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Abg. Langhammer a b und erklärte sich mit seinem Verhalten boll­kommen einverstanden. Da die LandtagSfraktion den ent- gegengesetzten Standpunkt eingenommen hat. scheint ein Konflikt unvermeidlich._ Ein Zwangsenteignnngsgcsetz. München  , 1. Juli!(Eig. Ber.) Schon jahrelang fordern die groszen Städte Bayerns   ein Gesetz, daS ihnen eine Handhabe gibt, bei der Durchführung ihrer Be­bauungspläne den Widerstand der Grundeigentümer zu breche». Bisher war es absolut unmöglich, auf dem Weg der Enteignung die Durchführung einer geplanten Straße oder die Anlegung eines öfsent» lichen Platzes zu erzwingen. Die Regierung hat nun ein Notgesetz vorgelegt, das haupisäch- lich durch den Ausbau der Wasserkräfte veranlaßt ist. bei dem vor- aussichtlich das ZwangSenteignungsverfahren in größerem Maßstäbe notwendig werden wird. In dem Gesetzentwurf war auch den Ge- meinden daS Recht gegeben, behufs Durchsührung von Straßen das Enteignungsverfahren einzuleiten. Die Kammer der Reichsräte hat nun diese für die Städte so außerordentlich wichtige Bestimmung einfach herausgestrichen. Als die patentierten Wächter des Privat- eigentnms sehen sie in dem Enteigungsrecht eine Vorstufe für die Konfiskation des Eigentum». In den Verhandlungen des Plenums machte unser Parteigenosse S ä ck l e r durch Stellung eines Antrages den Versuch, den Ge- nreinden jenes Recht gesetzlich zu sichern. Der Minister stellte sich prinzipiell auf den Standtpunkt unseres Genossen, verzichtete aber im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes auf den Artikel zu- gunsten der Gemeinden. Der Antrag Säcklcr wird sodann abgelehnt durch die Mehrheit des Zentrums gegen die Sozialdemokraten, Libe- ralen und Bauernbündler und sodann daS ganze Notgesetz einstimmig angenommen._ franhmcb. Pressensä in günstiger Stichwahl. Paris  , 4. Juli. Bei der für den verstorbenen sozialistischen  Deputierten C h a u v i ö r e im 15. Pariser   Bezirk stattgehabten Ersatzwahl erhielt de Pressensö(geein. Soz.) 4815, d'Aramon(Kons.) 4072 und Chörioux(soz.-rad.) 3460 Stimmen. Es ist Stichwahl erforderlich. Da derRadikalsozialist jedenfalls zu Gunsten P r e s s e n sos zurücktreten wird, um die Wahl des Konservativen zu ver- hindern, so darf man sicher erwarten, daß Genosse P r e s s e n s 6, der ausgezeichnete Kenner der auswärtigen Politik, dessen Niederlage bei der letzten Wahl von der Partei sehr schmerz- lich empfunden worden war, bald wieder der Kammer ange- hören wird. ßelgien. Ein Streich des UnterrichtSministerS. Brüssel  , 30. Juni.  (Eig. Ber.) Die.Freiheit des Unterrichts* ist die größte Sorge der Klerikalen auf dem Schulgebiet. Mit diesem Schlagwort argumentieren sie auch gegen die obligatorische Schul- Pflicht, von deren Durchsetzung sie eine starke Beeinträchtigung des klerikalen Unterrichts befürchten. Den Familienvätern, sagen die Klerikalen, mutz die Freiheit garantiert und die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kinder in klerikale llnterri'chtsanstalten zu schicken. Damit eS an diesen nicht mangele, hat ja der klerikale Minister DeScampS den Klöstern Heuer daS Millionengefchenk gemacht, das, so weit es nicht für die Wahlen perwendet wurde, der Klerikalisierung des Unterrichts dienen wird. Wie der Unterrichtsminister die.Freiheit* des Unterrichts auffaßt, hat er dieser Tage mit aller Deutlichkeit gezeigt. Die Unterrichtsanstalteul im Heimegau, dessen vorzügliche Fach- schulen insbesondere rühmlichst bekannt sind, find den Klerikalen ein Dorn im