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hervorgetretene Hinwendung von Massen der Kleinbürger und Kleinbauern zur Sozialdemokratie und ihr Ausharren auch in der Stichwahl, trotz der skrupellosen Agitation für Helmolt. Es wird sodann der Grund dieser Hinwendung in der Erkenntnis der Kleinbauern und Kleingewerbetreibenden ge- funden, daß ihnen die biindlerische Zoll- und Wirtschafts- und Steuerpolitik nur Schaden bringt. Indes sei es das allein nicht gewesen. Der Artikel sagt über das weitere: Freilich härten alle diese Umstände nicht bewirken können, daß gleich in der Hauptwahl ein so gewaltiger Zuwachs der sozialdemokratischen Stimmen eintrat, wenn nicht die sozial- demokratische Agitation, die nicht erst vor der Wahl ein- setzte, die vielmehr nie ruhte, den Kleinbürger- und Kleinbauern- schichten nachgewiesen hätte, daß auch der Liberalismus an diesen Zuständen sein gut Teil Schuld trägt und daß speziell der Liberalismus von dernationalen' Spielart bei den Zöllnern und Sündern Stammgast war. Und endlich ver- standen es unsere Genossen, den Kleinbürgern die Eni- Wickelungstendenzen des Kapitalismus klar vor Äugeil zu stellen und erst recht den Kleinbauern die soziale Schädlichkeit des Groß- grundbesitzes begreiflich zu machen, so daß sie erkannten: die Ueberführung des Grund und Bodens aus kapitalistischem in Gemeinbesitz ist ja unser, der Kleinbauern, Borteil. Beispiele aus dem Kreise selber dienten dazu, die sozialdemokratischen Grundsätze und die Notwendigkeit ihrer Verwirklichung zu beweisen; das wirkte I So haben also allgememe soziale Umstände die Wähler- »nassen zu uns gebracht, nicht bloß der Zorn über die Steuer« schände." An der Hand der Resultate aus den einzelnen Orten kommt dann der Artikel zu dem Schluß: Jedenfalls zeigt die Stichwahl wie der erste Wahlgang an, daß Schästles Wort voin antikollektivistischen Bauern- schädel, an dem die Sozialdemokratie scheitern müsse, immer mehr seine Geltung verliert. Das Friedberg -Büdinger Wahl- resultat ermutigt unsere Genossen, überall die Agitation auch unter der kleinbäuerlichen Bevölkerung mit zäher Ausdauer zu betreiben. Haben wir erst überall, wie in Friedberg -Büdingen Masten ländlicher und bäuerlicher Wähler hinter uns, dann hilft den Junkern und ihren BimdeSgenossen keine Wahlkreisgeoinetrie, dann wird die skandalöse Bergcivaltigung der Jndustriebezirke durch die Juirkersippe bis zu gewistem Grade weit gemacht. Dieser Junkersippe werden die Wahlziffern wie ein Donner- schlag in die Ohren tönen. Ihrer Parasitenherrlichkeit Tage wären vorbei und geweseir, sobald allerorten der Liberalismus sich er- mannt. Einen leisen Versuch, sich der Bedrücker deS bürgerlichen Lebens zu erwehren, hat wenigsten« ein Teil der Liberalen Friedberg -Büdingens gemacht. Leider müstcn wir befürchten, daß der Vorgang Episode bleibt." Das revolutionäre China . Bor 60 Jahren schrieb Karl Marx :Wenn unsere euro - päischen Reaktionäre auf ihrer demnächst bevorstehenden Flucht durch Asien endlich an der chinesischen Mauer ankommen, an den Pforten, die zum Hort der Urreaktion und des Urkonservativismus führen, wer weiß, ob sie nicht darauf die Ueberschrift lesen: Ilö- publique chinaise; Libertch Egalite, Fraternitch" Diese Prophezeiung scheint in unseren Tagen sich in ihren beiden Teilen bewahrheiten zu wollen: darin, daß die kapitalistische Reaktion aus Europa nach Asten hinübergreift, um dort neue Stützpunkte zu finden, und daß ihr vom Osten her die Re- volution entgegeneilt. Das konservative China hat aufgehört. China ist uns nicht mehr das Sinnbild der Stagnation. Was aus China jetzt kommt, bedeutet Unruhe, Kampf, vernichtendes Werden und