In den WahlrechtSkämpfen Westeuropas wurde aver Visher daS ökonomische und das politische Moment streng geschieden. Nehmen wir an, die Bergarbeiter streikten, um auf die Re- gierung und den Landtag wegen des Wahlrechts und gleichzeitig auf die Zechenherren wegen der Verkürzung der Arbeitszeit einen Druck zu üben. In welcher Weise könnte die eine dieser Bewegungen die andere fördern? Die Grubenbesitzer würden doch, wenn der Streik sie bedrängt, nur zu dem Zweck nachgeben, die Arbeiter wieder zur Arbeit zurückzuführen. Wenn aber diese weiterstreiken wollen, bis das Wahlrecht reformiert ist, welchen Zweck hätte es, ihre ökonomischen Forderungen zu bewilligen? Oder aber, die Grubenherren geben nach, bewilligen den Arbeitern ihre ökonomischen Forderungen unter der Bedingung, daß sie die Arbeit sofort wieder aufnehmen. Das ist der Fall, den die Genossin Luxemburg im Auge hat: die Kohleumagnaten würden sich gezwungen sehen,„durch Konzessionen die Berg- arbeiter zu befriedigen und von der politischen Stutniflut zu isolieren*. Die Verquickung des allen Arbeitern gemeinsamen politischen Kampfziels mit besonderen, für verschiedene Arbeitszweige ver- schiedenen gewerkschaftlichen Zielen böte also ein Mittel, die einzelnen Arbeiterschichten von einander zu isolieren. Wie dadurch der Mastenstreik als Mittel des Wahlrechtskampfes gestärkt werden soll, ist mir nicht ganz klar. Anderseits aber geht eS nicht an. sich für die gegen- wärtige Situation in Preußen auf das Vorbild anderer Länder zu berufen. Genossin Luxemburg schreibt: Ss gilt, zu entscheiden, ob die deutsche Sozialdemokratie, die sich auf die stärksten Gewerkschaftsorganisationen und das größte Heer der Wähler in der Welt stützt, eine Mastenaktion zustande bringen kann, die im kleinen Belgien , in Italien , in Oesterreich-Ungarn , in Schweden — von Rußland gar nicht zu sprechen— in verschiedenen Zeiten mit großem Erfolg zustande gebracht worden ist. WaS Oesterreich in diesem Zusammenhang zu tun hat, weiß ich nicht. Dort ist es zum Massenstreik im Wahlrechtskampf über- Haupt nicht gekommen. Wohl hätten dort die Straßendemonstrationen schließlich den Kampf nicht entschieden; ohne die Unruhen in Ungarn und die russische Revolution wäre der Massenstreik wahrscheinlich auch in Oesterreich unerläßlich geworden.... Aber auf keinen Fall beweist das österreichische Beiipiel, daß die rasche Steigerung der Be- wegung von der Sttaßendemonstration zum Massenstreik binnen wenigen Monaten, ja Wochen unter allen Umständen ein Gebot der inneren Logik einer modernen Mastenaktton des Prole- tariats sei. Was daS russische Beispiel anbelangt, so vollzog sich dort... der erste erfolgreiche Mastenstreik unter Bedingungen, wie sie heute in Preußen nicht bestehen: ein Krieg schmählich verloren, die Armee desorganisiert, alle Klasten der Bevölkerung voll Haß und Verachtung gegen die Regierung. Hier war der Massenstreik der letzte Stoß, der ein wankendes Regime zum Fallen brachte... Nach einem Hinweis, daß die übrigen Massenstreiks, die Genossin Luxemburg anführt, ökonomischen Kämpfen entsprangen, mit Aus- nähme des Streiks in Belgien , besten Kleinheit dabei von Vorteil war, folgert Kantsky: „Der Blick ins Ausland nützt uns demnach nichts. Wir müssen unsere Taktik aus den Bedingungen der heutigen Situation in Preußen selbst entwickeln.