Nr. 172. 27. Jahrgang.1. Wage Ks Joiiüiitts" fitdiiitt WslilMDiensiag. 26. Juli 1910.Die CaMik im Aahlrechtskampf.v.Noch ehe die Antwort der Genossin Luxemburg erfolgte, hatteGenosse Pannckoek in vier Artikeln in der„Bremer Bürgerzeitung"die Polemik gegen Kautskhs Ausführungen aufgenommen. In demersten wendet sich Ponnekoek zunächst gegen 5wutskys Bemerkungenüber die Schädlichkeit der Diskussion. Nur wenn die Arbeiterklassewie eine geschlossene Armee von einem obersten Kriegsrate weit-blickender Feldherren geführt würde, hätte die öffentliche Erörte-rung der Taktik keinen Zweck und bloss Nachteile. Aber wenn dieMasse nicht bloss der Parole von oben gehorche, sondern selbst dieEntscheidung treffen müsse, dann müsse sie auch die günstigen undungünstigen Umstände kennen, und dazu sei die öffentliche Dis-kussion durchaus notwendig. Schaden könne sie nicht, weil alle inBetracht kommenden günstigen oder ungünstigen Momente in all-gemeinen Klassenverhältnissen lägen, woran nichts zu verraten oderzu verheimlichen sei.Aus der Zustimmung, die die Artikel der Genossin Luxemburgüberall bei den Arbeitern gefunden, und aus der jubelnden Be-geisterung, die ihre Reden überall ausgelöst hätten, ergebe sich,dass sie nur ausgesprochen habe was in den Herzen der Arbeiterlebe. Der Gedanke der Anwendung des Massenstreiks habe in denMassen tief Wurzel gefatzt, nichts sei ihnen lieber, als eine klä-rende Diskussion über diese Frage. Daher sei es ein törichtes Be-ginnen von den Zentralorganen der Partei, eine solche Diskussionverhindern zu wollen, und es sei ein Glück für die Partei, dass dieProvinzpresse sich ihrer Pflicht besser bewutzt gezeigt habe.Tann wendet sich Pannekoek gegen die Behauptung Kautskys,dass eine Verquickung des politischen Massenstreiks mit ökonomischenStreiks nicht angängig sei und den politischen Streik schädigenwürde. Er sagt dazu unter anderem:Kautsky denkt sich einen allgemeinen politischen Zwangtstreik, wobei ökonomische Forderungen erhoben werden; dieUnternehmergruppen splittern durch Gewährung der ökonom?-schen Forderungen eine Arbeiterschicht nach der anderen ab, undder Streik ist für die Arbeiter verloren. Um was für einenStreik handelt es sich hier? Man dachte ihn sich nicht mit ökono-mischen Forderungen verquickt; dann kann er nur sein Endefinden in der Gewährung des verlangten politischen Rechtes,eines Rechtes, das nichts weniger als die Besitzergreifung derMacht durch das Proletariat, den Sturz der Regierung, die poli-tische Revolution bedeutet. Ja, aber wer glaubt, diese Revolutionkann die Wirkung eines einzigen grossen politischen Zwangtstreiks sein?... Der Gedanke..., durch einen grossen Zwangsstreikdie politische Macht auf einmal zu erobern, ist im Grunde nichtsanderes als die alte anarchistische Generalstreiksidee. DieseIdee steckt hinter dem Beispiel, woran die Hinfälligkeit der Aus-fuhrungen der Genossin Luxemburg bewiesen werden soll.Nichts ist wichtiger als die Formen, die in Deutschland eineMassenstreikbewegung im weiteren Verlguf der EntWickelung an-nehmen wird, einigermassen klar zu erkennen. Dabei können unsaber die Beispiele aus Westeuropa am wenigsten dienen, dennhier ging es niemals um die ganze Herrschaft der regierendenKlasse. Eher könnte die russische Streikbewegung als Beispieldienen. Allerdings ist auch dieses Beispiel nicht ohne weitereszu gebrauchen— nicht aus dem Grunde, wie Kautsky meint, dassin Russland die Revolution herrschte und hier nicht, denn dierussische Revolution bestand gerade in der Massenstreikbewegung,und die deutsche Revolution hat mit dem preuhischen Wahlrechts-kämpf im Grunde schon begonnen.