werdende Vernichtung. Das revolutionäre China ist zur Tat- fache geworden. Wenn nun aber die bürgerliche Revolution 60 Jahre brauchte, um nach dein fernen Osten übertragen zu werden, so geht die chinesische Revolution das kapitalistische Europa unmittelbar an. Die Entwickelung drüben ist dabei von einer Kompliziertheit, die ihre europäischen Vorbilder und selbst die verworrenen Verhältnisse der russischen Revolution weit übertrifft. Unter dem Druck des Kapitalismus, im Drang nach dem Parlamentarismus, nehmen die sozialen Käinpfe in China die schwierigsten, unter Umständen auch recht bizarre und befremdliche Formen an. Das wichtigste ist der Aufruhr in der Provinz H u n a n, der mit einer Vernichtung der fremden Niederlassungen verbunden war. Er führte zur Absetzung des Gouverneurs und sonstigen Kon- Zessionen an die Aufständischen, wodurch jedoch, trotz dem gleich- zeitigen großen Aufgebot der militärischen Macht, nur eine sehr problematischeBeruhigung" der Bevölkerung erreicht wurde. Die unmittelbare Ursache dleseS Putsches war die Reisnot, die im ganzen Reich herrscht, in einzelnen Provinzen aber zu einer furchtbaren Hungersnot geworden ist. Darin liegt noch nichts NeueS: seitdem China besteht, gab es in China Hungersnöte, und seitdem eS Hungersnöte gab, gab es auch Hungerrevolten. Die Er- bitterung der Bevölkerung wurde dadurch verschärft, daß einzelne Großkaufleute den Reis aufkauften, um damit Wucher zu treiben, und bie Regierungsbeamten durch Zurückhaltung der Reisvorräte in den Staatsmagazinen ihnen dabei zu Hilfe kamen. Auch das ist eine durch die Tradition geheiligte Volksauspowerung. Allein es wurden außerdem noch aus den notleidenden Gebieten große Mengen Reis ausgeführt. Gelegentlich mag das auch in früheren Zeiten vorgekominen sein, jedoch in dem Maße, wie es jetzt geschah, war es eine wesentlich neue Erscheinung. Zwei kapita- listische Momente verschärften ungemein die Situation: erstens die Entstehung kapitalistischer Zentren im Lande, die durch ihre größere Kaufkraft die Reisvorräte aus den notleidenden Gegenden an sich zogen, zweitens die modernen Transportmittel, vor allem die Dampfer auf den Flüssen, die die Möglichkeit gewährten, den Reis schnell und in großen Mengen wegzuschaffen. Man begreift des- halb, warum die Menge über die Häfen, Speicher und Schiffe der Dampfergesellschaften herfiel. Ein auffallendes Nebenmoment: die japanischen Gesellschaften blieben verschont. Das von der Re- gierung erlassene Reisausfuhrverbot wurde umgangen; fein sichtbares Resultat war nur, daß sich in den Regierungs- speichern große Reismengen ansammelten, die dann von der hohen Beamtenschaft selbst nach den reicheren Provinzen, unter anderem nach Naoking, das wegen der dort zu eröffnenden Ausstellung einen großen Reisbedarf hat, und nach Javan verschifft wurden. Das Volk, das hungerte, mußte also zusehen, wie man ihm das Brot vom Munde weg aus dem Lande brachte. Der Kapitalismus, der die Hungerrevolte verschärfte und sie in einen Kampf der Massen gegen die Zentralregierung verwandelte, hat sogleich einen Kampf zwischen den Notabeln und der Zentralregierung entfesselt. Die Provinz Hunan ist erst in der jüngsten Zeit dem fremden Handel eröffnet worden. Die Notabeln, die in dieser Provinz reiche Großgrundbesitzer sind, stehen im all. gemeinen den Neuerungen feindlich gegenüber. Sie werden durch den Kapitalismus wirtschaftlich differenziert: die soziale Schicht verliert ihre geschichtliche Grundlage, aber einzelne erwerben große Relchtümer. Doch die letzteren sind nicht minder gegen die Regie- rung, denn sie möchten selbst die Träger der kapitalistischen Eni- Wickelung werden, sie sind national