Wesen ist, dast die ZentrumSfraition im Wgeordnetenhause im Plenum und in der Kommission so geschlossen für die Uebertragung dcS ReichstagSwahlrechts auf Preußen gestimmt hat. Ob diese Attacke gegen die Sozialdemvkratie die Arbeiter- Wähler des Zentrums über die Tatsache hinwegtäuscht, daß ihre Führer bei der Beratung der Wahlrcchtsvorlage ein Stück Volksrccht nach dem anderen preisgegeben haben, um sich nicht die Gunst ihrer teuren Verbündeten, der ostclbischen Junker zu verscherzen. Charakteristisch für die Haltung des Zentrums ist es, daß es die einzige Partei begeifert, die wirklich für ein freies Wahlrecht eintritt. Denn was nützen die platonischen Liebes- crklärungen zugunsten des Reichstagswahlrechtes, wenn das Zentrum in der Praxis die gegenteilige Haltung einnimmt. Hat es doch in trauter Uebereinstimmung mit den Konservativen die direkte Wahl zu Fall gebracht, die sogar in der Regie- rungsvorlage vorgesehen war. Mit Hilfe der Zentrums- fraktion wurde die Neueinteilung der Wahlkreise verhindert. Das Zentrum war es auch, daß die Anträge auf Ueberweisung eines bestimmten Bruchteiles der Wähler in die erste und zweite Abteilung mit zu Fall brachte. Daß das Zentrum auch sonst bei den Beratungen der Wahl- rechtsvorlage eine durchaus volksfeindliche Haltung ein- genommen hat, ist jedem Kenner der parlamentarischen Vor- gänge bekannt. Das Zentrum ist mitschuldig daran, daß die Frist wählen nur für die städtischen Bezirke eingeführt werden sollten, daß die Sicherung desWahlgeheim- n i s s e s in das Wahlgesetz nicht mit aufgenonnnen wurde I Erfreulicherweise erkennen immer niehr Zentrumswähler die Politik der Führer. Namentlich ihre Arbcitermassen be- ginnen sich abzuwenden von einer Partei, die ihnen Steine slatt Brot bietet. Die letzten Wahlen, soweit das Zentrum dabei in Frage kam, haben bewiesen, daß immer mehr bis- herige Zentrumswähler aus dem Proletariat zum Klassen- bewußtsein erwachen, daß sie trotz aller kulturkämpferischen Verhetzungen den Weg ins Lager ihrer Klasscngenossen finden. Die kommenden allgemeinen Wahlen werden denselben Zug zeigen, weil ihre Erkenntnis wächst, daß die angebliche Arbeiter- und Wahlrechtsfreundlichkeit des Zentrunis eitel Humbug und Roßtäuscherei ist. Eine Staatsaktion. Gegen das Organ der Hafenarbeiter ist die Polizei mobil gemacht worden. Die Staatsanwaltschaft liest aus einem Artikel der Nr. 13 des„Hafenarbeiter":„Aufruf zugunsten einer Nationalspende für den König von Preußen" eine Majestätsbeletdigung heraus und ließ in der Re- daktion des Blattes eine Haussuchung vornehmen, die natürlich ergebnislos blieb. Auch mit der E i n z i e h u n g der konfiszierten Zeitungen hatte man wenig Glück. Nur einzelne Nummern fielen in den verschiedenen Verbreitungs- bezirken der Polizei in die Hände. Wieder eine verpuffte Staatsaktion. In Breslau hatte der Polizeipräsident, der nimmerruhende, versucht, den verhaßten Stratzendemonstrationen durch Zuchthausparagraphen beizukommen. Er hatte gegen Genossen N e u k i r ch ein Verfahren wegen— Aufruhrs und Land- friedenSbruchs veranlaßt, Delikten also, wofür das Straf- gesetzbuch bis zu 10 Jahre Zuchthaus vorsieht. Dienstag kam nun in einer Strafsache gegen Genossen Albert zufällig zur Sprache, daß die Staatsanwaltschaft daS Verfahren ein- gestellt hat. Nicht nur, weil N. keinen Aufruhr