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Zt. M. 27. Zllhrgallß. L KtilM 1(9 Jotrairts" Knlim PolbM. ittitG 22.?«li 1910. Die Partelprefle über die Budget* bewilllgung. DieMainzer Volkszeitung" veröffentlicht einen Artikel eineS führenden Genossen Dr. F. in Baden, also offenbar des Genossen Frank. Dieser führt zuerst aus. daß die Fraktion im Landtag parlamentarischen Einfluß ausgeübt habe. Außer der Stelle im Präsidium, für deren Uebernahme ihr keine Bedingungen gestellt waren, hatte sie die Referate über das Volksschulwesen und die Fabrikinspektton, sowie die Berichterstattung bei einer Reihe von wichttgen Gesetzen und Anträgen inne. Dann fährt der Arttkel fort: Kein vernünftiger Mensch konnte erwarten, daß die Liberalen sozialdemokratische Politik treiben würden. Aber unter der erziehe- rischen Wirkung unserer Zusammenarbeit machten sie Ernst mit liberalen Forderungen. Alle großen Gesetze tragen diesen Stempel und wurden gegen das Zentrum geschaffen. In dem Schulgesetz wurde die Simultanschule erfolgreich verteidigt und befestigt, und die neue Bestimmung aus unseren Anttag aufgenommen, daß die Disfidentenkinder gegen den Willen ihrer Eltern keinen Religionsunterricht zu besuchen brauchen. Durch das neue Einkommensteuergesetz wurden, wieder auf unseren Antrag, die Einkommen bis zu 1400 Mark erheblich ent- lastet, die großen Einkommen stärker herangezogen. Durch die neue Gemeinde- und Städteordnung wurde zwar die allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahl nur in Gemeinden brS zu 2000 Einwohnern bewilligt, aber der Kreis der Wahl« berechtigten stark erweitert. Nicht bloß die Bürger, sondern alle Einwohner deutscher Nationalität über 25 Jahren haben unter gewiffen Voraussetzungen daS Wahlrecht. Unsere Bürgermeister brauchen keine Bestätigung. Durch die Neueinführung der Verhältnis- wähl werden wir mit einem Schlag entsprechend unserer Stärke auf allen Rathäusern vertreten sein, ohne lokale Wahlbündniffe schließen zu müssen. Die erbitterte Gegnerschaft unserer Junker und Scharf- macher gegen das Gesetz beweist am besten, daß eS unseren Machtbereich erweitern wird. Um die Tendenz unserer Arbeiten zu kennzeichnen, will ich noch erwähnen, daß unser Antrag auf Besteuerung der Titel und Orden ange- nommen und daß schließlich der prinzipiell sehr wichtige Be- fchluß gegen da? Zentrum von der Großblockmehrheit gefaßt wurde, die Regierung aufzufordern, im nächsten Budget 100000 M. für Arbeitslosenfürsorge einzustellen. Es sollten auS dieser Summe Zuschüsse an solche Gemeinden gegeben werden, die eine Arbeitslosenversicherung einführen. Daß die Fraktion dem Budget diese? Landtages, in dem die Sozialdemokratie ausschlag- gebend war, zustimmen würde, wurde seit Monaten von uns als selbst- verständlich betrachtet. ES gibt keine Resolution, die für alle politischen Eiluationen paßt, aber daS oberste, ungeschriebene Gesetz jeder Politik gebietet, seine Taktik nach den Verhältnissen einzurichten. Daß wir nach einer Großblockarbeit von acht Monaten dem Zentrum den Triumph bereiten sollten, festzustellen, eS fei unentbehrlich für die Erledigung des Budgets, konnten wir nicht verantworten. Da trat vor einigen Wochen ein Ereignis ein, das unsere Haltung in Frage stellte. In einer Kommissionssitzung äußerte der Minister des Innern v. Bodman , ein Sozialdemokrat könne nicht vom Großherzog als Bezirksrat ernannt werden. Die Worte führten zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen den sozialdemokratischen Kommissionsmitgliedern und dem Minister. Die Sraktion kam auf Grund dieses Vorfalls zu dem Entschluß, das udget abzulehnen mit der Erklärung, die Regierung mache un» die Annahme des Budgets, an dem wir so eifrig