flußtrordentlklier Kongreßder belgilchen Sozialdemohratle.Brüssel, 28. Juni.(Gig. 83er.)Di« sozialen Reformen.Der zweite Berhandlungstag war der Beratung Jener sozialenReformen gewidmet, die die belgische Arbeiterschaft seit Jahren aufdas dringendste fordert und mit denen sich auch die Kongresse derletzten Jahre teilweise beschäftigten. Auch die gestrige Resolutionhat, soweit es sich um die parlamentarische Seite handelt, auf dieReformen Bezug genommen.Den Vorsitz führte Genosse Bertrand. Als erster Punktstand die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit zurVerhandlung. Der belgischen Kammer liegen seit Jahren zweiGesetzentwürfe vor, einer vom Genossen B e r t r a n d, der anderevon H e l l e p u t t e, der von diesem eingebracht wurde, alser noch nicht Minister war. Als solcher hat er abervon der einstigen Denwkratie noch nichts sehen lassen.Die Opposition gegen dieses Projekt droht indes nichtbloss von klerikaler, sondern ebenso von liberaler«eite. Die sozialeReformarbeit, zu der das Parlament endlich gedrängt werden wird,wird dann freilich zeigen, was in der sterilen Periode schön der«borgen blieb: das; das Parlament nicht aus.Klerikalen" und„Anti-klerikalen" schlechtweg zusammengesetzt ist. Die wirtschaftlichenFragen, insbesondere die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit,werden mit der politischen Abstimmungsformel: Rechte gegenLinke, alsbald ausräumen.In dieser Perspektive sieht auch der erste Redner, GenosseRens, die parlamentarische Abwickelung der Frage. Sie wird denProbierstein abgeben, sagt er. der die ökonomischen Gegensätzezwischen der sozialistischen und der liberalen Demokratie deutlichmachen wird. Für die Bergarbeiter haben die Liberalen nochsentimentale Gründe aufgebracht, aber die allgemeine Verkürzungder Arbeitszeit wird an ihren kapitalistischen Interessenscheitern. Was die Sozialdemokratie wieder glücklich zum Klassen-kämpf zurückführen wird.Gen. L e g r a n d führt an. dass zur Lösung des Problemswichtiger noch al-Z die parlamentarische Seite die Tatsache mächtigerArbeiterorganisationen sei.— Man solle nicht für den Zehnstunden-tag kämpfen, sondern für die Erringung des acht- und neunstündigenArbeitstages durch die Macht der Organisationen.D e c a m p s(Angestellter des GastwirtsgewerbeS) beschäftigt fichin einer interessanten Darlegung der wirtschaftlichen und moralischenVerhältnisse der Kellner- und Cafühausangestellten mit diesen, fürdie er einen speziellen gesetzlichen Schutz verlangt. Viele arbeiten18 Stunden. Er verweist auf die ungesunden Arbeitsverhältnissez. B. der Geschirrwäscher, die in Kellern arbeiten. Decamps wendetsich auch gegen das degradierende Trinkgeldwesen, das gesetzlichabgeschafft werden soll."Sanders(Alost. Flandern) spricht über die Verhältnisse inFlandern, wo infolge der Krise Hunderte von Arbeitern nur drei bisvier Stunden arbeiten und deren Löhne sich um die Hälfte ver-ringerten.Gislain will eine Masse»Petition zugunsten der Ver-kürzung der Arbeitszeit, wogegen D e l p a r t e dafür eintritt, dassjede Gewerkschaft, jede Arbeiterorganisation eine Ab st im-m u n g vornimmt und dem Parlament übermittelt.W a u t e r S teilt mit, dass die sozialistische Kammerfraktion imEinvernehmen mit der Gewerkschaftskommission bereits Frage«bogen an die Gewerkschaften gesandt hat, die aber noch nicht zurück-'elangt sind. Diese und das Eiiquetematerial müssten veröffentlichtrden. Die parlamentarische Aktion müsse sich auf eine grosse Be-u»g von aussen stützen. Auf diese Weise seien auch die Berg-ter zu ihrem Sieg