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Dr. IIS. 27. Ilchrgns. t KkilU i>cs Junuiirte" KMer WsbIM Djenstilg, 38. Inn  ! l9w. VIrtichsttllche? Wochenbericht. Berlin  , 2S. Juni ISIl). Klagelied der Landwirtschaft.   Getreide-, Mehl- und Brotpreise. Zollagitation. Weltmarkt- und Inlandspreise. Ausfuhr­prämien. Große Ernten, Rückgang des inländischen Konsums. Wahlarbeit des Zentrums. Kaum hatte ein Sinken der hochgetriebenen Getreidepreise eingesetzt, da vernahm man auch schon wieder das Klagelied von der Not der Landwirtschaft. Die rückläufige Bewegung bleibt, was zunächst betont werden mag. zum Teil auf die Spekulation be- grenzt; es werden davon ebensowenig die Produzenten, wie die eigentlichen Konsumenten erfaßt. Daß die Brotpreise den Ge- treidepreisen in der Bewegung nach unten nicht vollständig folgen, haben wir berefts in Nr. 123 desVorwärts* nachgewiesen. Hier noch eine weitere Probe dafür. Nach den Zusammenstellungen der Statistischen Korrespondenz über den Durchschnitt der Preise an SV Marktorten in Preußen ergeben sich folgende Ziffern. Es kostete im Großhandel: s-.,-» Roggen«7»««[- 1000 kg Mark 100 kg Mark SNai 1909... 261 183 34 26 April 1910... 219 155 30 23 Mai 1910... 209 149 29 22 Der Preis für Weizen ist im Großhandel von Mai 1909 bis April 1910 um 32 M. gefallen; für Roggen ergibt sich ein Minus von 28 M. Der Mehlpreis sank noch stärker, pro 100 Kilogramm bei Weizen um 4 M., bei Roggen um 3 M. Wie die Preise im Kleinhandel folgten, veranschaulicht die folgend« Zusammenstellung. Für 1 Kilogramm mußten im Kleinhandel bezahlt werden, in Pfennigen: Weizenmehl Roggenmehl Weißbrot Roggenbrot Mai 1909 40 32 56 32 April 1910 39 30 53 32 Mai 1910 33 29 53 31 Also im Mai d. I. war im Kleinhandel mit Weizenmehl und Weizenbrot die Ermäßigung, die im Großhandel bereits im April eingetreten war, noch lange nicht zu konstatieren, betrug sie doch nur 2 Pf. gegenüber 4 Pf. im Großhandel. Roggenmehl hat für den Kleinhandel weniger Bedeutung. Die für die große Masse der Kon- sumenten wichtigen Roggenbrotpreise ließen im April von dem starken Rückgang der Getreide- und Mehlpreise überhaupt noch nichts merken; erst im Mai trat eine Ermäßigung um 1 Pf. ein. Dieser Preis- rückgana bleibt noch weit zurück hinter der Ermäßigung, die schon im April für Getreide« und Mehlpreise eingetreten war. DaS periodische Sinken der Börsennotierungen für Getreide be« deutet also nicht auch eine entsprechende Preisermäßigung für den Konsumenten. Aber die Liebesgabenempfänger halten es für geraten, mit der Stimmungsmache gegen eine Zollrevision, die den berechtigten Interessen und Bedürfnisien der Konsumenten entgegenkommt, schon frühzeitig Stimmung zu machen. Niedrige Preise, trotz hoher Zölle, erscheinen den Herrschasten als das durchschlagendste Argumeut gegen eine Zollermäßigung. Naive Gemüter werden allerdings die Frage auswerfen: Warum verteidigt man hohe Zölle, wenn sie keine hohen Preise sichern? Wer so ftagt, kennt die Demagogie der schwarzblauen Zöllner nicht. Mit der absoluten Höhe der inländischen Getreidepreise haben die Zölle wenig oder gar nichts zu tun, diese bestimmen das Ver« hältnis der Inlands- zu den Auslandspreisen. Schnellen infolge schlechter Welternten die Preise am Weltmarkt hinauf, bleiben die Inlandspreise nicht zurück, immer aber stehen diese um annähernd den Zollbetrag höher als jene. Das ist der springende Punkt. Mußten wir doch sogar erleben, daß bei glänzenden JnlandSernten die Preise in Deutschland   hinaufgingen, während deutsches Ge- treibe gleilhzeitig um 60 60 M. billiger als im Jnlande auf dem Weltmarkte angeboten wurde. Um den Inlandspreis auf