— Sondern der Unterschiedliegt in der gewaltigen Qrganisationsmacht des deutschen Prole-tariats, wie sie in einem solchen Kampf noch nie gesehen wurde.und die ihm eine ungeheure Wucht geben wird....Der Massenstreik als politisches Zwangsmittel gegen dieRegierung kann hier, in dem Kampfe um die Regierung, nichtein einziger Akt sein, sondern nur ein längerer Prozess. Er kannnur ein langes, zähes Ringen sein; das kann dann nicht einlangandauernder einziger Streik sein— das halten die Arbeiterselbst nicht ans—, sondern es muß eine auf- und abflutendekolossale Streikbewegung sein, wobei bald hier, bald dort dieKämpfer pausieren, Atem schöpfen müssen, bevor sie sich wiederin den Kampf stürzen, wobei sie möglichst alle Kräfte zu einemgleichzeitigen Streik vereinigen, bisweilen vielleicht auch sichwieder in Einzelgefechten trennen. Eine solche Bewegung ent-spricht nun genau dem Typus des Massenstreiks, den wir obenerwähnten, der zugleich politischer und gewerkschaftlicher Naturkleines feuilleton.Die belgisch« Kunst im XVll. Jahrhundert.AuS Brüssel wird unS geschrieben:Wenn auch die Weltausstellung wie jede andere mehr derRcalilät des Geschäftes als den Idealen der Kunst zu dienen bat.muß man doch aiierkennen, dass sie auch auf diesem Gebiet genugBemerkenswertes bringt. Der Kunstfreund, dem es vergönnt ist,nur die von der Regierung veranstaltete Ausstellung von G e-mälden des XVII. Jahrhunderts zu sehen, wird sich durchdiese allein schon überreich belohnt finden.Die Ausstellnng ist ziemlich weit von der Weltausstellung selbstentfernt. Sie ist in dem freundlichen, von Grün durchzogenenQuartier du Cinquantenaire in einem Neubau des dortigen Aus-stellungspalais unlergebracht. Aus allen grossen Museen Europaswie aus dem Privatbesitz verschiedenster Städte sind hier dieMeisterwerke der vlämischen Kunst des XVII. Jahrhunderts vereinigt.Alles und alle überstrahlt die Sonne„Rubens". 110 Gemälde fiudvon ihm da— darunter eines der herrlichsten und sicher das ergreifendsteseiner Selbstbildnisse, das aus dem Wiener Museum, daS ihnim sechzigsten Lebensjahre, wohl ohne daS Sieghafteseiner Jugend zeigt, das ober durch den von Leidenund Lebensstiirmen und Krankheit zeugenden Ausdruck dieanderen Porträts an Tiefe übertrifft. Auch eine Reihevon berühmten Altargemälden, die sonst im Weihrauch undDunkel belgischer Kirchen schlummern, sind in den AuSstellungSsaalgewandert, so aus der„Notre Dame" in M e ch e l n der„Wunderbare Fischzug', ein richtiger farbenleuchtender, lebenauellenderRubenS; von eben dort, aus der Kirche St. Jean, diewunderbare und viel bewunderte„Anbetung der Weisen" undau« Alost in Flandern„St. Rochu« unter den Pestkranken".Aus einer Kirche stammt gleichfalls die grandiose„Hochzeit derheiligen Katharina". Weitere Werke der religiösen Malerei sind auSden Museen von Lille und Balenciennes, sowie von Kassel, Gotha,Wien usw. und vielfach aus Privatbesitz aus aller Herren Länderda. Die Werke helfen den Eindruck von der einzigartig-genialenFruchtbarkeit dieses Künstlers noch erweitern.Ein