gekommen. Enqueten in den verschiedenen'Wien sind notwendig, damit die Missbräuche durch das Tat-ratcrial klar aufgezeigt werden, wie das bei den Bergarbeiternoer Fall war. Auch De Brouckdre hält nicht viel von einerMassenpetition und befürwortet den Vorschlag WanterS und dieSammlung von Material über die Verbältnisse in den verschiedenenIndustrien. Die Aleichgliltigkeit muss aber weichen und die öffentlicheMeinung aufgerüttel' werden. Auch noch ein anderer Redner sprichtsür die Spezialpetitioiien durch die Gewerkschaften.Im Sinne dieser Ausführungen wird eine TagesordnungWanters angenommen, ferner eine Tagesordnung Rens, dieden Generalrat und die sozialistischen Deputierten beauftragt. baSNotwendige zu veranlassen, damit das Parlament noch in der nächstenSession(1910—1311) die Frage der Verkürzung der Arbeitszeit aufGrund des Bertrandschen Projekts in Verhandlung nimmt. Regio-nale Manifestationen sollen diese Aktion in der Kammer unterstützen.Die Frage der Arbeiterpensionen, zu denen das ProjektDenis vorliegt, erzielte keine endgültige Lösung durch den Kongress.da über die Frage der Arbeiterbeiträge sür die Alters-Pensionen gegensätzliche Meinungen vorhanden sind. Zudem war dieTeilnehmerzahl am zweiten Kongresstage, da die Delegierten an ihre.issten, schon sehr gelichtet, so dass Genosse Baek mitauf die schwerwiegende Frage und auch auf diesen Umstandjte, die Diskussion im Generalrat weiterzuführenzu den Sitzungen, die öffentlich sein werden, auch die Verfasser.»c verschiedenen Projekte als Mitberater zu laden.Der Kongress diskutiert noch den Punkt: Abschaffung des§ 310de« Strafgesetzes, der von den Behörden zur Erdrosselung dergewerkschaftlichen Freiheit in rücksichtslosester Weise benützt wird undden Regierung und Gerichte als brutalste Waffe gegen die Kämpferder Arbeiterbewegung anwenden. Es wird eine entsprechende Reso-lution angenommen, um die Unterdrückung dieses Paragraphen vor-zubereiten.Der Chefredakteur deS„Peuple", Deputierter WanterS, erstattet den Bericht über das Parteiblatt, dessen Auflage in einemJahre um ISOO Exemplare zugenommen hat. Eine Nebenausgabe,das„Echo du Peuple", hat dagegen seine Auflage vermindert.Eine Tagesordnung Huysmans wird angenommen, die denBericht zur Kenntnis nimmt und die Gruppen zur finanziellen undmoralischen Unterstützung der sozialistischen Presse auffordert.Parseisekretär M a e S teilt auf eine Beschwerde hin mit, dassdie Tagesordnung des Internationalen Kongresses zuKopenhagen in einer erweiterten öffentlichen Versammlung dcSGeneralrates besprochen werden wird, wo die gewerkschaftlichen undregionalen Föderationen vertreten sein werden.D e l s i n n e äussert noch den Wunsch, dass bei der Nominiernngder Delegierten für den Kopenhagener Kongress auch dieMinorität entsprechend vertreten sei.— Damit istdie Tagesordnung erledigt und der ausserordentliche Kongreß wirdvom Vorsitzenden geschlossen.politifcbe(leberllckt.Berlin, den 30. Juni 1S10.Die Homogenität ist getvahrt.Daß der als rechtsnationalliberal bezeichnete Herr Lentzesich dem konservativen Regiment ganz gut anpassen werde,darüber konnte von vornherein niemand, der die Geschichteder aus dem Bürgertum genommenen deutschen Ministerkennt, im Zweifel sein. Herr Lentze hat aber nicht nur diePräzedenzfälle, er hat auch seine Vergangenheit für sich, dieseine Eignung für das Ministerium Bethmann Hollweg-Dallwitz beweist. Auf der Tagung des Vereins für Sozial-Politik im Jahre 1907 zu Magdeburg erklärte Herr Dr. Lentzezur Frage des Wahlrechts in der Gemeinde:Wenn mir als praltischem