dem Niveau des Weltmarktpreises plus Zoll zu halten, warf man be- deutende Niengen deutschen   Getreides ins Ausland. Der inländische Konsument mußte die Differenz zwischen In- lands- und Auslandspreise bezahlen, bekam doch der Exporteur den Zollbetrag in Höhe von 50 rcsp. SS M. aus der Reichskasse zurück« vergütet. Um nur ein Beispiel anzuführen: In der Zeit vom 1. August 1909 bis 10. Juni d. I. wurden 6 205 835 Doppelzentner Roggen ausgeführt, außerdem 1 157 747 Doppelzentner Roggen- kleines feuilleton. Die Freie BolkSbühne gegen die Lustbarkeitssteuer. Dem Vor« stand der Freien Volksbühne ist für die ausführliche Denkschrift gegen die geplant« Lustbarkeitssteuer, die er der Stadtverordnerenversamm- lung zu unterbreiten gedenkt, die folgende gutachtliche Erklärung be- deutender Vertreter der Wissenschaft und Literatur zugegangen: Die Freie VoltSbühne ist eine Organisation, die in gemein« nütziger Absicht breiten Massen der Berliner   Bevölkerung die Kenntnis der besten Werke deutscher   und fremder Ltteralur zu vermitteln bestrebt ist. Seit mehr als zwanzig Jahren leistet sie im Sinne ihres Programms wirkliche Kulturarbeit, die ihr den lebhaftesten Beifall aller Gebildeten eingetragen hat. Organisationen solcher Art verdienen durch den Staat und die Gemeinde in jeder möglichen Weise gefördert zu werden. Auf keinen Fall ist es aber angebracht, ihre segensreiche Tätigkeit durch behördliche Eingriffe und steuerliche Belastung zu beeinträchtigen I Die Forderung der Freien Volksbühne, von jeder Besteuerung frei zu bleiben, ist daher voll- kommen gerechtfertigt, im Interesse unserer Volkskultur ist ihre Er- füllung dringend zu wünschen. Unterzeichnet ist dieie Erklärung u. a. von: Julius Bab  , Hermann Bahr  . Prof. K. Bücher-Leipzig, Richard Dehmel  , Artur Eloesser, Ludwig Fulda  . Stefan Großmann-Wien  . Max Halbe  , Georg Hirsch- feld. Monty Jacobs  , Alfted Kerr. Paul Mahn. Heinrich Mann  , Thomas Mann  . Fritz Mauthner  . Franz Mehring  , Julius Meper- Graefe. Prof. K. Lamprecht-Leipzig  . Pros. P. Natorp-Marburg. Felix Poppenberg  . Hans Rosenhagen. Erich Schlaikjer, Johannes Schlaf  , Leopold Schmidt, Wilhelm Schmidtbonn  , Karl Strecker, Hermann Sndermann, Frank Wedekind  . Ein bayerischer Dorfdichter. Am 28. Juni 1810 wurde im Dorf Ehringen bei Nördlingen   im schwäbischen   Riesgau Melchior M e y r geboren, der seinem Heimatlande einen dichterischen Ehren- platz unter den Gauen Deutschlands   erobert hat. Er lebt auch heute noch unter uns fort, als der realistisch kraftvolle Gestalter jener prachtvollen, oberdeutschen Bauerngestalten, wie sie der Ries, der zu Boyern gehörige schwäbische Gau   an der Grenze Württem- bergs, hervorgebracht hat. Mehr gehört unter die große Reihe von Dorfgeschichtendichtern, die das Beispiel Auerbachs zum Smdium des heimischen Landes und zur Vertiefung in die charakteristischen Volkssitten anlockte. Aber wie kaum ein anderer hat er sich von dem Vorbild deS Meisters emanzipiert und in der Schilderung des Dorflebens einen knorrigen Realismus entfaltet, der mit dem modernen Darsteller des Bauern- lebens mancherlei gemeinsam hat. Darum stehen uns seine besten Erzählungen heute näher als die von Schönfärberei und sentimentaler Rührung nie ganz freien Geschichten des Schwarzwälder Dorfpoeten. Man muß das reine Künstlertum, das Mehr in einigen in billigen Ausgabe» jetzt wieder viel gelesenen Werken entfaltete, um so höher einschätzen, als er ganz so wie der spinozistisch angehauchte Auerbach im Grunde ein Philosoph und Grübler war, der eine Reihe heute völlig vergessener, populär philosophischer Werke geschrieben hat. mehl, gegen nur 2 324 525 