mitgearbeitet. unmöglich, weil sie uns politisch nicht afi gleichberechtigt behandele. Am Abend vor der Abstimmung über daS Budget fand eine Sitzung unseres Herrenhauses statt, in der von dem klerikalen Baron Stotzingen heftige Angriffe gegen Minister v. Bodman gerichtet wurden, weil er durch die neue, freiheitliche Gemeindeordnung die Sozialdemokratie fördere und so die Revolution vorbereite. Der Minister wich nicht zurück, sondern legte als sein RegierungS- proaramm dar. die Sozialdemokratie müsse zur Mit- arbeit herangezogen werden.Die Sozialdemokratie sei eine großartige Bewegung zur Befreiung des vierten Standes." In diesem offenen, mutigen Bekenntnis schien uns eine Zurücknahme jener in der Kommission gemachten, unsere Parteiehre verletzenden Be- kleines Feuilleton. Die BerbreitungSart beS TyPhuS. DaS plötzliche Auf- treten von Typhusepidemien zeigt immer wieder, daß die Wiffen- schaft dieser gefährlichen Krankheit noch nicht Herr geworden ist. Da gerade jetzt mehrere Vorkommnisse dieser Art zu verzeich- nen gewesen sind, so wird eine Untersuchung besonders ocdeutungS- voll, die Dr. Nicolle vom Pariser Pasteur-Jnstitut in den Annalen dieser berühmten Anstalt veröffentlicht hat. Ihm fft es zum ersten Mal gelungen, die Krankheit auch auf einige Affenarten zu über- tragen. Weil das Studium einer Krankheit an Affen, als den menschenähnlichsten Tieren, stets die besten Aufschlüsse über das Wesen der Krankheit gibt, so waren Versuche nach dieser Richtung auch mit dem Typhus gemacht worden, aber bisher stets vergeblich geblieben. Die Arbeiten von Dr. Nicolle haben nun für das experi- mentelle Studium der Krankheit und für den sicheren Nachweis ihrer Ursachen und ihrer Verbreitung einen neuen Weg erschlossen. Zunächst hatte sich der französische Forscher einen gewöhnlichen Makak- oder Javaner Affen auserwählt, dem er 1 Kubikzentimeter Blut von einem Typhuskranken unter die Haut spritzte. Der Affe blieb dagegen aber ganz unempfindlich, ebenso ein chinesischer Hut- äffe, ein naher Verwandter des Makak. Mehr Erfolg hatte der Forscher bei einem jungen Schimpansen, der 24 Tage nach der Impfung einen unverkennbaren Anfall von typhösem Fieber hatte, wobei sich auch ein Ausschlag auf dem Gesicht und hinter den Ohren entwickelte. Nun impfte Nicolle wiederum einen Hutaffen mit dem Blut dieses Schimpansen, um festzustellen, ob der Durchgang des Krankheitsgiftes durch den Affen seine Giftigkeit für«inen anderen Affen steigern würde. Diese Vermutung bestätigte sich, denn nun erkrankte auch der andere Affe, und zwar schon nach 13 Tagen. Von diesem zweiten Kranken konnte das Gift wieder auf den Hutaffen erfolgreick, übergeimpft werden. Bei einem andern Affen brach die Krankheit dann sogar am selben Tage der Impfung aus. Von besonderer Wichtigkeit war die Ermittelung, daß der Java-Affe und außerdem der sogenannte Lapundcr MnkakuS rhesus und der gewöhnliche Hundsaffe gegen den Typhus gefeit waren, auch wenn das ihnen beigebrachte Gift von einem anderen Affen stammte. Daß es sich bei Tier und Mensch hier um dieselbe Krankheit handelt, wurde über jeden Zweifel hinaus noch dadurch bewiesen, daß Men- fcher.blut von einem TyphuSkrankcn einem Affen Widerstands- fähigkeit gegen die Krankheit verleiht, während Mcnfchenblut von einem Gesunden in dieser Beziehung unwirksam bleibt. Für die Behandlung des Typbus beim Menschen ist die weitere Feststellung bedeutsam, daß das Blutserum von einem Affen, der in der Ge- nesuug vom Typhus begriffen war, eine deutliche Giftigkeit für andere Affen besitzt. Daraus ergibt sich, daß der Vorschlag, das Serum von Genesenden zur Behandlung von Typhuskranken zu verwenden, nicht unbedenklich ist. Eine sonderbare Enthüllung ist ferner durck den Nachweis