und beschuldigen die Regierung der Fremdenbegünstigung. Weiter aber noch als der wirtschaftliche geht der politische Gegensatz. Unter der alten lockeren StaatSver- waltung wqren die Notabeln die eigentlichen Herren der Provinz. Die Zentrale Regierung, die sich auf eine moderne Ärmde stützt, macht dieser Herrschast ein Ende. Darum setzten sich jetzt die No- tabeln aii die Spitze des Aufstandes, um die Zentralregierung zu schwächen. Der Gouverneur der Provinz verfügte über 6000 Mann moderner Truppen. Es wird aber angenommen, daß diese ihm von den Notabeln, die sich mit einem Teil der Beamtenschaft verbanden, aus der Hand gewunden wurden. Ein drittes Element des Aufruhrs waren bie Handwerker, die Maurer, und Zimmererzunft. Diese fühlen sich be- drängt durch die EntWickelung der Bautätigkeit. So seltsam das klingt, hat es doch seine guten Gründe. Denn der Kapitalismus brachte die m o d e r n e B a u a r t in die Provinz und mit ihr einen Zuzug fremder Arbeiter, während die vielen Leute vom routinierten Handwerk, die steinerne Kolosse entstehen sahen, vergebens nach Arbeit herumfragten! Darum die Brandstiftungen, die Zerstörung der modernen Bauten, während das Leben der Ausländer geschont wurde. Die Berichte aus China stimmen darin überein, daß die Per- Hältnisse in Hunan sich besonders scharf zugespitzt haben, daß jedoch diese Provinz leine Ausnahme darstellt. Die Ruhe im ganzen Reich wird nur noch durch die militärische Macht aufrechterhalten. Die modernisierte Armee ist die große Stütze der Regierung. Aber die Regierung verfügt nicht über die ganze Armee, denn die Zentral« regierung ist selbst geteilt. Dem Prinzregenten steht Prinz C h i n g entgegen. Dieser hat die größere Zahl der Provinzgouver- neure für sich und die ganze Truppenmacht im Umkreise von Peking soll unter seinem Einflüsse stehen. Das Verhältnis war im Mai nach demOesterr. Lloyd" derart, daß dem Prinzregenten in Peking Ii 000 Mann zur Verfügung standen, während er von 24 000 Mann vor den Toren Pekings umlagert wurde. Um dieses Mißverhältnis zu beseitigen, wird einerseits die Leibgarde vergrößert, andererseits werden die Truppen aus der Umgebung nach der Provinz fort- geschickt. Dadurch wird die gesamte Militärmacht Pekings ge- schwächt und die fremden Zeitungen am Orte erblicken darin eine Gefahr für den Fall eines revolutionären Auf- st a n d e s. Die revolutionäre Verschwörertätigkeit nimmt sichtbar zu. Erst dieser Tage brachte der Telegraph die Nach- richt von der Verhaftung höherer Militärs, die einer revolutio- nären Verschwörung angehörten. Das ist bei der Stellung der Armee in China ein sehr wichtiges Symptom. Nicht lange Zeit vorher war das Attentat auf den Prinzregenten. Die Schuldigen wurden zu Zuchthaus verurteilt, die Zeitungen erklären aber offen, daß wenigstens die wichtigste Persönlichkeit unter den Be- teiligten, Wang, binnen kurzem überhaupt loskommen werde. Der Grund liegt darin, daß die Attentäter aus sehr einfluß- reichen Kreisen kommen. Angesichts der um sich greifenden revolutionären Gesinnung der Jugend Schulstreiks sind zu einer täglichen Erscheinung geworden sieht sich die Regierung veran- laßt, die Zulassung zur Beamtenlaufbahn einzuschränken. Dadurch wird die geheime Tätigkeit der Organisationen erst recht ge- fördert. Nach dem Reformplan der Regierung tritt in diesem Herbst der Reichsausschuß, eine Art Herrenhaus zusammen. Der Vor- gang wird von der Ocffentlichkeit vollkommen mißachtet. Man verlangt in der Presse und in den Versammlungen einmütig ein richtiges Parlament. Eine öffentliche, über das ganze Land verzweigteLiga der Einwütigkeit" wurde geschaffen, die jetzt ihren ständigen Ausschuß in