* Im Teil II setzt Kautsky auseinander, daß, wie die Kriegs- Wissenschaft die NiederwerfungS- und die ErmattungS« strategie unterscheidet— �die erstere sucht dem Feind entscheidende Stöße zu versetzen, um ihn niederzuwerfen und kampfunfähig zu machen, die zweite, die der römische Feldherr Fabius Cunctator (der Zauderer) gegen Hannibal übte, besteht in der Vermeidung zu- nächst jeder entscheidenden Schlacht; die gegnerische Armee wrrd durch Manöver aller Art stets in Atem gehauen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihre Truppen durch Siege anzufeuern, so daß ewige Ermüdung und Bedrohung sie allmählich aufteiben und ihre Widerstandskraft immer mehr herabdrücken und lähmen— so auch in der Taktik der revolutionären Klassen sich beide Arten der Strategie erkennen lasten. Die Niederwerfungsstrategie war die Taktik der revolutionären Klassen in der französischen Revolution. Sie hat vorgeherrscht bis zur Pariser Kommune , die da zeigte, daß die Bedingungen, unter denen sie siegverheißend war. vorläufig vorüber seien. Damals wurden die Grundlagen gelegt für die neue Strategie der reboluttonären Klasse, die Engels schließlich in seinem Vorwort zu den Marxschen„Klassen- kämpfen in Frankreich * fornmlierte. Für sie mußte allerdings auch der Boden geschaffen werden durch das allgemeine Wahlrecht, das Koalitionsrecht, die Preß- und die Versammlungsfreiheit. Ehe die revolutionäre Klaffe diesen Kampfboden nicht hatte, konnte es nur durch die Niederwerfungsstrategie, durch den revöluttonären Ausstand Erfolge erringen. Die deutsche Sozialdemokratie hat die Ermattungsstrategie bisher glänzend durchgeführt. Im Massenstreik befitzt sie das Mittel, die Ermattungsstrategie in die Niederwerfungsstrategie zu überführen, für den Fall, daß die Gegner, durch das unaufhalssame Wirken unserer Ermattungsstrategie zur Verzweiflung gebracht, eines schönen Tages einen Gewaltstreich versuchten, um die Sozialdemokratie von ihrer Basis iWahlrecht, Koalitionsrecht usw.) abzuschneiden. Dann fährt Kautsky fort: „Wohlgemerkt, es handelt sich nicht darum, zu untersuchen, welche Aussichten ein Mastenstreik haben mag, den irgend ein plötzliches Ereignis, sagen wir ein Blutbad nach einer Straßen- demonstration, ganz spontan ohne unser Zutun herbeiführt. Darüber sich den Kopf zu zerbrechen, wäre zwecklos, weil wir über die Bedingungen eines derartigen Ereignisses nichts wissen, darauf auch gar keinen Einfluß haben. Was hier zur Erörterung steht, ist die Frage, ob unsere Ermattungsstrategie nicht länger mehr am Platze rst; ob die Situation sich so geändert hat, daß die Nieder- werfungsstrategie bessere Erfolge verspricht, oder ob gar die erstere Strategie unmöglich wird, ob sie bei längerer Fortdauer zur De- moralisierung der eigenen Reihen führen muß; ob, um diese zu- sammenzuhalten und mit KampfeSmut und Zuversicht zu erfüllen, die Einleitung einer neuen Taktik unerläßlich ist, die wir, unter Uebertragung eines militärischen Begriffs in die Welt der Politik, als die der Niederwerfung bezeichnet haben, als Taktik der Nieder- werfung des Widerstands der Gegner des gleichen Wahlrechts durch einen gewaltigen Stoß. Die erste Frage, die wir da zu erörtern haben, geht dahin: Ist unsere Situation wirklich eine solche, daß uns nur die Wahl bleibt zwischen Massenstreik oder Zusammenbruch der Massen- aktion?