geschehen, daß die Verbreitung des Ty- phus durch Kopfläuse und Kleiderläuse geschehen kann. Einige dieser Schmarotzer, die von Menschen auf Affen gesetzt worden waren. merkungen zu liegen, und am andern Morgen beschloß die Fraktion nach kurzer Beratung, jetzt für das Finanzgesetz zu stimmen, wie es die politische Situation verlangte. Hätten wir noch Zeit gehabt, dann hätten wir gern d efm Parteivorstand Gelegenheit gegeben, mit uns die Sache zu beraten. So aber waren wir gezwungen, sofort zu handeln, und wir haben es getan und werden dafür die Verantwortung tragen. Es wäre schlimm um die Pattei bestellt, wenn eS ihr an Männern fehlen würde, die denMut haben. unauSführbarePartei- befchlüsse unausgeführt zu lassen." Ueber den Mut wollen wir nicht streiten. Wir sind aller­dings der Ansicht, daß die Parlamentarier die Boauftragten der Partei sind und nur dann ihre Aufttäge übernehmen dürfen, wenn sie diese ausführen wollen, im anderen Falle aber sie eben nicht hätten übernehmen dürfen. Wir möchten aber fragen, wer über die Frage, ob unausführbar oder nicht, zu entscheiden habe. Nach Frank offenbar die P a r l a- mentarier, die das besser verstehen, als die Delegierten des Parteitages. Deutlicher konnte allerdings das Streben, sich von den Beschlüssen der Gesamtpartei unabhängig zu machen und die selb st herrliche Fraktion über die Partei zu stellen, nicht proklamiert werden. Zur Klarstellung trägt es auch bei, daß Genosse Frank mitteilt, daß die Fraktton seit Monaten entschlossen war, für das Budget zu stimmen. Sie hätte also genügend Zeit gehabt, sich mit dem Parteivorstand ins Einvernehmen zu setzen, schon lange vor dem 11. Juli, an dem sie beschloß, dagegen zu stimmen. Danach kann man schon beurteilen, was von der Versicherung zu halten sei, daß zuletzt nur Zeitmangel die Fraktton von einer Verständigung abgehalten habe. Auch über denLiberalismus" der angenommenen Gesetze wollen wir nicht rechten und meinen nur, ein Dreiklassenwahlrecht bleibt auch mit Sechstelung ein polittsches Ausnahmegesetz gegen die Besitzlosen. Das eine aber muß doch konstatiert werden: All das hat mit der Budgetabsttmmung und der Hofgängerei nicht das geringste zu tun. All diese Gesetze hatten die Majorität und wären angenommen worden, auch ohne daß w i r für das Budget gestimmt hätten. Diese Abstimmung geschah nur, wie es heute auch in derMannheimer Volksstimme" heißt, um die Stellung eines Ministers bei Hofe in dem demokratischen Musterland entscheidet nämlich die Krone und nicht die Volksverttetung über Zu- sammensetzung der Regierung und ihren Kurs zu festigen. Daß ein Minister, der Sozialdemokraten zur Verleugnung oder wenigstens Verhüllung ihrer Grundsätze verleitet, dadurch in seiner Stellung befesttgt wird, ist richttg. Die herrschenden Klassen müßten ihr Interesse schlecht verstehen, wenn sie einen solchen Minister nicht hegten und pflegten. Aber eben deshalb scheint uns solche Haltung mit sozialdemokrattscher Polittk un- vereinbar zu sein. Neue Zelt." Unter dem TitelK a n t o n B a d i s ch" schreibt F'r a n z Mehring unter anderem: Sicherlich haben die bad-ischen Vorkommnisse eine sehr ernste Seite. Es ist tief bedauerlich daß die badische Landtagsfraktion in einem Augenblick, wo die Aussichten der Partei so günstig stehen wie noch nie. einen so schweren Disziplinbruch begeht, wie er eben- falls noch nie in der Partei dagewesen ist, und dazu schweigen kann und wird die Gesamtpartei gewiß nicht. Der Parteivorstand hat denn auch bereits dieseschwere Verfehlung gegen die Einheit der sozialdemokratischen Partei" gebührend gekennzeichnet, und der Parteitag wird der Wiederholung ähnlicher Dinge einen Riegel vorzuschieben wissen. Allein die Partei wird sich ihre