Stern zweiter Grösse, aber noch immer von schönemGlänze ist der Aniwerpener Jordaens, der wie kein anderer dieköstliche Frische, die Ungebundenheit, die singende LebenSfteudigkeitdes Vlämenvolkes gemalt hat. Wie leuchten und lachen sie von denWänden, diese übermütigen, trinkenden Könige, diese Frauen mitden strahlenden Augen, den quellenden Brüsten, den frech-lustigenMienen. Nicht weniger als drei Darstellungen seines Lieblings-themaS:„Der König trinkt" sind auf der Ausstellung.Ferner gibt es von ihm dort etliche Variationen von dem nichtminder kraft- und saftvoll hingeworfenen:„Satyr und Bauer",ferner ein wundervolle«„Martyrium der heiligen Appolinia" undaudere Offenbarungen diese» vlämischen Kraftgenies.'st. In einer solchen Streikbewegung, wie sie notwendig aus demZusammenwirken der politischen und wirtschaftlichen Momenteentstehen muß, wird die Verbindung von politischen und öko-komischen Forderungen etwas Selbstverständliches sein. Undwenn darin z. B. den Bergarbeitern ihre Forderungen, die dannnicht gering sein können, durch die Zechen zugestanden werden,so ist ein solcher Sieg keine Schwächung der Bewegung, sonderneine Stärkung, die anfeuernd auf andere wirkt, ähnlich wie dieökonomischen Errungenschaften in Russland die Kraft der politi-schen Bewegung nicht schwächten, sondern stärkten.Im 3. Artike' erklärt Pannekoek, daß es sich indes in dergegenwärtigen Situation nicht um die Anwendung des Zwangs-streikes zur Erringung der Staatsgewalt handelt, sondern blossum die Frage des Demonstrationsstreikes, und dass die Diskussionfehlgehen müsse, wenn Kautsky die Absicht derjenigen, die in derheutigen Situation eine politische Streikbewegung für nützlich er-achteten, dahin entstelle, als wollten sie eine Kraftprobe, eine Ent-scheidungsschlacht, eine„Niederwerfungstaktik" vom Zaune brechen.Solche Demonstrationsstreiks müßten sich von selbst aus dem Fort-gang der Bewegung ergeben; denn wenn wichtige politische Ent-scheidungen fielen, und es auf Tag und Stunde ankomme, dannkönne das Proletariat mit der Antwort nicht mehr bis zum nächstenSonntag warten, sondern müsse die Arbeit verlassen und sosortam Wochentag demonstrieren. Da solche Streiks bloß Demonstra-tionen seien, könnten sie nicht in dem Sinne fehlschlagen, daß sienichts erreichten; denn sie wollten nichts erzwingen. Auch sei esausgeschlossen, daß die Massen der Parole nicht folgen würden,denn sie werde nur gegeben, wenn die Massen selbst dazu drängten.Kautsky begründe seinen Hinweis, daß die Massen versagenkönnten, gar nicht, während die unmittelbare Erfahrung zeige,daß die Arbeitermassen von der größten Begeisterung und starkemTatendrang erfüllt seien und alles auf schärfere Kampfmitteldränge. Ueberhaupt gehe Kautsky über die unmittelbare praktischeFrage, ob es notwendig, nützlich oder schädlich sei, die Bewegungdurch Demonstrationsstreiks zu steigern, mit Stillschweigen hinweg,und wende sich, an die Worte der Genossin Luxemburg anknüpfend,dass eine solche Aktion sich stetig steigern müsse, ausschließlich gegenden Zwangsstreik, um den es sich gar nicht handele. Gegen dieDemonstrationsstreiks führe er nur an, daß sich aus ihnen schwereKämpfe entwickeln könnten, eine revolutionäre Situation darausentstehen könne, zu der das Proletariat noch nicht gerüstet sei undworin es eine schwere Niederlage erleiden