* In der Beantwortung dieser Frage führt Kautsky im dritten Teil seines Artikels aus: „Als der Parteitag von Jena den Mastenstreik, jedenfalls im Ginne des Zwangsstreiks, als eines unserer Kampfesmittel an- erkannte und es damit für möglich erklärte, daß wir einmal von der Ennattungsstrategie zur Niederwerfungsstrategie übergehen, da faßte er zunächst nur den ersten der eben entwickelten Fälle inS Auge, daß der Feind unsere Basis bedroht, unseren Kamps in der bisherigen Weise durch die Antastung des ReichStagswahlrechtS oder sonstiger Lebensbedingungen der proletarischen Organisation und Propaganda unmöglich macht. Ein solcher Fall liegt in der jetzigen Situation noch nicht vor. Wird aber der Massenstreik etwa deshalb notwendig, weil wir augenblicklich nur noch durch stete und rasche Steigerung unserer AkttonSmittel die Massen an unsere Fahne heften können? Da sie uns sonst verlassen und anderen Parteien zuströmen oder miß- mutig und enttäuscht der ganzen Politik den Rücken kehren, weil bei ihr doch nichts herauskommt? Genossin Luxemburg scheint das zu glauben, wenn sie von dem„Dilemma* spricht, vor dem die„Dreimillionenpartei* steht: „Entweder um jeden Preis vorwärts oder die begonnene Rasten- aktion bricht erfolglos in sich zusammen." Also nicht aus den Bedingungen der gegebenen Situation leitet die Genossin Luxemburg die Notwendigkeit des Massenstreiks ab, sondern aus allgemeinen psychologischen Erwägungen, die für jede Massenaktion gellen sollen, wo und wann immer diese vor sich gehen mag. Stets muß sie sich zuspitzen, neue, wirksamere Formen annehmen. Hat man einmal eine Massenaktion ein- geleitet, so mutz sie rasch vorwärts gehen, von Straßendemon- strationen zum Demonstrationsstreik, vom Demonstrationsstreik zum Zwangsstreik— und was dann? Welche„Zuspitzung* bleibt unS dann noch übrig? Die Auffassung, die Genossin Luxemburg hier vorbringt, ent- sprach sehr wohl den Verhältnisten der russischen Revolution, also Bedingungen, unter denen die Niederwerfungstaklik am Platze war. Sie steht aber in vollem Widerspruch mit den Erfahrungen, auf denen die Ermattungssttategie unserer Partei beruht. Diese beruht gerade auf der Erkenntnis, daß das Proletariat ein zäher Kämpfer .ist, an Zähigkeit und Ausdauer den anderen Klasten überlegen; daß es Massenattionen viele Jahre lang durchführen kann, ohne bei der Wahl seiner Aktionsmittel etwas anderes in Betracht zu ziehen als ihre jeweilige Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit; daß es, um zu seinen letzten und schärfsten Mitteln zu greifen, noch andere und triftigere Gründe haben muß als das Bedürfnis, die bisher angewandten zu überbieten. Die Genossin Luxemburg ist ja mehrfach auf das österreichische Vorbild zu sprechen gekommen. Ueber ein Dutzend Jahre hat dort der Wahlrechtskampf gedauert; schon 1894 wurde die Anwendung deS Massenstreiks von den österreichischen Genosten erwogen, und doch vermochten sie bis 190S ihre glänzende Massenbewegung ohne jene Steigerung und Zuspitzung im Gange zu halten, die für die Genossin Luxemburg die„innere Logil* einer jeden Masten- bewegung ist. Nie sind die Genosten Oesterreichs in ihrem Wahl- rechtskampf über Straßendemonstrationen hinausgegangen, und doch verschwand nicht ihr Elan, brach ihre Aktion nicht zusammen. Und die Proletarier Deutschlands können es an Zähigkeit sicher mit denen Oesterreichs aufnehmen.