Auge. Die Provinz Hennegau   hat die größten Opfer gebracht, um die verschiedensten Zweige des Unterrichts auszubauen und im modernsten Sinn zu vervollkommnen. In den Augen der Klerikalen haftet ihnen aber ein.schwerer Fehler an: sie sind nicht klerikal. Nicht klerikal heißt aber bei der Regierung religionöfeindlich, atheistisch, gegen die bestehenden Gesetze ver- stoßend. In der Tat auch dieses letzterei Denn der Herr Minister hat dieser Tage die Behörden der Provinz Hennegau   verständigt, daß er den dortigenLcole» normales"(Lehrerbildungsanstalten) nicht daS Recht zuerkennen kann, Diplome aus« zustellen! Er erklärt daS Programm dieser Anstalten für anfechtbar, ihre Ziele für nicht vereinbat mit den gesetzlichen Vorschriften. Ueberflüssig zu sagen, daß diese wie alle Lehranstalten der Provinz keine anderenZiele* als pädagogische und rein wissenschaftliche verfolgen, die ihnen reiche Anerkennung aller Nichtklerikalen eingetragen haben. Was das Pro- gramm der vom Minister mit dem Bann belegten Anstalten betrifft, so haben die betreffenden Behörden seit vier Jahren vergebens Herrn DeScampS um die Angabe der Punkte ersucht, die er als im Gegen- satze mit den gesetzlichen Bestimmungen bezeichnen könnte. Die Wahrheit ist, daß die klerikale Regierung nur Lehrer will, die aus ihren klerikalen Lehrerbildungsanstalten hervorgehen. In der Tat sind außer den Lehrer- bildungsan st alten des Hennegau   und jener Brüssels   alle anderen in Belgien   klerikalisiert- Der letzte Streich der Regierung ist nur ein neuer Vorstoß gegen den ver- haßten.öffentlichen Unterricht* und entspricht nur dem Schulprogramm der Klerikalen, allem, was der Vcrpfaffung auf dem Schulgebiete entgegensteht, entgegenzuarbeiten, das verlorene UnterrichtSmouopol wieder zurück zu erobern. Herr DeScampS verweigert muster- gültigen Anstalten daS OeffentlichkeitSrecht, während er unterschied?- los allen Lehrerbildungsanstalten für den höheren und den Volks- schulunterricht, allen Fach- und Industrieschulen, allen Akademien, die unter dem Schutz des Klerus und der Kongregationen stehen, das Recht zuerkennt, unter einer bequemen Kontrolle Diplome aus- zustellen! Das Programm und die Ziele dieser Schulen ent- sprechen eben, wie der Minister sagt, dem Geist deS Gesetzes. Italien  . Die Gemeindewahlcn in Rom  . Rom  , 4. Juli. Bei den gestern stattgefundenqn G e- m e i n d e w a h l e i: siegte die Liste derVolksparteien" mit großer Majorität. Die Volksschule. Rom  , 2. Juli. Die Deputiertenkammer sehte in der heutigen Sitzung die am Dienstag begonnene Beratung des Gesetz- entwurfs betreffend den Elementarunterricht fort, der bezweckt, durch Hebung der Elementarschule, durch Verstärkung der Staatsau sticht und Erhöhung der Lehrergehälter das Analpha- b e t e n t u m energisch zu bekämpfen. In der bisherigen Debatte war von katholischen Deputierten die Ansicht verfochten worden, daß einige Bestimmungen des Gesetzentwurfs die Autonomie der Gemeinden beeinträchtigten, denen man volle Freiheit lassen müsse, da sie von selbst und zufriedenstellend für den Elementarunterricht Sorge trügen. Von den Deputierten der äußer st en Linken war dieser Standpunkt lebhaft bekämpft worden. Im Laufe der heutigen Debatte erklärte Unterrichts- minister C r e d a r o, die Regierung sei geneigt, bei der Einzel- beralung der Artikel gewisse Abänderungen einzuführen. Ministerpräsident L u z z a t t i führte aus, es sei«ine Ehren- Pflicht der Kammer, die Diskussion der Artikel zu Eude zu bringen. ES seien zwar 1600 Petitionen eingebracht worden, die