und Landfriedens- bruch begangen, sondern weil festgestellt wurde, daß N. alles mög- liche getan hatte, um Zusammenstöße zu vermeiden. Von dieser Tatsache hatte man aber dem völlig zu Unrecht Angeschuldigten kein Sterbenswörtchen gesagt. Schämte man sich der Blamage! Aus der bayrischen Kammer. München , 23. Juni. Die verheerenden Ueberschlvem- mungen in dem bayrischen Hochland waren heute Gegenstand der Besprechung in der Abgeordnetenkammer. ES lagen nämlich Jnter- pellationen des Zentrum« und der Sozialdemokraten vor, die von der Regierung beantwortet wurden. Die Begründungen und noch weiter die Einzelreden, deren zirka 30 gehalten wurden, gaben ein Bild der ungeheuren Zerstörung in weiten Gegenden deS Landes. Dabei hat zurzeit die Flutwelle der Donau das Land noch nicht verlassen und der Rhein ist erst in den letzten Tagen durch Dammbruch über seine Ufer getreten. Wasserbauten, Uferschutzbauten sind zerstört, die Fluren verschlammt und die Ernten vernichtet. Ain schlimmsten hat das Wasser in Augsburg gehaust, wo Uferstrecken und Häuser in den Fluten des LecheS verschwanden. Natürlich wurde von den Abgeordneten weitgehendste Staats- Hilfe für die Geschädigten verlangt, von der Regierung auch zu- gesagt. Bereits hat auch die Privathilfe eingesetzt und Sammlungen veranstaltet. Vollständig klar war man auf allen Seiten, daß solche Katastrophen für die Zukunft vermieden werden müsien durch weit- gehende Maßnahmen in Hinsicht auf Uferschutz, Flußregulierung und dergleichen. Der Minister des Innern war selbst im UeberschwemmungS - gebiet und sagt unter dem Eindruck deS großen Unglücks alles zu, va» von ihm verlangt wird._ Oeftemtcb-Gngani. Die Minoritätsschulen. Wien , 23. Juni. Abgeordnetenhaus. Bei der Ber- Handlung über die Minoritätsanträge und-Resolutionen wurde der Minoritätsantrag Stanel, betreffend die Verstaatlichung bezw. die Subventionierung tschechischer Privat schulen in Wien , in namentlicher Abstimmung mit 203 gegen 204 Stimmen abgelehnt. Das Abgeordnetenhaus hat nach vierzehn st ündiaer Sitzung um Mitternacht die Spezialdebatte des Budgets beendigt._ Dir italienische Universität. Wien , 23. Juni. Etwa 400 deutschnationale Studenten ver- anstalteten heute vormittag vor dem Parlament einen Demon- strationsbummel gegen die Errichtung einer italienischen Rechts- fakultät in Wien . Eine Abordnung übereichte dem deutschnatio- nalen Verband eine Protestresolution. Eröffnung des Reichstags. Budapest , 23. Juni. Die erste Sitzung deS ungarischen Abgeordnetenhauses hat heute vormittag stattgefunden. Die Sitzung nahm einen kurzen und ruhigen Verlauf. Abgesehen von emer Enunziation deS oppositionellen Alterspräsidenten MadaraSz in einem scharfen Hinweis auf angebliche Gewalttätigkeiten der Regierung verlief dieselbe ohne jeglichen bcinerkens- werten Zwischenfall. Portugal . Die unlösbare Ministerkrise. Lissabon , 23. Juni. Alle Persönlichkeiten, denen der König pie Bildung des Kabinetts angeboten hat, haben abgee lehnt, Snglanä. Die Aendernng der Eidesformel. London , 23. Juni. Premierminister A S q u i t h hat dem Unter» Hause angezeigt, daß er an, 23. Juni einen Gesetzentwurf einbringen werde, durch den g e w i s s e W e n d u n g e n in der Erklärung deS Königs bei seiner Thronbesteigung geändert werden sollen. Das Budget für 1S0S/10 und für 1910/11 soll