könnte. Die Furcht vorschwereren Kämpfen sei aber noch nie ein Grund für das Prole-tariat gewesen, nicht vorwärts zu dringen. Einen Angriff zuunterlassen, weil man sich bann später vielleicht zu weit vorwagenwürde, wäre eine übervorsichtige Taktik. Damit hätte man früherauch die Strassendemonstrationen bekämpfen können, weil sie viel-leicht zu Demonstrationsstreiks usw. führen würden. Wenn derDemonstrationsstreik einen vorwärts bringe, so müsse man ihn an-wenden; was man nachher, in neuen Situationen mache, darüberwerde sich dann nach den gegebenen Verhältnissen entscheiden lassen.Die Furcht, es könne eine revolutionäre Situation entstehen, würdefür kämpfende Proletarier doch eine sehr sonderbare Gemütsver-fassung sein. Wenn etwa ein Krieg ausbreche und eine revolu-tionäre Situation schaffe, dann müsse das Proletariat einfach denKampf aufnehmen; wenn diese Situation durch innere Ereignissehervorgerufen werde, so sei es doch ebensogut und werde dieselbenFolgen mit sich bringen. An Organisation, Disziplin, politischerReife und klarer Einsicht fehle es dem Proletariat nicht, was fehlesei die„revolutionäre Situation". Diese bestehe darin, dass diebisher gleichgültigen Massen aufgerüttelt werden, daß Energie,Tatkraft, Wagemut emporflammen, dass die Autorität der Regie-rung schwindet, daß die Massen sich aus der Bezauberung, die dieRegierungsgewalt noch immer ausübt, loßreißen, sich ihrer eigenenKraft bewußt werden und alle kleinen Gefühle der Furcht, derSorge und der Gleichgültigkeit von sich werfen. Der Artikelschliesst:... Sollte sich... auS der Steigerung der Aktion»derArbeiter zu Demonstrationsstreiks eine immer gewaltigereStreikbewegung und schliesslich eine revolutionäre Situation er-geben, so kann das für das Proletariat keinen Grund abgeben,eine solche EntWickelung zu fürchten und sich dadurch vonAktionen abhalten zu lassen, die es im anderen Falle jetzt seinemInteresse entsprechend beurteilen würde. Umgekehrt: wenn eSvoraussieht, dass seine Aktion eine revolutionäre Situation herbeiführen könnte, daß sie jedenfalls die Massen organisiert undmit Kampfesmut und Energie beseelt, so wäre das ein weitererGrund, solchen Aktionen nicht aus dem Wege zu gehen, sondernsie mit Begeisterung aufzunehmen.Nächst Rüben« ist v a n D y ck am stärksten vertreten: mit8b Werken. Darunter zwei Kreuzabnahmen aus den Kirchen vonTermonde und Gent, daS Porträt der Marquise Spinola auSLondoner Privatbesitz, das Porträt der Malerfamilie SnyderS fau«Petersburg die Nymphe im Bad jaus Berlin), verschiedene GemäldeauS dem Wiener Hofmiiseum, daS Doppelporträt Rubens— van DyckauS Pariser Privatbesitz u. a. m. T e n i e r s ist mit 38 Werken ver-treten; von S n h d e r s und seinem Aniwerpener Landsmann F y tsieht man Stilleben und Tierstiicke. Auch die„kleineren" Meisterder Zeit sind gut repräsentiert. Man findet ausser Cray er undB r ouw er einige B reug he l und Porträte der drei Bos,darunter ungemein schöne aus Privatbesitz.Die Säle wie die Interieurs aus dem XVH. Jahrhundertsind fast stilvoll eingerichtet. Der Parterresaal und die Wände im erstenStock prangen im Schmuck edler, sanft verblichener RiesengobelinSder Zeit, Werke der Meister von Tournai, Valenciennes usw.. diewieder RubenS und JordaenS und van Dyck vorzaubern, nach derenGemälden sie angefertigt sind. Die Ausstellung