gegen den Gesetz'enltvurf als einen Angriff auf die Fr ei hei! SiS Ge­wissens und deS Unterrichts und die Autonomie der Gemeinden protestieren, aber er glaube der Mehrheit der Kammer sicher zu sein, wenn er diese Proteste zurückweise, wobei er von der Voraus- setzung ausgehe, daß ihre Urheber in ihrem guten Glauben getäuscht seien. Das Gesetz werde nach seiner Ansicht genügen, das Anal- phabctentum zu beseitigen. Wenn nicht, werde er sicher- lich nicht zögern, radikalere Maßnahmen zu ergreifen. Die Kammer nahm hierauf in namentlicher Abstimmung mit 374 gegen 21 Stimmen die vom Ministerpräsidenten vorgeschlagene Tagesordnung an und ging zur Einzclberatung der Artikel über, Spanien  . Antiklerikale Knndgebungeu. Madrid  , 3. Juli. Heute nachmittag fand hier eine von den Republikanern und Sozialisten veranstaltete antiklerikale Demonstration statt, an der sich eine gewaltige Menschenmenge, darunter auch Frauen aus allen Klassen der Gesellschaft, beteiligte. An der Spitze des Zuges, der zwei Kilometer lang war, schritten alle libe- ralen, republikanischen und sozialistischen Parteiführer, unter ihnen Moret, Periz Galdos, Sol y Ortiga, Azcarate u. a. Auch aus der Provinz werden zahlreiche ähnliche Kund- gedungen gemeldet._ Ein Zusammenstoß. Sevilla  , 4. Juli. Nach Auflösung einer antiklerikalen Versammlung zog eine Gruppe von Demonstranten an dem konservativen Klub vorüber und stieß vor diesem Rufe gegen M a u r a auL. Es kam zu eincnl Zusammenstoß zwischen den Konservativen und den Radikalen, welcher die Polizei veranlaßt?, einzuschreiten und mehrere Ver- hastungen vorzunehmen. Cnglsnck. Die Budgetdebatte. London  , 4. Juli. Unterhaus. In der Beratung über das Budget besprach Austen Ehamberlain die Pläne Lloyd Georges betreffend die Möglichkeit der Einführung der A r. beitslosen- und Altersversicherung und erklärte, es sei unvorsichtig, Hoffnungen zu hegen, die sich auf die Flotten» Politik einer anderen Machl gründeten. Die Baurate, loelche in dem ursprünglchen deutschen   Bauplan vorgesehen sei, solle in bezug auf die großen Schiffe im Jahre 1912 um die Hälfte verringert werden, wenn die Lage unverändert bleiben würde. Aber glaube Lloyd George   wohl, daß die Lage in der Tat unverändert bleiben würde; glaube er, daß Deutschland  , nachdem es einmal diesen Pfad betreten habe, zufrieden sein werde mit seinem jahrealten Plan? Jedenfalls halte es Lloyd George   für richtig. staatS- männisch oder klug, den Leuten zu sagen, daß, wenn sie die soziale Reform wollten, sie die nationale Verteidigung auf- geben müßten. 4 Schweden  , Die Militaristen unter sich. Stockholm  , 2. Juli.  (Eig. Ber.) Als im Herbst 1007 die Re- gierung das VerteidigungSkomitee ernannte, das, wie der Staats- minister sagte, die LandcSvertetdigungsfrage besonders mit Rück- ficht auf die ökonomische Tragkraft des Landes untersuchen sollte, forderte sie auch unseren Parteigenossen Branting   auf. dem Komitee beizutreten, was dieser jedoch ablehnte. ES war voraus- zusehen, daß das Ergebnis der Komiteearbeiten eine weitere Steige­rung der Militärlasten sein werde, und dafür wollte die Sozial- demokratie in keiner Weise irgend welche Verantwortung über- nehmen und auch den Schein vermeiden, als ob sie daran teil hätte. Inzwischen hat es sich gezeigt, daß das Komitee nicht das mindeste getan hat, um die ökonomische Tragfähigkeit des Landes zu prüfen, sondern sich in seiner Mehrheit ohne weiteres den Milllonenprojekten der Regierung zur Anschaffung neuer Panzer- schiffe und zum Bau einer neuen Flottenstation