Peking zur Beschleu- nigung der Eröffnung deS Reichstages" ernannt hat. Das ist gewiß nur ein Momentbild aus China . Doch eS zeigt eine wilde Bewegung, deren revolutionärer Charakter unverkenn- bar ist. Die Regierung gegen die Konstitution. Peking , 27. Juni. Die Regierung hat ihre Zustimmung zu einer Denkschrift verweigert, in welcher von Delegierten von Provinzen und chinesischen überseeischen Gemeinden die Ge- Währung einer Konstitution gefordert worden war. Die Regierung erklärt in ihrer Antwort, es sei unmöglich, den von dem verstorbenen Kaiser festgesetzten Zeitraum von neun Jahren abzukürzen, da die Bevölkerung.für die Erlangung konstitutioneller Rechte noch nicht reif sei. politische debersickt. Berlin , den 27. Juni 1910. Der Zentrumsverrat i« der Reichsversicherungs- ordnungskommission. Die Gcherlblätter teilen mit, daß in den letzten Tagen zwischen Mitgliedern der konservativen Partei und deS Zentrums vertrau- liche Besprechungen stattgefunden haben, die voraussehen lassen. daß Zentrum und Rechte in der zweiten Lesung der Kom- Mission zu ein«! Einigung unter sich und mit der Regierung kommen werden, und daß das Ergebnis die Annahme der Regierungsvorlageimgroßenundganzen nur mit einigen nicht erheblichen Aenderungen sein dürfte. Insbesondere sollen die in der ersten Lesung gestrichenen Versiche» rungsämter, auf die von der Regierung entscheidender Wert gelegt wird, in der zweiten Lesung angenommen werden, wogegen die Regierung sich zu«inigen Zugeständnissen, inS- besondere hinsichtlich der Regelung der Beiträge für die Kranken- lassen, verstehen würde. Die Nachricht klingt nach allem, waS in der Kommission vor- ging und namentlich nach dem seinerzeit von uns festgenagelten Artikel derGermania ", der den Entschluß deS Zentrums erklärte, die RcichSversicherungSordnung mit Konservativen und National- liberalen zu machen, sehr glaubhaft. Daß das Verfahren des Zen- trums einen neuen Verrat an den Arbeitern bedeutet, liegt auf der Hand. Die Regierungsvorlagemit unwesentlichen Aenderungen" ist eine erhebliche Verschlechterung deS jetzigen Standes der Ar. beiterversicherung. Allerdings heißt es in der Meldung, die Regie- rung werde Zugeständnisse machen bei der Verteilung der Beiträge, d. h. also bei den Bestimmungen, die die Rechte der Arbeiter in den Krankenkassen, die Selbstverwaltung der Kassen durch die Ver» sicherten betreffen. Das kann sie allerdings tun, ohne von ihrem Standpunkt wesentlich abzugehen. Denn das Zentrum hat ja in der Kommission schon zugegeben, daß die Wahl der Vorsitzenden und der wichtigeren Beamten der Kassen den Vorständen genommen wird. Man kann dann den Arbeitern ruhig ihre Zweidrittelmehr- heit im Vorstand der Kassen lassen die Selbstverwaltung haben sie in ihren Hauptstücken ja auf alle Fälle verloren, wenn das Kompromiß des schwarzblauen Blocks mit der Regierung auf der Basis der Zentrumsvorschläge zustande kommt. Die Reichsfinanzen. Ueber die finanzielle Lage deL Reiches, wie sie sich für die Aufstellung deS Reichsetats für das nächste Jahr darstellt, schreibt eine offiziös bediente Korrespondenz: Durch die verstärkte Tilgung und Verzinsung der Reichsschuld, durch daS Versiegen des ReichSiiwalidenfondS, durch daS weitere Anwachsen des PensionSsonds und durch die Abbürdung eines Drittels deS Fehlbetrages aus dem Jahre 1900 ergibt sich für das Jahr 1911 eine Mehrausgabe gegen 1910 von rund 115 Millionen. Hierbon gehen ab etwa 40 Millionen Mark infolge Wegfalls der einmaligen Beamtenbeihilfen und der Erb« schaftssteuerrückzahlungen. Danach sind also zu decken 75 Millionen Mark mehr. Nach den ungünstigen Erträgen der Einnahmen des Reiches an Zöllen und Steuern