* Kautsky führt dann weiter aus, daß der Proletarier sicher mit allen Fasern seines Herzens nach dem Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung strebe. Seine revolutionäre Ungeduld könne ihn aber nicht von der Sozialdemokratie abführen, da sie die einzige Partei ist, die diesen Umsturz will. In ihr Gegenteil, in Er- schlaffung und Mutlosigkeit aber könne diese revolutionäre Un- geduld nur umschlagen, wenn sie enttäuscht werde, wenn die Sozialdemokratie ihre Erwartungen nicht erfülle. Das werde eintreten, ivenn unsere Partei Erwartungen rege mache, die sie nicht erfüllen kann, wenn sie mehr verspreche, als sie zu leisten vermag. Wenn die Sozialdemokratie den Masten versprochen hätte, binnen wenigen Monaten das gleiche Wahlrecht in Preußen um jeden Preis durchzusetzen, dann allerdings würde sie die Massen schwer enttäuschen, wenn sie nun nicht alles aufböte, die Aktion rasch zu steigern und die Masten zur Anwendung ihrer letzten und schärfsten Kampfesmittel anzuspornen. Aber die Sozialdemokratie habe nie derartige? versprochen; vielmehr hätten gerade die Marxisten stets betont, der Wahlrechtskampf in Preußen sei noch schwieriger als anderswo. weil eS sich hier nicht um eine bloße Wahlreform handle, die ein paar Mandatsverschiebungen nach sich ziehe, sondern um den Sturz der Junkerherrschaft. .... Die deutsche Sozialdemokratie hat nie die Parole aus- gegeben: Niederwerfung des gegenwärtigen Regimes durch eine sich rasch steigernde Aktion binnen wenigen Monaten, sondern nur die Parole: Keine Ruhe in Preußen, so lange nicht das gleiche, geheime, direkte Wahlrecht er- o b e r t ist. ... DaS besagt aber nur, daß eS gUt, die AktionSmittel, die unsere Genossen heute schon mit so großem Erfolg angewandt haben, vor allem die Straßendemon st ration, weiter zur Anwendung zu bringen, darin nicht zu erlahmen, sie im Gegen- teil immer machtvoller zu gestalten. Aber wir haben nicht die geringste Verpflichtung,„um jeden Preis vorwärts* zu gehen und „die Straßendemonstrattonen jetzt schon als ein bald von der Welle der Ereignisse überholtes Mittel' zu betrachten, das durch ein schärferes zu ersetzen ist. DaS Dilemma, von dem die Genossin Luxemburg spricht, tritt erst dann ein, wenn wir eine Propaganda für den Masten- streik entfalten.... ... wenn wir in den Masten die Erwartung wachrufen, nun gehe es mit Hurra, Marsch Marsch vorwärts an die Niederwerfung des Feindes durch die schärfften Mittel, über die das Proletariat verfügt, dann werden wir allerdings binnen kurzem vor dem Dilemma stehen, entweder die Massen aufS tiefste zu enttäuschen oder mit einem gewaltigen Satze dem Junkerregime an die Gurgel zu fahren, um es niederzuwerfen oder von ihm niedergeworfen zu werden.* Soziales. Zum Kampf um eine Landarbeiter. Uufallrente. Der Landarbeiter L. aus Gr.-L. erlitt am 24. De. zeinber 180S einen Unfall; ein Ballen Preßstroh, ca. 1 Zentner schwer, fiel ihm auf den Kopf, außerdem wurde L. noch mehrere Meter von einem Wagen geschleift. Die Brandenburgrsche Landwirsschaftliche BerufSgenostenschast wies durch Bescheid vom 9. Juli 1907 den Anspruch des L. ab, da seine Leiden auf andere, vom Unfall unabhängigen Leniden zurück- zuführen seien. Das Schiedsgericht für Arbeitrrverücherung für den Regierungsbezirk Potsdam wies die dagegen eingeleitete Berufung am 12. Oktober 1907 zurück. L. rekurierte nunmehr beim RcichS-BersicherungSamt. Dies holte ein Gutachten von dem Herrn Geheimen Medizinalrat Prof. Dr. G. ein. Derselbe kam zu dem Ergebnis, daß L. um LS Proz. in seiner Erwerbstätigleit beschränkt sei. Trotz dieses Gutachtens kam das ReichS-BersicherungSamt am 27. Oktober 1908 zu dem Er- gebnis, daß dem L. nur eine Teilrente von 1b Proz. zuzusprechen sei. Die Genossenschaft setzte nunmehr auf Grund dieser Ent» scheidung