anschloß. Die liberalen Mitglieder im Komitee bekämpften diese Art der Lösung der vorliegenden Aufgaben, drangen aber damit nicht durch und hatten auch bei der Regierung keinen Erfolg, als sie im Reichstag  den Staatsminister an die Worte erinnerten, mit denen er vor drei Jahren dem Komitee seine Aufgabe vorschrieb. Nun haben die liberalen Komiteemitglieder ihre Aemter niedergelegt. Die Militaristen sind nun also in dem Komitee ganz unter sich. Wie es heißt, will der Staatsminister Lurdman mit seiner ganzen Person für seine militaristischen Pläne eintreten.. Nach dem AuS- tritt der Liberalen aus dem Komitee darf man annehmen, daß er eine Niederlage dabei erleiden wird. Auch in den liberalen Kreisen des Bürgertums bricht sich immer mehr die Auffassung der Sozial- demokratie Bahn, daß Schweden   durch die grenzenlosen Rüstungen schließlich dahin kommen muß. ein befestigtes Armenhaus zu werden. ßiilUand. Die Sanktion des Zaren. Petersburg, 4. Juli. Der Kaiser hat daS von der Reichsduma und dem ReichSrat angenommene Finnland  - gefetz bestätigt._ Hus der Partei. Parteiliteratur. Die Erhöhung der Zivilliste. Die Reden der beiden sozialdemokratischen Vertreter im preußischen Abgeordnetenhause Adolf Hoffmann   und Paul Hirsch  , die diese bei den Verhandlungen über die Erhöhung der Zivilliste des Königs gehalten haben, sind als Brosch41re er- schienen. Die Kritik unserer Genossen an diesem wenig zeitgdmätzen Gesetzentwurs hat weit über die Kreise unserer Parteigenossen ein zustimmendes Echo gefunden. Bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern werden namentlich die Ausführungen des Genossen Hirsch Interesse erwecken, in denen er die Entstellungen des Ministers zurückwies und dessen vollständige Unkenntnis der gewerkschaftlichen Bestrebungen der Arbeiterklasse darlegte. Die Broschüre ist im Parteiverlage Buchhandlung Vorwärts, Berlin   SW. 68, erschienen und kann durch alle Parteibuchhand. lungen und Kolporteure bezogen werden. Der Preis ist 16 Pf. O Bon der Lieferungsausgabe: Bebel, Aus meine« Leven, ist soeben Heft 6 und 7 zur Ausgabe gelangt Mit dieser Ausgabe ist ein in weiten Kreisen vielfach geäußerter Wunsch in Erfüllung gegangen. Der Preis der alle 3 Tage von der Firma Paul Singer in Stuttgart   herausgegebenen Hefte beträgt 10 Pf. ©ämtliche Partei- sowie sonstige Buchhandlungen und Kolpor- teure übernehmen die Auslieferung. In die Redaktion desGothaer BolkSblatteS" tritt am 1. August Genosse Bruno Kühn   als zweiter Redakteur ein. Genosse Kühn war seit mehreren Jahren an der Parteipresse tätig. desgleichen wirkte er für den Holzarbeitcrverband. PoUreilledes, Serievtlickea ulw, Die Justiz gegen die Arbeiterpresse. Nicht weniger als achtzehn Gerichtsurteile wurden im Monat Juni gegen Redakteure der Arbeiterpresse gesprochen, gegen 13 im Mai und 6 im April d.J.  , im letzten Bierteljahr zusammen also 36 Preßprozesse! Eine so riesig« Zahl Prozesse gegen die freie Presse dürft« noch nicht dagewesen sein w normalen Zeiten. Man ersieht daraus wieder, wie die sozial- demokratischen Zeitungenmit allen zu Gebote stehenden Mitteln* bekänrpft tvcrden. Der Juni ergab an Bc- strafungen 7 Monate 3 Wochen Gefängnis und 4930 M. Geld- strafe. Die drei Monate zusammen: 2 Jahre, 4 Monate, 2 Wochen Gefängnis und 7755 Mark Geldstrafe» l Drei freisprechcude Urteile kommen außer Betracht. Beteiligt ist ein Gewerkschaftsblatt, die ..Bergarbeiterzeitung*, wegen Beleidigung von Direktoren des Bochumer   KnappschaftSvereinS mit 1000 M., in allen anderen Fällen handelt eS sich