtlicher im Hafen liegenden Schisse, während ein Schlachtschiff und fünf Torpedo« boote Salut schössen. Am Batterypark, wo Roosevelt nach der Fahrt den Hudson aufwärts an Land ging, war eine Tribüne errichtet, auf der 2500 geladene Gäste, Mitglieder deS Kabinetts. Bundessenatoren. Kongreßmitglieder, Mitglieder des diplomatischen Korps in Washington , Gouverneure verschiedener Staaten, Bürger- meister vieler Städte und andere im öffentlichen Leben bekannte Persönlichkeiten sich befanden. Bürgermeister Gaynor hielt hier seine offizielle Begrüßungsansprache, auf. die Roosevelt erwidert«. Alsdann fuhr er, begleitet von einer dreihundert Mann starken Abteilung seiner alten Rauhreiter, in einem Zweispänner über den festlich geschmückten Broadway nach dem Zentralpark, wobei er von zahlreichen Organisationen und der Vereinigung der Bete« rauen des spanisch-amerikanischen Krieges, sowie von einer unab- sehbaren Volksmenge stürmisch begrüßt wurde. Hierauf begab sich Roosevelt nach Oyster Bah, wo seine Nachbarn gleichfall» eine herzliche Kundgebung, veranstalteten. il»; der keichsverkichermigsordnung;- hommüHon. Sitzung am Sonnabend, den 18. Juni. Versicherte, die sich während einer Krankheit außerhalb des Bezirkes ihrer Kasse aufhalten, können die ihnen zustehenden Leistungen so wie bereits nach dem geltenden Gesetz auch fernerhin von der Kasse ihres Aufenthaltsortes erhalten. Um die Regelung dieser Beziehungen möglichst zu vereinfachen, wurde auf Antrag des Abg. v. Gamp hinzugefügt: Die Kasse, welche die Leistungen gewährt. Hai davon der zur Fürsorge verpflichteten Kasse binnen einer Woche Mitteilung zu machen und deren Anordnung bezüglich der Art der Fürsorge tunlichst zu befolgen. Dasselbe soll auch gelten für den Fall, daß im Auslande ein Versicherter erlrankt, dem dann, so lange er seines ZustandeS wegen nicht ins Inland zurückkehren kann, die ihm zustehenden Leistungen durch den Ar« beitgeber gewährt werden müssen. In allen diesen Fällen hat die Krankenkasse des Versicherten der anderen Kasse oder dem Arbeitgeber die Kosten der Krankenhilfe zu erstatten. Dabei sollen drei Achtel deS Grundlohnes als Ersatz der Kosten für die Krankenpflege gelten.— Die Kommission fügte aber hinzu: wenn die Kasse oder der Arbeitgeber nachweist, daß sich die Kosten höher gestellt haben, dann mutz der höhere Betrag als Ersatz gezahlt werden. Hierauf entstand eine längere Debatte über die«Arten der Krankenkassen '. Nach der Vorlage soll eö folgende Arten der Krankenkassen geben: OrtSkrankenkassen, Landkrankenkassen, BetriebSkrankenkassen und JnnungSkrankenkassen. Tie Sozialdemokraten wiesen nach, daß die Kranken- Versicherung dann am meisten leisten und siel» am besten den Be- dürfnissen anpassen kann, wenn nur eine Art von Kassen beibehalten und für den Bezirk eiueS jeden Versicherungsamtes stets nur eine 5trankenkasse zugelassen wird. Sie bean- tragten, daß die Vorlage in diesem Sinne geändert werde. Auch Abg. Dr. Mugdan sprach sich entschieden gegen die Schaffung der Landkrankenkassen und die Erhaltung der Betriebs- und JnnungSkrankenkassen auS. Auf demselben Standpunkte steht Abg. K u l e r S k i. Dagegen traten die K on se r v a t iv ew lebhaft für die Re« gicrungsvorlage ein. Sie wollen die verschiedenen Arten von Kassen haben, um möglichst viele Arbeiter von den„sozialdeinolratischen' Ortskcankcnkassen fernzuhalten. Graf v. Westarp fürchtete na- mcntlich, daß die lanowirtschaftlichen Arbeiter nicht zu ihrem Rechte kommen würden, wenn sie zusammen mit den anderen Ar- bcitern in einer Kasse sein würden. Diese Fürsorge der