frohe Kampf- stimmung nicht durch diese Episode trüben lassen. Soweit sich bis- her die Parteipresse darüber geäußert hat, ist eS mit derselben überlegenen Ruhe geschehen, womit Engels die Krähwinkeleien des Kanton Badisch" zu betrachten pflegte. Man mag gern anerkennen, daß, wenn sich die badische Land- tagSfraktion für ihre Seitensprünge auf diebesonderen Verhält- vermochten diesen den Typhus zu vermitteln. Das ist wieder ein- mal ein Beweis dafür, mit welchen scheinbar nebensächlichen Dingen sich' die Bekämpfung von Epidemien beschäftigen muß. H-chsce-Zeitungen. Die Zeiten, da man während einer Seereise die tägliche Zeitungsiost entbehren mußte, sind, wenigsten» für die großen Passagier-Schnelldampfer, endgültig vorbei. Heute besitzt jeder dieser schwimmenden Ozeanriesen seine eigene Druckerei und seine eigene Schiffszeitung, die dank der drahtlosen Telegraphie bis- weilen sogar ihre Leser an Bord ebenso prompt informieren können wie die Blätter auf dem Lande. Tatsächlich war z. B. die Lusitania" bei den letzten englischen Wahlen imstande, die Wahl- resultate ihren Passagieren zur selben Stunde gedruckt zu bringen wie die Festlandspresse, ja manchmal kann die Schiffszeitung, weil ihre Herstellung und Auslieferung nur kurze Zeit erfordert, sogar etwa« schon früher mitteilen, als die Landratten e» erfahren. Die größte englische Hochsee-Zeitung, dasCunard Daily Bulletin' der Cunard-Linie erscheint in einer Auflage von 20002500 Exemplare», 32 Seiten stark und kostet 2>/s Penny(20 Pf.) die Nummer. Die Compagnie Gönörale TranSatlantique gibt einJournal de l'At- laniique" heraus, daS sogar illustriert ist. Die deutschen Schiffahrts- gescllschaften geben thren Fahrgästen ihre Schiffszeitungen unent- geltlich: der Norddeutsche Lloyd dieOzean- Zeitung" und die Hamburg- Amerika- Linie dasAtlantische Tageblatt", daS je 16 Seiten stark und halb in deutscher, halb in englischer Sprache erscheint. Ein alttömischeS Schiff in der Themse . Ein außerordentlich interessanter Fund ist nach dem Berichte des Londoner Grasschafts- raieS in der Themse gemacht worden. Bei den FundamentierungS- arbeiten, die dem Bau deS großen, neuen Rathauses, der County Hall, voraufgehen, stieß man auf ein sehr gut erhaltenes, große» kölnisches Schiff. Der Fund steht in England ohne Gegenstück und übertrifft an Bedeutung daS Boot König Alfreds, das vor wenigen Jahren in Walthamst'ow gefunden ivurde. Ein großer Teil des alten Fahrzeuges. daS völlig aus Eiche gebaut war, liegt noch im Schlamm begraben. Allem Anschein nach hat man eS mit einem Schiffe zu tun, das eine Länge von etwa 50 Fuß bei einer Breite von 16 Fuß hatte. In dem großen Boote fand man interessante Stücke römischer Topfereien, Knochen- reste, Eisen« und Glasgeräte und eisenbefchlagene Sohlen für die Fußbekleidung. Besonders interessant aber find die Münzen, die Anhaltspunkte für daS Alter des Fahrzeuges liefern. Man fand eine Münze von TetricuS in Gallien <268273), eine andere Münze, die das Zeichen deS CarausiuS in Britannien zeigte<286 2S3), und eine dritte Münze mit der Prägung des Allectus in Britannien <293298). Die Sachverständige» weisen das Scknff dem Ende deS dritten oder dem Anfang des vierten Jahrhunderts n. Chr. zu. Alle Einzelheiten weisen darauf hin, daß daS Fahr- zeug zu der großen Flotte gehörte, die CarausiuS baute, um gegen die baltischen Stämine, die Feinde deS römischen Reiches. Krieg zu führen. CarausiuS segelte von Boulogne nach Britannien und setzte sich hier als unabhängiger Kaiser von Britannien fest. Die Herrschaft deS CarausiuS , die sieben Jahre I nisse" ihres Ländchens beruft, solche Verhältnisse wirklich bestehen. Baden ist von jeher die eigentliche Heimstätte jenes heiteren Parti- kularismus