um Parteiblätter. Es entgeht fast keines seinem Schicksal. Die niedrigste Strafe, die verhängt wurde, betrug 100 Mark, die höchste 6 Monate Gefängnis. Strafkonto der Presse. Der Beleidigung des Essener Ober' bürgcrmeifters angeklagt stand am Freitag Genosse Steinbüchel von der EssenerArbeiterzeitung". Unser Parteiblatt hatte das unerhörte Vorkommnis kritisiert, daß dem sozialdemo- kratischen Stadtverordneten Genossen Hohage im Essener Stadt- verordnetenkollegium keinerlei Antwort gegeben wurde, als er den Oberbürgermeister interpellierte, weshalb dem BildungSauSschuß der Essener Arbeiterschaft der städtische Saalbau für ein Konzert ver- weigert worden. Der Staatsanwalt fand die Kritik über alles Matz hinausgehend und unflätig und beantragte zwei Monate G e f ä n g u i s I Das Gericht erkannte an, daß Genosse Steinbüchel. der Vorsitzender des Bildungsausschusses ist. berechtigte Interessen gewahrt habe, erkannte ihn aber wegen einigerzu scharfer Aus- drücke" der formalen Beleidigung schuldig und diktierte ihm eine Geldstrafe von 100 Mark. Vom Schöffengericht zu Eisleben   wurde Genosse Leopolbt vomVolksblatt für Halle* wegen Be- leidigung eines SchieferwiegerS zu 160 Mark Geldstrafe verurteilt._ Bus der Reicljsvertichcriingsordnungs- Kommission. Sitzung am Montag, den 4. Juli 1910. Zunächst wurde der Abschnitt über K a s s e n v e r b ä n d e er- ledigt. Für den Verband ist eine Satzung durch übereinstimmenden Beschluß der beteiligten Kassenausschüsse zu errichten. Die Satzung muß aber nach der Vorlage vom Oberversicherungsamt genehmigt werden. Auf Antrag der Sozialdemokraten wurde der Zu- sah hinzugefügt, daß die Genehmigung nur versagt werden darf, wenn die Satzung den gesetzlichen Vorschriften nicht genügt, und daß die Gründe mitzuteilen sind. Jede Kasse kann mit dem Schlüsse des Geschäftsjahrs aus dem Kasscnverband ausscheiden, wenn sie es spätestens sechs Monate zu. vor bei dem Vorstande beantragt hat. Hierzu wurde auf Antrag der Sozialdemokraten beschlossen, daß die ausgeschiedene Kasse auf die Dauer von 2 Jahren für die eingegangenen Ber» pflichtungen des Kassenverbandes haftbar bleibt. Bei Ausscheiden einer Kasse oder Auflösung des Verbandes soll von dem Reinvermögen des Verbandes jede ausscheidende Kasse den Anteil erhalten, der für das letzte Geschäftsjahr dem Ver. hältnis ihrer Beiträge zu deu Gesamtbeiträgcn an den Verband entspricht. Ergibt sich ein Fehlbetrag, so hat jede ausscheidende Kasse nach demselben Verhältnis zuzuschießen. Die Sozial. demokraten wiesen darauf hin. daß sehr leicht in dem letzten Jahre vor dem Ausscheiden eine sehr beträchtliche Veränderung des Mitgliederbestandes und demgemäß auch der Beiträge eintritt und dann die Verteilung nach dem Verhältnis des letzten Jahres zu großen Ungerechtigkeiten führen würde. Sie beantragten daher, daß die Beiträge nicht allein im letzten Jahre, sondern in den zwei letzten Jahren maßgebend sein sollen. Der Antrag wurde angenommen. Endlich wurde wiederum auf Antrag der Sozialdemo» kraten zu dem Abschnitt noch die Bestimmung hinzugefügt: Krankenkassen können durch Beschluß ihrer Ausschüsse solche Kassen. Vereinigungen bilden oder ihnen beitreten, die den allgemeinen Zwecken und Zielen der Krankenhilfe dienen. Durch diese Be. stimmungen ist das Weiterbestehen der freien Kassenvereinigungen gesichert worden. Hierauf begann die Debatte über das Verhältnis der Krankenkassen zu den Aerzten. Abgeordneter Dr. M u g d a n trat dafür ein, daß die Kassen verpflichtet werden sollen, die freie Arztwahl durchzuführen, und