am 30. Juni eingebracht werden._ Das Frauenwahlrecht. London , 23. Juni. Unterhaus. Premierminister Asquith erklärte, die Regierung habe beschlossen, Gelegen- heit zu geben, über den Gesetzentwurf, betreffend die Ans- dehnung des varlamentarischen Wahlrechts auf die Frauen, in zweiter Lesung zu beraten und abzustimmen, jedoch auf die weiteren Beratungsstadien zu verzichten. Ciirhe». Die Kretafrage. London , 23. Juni. Wie das Reutersche Bureau erfährt, könne die Lage auf Kreta als gebessert angesehen werden, da die Kreter ihre Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben hätten, den Ratschlägen der vier Schutzmächte, die gegenwärtig über die Eni- sendung einer gemeinsamen Note an Kreta unterhandelten, Folge zu leisten. In der Note werde die Forderung aufrechterhalten, die mohammedanischen Deputierten'ohne Eideslei- stung auf den König der Hellenen zur Nationalversammlung z u» zulassen, sodann würden die Rechte des Sultans von neuem bestätigt. Die Mächte seien sich über den Inhalt der Note voll- ständig einig, lieber die Entsendung von weiteren Kriegsschiffen in die kretischen Gewässer bor Eröffnung der Nationalversammlung sei unter den vier Schutzmächten ebenfalls eine Einigung erzielt worden.> Griechenland . Die Dampfer-Affäre. Athen , 23. Juni. Bald nachdem der Zwischenfall mit dem rumänischen Dampfer„I m p e r a t u l T r a j a n" sich ereig- nete, gab die griechische Regierung aus freien Stücken dem italie- nischen Gesandten in Athen zufriedenstellende Er- klärungen; ferner hat sich die Regierung bereit erklärt, eine Entschädigung für den an Bord des Dampfers angerichteten Schaden zu zahlen. Die Summe soll von einem Schiedsgericht fest- gesetzt werden..*r China . Ein Attentat. Chardin , 23. Juni. In der borigen Nacht ist gegen den Stadt« kommandanten ein Mordversuch verübt worden. Der Oberst wurde leicht verwundet. Die Uebeltäter sind ent» kommen. Amerika. Humbug. Washington . 23. Juni. Die Senatskommission für die aus- wärtigen Angelegenheiten hat ihren Berichterstatter ermächtigt, sich für den Gesetzentwurf auszusprechen, wonach fünf ange- sehene Amerikaner vom Präsidenten ernannt werden sollen, um mit den auswärtigen Regierungen über den Weltfrieden zu konferieren. Der Senat hat eine vom Repräsentantenhause genehmigte Borlage, in der die Veröffentlichung der für den Wahlfeldzug aufgewendeten Beträge gefordert wird, angenommen, jedoch mit einem Zusatzantrage, wonach diese Veröffentlichung erst nach den Wahlen erfolgen soll. Ms der Partei. Vom Fortschritt der Parteipresse. In der Generalversammlung des Sozialdemokratischen Vereins für Köln Stadt und Land wurde davon Mitteilung gemacht, daß die am 1. April vollzogene Abonnementspreis- e r h ö h u n g für die„Rheinische Zeitung " sich ohne Störung voll- zogen habe. Der Preis ist von 70 auf 80 Pf. erhöht worden. Die Verhandlungen und Vorbereitunge» zur Uebernahme der Druckerei der„Rheiniichen Zeitung" in Parteibetrieb sind so weit ae- diehen, daß die Uebernahme am 1. Oktober erfolgt. Gleichzeitig soll eine weitere AuSge st altung des BlatteS vorgenommen werden. flu; der fReichsverücberutisiordnungs- Kommission. SitzungamDonnerStag,denS3. Juni, Die Bestimmungen über Vereinigung, Ausscheidung, Auflösung und Schließung der Kassen werden meistens unverändert an- genommen. Eine Ausnahme bildet zunächst die Vorschrift über die Beitrüge der Mitglieder, die durch Aufnahme ihrer bis. hcrigen Kasse in eine andere Kasse Mitglieder der aufnehmenden Kasse geworden sind. Für sie sollten nach der Vorlage durch die Satzung höhere Beiträge festgesetzt tvevden können als für die anderen Mitglieder. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde diese Bestimmung g e st r i ch e n, da sie, wie Genosse Molkenbuhr nachwies, zu einer Ungerechtigkeit gegen einen Teil der Arbeiter führen könnte. Einen bezeichnenden Verlauf nahm die Debatte über die Be- stimmung, die das Verhältnis einer Kasse, die zu einer anderen übergetreten ist. zu den A e r z t e n regelt. Nach der Vorlage ist der Beschlutz, daß der Uebertritt einer Kasse zu einer anderen Kasse erfolgt, sofort den Aerzten, Zahnärzten usw. mitzuteilen. Dann soll das Vertragsverhältnis von beiden Seiten unter Einhaltung einer dreimonatlichen Kündigungsfrist gelöst werden, jedoch frühestens zu dem Tage der Aufnahme der einen Kasse in die andere. Gegen diese Bestimmung erhob Abg. Dr. Mugdan Einspruch. Die Aerzte könnten mit Reckst das verlangen, was die Vorlage den Kassenbcainten zugestanden hat, daß auch ihnen ihre Vertrags» mäßigen Rechtsansprüche an die Kasse gewahrt werden. Er bean- tragte, daß das Verhältnis in folgender Weife geregelt wird: Er» klärt sich ein Arzt usw. bereit, für die Kasse, die die andere Kasse aufgenommen hat, tätig zu fein, so kann er unter den gleichen Be- dingungen zugelassen werden, die er mit der aufgenommenen Kasse vereinbart hatte, oder unter den Bedingungen, die die aufnehmende Kasse mit ihren Kassenärzten usw. vereinbart hatte. In den andern Fällen sollen die Aerzte entschädigt werden. Gegen diesen Antrag erklärte sich ein Nationallibe- r a l e r und ein Zentrumsredner, da durch denselben die Krankenkassen, die sich anderen Kassen anschließen, zu sehr belastet würden. Genosse Hoch sprach sich für den Antrag aus. So sehr die Sozialdemokraten eine Belastung der Krankenkassen durch unbegründete Forderungen bekämpfen, müßten sie doch anerkennen, daß diese Forderung berechtigt sei. Im weiteren Verlauf der Debatte trat ein anderer Nationalliberaler für den Antrag ein. Schließlich wurde der Antrag einstimmig an. genommen. In dem Abschnitt über die Mitgliedschaft kamen mehrere Anträge der Sozialdemokraten bezüglich der Fortsetzung der Mitgliedschaft arbeitsloser Arbeiter zur Verhand« luna. Scheidet ein Pflichtmitglied aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung aus, so soll eS, wie bereit» nach dem geltenden Gesetz, unter gewissen Umständen Mitglied der Kasse bleiben können. Jedoch ist in der Vorlage u. a. zur Bedingung gemacht, daß das Mitglied in den vorangegangenen 12 Monaten mindestens 23 Wochen oder unmittelbar vorher mindestens 8 Wochen bereits versichert war. Die letzte Bestimmung fehlte bisher in dem Gesetze. Die Sozialdemokraten bemühten sich— leider vergeblich—, diese ganz unnötige Einschränkung der dringend zu wünschenden Weiterversicherung zu streichen. Wer sich weiterversichern will, muß dies nach der Vorlage der Kasse binnen einer Woche nach dem Ausscheiden aus der ver- sicherungspflichtigen Beschäftigung anzeigen. Die Sozial- d c in o! r a t e n beantragten die Verlängerung der Frist auf sechs Wochen. Die Kommission beschloß, daß die Frist 2 Wochen be- tragen