Verwaltungsbeamten die Frage vor-gelegt wird, welches Wahlrecht für die Stadtverordneteuwahlen ichfür das beste halte, so kann meine Antwort nur so lauten: daSWahlrecht, welches allen Kreisen der Bevölkerung eS ermöglicht, indie Stadtverordnetenversammlung hineinzukommen. Die Kommunal-Verwaltung hat die Mitarbeit aller Kreise absolut notwendig.... Bon| diesem Postulat aus muss ich aber unbedingt zu einer Ablehnung de?Reichstagswahlrechts für die Stadtverordnetenversammlung kommen,denn die Uebertragung des Reichstagswahlrechts auf die Gemeindenwürde zur Folge haben, dass nur eine oder wenige Schichten derBevölkerung überhaupt noch in das Stadtparlament hinein-kommen. Es würden dieselben, ja oft noch heftigere Wahlkämpfewie bei der Reichstagswahl entbrennen, und dieselben un-erfreulichen Begleiterscheinungen zutage treten, dass die Gegnerverunglimpft werden und den Wählern das Blaue vomHimmel versprochen wird. Die unabweisbare Folge würde aberseius, dass die stärkste Partei alle Sitze besetzte und dadurch alleanderen Schichten und Kreise der Bevölkerung von der Mitarbeitausschlösse. Dieses Wahlrecht würde deshalb geradezu unsozialwirken, denn nach meiner Auffassung ist sozial doch nur das Wahl-recht, welches die Gesamtheit der Gesellschaft umsaht und alle, nichtnur bestimmte Kreise, in das Parlament bringt. Ein Ausschlussweiter Kreise von der Mitarbeit widersprichtder sozialen Gerechtigkeit.Herr Lentze wird nach diesen Anschauungen sicherlich wegender neuen preußischen Wahlrcchtsvorlage mit den Herren Beth-mann und Dallwitz nicht in ernstere Konflikte geraten. DieHomogenität ist gewahrt.Um so bezeichnender ist es, daß jetzt plötzlich die national-liberale Presse geneigt ist, alles, was sie anläßlich der Er-nennung der Dallwitz und Schorlemer über einseitiges konser-servatives Regiment und gewollte Brüskierung des Liberalismusgesagt hat, um des Dr. Lentze wegen zurückzunehmen.Die„Nationalliberale Korrespondenz", die vor etnigenTagennoch in grimmer Opposition gegen den blauschwarzen Kanzlermachte, ist mit einem Male zu der Erleuchtung gelangt, daßder Reichskanzler die schwere politische Gefahr, die darin(ittder Einseitigkeit der Zusammensetzung der Ministeriums) liegt,allmählich einsieht. Das beweise die Berufung des Ober-bürgermeisters Dr. Lentze zum Finanzminister. Und wörtlichfährt die Korrespondenz dann fort:„Es liegt uns selbstver-stündlich� fern, Herrn Dr. Lentze als nationalliberalenParteigänger anzusprechen, dazu sind wir nach keinerRichtung hin berechtigt, aber wir erkennen an, daß er einMann der mittleren Linie ist, und daß er aus einem Milienherkommt, das ein durchaus anderes ist als das sonst üblichedes konservativen höheren Verwaltungsbeamten."Diese Erleuchtung der offiziellen Parteikorrespondenz desNationalliberalismus ist indes nicht bloß das Ergebnis derNeubesetzung des Finanzministeriums. Tüchtig dazu mitgeholfen hat auch eine Aeußerung aus den Kreisen derrheinisdh-westfälischen Großindustriellen, die in der„Post"und„Magdeburger Zeitung" erschien. Darin erklären diesegewichtigen, für die nationalliberale Parteikasse sehr viel be-deutenden Herren, daß ihnen die vermeintliche Absicht einesgroßen Teils der Nationalliberalen, die Wahlkanwagne inder Opposition zu führen, durchaus nicht paßt. Undsofort lenkt die„Nationall. Korrespondenz", die erst voreinigen Tagen die geharnischte Absage an den Kanzler brachte,ein und sieht den Herrn v. Bethmann Hollweg dem deutschenLiberalismus den Konzessionsschulzen Dr. Lentze spendieren!Der bescheidene Liberalismus.In einem Teil