Konser- vativen für die Rechte der Landarbeiter- wird sich ja. so wurde dem Grafen v. Westarp sofort geantwortet, bei der Selbstverwaltung dep Landarbeiter in ihren Krankenkassen zeigen. Eine sehr böse Vorbedeutung ist es aber, daß die Konservativen als ihr Ideal für die Landarbeiter die— Gcmeindevcrsicherung priese», in der die Versicherten in bezug auf die Verwaltung ganz rechtlos sind und die sich noch stets, durch die schlechteren Leistungen, vor allen anderen Kassenartei» sehr unrühmlich ausgezeichnet haben. Diesem Ideal wollen die Konservativen die Landkrankenkassen möglichst anpassen. Wenn nicht in dieser Weise für die Land» arbeiter besondere Kassen zugelassen werden, dann werden die Konservativen gegen da« ganze Gesetz stimmen. Mit dieser Drohung schloß wiederum Graf v. Westarp seine Rede. Staatssekretär Delbrück versicherte, daß auch er die Zev» splitterung der Kräfte beseitigen wolle, soweit es irgend zu er- reichen sei. Auf der anderen Seite müßten die Kassen aber auch den besonderen Verhältnissen in einzelnen Betrieben, in den Innungen, in der Landwirtschaft usw. angepaßt werden. Sollte die Mehrheit des Reichstages der Errichtung besonderer Kassen für die Landwirtsckmft und die Hausindustrie nicht zustimmen, dann könnten die Regierungen ihren Vorschlag, die obligatorische Krankenversicherung auf die Landarbeiter und die Haus, Industrie auszudehnen, nicht aufrechterhalten. Ein Geheim rat hielt es dann noch für notwendig, au?« drücklich kundzutun, daß der preußische Landwirt. schaftsminister„voll und ganz" der Meinung der Konserva« tiven sei. Als ob irgendein Mensch etwas andere» erwartet hätte! Die Nationalliberalen schlössen sich auch in dieser Frage den Konservativen an. Das Zentrum gab die Erklärung ab, daß e» der Re« gierungSvorlage zustimmen werde. Dem Abg. Behrens endlich genügten die vier Arten von Krankenkassen der Vorlage noch nicht. Er beantragte, daß eine 5. Art Krankenkassen hinzugefügt werde: die kaufmännische Betrieb», krankenkasse. Er zog aber schließlich seinen Antrag zurück. Die Regierungsvorlage wurde gegen die Stimmen der So« zialdemokraten, Fortschrittler und des Polen an» genominen.. Die Orts, und Landkrankenkassen sollen in der Regel für den Bezirk eines VersicherungLamte» errichtet werden. DaS Zentrum fürchtete, daß hiernach meistens die Kassen sich über den ganzen Bezirk ausdehnen würden. Sie beantragen, daß in der Regel mehrere kleinere Kassen gegründet werden sollen, ohne Rücksicht auf die ganz ungenügende Leistungsfähigkeit der Kassen. Diese Verschlechterung wurde von den Konservativen, dem Zentrum und dem Abg. Behrens angenommen. Die einzelnen Landesregierungen sollen das Recht haben, für das Gebiet oder für Gebietsteile ihres Bundesstaates zu bestimmen. daß keine Landkrankenkassen neben de» ollgemcincn Ortskranken« lassen errichtet.werden. Auch dies ging den Agrariern zu weit. Sie wollten durchaus die Bestimmung streichen, damit überall, wo es irgend«öglich ist, Landkrankenkassen errichtet werdew müssen. � Der Vertreter der württembergischen Regie- rung erklärte, daß in Württemberg die Verhältnisse eine der« artige Bestimmung wünschenswert erscheinen lassen. Der Staatssekretär versuchte die Agrarier durch di« Versicherung zu beruhigen, daß in Preußen die Landkrankenkassen ganz nach den Wünschen der Agrarier errichtet werden sollen. Trotzdem gaben sich die Herren v. G a m p und H e ro l d-nicht zufrieden. Schließlich mußte die Vcrhaiildlung abgebrochen werden. Montag nachmitag geht die Debatte über diese Bestimmung Vetter.
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