durch Bescheid vom 19. Januar 1909 die Rente nach dem von der Regierung auf 800 Mark festgesetzten durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst erwachsener männlicher land» und forst- wirtschaftlicher Arbeiter fest. Von diesem JähreSarbeitSverdienst wurden jedoch 30 Proz. in Abzug gebracht, da der Verletzte durch andere Leiden um mindestens 30 Proz. in semer Erwerbsfahigkeit bereits vor dem Unfall beschränkt war. Auch hiergegen wurde Berufung eingelegt und geltend ge» macht, daß L. vor dem Unfall sämtliche vorkommenden landwirt. schaftlichen Arbeiten verrichtet hat und daß sein Lohn hinter dem anderer landwirtschaftlicher Arbeiter keineswegs nachstand. DaS Schiedsgericht für Ärbeiterverficherung hob in feiner.Sitzung vom 9. Juli 1909 den Bescheid der Genostenschaft auf und entschied, daß die Rente nach dem vollen Jahresarbeitsverdienst von 800 Mark zu berechnen sei. Das Schiedsgericht hielt auf Grund der eingeholten einwandfreien Auskunft des Vertrauensmanns der Genossenschaft den Kläger vor dem Unfall nicht in seiner Arbeitsfähigkeit be. schränkt und folgerte, da L. bis vor dem Unfall wie andere Ar» beider den Lohn von 980 Mk. bezogen hat, er als vollwertiger Ar- beiter zu erachten fei. Die Geiwssenschaft legte gegen diese Entscheidung Rekurs beim Reichs-Versicherungsamt em und hatte bei demselben leider Erfolg. Am 15. Mai 1910 entschied daS Reichö-Verficherungsamt. daß die Genossenschaft berechtigt sei, der Berechnung der Rente nur den um 30 Proz. gekürzten Jahresarbeitsverdienst zugrunde zu legen und zwar stützte sich paz ReichS-VersicherungSamt auf zwei Zeugen und insbesondere auf ein Gutachten deS Professor Dr. R., wonach L. vor dem Unfall krank und erwerbs-befchränkt gewesen sein soll. Also, obwohl L. 980 Mk. an Lohn bekam, er mithin schon bei der Annahme des festgesetzten JahreSarbeitsverdiensteS von 800 Mk. erheblich geschädigt worden wäre, geht die Schädigung noch weiter: die Berechnung der Rente erfolgt nach einem Jahresarbeitsverdienst von 480 Mk.' So verfährt man mit Landarbeitern und wundert sich dann. wenn bei feklcQ luigerechtW Zuställdes Landflucht bei den Ar- beitern eintritt. DaS Streitderfahren hat S Jahre fn Anspruch genommen, jetzt endlich nach 3 Jahren weiß der Arbeiter, woran er mit seinen Ansprüchen ist._ Entschädigung wegen vorzeitiger Abnahme der Papier «. Eine Entschädigung von 45 Mk. forderte der Steintttucker T. von der Firma Julius Straube, Lithographisches Institut und Landkartenverlag. Da auf gütlichem Wege die Forderung nicht be- friedigt wurde, beschäftigte die Sache am Dienstag das Gewerbe- gericht. Die Beklagte hatte von dem Arbeitsnaehweis die Zusendung eines Steindruckers verlangt. Darauf wurde ihr der Klager zuge- wiesen. Nach seiner Angabe wurde er zum LI. Juni engagiert, jedoch mit der Einstellung hingehalten, bis er am 30. Juni die ihm abgeforderten Papiere zurückverlangte. Von der Beklagten wurde. bestritten, daß der Kläger zum 21. engagiert worden sei, er habe darüber noch Bescheid erhalten sollen, wenn er anfangen könne. Wenn dem Kläger , wie er angibt, am L8. eine andere Stellung angeboten war, so sei er an der Annahme derselben nicht behindert gewesen, da ihm die Papiere jederzeit zur Verfügung gestanden hätten. DaS Gewerbegericht vertrat mit Recht die Ansicht, daß die Beklagte durch die vorzeitige Abnahme der Papiere an der Ent- stehung des dem Kläger erwachsenen Schadens mitgewirkt hat und ein Entschädigungsanspruch des