der Presse macht sich das Bestreben bemerkbar,dem neuen Minister des Innern das Etikett des starrenReaktionärs abzulösen. Such eine Dessauer Zuschrift der»Magde-burger Zeitung" verfolgt diese Tendenz. Sie gerade zeigt jedochmit wünschenswerter Deutlichkeit, daß eS lediglich die bescheidenenAnsprüche deS Liberalismus sind, die eS erlauben, die dunkelblaueParteifärbung des Herrn v. D a l l w i tz für hellblau zu erklären.Die Zuschrift begründet nämlich ihr Urteil folgeudermassen:,... Herr v. Dallwitz war in erster Linie ein ganz vor-trefflicher Diplomat, der wohl wuhte, dass sich dem Liberalismusentgegensteminen gefährlich wird in dem Augenblicke, wo manvoraussehen kann, daß er grossen Anhang hinter sich bat. Insolchen Augenblicken, wo daS ganz besonders stark zutage trat,war Herr v. Dallwitz klug genug, durch kleine Zugeständnisse sichdem Liberalismus entgegenkommend zu zeigen...Also wenn er muhte, hat Herr v. Dallwitz dem Liberalismus„kleine Zugeständnisse" gemacht. Und also ist er kein strammerReaktionär. O du braver, geuügsamer deutscher Liberalismus lEine nationalliberale Kriegserklärung.Der sächsische nationalliberale ReichstagsabgeordneteDr. Weber veröffentlicht in der„Tägl. Rundschau" einenlangen Artikel gegen die U n t e r st ü tz u n g von Sozial»d e m o k r a t e n bei den Wahlen. Auf welch niedrigemNiveau dieser Hetzartikel steht, dafür nur ein Beispiel. HerrWeber schreibt:Wenn wir nach Frankreich oder nach Australien hin-überblicken, Ländern, in denen die Sozialdemokratie eineMachtentfaltung und eine Einwirkung auf die Regie-rung hat, wie in keinem andern Staat der Erde, so muss nichtallein aus politischer, sondern auch aus nationaler Erwägungheraus jeden Liberalen ein Grausen ergreifen, an der Kräftigungeiner Partei und ihrer Angehörigen mitzuwirken, die in Frank-reich eine Korruption ganzer Kreise deS Volkes und in Australieneine Versumpfung der Kultur herbeigeführt hat, wie sie schlimmerkaum Spanien unter seiner klerikalen Herrschaft aufweist."ferrn Weber einen Verleumder zu nennen, weil erozialdemokratie für die kapitalistische Korruption ver-antwortlich macht, wäre wahrscheinlich zu hart; derHerr Bankdirektor bezieht seine politische Bildung offen-bar ausschließlich aus der Reichsverbandskorrespondenz.Immerhin ist es erstaunlich, daß ein Reichstagsabgeordneternicht einmal weiß, daß in Frankreich die Sozialdemokratie inschärfster Opposition zur Regierung steht und einen ununter-brochenen Kampf gegen jede Art der Korruption führt, derenHauptträger in Frankreich wie anderswo die Kollegendes Herrn Weber von der baut« llnanco und der Geschäftspolitik— von Aufsichtsratspolitik sprach wohleinmal Graf O r i o l a?— noch stets gewesen sind.Auch könnte eigentlich Herr Weber wissen, daß inAustralien die Sozialdemokratie bis nun noch eine kleineund politisch einflußlose Gruppe ist, die Arbeiterpartei aber,die erst bei den letzten Wahlen zur Macht gelangt ist, nichtsozialdemokratisch ist. Die„Versumpfung der Kultur" istwohl in den Augen dieses Nationalliberalen der fort-geschrittene Stand der Sozialreform und des öffentlichenBildungswesens, was man sich zu merken haben wird.Das dumme Geschimpfe würde weiter keine Beachtungverdienen, wenn es nicht zeigte, daß die nationalliberalenFührer— und Herr Weber steht durchaus nicht auf den,rechten Flügel seiner Partei— entschlossen sind, bei denWahlen jeden schwarz- blauen Reaktionär der Sozialdemo-kratie,„dem größten Feind im Reiche", vorzuziehen. HerrWeber sagt:„Es ist grundfalsch, den Satz aufzustellen, daß einLiberaler im Falle