und 514 032 Doppelzentner in der Ver- gleichszeit 1907/1908. In derselben Zeit ging die Einfuhr bei Roggen von 4 055 072 Doppelzentner auf 2 684 247 Doppelzentner. bei Roggenmehl von 21 464 Doppelzentner auf 9286 Doppelzentner zurück. Demnach ist die Jnlandsversorgung durch den Außen- Handel um 5 700 368 Doppelzentner Roggen und um 655 893 Doppelzentner Roggenmehl gesunken. Deutscher   Roggen geht ins Ausland und der deutsche Konsument muß dafür pro Doppel- zentner Getreide 5 M. Ausfuhrprämie zahlen. In den 5 Monaten Januar bis Mai wurden Zölle mittels Einfuhrscheine beglichen: 1908: 28 488 161 M.. 1909: 42 875 589 M. und 1910 sogar 50 311 199 Mark. Tie forcierte Ausfuhr wird verteidigt mit der Behauptung, darunter leide die Jnlandsversorgung nicht! Solche Behauptung entspricht nicht den Tatsachen. In Wirklichkeit verhält sich so, daß der inländische Konsum seit Einführung der erhöhten Zölle trotz guter Jnlandsernten und obwohl wir uns damals einer selten guten industriellen Konjunktur erstellten, von Jahr zu Jahr ge- funken ist. Die Löhne der Arbeiter stiegen nominell, aber nicht stark genug, um die Verteuerung der Lebenshaltung voll aus- gleichen zu können. Der Brotkonsum ging zurück und aus der Tasche der Konsumenten wurde» den Exporteuren Prämien ge- zahlt, damit sie deutsches Getreide unter den Weltmarktpreisen im Auslande anbieten konnten. Diese Tatsachen stellen die gemein- schädlichen Folgen unserer agrarischen Zollpolitik außer allen Zweifel. Die Bestätigung unserer Behauptung betreffend den Rückgang des Konsums liefern die amtlichen Nachweise über In- landsversorgung mit Brotgetreide und inländische Ernten. Nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches 1910 I machen wir die folgende Zusammenstellung. Es werden darin die Verbrauchsmengen pro Kopf der Bevölkerung angegeben, ferner die prozentualen Anteile, mit denen die Inlands- ernte cm diesen Mengen beteiligt ist. der neuen Handelsverträge, die wir dem schwarz-blauen Zollwucher> Schnapsblock verdanken, ist unverkennbar. Im Jahre 1902/1903 wurden nur 91,7 Proz. des Roggenkonsums durch die inländische Pro- duktion gedeckt; dabei ergibt sich pro Kopf der Bevölkerung eine VerbrauchLmenge von 158,3 Kilogramm. Im letzten Jahre reicht die Jnlandsernte zur Befriedigung des gesamten inländischen Kon- sums, trotzdem ist die Kopfrate um 10,7 Proz. niedriger als damals. Sie ist von 158,3 Kilogramm auf 141,3 Kilogramm ge­sunken. Recht auffällig tritt die schädigende Wirkung der am 1. April 1906 wirksam gewordenen erhöhten Zölle in die Erschei- nung, wenn man die Bewegung seit 1905/1906 verfolgt. Der Ver- brauch pro Kopf stellt sich in diesem Jahre auf 149 Kilogramm, die Jnlandsernte ist mit 94,7 Proz. an dem Verbrauch beteiligt. In den nächsten Jahren liefert die inländische Ernte ständig größere Mengen für den heimischen Konsum, im Jahre 1908/1909 wird dieser vollständig durch die Ernte in Deutschland   gedeckt. Trotzdem geht von Jahr zu Jahr der Konsum pro Kopf der Bevölkerung zurück. Aehnlich so bei Weizen. Im Jahre 1902/1903 liefern die deutschen   Ernten 66,2 Proz. des Jnlandsverbrauches, der Konsum pro Kopf der Bevölkerung stellt sich auf 92,8 Kilogramm: im Jahre 1908/1909 ist die Kopftate auf 77,5 Kilogramm gesunken, obwohl die inländischen Ernten mit 70,1 Proz. an dem Verbrauch beteiligt sind. Seit 1905/1906 sank der Jnlandsverbrauch um 15,3 Kilo- gramm, gleich 16,4 Proz., bei gleichzeitiger Steigerung des An- teils der inländischen Ernte am Verbrauch von 59,9 auf 70,1 Proz. Rechnet man lbeide Getreidesorten(einschließlich Spelz) zusammen, dann ergibt sich in den letzten vier Jahren eine Konsumverminde- rung