daß ein Kassenarzt nur in besonderen Fällen angestellt iverden darf. Ob ein besonderer Fall vorliegt, soll die durch 4 ärztliche Beisitzer verstärkte Spruchkammer des Lberversicherungsamtö entscheiden. Auf der anderen Seite standen die Sozialdemokraten, die unbedingt den Kassen selbst die Entscheidung darüber überlassen wollen, welches Arztsystem sie durchführen. Die Frage des Arzt» systems sei für uns keine Parteifrage. So viel stehe aber fest, daß sich in einigen Bezirken das freie Arztwahlsystem bewährt, daß es dagegen in anderen Bezirken zu großen Schwierigkeiten geführt habe. Daher ist hier ein allgemeiner Zwang nicht angebracht. Der einzige gangbare Weg sei dein daß Instanzen zur Verständigung ge> schaffen werden, und die Kassen, falls keine Verständigung zustande kommt, nicht mehr wehrlos den Aerzten ausgeliefert werden. Ent» scheidend müsse unter allen Umständen die Rücksicht auf eine mög- lichst gute ärztliche Hilfe sein. Deshalb seien wir gegen jedes auf- gezwungene Aerztesystem. Ter nationalliberale Abgeordnete Hausmann erklärte sich gegen die freie Arztwahl, weil der Leipziger   Verband der Aerztc. der die Kassen unter seine Knute bringen wolle, zu weit gegangen sei. Er will aber das Kassenarztsystem durch die Bestimmung ab- schwächen: Hat eine Kasse mehr als 1000 Mitglieder, so ist den Mitgliedern für jedes angefangene weitere halbe Tausend ein fernerer Arzt zur freien Wtahl zur Verfügung zu stellen, soweit die örtlichen Verhältnisse es gestatten. DaS Zentrum wußte wieder keinen besseren Ausweg als zu der Weisheit der Aufsichtsbehörde Zuflucht zu nehmen. ES be» antragte: Kassenärzte sollen nur mit Genehmigung des Oberver» sicherungsamtcs(Beschlußkammer) angestellt werden. Das Ober» versicherungsamt darf seine Genehmigung zur Anstellung eines Kassenarztes nur dann geben, wenn ein allgemeiner Arztvertrag nicht unter angemessenen Bedingungen, insbesondere nicht ohne Gefährdung der Leistungsfähigkeit der Kasse oder ohne Schädigung berechtigter, durch Vertrag anerkannter Interessen angestellter Kassenärzte zu erreichen ist. Die Regierungsvertreter versicherten, daß die Vor» läge, die beide Systeme zulassen will, die beste Möglichkeit für eine segensreiche EntWickelung des Verhältnisses zwischen den Kassen und den Aerzten biete. Der Vertreter der württembergischen Regierung legte ausführlich dar, daß schon unter den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen in Württemberg sich ein ganz gutes Ver» hältnis zwischen den Krankenkassen und den Aerzten herausbilde. Freilich könne auch hier nicht von einer absolut freien Arztwahl die Red« sein. Auch er kam zu dem Schluß, daß die Bestimmungen der Regierungsvorlage eine weitere günstige Entwickelung zulassen. Am entschiedensten sprach sich Graf v. Westarp gegen die Ansprüche des Leipziger Verbandes aus. Auf dem Lande sei die freie Arztwahl ganz undurchführbar. Außerdem trete der Leipziger Verband so gegen die Kassen aus. daß diese oft genug in bezug auf die Regelung des ärztlichen Dienstes gar nichts mehr zu sagen haben. Und dann erst die Drohung mit dem allgemeinen Streik gegen das neue Gesetz. Hiergegen müsse die Gesetzgebung sich auf» schärfste wenden. Vielleicht sei es notwendig, den§ 153 der Ge» werbcordnung. der den Mißbrauch der Koalitionsfreiheit mit Strafe bedroht, auf die Aerzte auszudehnen. Unter allen Umständen müßten aber die arbeitswilligen Aerzte besser geschützt werden, al» in der Vorlage vorgeschlagen worden sei. Schkießlich mußte die Debatte abgebrochen werden. Morgen Fortsetzung.