einer Stichwahl gegenüber einemKonservativen einen Sozialdemokraten wählendürfe, ja müsse."Herr Weber fürchtet,„daß ein großer Teil der liberalenWähler, der sich einmal daran gewöhnt hat. mit Zustimmungder Führer''er Partei einen Sozialdemokraten zu wählenund einen solchen als den kleineren Feind gegenüber einembürgerlichen Kandidaten zu betrachten, für den Libera-lismus verloren ist."Mag fein. Aber wir sind sicher, daß diese Verluste durchdie Stichwahltaktik Herrtl Webers noch werden vergrößertwerden. Im übrigen hat die Kampfesansage— abgesehenvon der gehässigen Unanständigkeit, mit der sie erfolgt,— fürdie Sozialdemokratie wirklich nichts Ueberraschendes. Wirhaben Nationalliberale nie anders eingeschätzt. Uns»graust"schon lange._Die verheerende Finanzreform.Dem kürzlich erschienenen Berichte der Dresdener Han»delskammer ist folgendes über die schlimmen Folgen derReichsfinnnzreform zu entnehmen�„Durch die Reichsfinanzreform wurden zahl-reiche Gewerbezweige schwer beunruhigt und be-troffen. Zunächst wirkte die Unsicherheit über die Art und Höheder neuen Steuern aus die mit einer Belastung bedrohten Ge.Werbezweige lähmend. Die schließlich zur Annahmegelangten Steuersätze erwiesen sich als eineschwere, einseitige Belastung von Industrie,Handel und Verkehr. Im Handelskammerbezirk hattenbesonders die Brau- und Tabakindustrie, die Spi-ritus verbrauchenden Industrien, die Zündwaren-industrie und der Zwischen- und Kleinhandel, demdie Aufgabe zufiel, die mit den höheren Verbrauchsabgaben be-lasteten Waren abzusetzen, unter den neuen Steuern zu leiden.Vor dem Inkrafttreten der Steuern setzte eine ausserordentlichstarke Nachfrage ein, der trotz Anspannung aller Kräfte nichtgenügt werden konnte. Mit dem Tage des Inkrafttretens hörteaber vie Beschäftigung meist fast ganz auf, so dass sich allenthalbenBetriebseinschräniungen und Arbeiterentlaffungen nötig machten.Die Abnehmer hatten sich, soweit Nachversteuerung nicht inFrage kam, auf lange Zeit hinaus mit unversteuerter Ware ver-sorgt und hatten deshalb nur einen ganz geringen Bedarf. Obes endgültig gelingen wird, die Steuern auf die Verbraucherabzuwälzen, kann sich erst zeigen, wenn die betreffenden In»dustriezweig« wieder in einen regelmässigen Geschäftsgang eingetreten sind.Jedenfalls hat aber der Ucbergang in die neuen Steuerver»Hältnisse vielen Gewerbetreibenden und deren Arbeitern schwereund unerträgliche Verluste gebracht."Die Verfaffungsfrage im Reichsland.In der Sitzung des elsass-lothringischen Landes-auSschusses vom LS. Juni, auf deren Tagesordnung die An-träge Hauh(Zentrum) und Blumenthal(Demokratj-Labroise(Lothringer) über die Berfassungs- und Wahlrechtsreform standen, gab Unterstaatssekretär Dr. Petri folgende Er-klärung ab:„Der Antrag Hauss und der zweite Teil des Antrage?Blumenthal-Labroise beanspruchen für den LandeSausschuh eineEinwirkung aus die Gestaltung von Gesetzen, die ausschliesslich derverfassungsmässigen Zuständigkeit der gesetzgebenden Faktoren desReiches vorbehalten sind. Die Regierung erachtet eS als unVerein-bar mit der gegebenen Rechtslage, sich an ihrer Beratung zu be-teiligen. Sollte der auf das Wahlrecht bezügliche Teil des An-träges Blumenthal-Labroise etwa besonders zum Beschluh erhobenwerden, so würde die Regierung dem Herrn Reichskanzler diesenBeschluh in gleicher Weise übermitteln, wie den am 24. Februargefaßten Beschlutz über das Wahlrecht mit proportionellem Wahl-verfahren."