von 23,9 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung. Hierbei mag noch ausdrücklich konstatiert werden, daß in derselben Zeit die Die Heuschrecken. Von Jahr zu Jahr wird das riesige Turkestan  - gebiet, bald in diesem, bald in einem anderen Teile, von Heuschrecken  - schwärmen heimgesucht, die oft mehrere Jahre nacheinander dieselbe Gegend verwüsten. In diesem Jahre ist die Hungersteppe(im Ge- biete von Samarkand  ) ein Opfer der Heuschrecken geworden. Wie gegen diese Verheerung angekämpft wird, mit welch unzureichenden Mitteln schildert ein Korrespondent inGoloß Maskoy*, der im vorigen Jahre im Dschasikschen Kreise dem Schauspiel einer Heu- schreckeninvasion beigewohnt hat. Nach einer Schilderung der Herr« lichen Natur in einer FrühlingSlandschast fährt der Berichterstatter fort:Plötzlich änderte sich das Bild jählings. RingS umher, so weit das Auge reichte, dehnte sich die schwarze, wie von einer Feuers« brunst ausgebrannte Steppe aus. Anfangs in Vereinzellen Schwärmen, später in dichten Massen zogen die Heuschreckenschwärme heran. Langsam kamen sie näher, sprungweise. Keine Hindernisse konnten die schwarze Masse aufhalten. Die Räder des Wagens, die Hufe der Pferde ließen eine lange Spur zerquetschter Heuschrecken- iadaver zurück. Die Lust war erfüllt vom Lärm der herannahenden Schwärme und von einem unerträglichen Kampfergeruch. Die Heu- schrecken zogen in östlicher Richtung. Vor unserem Wagen erblickten wir ein Häuflein Menschen, etwa 50 Personen. Die Leute schrien, gestikulierten und schritten den ausgeschaufelten Graben entlang. Ich fahre näher an die Gruppe heran. Die kleine Schar Kirgisen, die alle ermüdete Gesichter haben, umringt den Wagen. Nun, wie geht die Arbeit? frage ich den Aeltesten von ihnen. Ach, lieber Herr l Wie kann man gegen eine Geißel Gottes ankämpfen? Je mehr wir davon vertilgen, umsomehr kommen herzu. Hier schaufeln wir schon eine ganze Woche an dem Graben und begießen die Heuschrecken mitUrtfchup*(einem Aufguß von einem Giftkraut). Die ganze Dorfgemeinde hat sich abgehetzt, aber die Steppe ist noch ebenso dicht mit Heuschrecken bedeckt. Wenn nicht der Uluk(der Chef) wäre, so würden wir schon längst die Arbeit ausgegeben haben. Der Chef weiß nicht, daß an Stelle einer getöteten Heuschrecke iininer wieder zwei neue angeflogen kommen, schloß der Aelteste seine Be» trachtung. Ich blickte umher. Wohin da? Auge reichte schwärmte die schwarjü Masie. Und hier stand die kleine Gruppe Menschen, die ein paar Miniaturkanäle gegraben hatte*. Wird die Erde wärmer? Eine wärmere Zeit, etwa mit dem Klima der Tertiärzeit vergleichbar, glaubt der Ornithologe (Vogelforscher) W. Schuster für unsere Erde vorhersagen zu können. Ja, eigentlich sollen wir in eine solche bereits eingetreten sein. Er schreibt darüber in der ZeitschriftNatur*:Bewiesen wird das Herannahen einer wärmeren Zeit durch eine ganze Reihe ornitholo« gijcher Anzeichen, die eine wahre Umwälzung im biologischen Charakter unserer Vogelwelt und ebenso auch in der geographischen Verbreitung der Arten heraufzuführen scheint. Erstlich wird bemerkt, daß in Deutschland   mit jedem Winter viel mehr Vögel überwintern als früher, daß somit frühere Strich- und Zugvögel jetzt regelrechte Standvögel geworden sind. Die Steigerung erstreckt sich sowohl auf eine Anzahl neuer Arten wie zu Brennzwecken verlvendete Menge Roggen nicht gestiegen ist. Es ergibt sich vielmehr ein kleiner Rückgang. Im Jahre 1905/1906 wurden 1 060 194 Doppelzentner Roggen für die Branntweinerzeu- gung verbraucht, im Jahre 1908/1909 nur noch 989 545 Doppel- zeirtner. Die Verbrauchsabnahme von 23,9 Kilogramm Pro Kopf der Bevölkerung