gewesen, der die Republik will, aber den Grotzherzog auch. Und der, wenn er je überall in Deutschland geherrscht hätte, der deutschen Nation als solcher den Garaus gemacht haben würde. Freilich kann dieser heitere Partikularismus auch einmal ein sehr trauriges Ende nehmen, wie gerade auch die Geschichte BadenS be- weift. i Im achtzehnten Jahrhundert bestand das damalige Markgrafen- tum Baden nur aus einigen Flecken deutscher Erde, die, von der Schweizer Grenze bis über Karlsruhe hinab zerstreut, kaum dreißig Ouadratmeilen umfaßten und zum Reichsheer ganze 95 Mann! stellten. Erst als Napoleon sich durch einige süddeutsche Mittel- staaten feste Stützen seiner Fremdherrschast schaffen wollte, wurde die bescheidene Fläche fast verzehnfacht. Napoleon schüttete daS rechtsrheinische Ufergelände von Konstanz bis Mannheim , ein un- absehbares Gewirr von geistlichen, fürstlichen, gräflichen, reich?- ritterschaftlichen und reichsstädtischen Territorien, zum Grotzherzog- tum Baden zusammen, das, sechzig Meilen am Rhein hingedchnt, an seiner schmälsten Stelle nur zwei Meilen breit, fast ganz auS Grenzbezirken bestand. Die konstitutionellen Verfassungen, womit die süddeutschen Fürsten nach dem Sturze Napoleons vorgingen, entsprangen der Sorge um den Zusammenhalt ihrer künstlich konstruierten Staaten. Die kleinfürstliche Souveränität lief dabei keine Gefahr; im Gegen- teil erhielt sie sich auf diese Weise stärker, als sie sich auf irgendeine andere Weise hätte erhalten können. Wurden ihr die Kammern zu aufsässig, so stützte sie sich auf den Bundestag; bedrängte sie der von Oesterreich und Preußen beherrschte Bundestag, so stützte sie sich auf die Kammern. Da Baden der am künstlichsten konstruierte dieser Staaten war, so erhielt er die liberalste Verfassung, und in dem Selbstbewußtsein des konstitutionellen Musterländles der» schmolzen die tausend Trümmer, aus denen das Grotzherzogtum Baden zusammengeflickt worden war. Ueberall in Deutschland feierte der vormärzliche Liberalismus die badischen Kammerhelden, wie Rotteck und Welcker und Jtzstein, als die Vorhut der bürger- lichen Freiheit in denselben überschwenglichen Tönen, die da? Berliner Tageblatt" heute den Genossen Frank und Kolb widmet. Der Ursprung des badischen Konstitutionalismus ergab aber seine völlige Nichtigkeit. Die einander folgenden Fürsten deS Landes, die sich nur dadurch unterschieden, daß bei den einen mehr die Böswilligkeit, bei den anderen mehr der Stumpfsinn überwog, benutzten die Verfassung zu dem Gaukel- und Schaukelsystem, daS sie notwendig gemacht hatte, und je mehr der badische Konstitutio- nalismus seinen eigentlichen Zweck als Werkzeug der fürstlichen Souveränität erstellte, um so mehr verflüchtigte sich sein Zweck als Werkzeug der Volksinteressen. Die vormärzliche Reaktion Wirt- schaftete in dem Ländchen trotz aller schöner Kammerreden ebenso ungeniert oder noch ungenierter als anderswo. Erst als sich die Vorboten der Revolution meldeten, mutzte sie ihre sich hochmütig blähenden Segel ein wenig einziehen. Nun aber zeigte der badische KonstitutionalismuS, daß er keineswegs der unentwegte Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheit war, den die Mitwelt in ihm bewundert hatte. Gerade seine klügeren Köpfe, wie die Bassermann und Mathy, bekundeten eine sehr patriotische Neigung, mit der trätabel gewordenen Reaktion profitable Geschäftchen zu machen. Geschäftchen, die sich nicht ein- mal, wie die der rheinischen Liberalen, mit materiellen Klassen- interessen entschuldigen ließen, denn eine große Industrie gab eS in Baden noch so gut wie gar nicht. Andere Kammerhelden blieben freilich standhafter, und sie nannten sich sogarSozialdemokraten", wie die Brentano und Struve, aber