soll. Ferner beantragten die Sozialdemokraten, daß die Kasse dem Mitgliede bei seinem Ausscheiden mitteilen muß, daß und unter welchen Bedingungen er Mitglied der Kasse bleiben kann. Der Antrag wurde abgelehnt. Die Mitgliedschaft der Mitglieder, die sich freiwillig weiter- versichert haben, sowie der anderen Versicherungsberechtigten soll nach der Vorlage erlöschen, wenn die Mitglieder zweimal nach- einander am Zahltage die Beiträge nicht entrichten. Auch hier forderten die Sozialdemokraten eine längere Frist, die denn auch auf 8 Wochen festgesetzt wurde. Endlich schlugen die Sozialdemokraten vor: Die Satzung kann bestimmen, daß die Weiterversicherung eines arbeits- los gewordenen Mitgliedes auch dann gestattet wird, wenn die an» geführten, gesetzlich festgelegten Bestimmungen über die Fristen nicht erfüllt sind. Die Kommission beschloß, daß die Satzung mit Genehmigung des Oberversicherungsamtes auch andere als jene Fristen bestimmen kann. Am Schlüsse des Abschnittes über die Mitgliedschaft wiesen die Sozialdemokraten auf eine schwere Ungerechtigkeit hin. die nach dem geltenden Gesetz vorkommt und ebenso nach der Vorlage nicht aus- geschlossen sein würde. Ein vermeintlich versicherungspflichtiger Arbeiter ist Mitglied einer Kasse und hat längere Zeit seine Bei- träge bezahlt. Als er sich aber krank meldet, findet die Kasse heraus, daß er gar nicht versicherungspflichtig ist, sondern z. B. als selbständiger Unternehmer gilt. Dann erhält der Kranke von der Kasse keine Krankenhilfe. Die Sozialdemokraten beantragten daher, daß in einem solchen Falle die Kasse dem Kranken, der mindestens drei Monate ununterbrochen seine Beiträge bezahlt hat, die satzungs- gemäßen Leistungen gewähren mutz. Dies soll nur dann aus- geschlossen sein, wenn der Kasse absichtlich eine unrichtige An- meldung eingereicht worden war. Dieser Antrag wurde gegen die Stimmen der Konservativen angenommen. Hierauf begann die Beratung über die Zusammensetzung des Vorstandes und des Ausschusses und die Wahl des Vorsitzenden. Die Vorlage schlägt bekanntlich vor. daß Vorstand und Ausschuß nicht mehr, wie bisher, zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber und zu zwei Dritteln aus Vertretern der Arbeiter bestehen soll, sondern je zur Hälfte aus Ver- iretern der Arbeitgeber und der Arbeiter. Ferner soll der Vor- sitzende nicht mehr von dem Vorstande nach einfacher Mehrheit ge- wählt werden. Sondern gewählt soll nur der sein, wer die Mehr- heit der Stimmen sowohl der Arbeitgebervertreter als auch der Arbeitervertreter erhält. Kommt diese Mehrheit trotz zweimaliger Wahl nicht zustande, so ernennt die Aufsichtsbehörde einen Bor - sitzenden. Die Konservativen und die Regierungsver- treter treten selbstverständlich für diese Entrechtung ein. Eine Ueberraschung bereitete aber das Zentrum der Kommission. Abg. Dr. Hitze erklärte: Das Zentrum lehne die neue Zusammen- setzung des Vorstandes und des Ausschusses ab, aber es werde für die Entrechtung der Arbeiter in brzug auf die Wahl des Vor- sitienden stimmen mit Rücksicht auf die Mißstände, die bei den Wahlen der Vorsitzenden vorgekommen seien. Die Sozialdemokraten hatten beantragt, daß die gel- tenden Bestimmungen über die Zusammensetzung des Vorstandes und des Ausschusses sowie über die Wahl des Vorsitzenden unver- ändert in das neue Gesetz übernommen