Klägers deshalb dem Grunde nach ge- rechtfertigt ist. Die Höhe des Schadens, soweit er der Beklagten zu: Last fällt, wurde auf LO Mk. bemessen und der Beklagte zur Zahlung dieser Summe verurteilt._ Vom Jnnungsschiedsgericht. Als vor einigen Monaten der Ausschuß der bereinigten Ber - liner Innungen in das in der Bellealliancestraße, Ecke der Telto- wer Straße neu errichtete Gebäude der Handwerkskammer über» siedelte, durfte wohl damit gerechnet werden, daß der JnnungSauS« schuß das von ihm unterhaltene Jnnungsschiedsgericht in Räum- lichkeiten unterbringen würde, die ausreichender als die bisherigen in der Brückcnstratze fein würden. Diese Hoffnungen sind so gut wie nicht erfüllt worden. Einigen Verbesserungen stehen sogar er- hebliche Verschlechterungen gegenüber. So ist zum Beispiel der Aufgang zum Schiedsgericht ein recht wenig geeigneter. Ob- wohl doch das Gebäude der Handwerkskammer öffentlichen Zwecken dient, müssen sich die prozessierenden Parteien, um'zu dem im zweiten Stockwerk nach der Bellealliancestraße herausbelegenen Schiedsgericht zu gelangen, eines anscheinend hierfür extra ange- legten Aufganges bedienen, der am treffendsten mit den bekannten Gesindeaufgängen in den herrschaftlichen Häusern verglichen werden kann. Der Aufgang führt vom Hofe aus in die Rückseite des Vorder» gebäudes hinein und geht im regelrechten Zickzack nur bis zu dem im zweiten Stockwerk belegenen Schiedsgericht. Dabei ist der Auf- gang so niedrig gebaut, daß er von etwas hoch gewachsenen Leuten nur mit Vorsicht benutzt werden kann. Nur den Beisitzern ist* die Benutzung des bequemeren und direkt von der Straße hinauf- führenden Aufgangs gestattet. Auch die Räumlichkeiten selbst sind unzulänglich. Von dem winkligen Korridor rechts gelegen ist eine Küche, die als Warteraum für den Gesellen und Arbeiter dient, während der Vorderraum, durch verschiebbare Holzwände in drei Teile zerlegt, als Sitzungssaal, Warteraum für Meister und deren Zeugen sowie als Warteraum für die Beisitzer hergerichtet ist. Der Warteraum für die Meister dient auch als Bureau, in dem die Klagen aufgenommen werden. Ein Beratungszimmer existiert auch jetzt noch nicht, so daß die Parteien sowie die Zuhörer nach wie vor während der Beratung in die Warteräume zurückgehen und durch Glockenzeichen zurückgerufen werden müssen. Die Warteräume sind äußerst enge. Insbesondere ist der Warteraum für die Arbeiter gänzlich unzureichend. Oft ist er und der Korridor überfüllt. Trotz dieses UebelftandeS wird nun der Warteraum für die Arbeiter feit einiger Zeit überhaupt nicht mehr geöffnet» fodaß diese lediglich auf den Korridor angewiesen sind. Beseitigt ist der vielbeklagte Mangel an Bedürfnisanstalten. Dagegen macht sich die fehlende Trinkgelegenheit an den warmen Tagen besonders fühlbar. DieS abzustellen wäre eine Kleinigkeit. Es brauchte nur der eigentliche Warteraum für Arbeiter wieder geöffnet und der in ihm befino» lichen Wasserleitung einige Trinkbecher hinzugefügt werdxn. Soll« die gerügten Mängel ewig bestehen bleiben?.