— Darauf verliehen die Vertreter der Regierung denSaal. Der LandeSausschuh hat dann nach längerer Debatte, in derdies« Erklärung und das Verschwinden der Regierung allgemein ver-urteilt wurde, in namentlicher Abstimmung den Antrag Hauss.die Regierung möge daraus hinwirken, dass der Verfassungsentwurserst dem Landesausschusse vorgelegt werde, bevor er an den Reichs»tag gehe, mit 57 gegen S Stimmen und den zweiten Teil de» An-träges Blumenthal-Labroise aus Einftihrung des allge-meinen, geheimen Wahlrechts mit 33 gegen 4 Stimmen angenommen. Nachdem darauf die Reg»erungSvertreter den Saalwieder betreten hatten, verlas Nnterstaatssekretär Petri dieKaiserliche Botschaft, wodurch die Tagung geschlossen wird.Ein Dementi. Die„Nordd. Lllg. Ztg." erklärt zu der auch vonuns wiedergegebenen Meldung der„Frankfurter Zeitung", diepreußische Regierung hätte eine vom Grossherzog von Baden be-absichtigte Verwahrung beim Vatikan gegen die Borromäu»- Enzy-klika hintertrieben, die evangelischen Fürsten hätten sich dem WunschePreussenS um des liehen Friedens willen gefügt, dass an diesenBehauptungen kein wahres Wort fei.Hm I Es ist bemerkenswert, dass die Nachricht überall Glaubengefunden hat l_Ocfterrdcb-Cliicjani.Die slowenische Obstruktion.Wien, 50. Juni. Zu Beginn der heutigen Sitzung des Budget»a U S s ch u sse S riefen die Slowenen Dr. K o r o f« e undG o st i n c a r eine längere Debatte über das Protokoll der letztenSitzung hervor, wobei eS zu andauernden erregten Lärm-s z e n e u kam. Ein Antrag des tschechischen Agrariers S t a n e k aufSchluss der Sitzung wurde abgelehnt. Nach Eintritt in dieTagesordnung, auf der die Errichtung einer italienischenRechtsfakultät stand, trat der Unterrichtsminister GrafS t ü r g k h den gegen die Regierungsvorlage geäusserten Bedenkenentgegen._Der neue Präsident.Budapest, 50. Juni. DaS Abgeordnetenhaus wählte AlbertBerzeviczh, den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften,zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses.fVanbreicb.BriandS Sieg.Paris, 29. Juni.(Eig. Ber.) Die ebenso langwierige.wie im großen und ganzen unbeträchtliche Debatte über dieRegierungserklärung hat mit einer politischen Sensation erstenRanges geendet: mit dem Selbstmord der radikalen Demokratie.Die Meisterschaft BriandS in allen parlamentarischen Schach-zügen hat sich wiederum bewährt. Die von ihm nach denfür die Radikalsozialisten so unglücklichen Wahlen mit größererDeutlichkeit fortgesetzte Politik der bürgerlichen Konzentrationmußte einen Gegenstoß der Combisten hervorrufen. Briand hatihn schon jetzt provoziert, da die Abneigung gegen eine Sommer»krise und die Unklarheit vieler neugewählter Deputterten dieBürgschaften seines Sieges verstärkten. Die Radikalen ließensich auf das für sie so ungünstige Kampffeld locken. AmMontag forderte sie Briand mit einer Erklärung heraus, dienur in ihrer Verurteilung der radikalen Regicrungsmethodenunzweideutig war. Am Dienstag verlangte Berteaux.der sonst sehr geschickte Führer der Radikalsozialisten, Genug»tuung, aber Briand verweigerte sie glatt weg. Denn geradedas war die Situation, in die er die radikalen Räsonneurehatte bringen wollen. Die Mehrheit war der Regierung sicherund die Aufrechterhaltung der Oppositton mußte die äußersteLinke in die Gefahr bringen, daß die neue Mehrheit ohne ihreTeilnahme i formiert wurde. Aber die wenigsten Radikalensind, nach einem Jahrzehnt des Machtgenuffes, geneigt, wiederdas bittere Brot der Opposition zu essen. So waren dieRadikalsozialisten auf der Suche nach einem Auswege in eineSackgasse geraten. Berteaux sollte den seltsamen Widerspruchvertreten, baß sie der Regierung daS Vertrauen bewilligten,