entfällt demgemäß vollständig auf das Konto der Ernährung. Dabei hatten wir im Jahre 1908/1909 die größte bis- her erzielte Ernte in Roggen und eine gute Weizenernte. Die ob- soluten Erntemengen betrugen in Tonnen: 1901/02 1905/06 1906/07 1907/08 1903/09 Roggen 8 162 660 9 606 827 9 625 733 9 757 859 10 736 874 Wetzen 2 498 851 3 699 882 3 939 563 3 479 324 3 767 767 10 661511 13 306 709 13 565 301 13 237183 14 504 641 Günstige, ja glänzende Ernten und dabei Verminderung de? Brotkonsums! Angesichts solcher Resultate immer noch der Zoll- wucheret das Wort zu reden, dazu gehört schon agrarische Un- gcnicrtheit oder ultramontane Sknipcllosigkeit. Eifriger noch als die interessierten Agrarier selbst übt sich das Zentrum jetzt schon wieder in der zöllnerischen Agitation. Vor kurzem beschwindelte die Germania  " ihre Leser mit der kecken Behauptung, von den hohen Preisen hätten die Produzenten nichts profitiert, denn als die Preissteigerung eingesetzt habe, wäre alles Getreide schon im Besitze der Händler gewesen. Kurz vorher, auf einem Bauerntag des bayerischen christlichen Bauernvereins in Regensburg  , den die Zen- trumspresse als einen Aufmarsch der Bauern zu den nächsten Reichs- tagswahlen begrüßte, lamentierten die Zcntrumsredner Heim und Erzberger über die niedrigen Gewinne in der Landwirtschaft und den Schaden, der den Bauern infolge der augenblicklich niedrigen Getreidepreise erwachse. Wie's gerade trifft! Die ultramontane Germania  " versuchte auch den Anschein zu erwecken, als ob man die höheren Getreidepreise nicht als Folge der erhöhten Zölle an- sprechen könne, denn in allen Ländern seien die Preise hinaufgc« gangen. Daß bei uns die Preise aber ständig um zirka die Höhe des Zollbctrages über dem Weltmarktpreise standen, das verschwieg das Zentralorgan fürWahrheit und Recht" seinen Lesern, und der Abgeordnete Erzberger   erklärte in der erwähnten Versammlung, bei der nächsten Wahl handle es sich in der Hauptsache um die Auf- rechterhaltung der Vieh- und Getriedezölle. Auf denselben Tori gestimmt waren Verhandlungen des Vertretertages der Windhorst- bunde Deutschlands   am 15. Juni in Bochum  . Im kommenden Wahl- kämpf wird sich also die ganze Strupellosigkeit u(tramont'aner De- magogie enthüllen. Die Bauern angelt man mit den: Zollköder, mit materiellen Versprechungen. Und die Arbeiter? Sie werden kon- fcssionell aufgehetzt; die Duldung der Brot- und Fleischwucherei macht man ihnen zur religiösen Pflicht. So wird der Herrgott von der klerikalen Partei für die schamloseste Plünderpolitik engagiert, die Religion in zynischer Weise im Dienste der Volksausbeutung mißbraucht. E». Der 1. Bayerische   Wohnungslwngrek tagte in Nürnberg  , veranstaltet vom Bayerischen Landesverein zur Förderung des Wohnungswesens in Bayern  . Er wurde nicht ohne bestimmte Absicht in Nürnberg   abgehalten. Denn dort ist trotz oder gerade deshalb, weil bis vor einem Jahr der Freisinn alleiniger Beherrscher der Gemeinde war, bis heute auf dem Ge- biete gemeindlicher Wohnungsfürsorge absolut gar nichts geschehen. Wohnungs- und Bodenpolitik ist in Nürnberg   ein Thema, das nur die Sozialdemokratie kennt, und es war wiederum nur die sozial- demokratische Preffe am Ort, die die Bedeutung des ersten bayeri- schen Wohnungskongresses für Nürnberg   erkannte und� würdigte. Die Spezialwohnungsnummer, die unser Nürnberger Parteiorgan zum Kongreß herausgab, erregte bei den Kongreßteilnehmern be- greifliches Aufsehen und das darin gebotene Material über die Nürnberger Wohnungsverhältnisse sehr viel Kopfschüttcln. Eingeleitet wurde der Kongreß durch eine große VolkSversamm« lung in dem Saal, in dem 1908 