-i-- r' Gerichts-Leitung. Ans dem Oberharz . Vor der Strafkammer II des Landgerichts in Göttingen standen elf dem Steinarbeiterverband angehörende Stcinarbeiter und der Vertrauensmann Genosse H. Schropp aus Zellerfeld im Oberharz unter der Anklage des LandfriedenSbruchs, Störung deS öffentlichen Friedens, Nötigung, des StreikmgehenS auS§ 153 der Gewerbeordnung, Bahnpolizeiübertretung und Beleidigung. Die Verhandlung dauerte drei Tage. Die Anklagebehörde hatte dreißig Zeugen aufgeboten, von der Verteidigung war die Ladung von 37 Entlastungszeugen bewirkt. Der Anklage waren folgende Vorgänge zugrunde gelegt: Die Firma Gebr. Siegheim in Wildemann besitzt im Oberharz zwei Steinbrüche, in denen bislang die Arbeiter dieser arbeitsarmen Gegend fast ausschließlich in Beschäftigung standen. Im Jahre 1909 wurden Lohnkürzungen von 30 bis 100 Proz. vorgenommen und 40 Arbeiter entlassen. Als sich nun die anderen Arbeiter weigerten, die Arbeiten ihrer entlassenen Kollegen zu verrichten. wurden weitere 50 Mann entlassen, so daß mitten im Winter 90 Arbeiter, meist Familienväter, brotlos waren. Die Firma warb auswärtige Gelegenheitsarbeiter an und ließ sie unter schärf, ster Gendarmeriebedeckung von und zur Arbeitsstelle geleiten, so daß den Ausgesperrten ein Verkehr mit den Arbeitswilligen ganz unmöglich gemacht war. Am L4. Januar gingen die Angeklagten von Wildemann nach Zellerfeld . Hierbei sollen vor dem Hause der Gebr. Siegmann sowie eines Arztes, der den Ausgesperrten: „Bummler, Arbeitsbummler!" zurief, laute Entrüstungsrufe, schließlich auch Beschimpfungen gefallen sein. Die Angeklagten gingen dann auf einem alten ArbettSwege über ein Bahngleis hin. weg, durch einen Steinbruch hindurch weiter. In dem Steinbruche sollen die Angeklagten durch Zurufe, wie„Arbeit niederlegen!". „Aufhören!",„Heute ist Schluß!",„RauS oder sonst wird die Baracke in die Luft gesprengt!" ausgestoßen und hierdurch unter Androhung eines Verbrechens den öffentlichen Frieden gestört, die Arbeitswilligen zur Arbeitseinstellung genötigt und sie zum Bei- tritt zu einer Verabredung zwecks Erlangung günstiger Lohn, und Arbeitsbedingungen bestimmt haben. Einer der lZlrmeninhaber mußte auf Beftagen des Verteidigers selbst zugeben, daß andere Steinbruchbesitzer deS Oberharzes in fraglicher Zeit Lohnkürzungen nicht vorgenommen, auch keine Arbeiter entlassen haben. Ferner hatte ein Firmeninhaber geäußert:„Gehen die Arbeiter aus de« Strinarbeiterverbande, so stelle er alle wieder em. Derselbe Herr hatte erklärt:„Der Hunger soll die Arbeiter wieder zur Arbeit zwingen." Durch Befragen seitens des Verteidigers wurde ferner festgestellt: Firmenangestellt« hatten die Arbeitswilligen unter der Borspiegelung angeworben, Streik oder Aussperrung läge nicht vor, die Oberharzer wollten nur nt($t arwitcn. Bewiesen wurde außerdem, daß die WohnungSverhaltnisse für die Arbeiter in dem Steinbruche entsetzlich waren, so daß mehrere Arbeiter schwer er- krankt sind. Bewiesen wurde endlich, daß die Arbeitswilligen au» eigenem Antrieb mit den AuSge,perrten sich geeinigt hatten, die Arbeit einzustellen und die Angenagten aufgefordert hatten, am 24. Januar in den Steinbruch zu kommen und daß am Abend die Arbeitswilligen Arm in Arm mit den Ausgesperrten mit Musik von der Arbeitsstelle abgezogen waren. Der Staatsanwalt hielt trotzdem die Anklage in allen Punkten -ufrecht unv beantragte 9/9«» den.Anführer* Schropp 2 Monate 1 Woche Gefängnis und 100 Mark Geldstrafe, gegen die anderen Angeklagten Gefängnisstrafen von 1 Woche bis 9 Monate und hohe Geldstrafen. Der Verteidiger. Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune(Göttingen ). empfahl dem Staatsanwalt die Beschäftigung mit der Frage, ob nicht die Gebrüder Siegheim geeignetere Objekte für die Anklage seien wie die Wolf Aibelier. Von einer»Störung de» ösfeatlMen
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