sie waren eS nicht einmal in der damaligen klcinbürgerlich-demokratischen Bedeutung deS Wortes. Vielmehr, wenn die nunmehrige Scheidung der badischen Opposition in Liberale und Radikale den Sinn hatte, daß die Liberalen sich als mehr oder weniger ehrgeizige Streber und rück- sichtslose Stellenjäger entpuppten, so waren die Radikalen zwar ihrer eigenen Meinung nach revolutionäre, aber tatsächlich klein« bürgerlich beschränkte Politiker, die, als ihnen die Erhebung der Masse im Frühjahr 1849 das Heft in die Hand gab, ihre ganze Politik danach einrichteten, daß sie sie vor dem durch die Massen aus dem Lande gejagten Großherzog bei seiner etwaigen Rückkehr verantworten könnten.> Was bei dieser famosen Taktik herauskam, hat Engels in seinen Aufsätzen über die Reichsverfassungskampagne drastisch geschildert. Die Republik mit dem Großherzog an der Spitze erwies sich, schön währte, war für Britannien eine Zeit des Friedens und deS Fott- schrittS. WIe'S gemacht wird! DerChefredakteur" Max Diefke sendet an Fabrikanten technischer Artikel ein gedrucktes Zirkular, in dem es heißt: Ich veröffentliche über..... demnächst einen Artikel in dem Zentralblatt der technischen Verwaltung". Mit dem Aufsatze bin ich bereit, eine geschäftliche Enipfehlung Ihrer hauptsächlich in Bewacht kommenden Fabrikate zu verbinden, und erbitte für diesen Zweck möglichst umgehend einige entsprechende Anhaltspunkte. DaS Honorar für die Aufnahme der Empfehlung beträgt 25 Mark."(Manchmal nimmt der HerrChefredakteur" auch mehr, manchmal weniger als 25 MarkHonorar".) Dieser Diefke soll ebenso wie seine zahlreichen Kollegen sehr viel Geld verdienen..._ Notizen. Musikchronik. In der G u r a« O p e r sollen zwei zyklische Ringvorstellungen des Nibelungenringes von Richard Wagner zu besonders ermäßigten Preisen veranstaltet werden. Der erste ZylluS findet statt am 29., 80. Juli und 1. und 3. August, der zweite am 8., 9., 11. und 13. August. Vorbestellungen im Jnvalidendank, an der Kasse des Opernhauses und bei A. Wertheim.(Die besonders ermäßigten Preise sind leider für die Arbeiterschaft immer noch zu hoch.) Ein Fiasko BodeS. Die Sammelgier, die wahllos aus der ganzen Welt Schätze-Seltenheiten zusammenrafft, ist ein cchteS Kind des Kapitalismus . Seitdem die Kunst aufgehört hat, Volks- kunst zu sein und ein Spielball des Luxus, ein Tummelplatz der Kennerschaft und einer parasitären Wissenschaft geworden ist, iverden Kunstwerke sportmäßig gesammelt. Alle Mittel sind dabei recht, und wer über die größten Summen verfügt, siegt in dem Wettlauf. Herr Bode, der seit seiner Florablamage schon wieder den Mut gesunden hat, einen echten Rembrandt zu entdecken der wahrscheinlich soviel mit Neinbrandt zu tun hat wie Bodes Leonardo- oder NubcnSenIdecknngen mit diesen Meistern schien kürzlich die Amerikaner auf diesem Gebiet geschlagen zu haben. Er hatte von den Jesuiten in Monforte(Spanien ) ein altflämisches Gemälde von Hugo van der Goes zu 1 180 000 Fr. erhandelt. Gegen diese Vcrschachernng von Kunstwerken ins Ausland erhob indes die spanische Regierung Einspruch. Und so wirdDis Anbetung der heiligen drei Könige" bleiben, wo sie seit Jahrhunderten war, und nicht von der parvenuhafren kapitalistischen Sammelwut entführt werden. Ein Turner-Museum, das ein großattigeS Bild von dem Schaffen dieses auch für den Kontinent bedeutenden englischen Landschaftsmalers gibt, wird in einem neuen Flügel der Londoner Tate-Galerie eröffnet. Es werden auch viele von den 20 000 Zeich« nungen und Studien Turners dort ausgestellt sein. Eine Ausstellung Münchener KunstgewerbeU in Paris . Im diesjährigen Pariser Herbstsalon werden die Münchener Kunstgewerbler eine Sonderausstellung haben, die 15 Räume umfassen wird.