kann man für das nächste Jahr im günstigsten Falle 60 Millionen Mark Mehr- einnahmen gegen 1910 an Zöllen und Steuern annehmen. Danach verbleibt atso ein Defizit von IS Millionen Mark. DaS Flottenge setz sieht aber für daS Jahr 1911 eine Mehr« ausgäbe von rund 23 Millionen Mark vor, so daß also 38 Millionen Mark mehr zu decken find. An der Balonzierung des Etats mit achtzig Pfennig Matrikularbeiträgen müsse aber unter allen Umständen festgehalten werden. Und aus diesem Grunde werde es der größten Anstrengung und der vorsichtigsten Verteilung der Ausgaben auf die kommenden Jahre bedürfen, um den Etat zu balanzieren." Natürlich werden diese Anstrengungen erfolglos bleiben; einnial wird die Finanzreform des Schnapsblockes nicht er- geben, was ihre stümperhaften Urheber erwartet haben. Dann aber wird das uferlose Wettrü st en zu Lande und zu Wasser schon für die Erzeugung eines neuen un- geheuerlichen Defizits sorgen. Das letzte Wort wird dann heißen: Neue Steuern. _ Noch mehr zur tollen Leistung derGermania ". Aus Baden schreibt man uns: Der verrückte Fälschertrick des ZentrumSblatteS wird nicht der letzte dumme Streich fein, der dem ultramontanen Draufgängertum passiert. Die Angst vor dem Vollsgericht, welche? auf Grund des allgemeinen direkten Wahlrechtes über die Zöllner und Finanz- reforniatoren gehalten werden soll, verwirrt den Sinn der Schwarzen bis zur Tollwut. Was die. G e r m a n i a" bei ihrer Schimpferei über die Einführung der Verhältniswahl in Baden und gegendie rote Gesellschaft" noch übersehen hat, ist die im Bericht der Justizkommission der Zweiten Kaminer festgelegte Erklärung des Zentrum«, daß auch dieses dem von der sozialdemokratischen Fraktion ge- wünschten Wahlproporz für die Landtagswahl sympathisch gegen über st ehe, allerdings mit der Einschränkung, die Ein- führung der Verhältniswahl auf einen späteren Landtag zu vertagen, um aus dem Proporz, der jetzt für die Gemeindewahlen vorgesehen worden ist, noch weitere praktische Erfahrungen zu sammeln. Historisch erwähnt der Bericht, daß das Zentrum beim Kampfe um die Einfuhrung der direkten Wahl in Baden gemeinsam mit der Sozialdemokratie auch für die Verhältniswahl ein- getreten ist. Es ist auch bekannt, daß damals der ZentrmnSführer Wacker die Priorität für den Proporzantrag den Sozialdemokraten abstreiten wollte und diesen Proporz gegenüber dem Minister Dr. Schenkel als eine damals schon spruchreife Neuerung verteidigte. Also derLöwe von Zähringen" muß in seinen alten Tagen zu den schlimmen Erfahrungen noch daS Leid erleben, von seiner Ober- priesterinGermania " unter die Verhunzer deS badischen Wahlrechts geworfen zu werden. Ein bitteres Los! Die Vertagung des Proporzes auf eine nach der nächsten Landtagswahl liegende Zeit entsprach der Auffassung deS badischen Zentrums, daß es im jetzigen Bunde mit den konservativ-protestan- tischen Bauernführern die reaktionäre Kammermehrheit sicherer er- reichen werde als mit dem Proporz, der die Geschästsgemeinschaft zur Liquidation zwingen würde. Zur Beurteilung der Wirkung der Verhältniswahl in Baden verweist der Kommissionsbericht des Abg. Geck auf folgende Statistik: Es würden bei der Verhältnisberechnung im gegen- wältigen Landtage haben: die Liberalen statt 24 nur 28 Vertreter. da aber die Sozialdemokraten ein Mandat gewinnen würden 21 statt 20 so behielte der sogenannte Großblock seine bisherige Stärke. Konservative und Zentrum sinken von 29 aus 28 Mandate herab; der 73. Sitz würde einem Vertreter der Mittelstandsparteien, also auch einem der Rechten nahestehenden Vertreter zufallen, so daß bei diesem Wahlmodus das Gesamtbild der zweiten badischen Kammer nicht verschoben