werden. Es sei nicht wahr, daß Mißstände, die eine solche Entrechtung rechtfertigen, vor» gekommen seien. Die Debatte mußte abgebrochen werden. Fortsetzung Freitag. Aus der Milzltomtniiflon. Zu einer prinzipiell wichtigen Auseinandersetzung kam ei zum Beginn der Donnerstagsitzung bei dem ß 22S. Dieser gibt dem Gericht daS Recht, in Abwesenheit deS Angeklagten zu ver» handeln, wenn derselbe trotz ordnungsmäßiger Ladung ohne ge- nügende Entschuldigung ausbleibt, und wenn das Gericht annimmt. daß auf keine schwerere Strafe als sechs Wochen Gesang» niS erkannt werden wird. Diese Bestimmung bedeutet eine wesentliche Verschlechterung des geltenden Rechts, denn nach dem» selben kann nur dann in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden, wenn die Tat nur mit Geldstrafe, Haft oder Ein- ?iehung bedroht ist. Unsere Genossen verlangen, daß überhaupt eine Verhandlung ohne den Angeklagten statt. f i n d e n s o l l, zumindest müßte aber das geltende Recht aufrecht erhalten bleiben. Sozialdemokraten und Zentrum stellen ent- sprechende Anträge; die Nationalliberalen und Antisemiten stellten sich auf Seite der Regierung.— In der Abstimmung wurde der Antrag unserer Genossen und des Abg. Gröber gegen die Stimmen der Nationalliberalen, Konservativen und Antisemiten ange» Wommen . Hat der Angeklagte unverschuldet den Termin versäumt und ist er in seiner Abwesenheit verurteilt worden, so kann er nach § 227, innerhalb acht Tagen nach Zustellung des Urteils, die Wiederherstellung des früheren ZustandeS verlangen. Dazu ver- langte ein Zentrumsantrag, daß der Verurteilte aus dieses Recht hingewiesen werden soll. DaS wurde angenommen. Die Beschränkung der Beweisführung. Sodann setzte eine lebhafte Debatte über§ 232 ein. Dieser Paragraph bedeutet ebenfalls eine starke Verschlechterung des be» stehenden Rechtes, denn er führt eine ganz unanehmbare Beschränkung der Beweisführung zuungunsten des Angeklagten ein. Nach dem geltenden Recht hat sich die Beweisaufnahme ans die sämtlichen vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen, sowie auf die anderen herbeigeschafften Beweismittel zu er» strecken. Von der Erhebung einzelner Beweise kann jedoch ab« gesehen werden, wenn die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte hiermit einverstanden sind. Nur beim Verfahren vor dem Schöffengericht oder vor den Landgerichten al» Berufungs » instanz hängt der Umfang der Beweisführung von der Entscheidung des Gerichts ab. Der Entwurf dagegen stellt es ohne weiteres i n das Ermessen deS Gerichts, den Umfang der Beweisauf» nähme zu bestimmen. Demgegenüber beantragten unsere Genossen, die Be» stimmungen des geltenden Rechts aufreiht zu erhalten und auch die Ausnahmebestimmung in bezug auf die Einschrän» kung der Beweisaufnahme vor dem Schöffengericht und dem Land« gericht als Berufungsinstanz zu beseitigen.— Ein Antrag Gröber ging nicht so weit; er beschränkte sich darauf, daß die Beweis» aufnähme sich auf die sämtlichen auf Vorladung erschienenen oder zum Aufruf gestellten Zeugen und Sachverständigen zu erstrecken habe. In der Diskussion dazu kamen bisher Gröber und Stadt« Hagen zum Wort,' die sich äußerst scharf gegen den Entwurf aus» sprachen und diese Neuerung für unannehmbar erklärten. Kortsetzung am Freitag.
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