der deutsche Parteitag tagte. Der Ulmer   Oberbürgermeister v. Wagener, der Leiter der mustergültigen WohnungSpolitik der Stadt Ulm  , zeigte auf Grund eigener Erfahrungen den Nürnberger Stadtvätern, wie man eine großzügige Wohnungs- und Bodenpolitik durch die Stadtverwaltung betreiben kann, ohne daß die Befürchtungen sich bewahrheiten, die z. B. die Nürnberger Stadtverwaltung veranlaßt haben, die seit Jahrzehnten von den Nürnberger Sozialdemokraten und manchen bürgerlichen Sozialpolitikern erhobenen Forderungen abzulehnen. auf die Anzahl der Individuen je einer Art, Fast ebenso wichtig ist die weitere Beobachtung, daß im Sommer viele Arten ihr Brut- gebiet ständig nordwärts verschieben oder aber unter dem' Iben Himmelsstrich in vertikaler Richtung in höhere Berglagen verlegen. Ferner ist die Tatsache festgestellt, daß sich viele nur südländische Vögel jetzt auch bei uns ansässig gemacht haben. Am charakteristischsten ist der Fall des Girlitz. Dieser hat in vier bis fünf Jahrhunderten ganz Deutschland   erobert. Schließlich vermehrt sich auch die Zahl der richtigen Wintersänger. Schnster hat seine interessante Hypothese bereits vor acht Jahren aufgestellt, und er teilt eine ganze Anzahl Aeußerungen von Zoo- logen mit, die ihm entweder beipflichten oder die doch ähnliche Be- obachtungen aus der Vogelwelt mitteilen. Ist die Hypothese SchnsterS berechtigt, so müssen sich, wie die MonatsschriftNeue Weltanschau- ung" schreibt, natürlich auch noch auf anderen Gebieten der Natur Anzeichen für das Herannahen einer wärmeren Jahreszeit auffinden lasien. Besonders sollte man einen lcingsamen aber ständigen Rückgang der G l e t s ch e r erwarten. Tatsächlich ist schon wiederholt ein solcher behauptet worden. Und ganz neuerdings stellt eine amtliche Statistik der Schweizer   Regierung fest, daß z. B. die Gletscher der Walliser Alpen   immer noch im Rückgang seien. Kein einziger Gletscher ist im Jahre 1909 vorgerückt, dagegen sind einige un- verändert geblieben. Diese Periode des Rückganges der Gletscher dauert mit wenigen Ausnahmen schon über 10 Jahre an. Notizen. K u n st ch e m i k. Jin Berliner Kupfer st ichkabinett sind die graphischen Werke(Stiche, Holzschnitte) des berühmten holländischen Stechers L u<a S v a n L e y d e n, des Zeitgenossen von Dürer  , ausgestellt. Das Klara- Ziegler-Museum, das in dem früheren Haufe der verstorbenen Tragödin eingerichtet ist und den Grundstein zu einem deutschen   Theatermuseum abgeben soll, wurde in München  eröffnet. Die Hauptbedeuiung des Museum« besteht vorläufig darin, daß es ohne den Berliner   Hoftheaterintcndanten, der mit dem Bühnen- genossenschaflspräsidenten Nissen nicht iin Vorstande zusammen fitzen will, sich behelfen muß. Im übrigen ist eS, wie die meisten derartigen Stiftungen, überflüssig. Der Kainpf um den nackten Jüngling. Ein Wiener   Kunstfteund hat seiner Vaterstadt ein überlebensgroßes Reiterstandbild, das vom Bildhauer Josef Müller modelliert ist, ge- stiftet. Der erste Gemeindebezirk, den eS ziere» sollte, hat aber die Aufstellung verweigert, weil der Reiter ein nackter Jüngling ist und nicht einmal Badehosen anhat. Die Bczirksdeppen können sich zu Pferde offenbar nur Leute in großer Uniform vorstellen.(Nach preußischem Comment dürften überhaupt nur Hohenzollern zu Roß ausgehauen werden.) Jetzt wird nach einem anderen Bezirk Umschau gehalten, der weniger Angst vor dem Nackten hat. Die Glocken von San Marco, die so lange nicht mehr in Venedig   gehört waren, läuten seit einigen Tagen wieder. Die fünf melodisch gestimmten Glocken erklingen jetzt wieder wie früher und künden, daß Venedig   seinen Campanile(Glockenturm) hat.