würde. DieGermania" hat übrigens nach unserer Abfertigung vom Sonnabend bis heute noch nicht die Sprache wiedererlangt. Anscheinend will sie ihren Lesern unsere Antwort verschweigen und denkt gar nicht daran, ihre frechen Lügen zu widerrufen. Dafür ist sie das Hauptblatt der Parteifür Wahrheit, Freiheit und Recht". Der Auftakt zur Nachwahl in Zschopau - Marienberg . Mit einer großen und eindrucksvollen Demonstration sind die Genossen des 20. sächsischen RcichstagswahlkreiseS in die Wahl- bewegung eingetreten. Auf einem großen Wiesengrundstück in G e l e n a u fand die Versammlung statt, zu der trotz ungünstiger Witterung aus den Industriestädten und Dörfern des räumlich auS- gedehnten Kreises die Genossen und Genossinnen in Scharen zu- sammengeströmt waren. Ueber 5000 Personen nahmen an dieser ersten Volks- und Wählerversammlung teil; ein gutes Zeichen für den beginnenden Wahlkampf. Freudig begrüßt,'wurde Genosse Paul G ö h r e- Zehlendorf als Kandidat aufgestellt. Dann sprach Genosse Reichstaa-abgeorldneter DU David- Mainz über die politische Situation im Reiche, Genosse Landtagsabgcordneter S i n der ma n n- Dresden berichtete über die Tätigkeit im Landtage und schließlich hielt Genosse Göhre eine Ansprache an die Versammelten, die begeistert Beifall zollten und einig waren in dem Gedanken: der Kreis muß am 24. August wieder und für immer der Sozialdemokratie gehören. Ein polnischer Nationalrat. Die Vorgänge bei der letzten Posener ReichStagSersatzWahl, die zur Gründung der polnisch-demokratischen Vollspartei und zur Wahl desArbeiter"-Kandidaten Nowicki führten, sind denFührern" des polnischen Volkes, den Pfaffen und Schlachzizen, arg in die Glieder gefahren. Mit allen Mitteln versuchen sie einer Wiederholung dieser Vorgänge zu begegnen und das allmähliche Erwachen des polnischen Volkes zu hintertreiben. Eines der Mittel ist die Gründung«ine» polnischenNationalrates". Die polnische Presse veröffentlicht jetzt eine Kundgebung, in der eS heißt: Mit Rücksicht darauf, daß die Polen eine politische Organi- sation nicht besitzen, die kraft ihres Amtes das Recht hätte, sich als die Vertreterin des gesamten polnischen Volkes zu betrachten. daß serner die Bildung einer solchen Organisation gegenwärtig den größten Schwierigkeiten begegnen würde, und da der Mangel einer solchen Organisation auf die allgemeinen politischen Ver- hälwisse der Polen ungünstig einwirkt, konstituiert das polnische Zentralwahlkomitee sich selbst als eine Organisation, die die Be- rechtigung haben soll, im geeigneten Augenblick die nötige politische Aktion einzuleiten. Das Komitee beabsichtigt durchaus nicht die Rechte der polnischen gewerkschaftlichen und politischen Organisationen zu de- schränken oder die Selbständigkeit der polnischen Fraktion zu hemmen; eS will vielmehr nur, wo eS nötig erscheine» sollte, bei etwaigen Meinungsverschiedenheiten grundlegende Be- schlüsse fassen, die für das gesamte Polentum als Richtschnur dienen sollen. Nach gefaßtem Be« schluß sollen allePolen an den Beschluß des Komitees gebunden fein. Wahlversammlungen sollen nur von dem legalen Wahlkomitee einberufen werden. Bei Abstimmungen entscheidet die Mehrheit, jedoch dürfe die Minderheit nicht vergewaltigt werden." Soweit die Kundgebung des Zentralwahlkomitees der Polen im Deutschen Reiche. Die Sache ist nicht übel ausgedacht, sie hat aber einen Haken: wenn die Posener.Sezessionisten", die schon jetzt auf die Entscheidungen und Drohungen des Zentralwahl- komitecs pfeifen, nun auch auf die Entscheidungen desNational- rate»" pfeifen? Das Organ der polnischen Demokraten, derKuryer", macht bereits gegen den sogenannten.Nationalrat" mobil und meint