der belgischen KunstauS dem XVII. Jahrhundert darf als Krönung des WeltauSstellungSWerkes gelten! I-.Theater.Deutsches Theater(Sommergast spiel):„Doro-thhS Rettung", Schauspiel von Alfred Sutro. Das Stückdes englischen Verfasser« ist weniger schlimm, als die in Sardouscher Manier erklügelten, bis zur Lächerlichkeit unmöglichen Voraussetzungen, auf denen es sich aufbaut. Miss Dorothy, eine sechsund-zwanzigjährige, also den Unzurechnungsfähigkeiten des BackfischalterSlang entwachsene Dame, begeistert sich an dem Gedanken, ihrenBruder zu retten. Der sonst sehr nette und anständige junge Mannhat seiner Firma nämlich sechzigtausend Mark unterschlagen und mußnach der Rückkehr TurSfields, de« OberingenieurS, auf dessen Kontoer daS Geld aehucht, die Entdeckung fürchten. Dorothys Versuch,ihrem bescheidenen bisherigen Verlobten die Summe ab-zuborgen, schlug fehl, also reist sie nach St. Moritz,wo Tursfield seine Ferien zubringt, um den betreffendenHerrn blind in sich verliebt zu machen. Nicht etwa, weilsie ihn dann um die Summe bitten will. Dem zart besaiteten Ge<müt erscheint das offenbar als nicht genügend delikat. Hingegenrechnet sie darauf und hält es für ganz natürlich, dass der von ihrerKoketterie Gekaperte aus lauter Liebe bei der Revision ein Auge zu-drücken und so den Chef beschwindeln wird. Dabei ist Dorothy nachden ihr in dem Stücke ausgestellten Attesten beileibe keine hysterischpathologische Person, noch eine gefühllos eroberungssüchtige Lulu,sondern im letzten Grund ein liebes, herzige? Geschöpf, das nur ausüberschwenglich schwesterlicher Zärtlichkeit gelegentlich strauchelte.Indes die Ausnutzung der in der Motivierung total verfehltenSituation ist nicht ohne bühnenmäßige Geschicklichkeit, ja lässt hierund da auch wärmere Tone der Empfindung anklingen. Die Gut-mütigkeit, mit der der Autor daraus achtet, daß keiner seiner LeuteSchaden nimmt, hat etwa» Rührende». Tursfield, der in DorothyDer vierte beginnt:„Der Hauptgrund, den Kautsky gegen die Anwendung desStreiks anführt, liegt in den Reichstagswahlen des nächstenJahres. Hier liegt auch die wirkliche tiefste Ursache, die weiteKreise, namentlich unter den führenden Genossen, einer Streik-bewegung abgeneigt macht. Erstens versprechen sie sich danneinen grossen Sieg, eine Abrechnung, die uns gefahrlos einengrossen Gewinn bringen wird und jede andere Aktion jetzt über-flüssig macht. Zweitens fürchten sie, daß dieser Gewinn durcheine jetzt ausbrechende Streikbewegung gefährdet und in Fragegestellt werden wird.'•Pannekoek gibt dann zu, daß die nächsten ReichstagSwahlei»der Sozialdemokratie einen grossen Erfolg bringen und für dieGegner ein gewaltiges Strafgericht bedeuten werden. Aber nachdem Siege werde die Sozialdemokratie immer noch eine einfluss-lose Minorität sein. Die„betroffenen" bürgerlichen Parteienwürden sich gegen die Sozialdemokratie zusammenschließen undverhindern, dass die Sozialdemokratie auch nur den geringstenSchein unmittelbaren Einflusses bekomme, wenn sie natürlich auchmittelbar die ganze Politik beherrsche. Wenn man den Wahlsiegnicht als das ansehe, was er wirklich sei, nämlich eine weitereEtappe auf dem Wege der steigenden Organisation und Bewußt»Werdens, der fortschreitenden Schulung und Sammlung des Prole«tariats, sondern ihn an seinen unmittelbaren Resultaten und Er-folgen messe, dann sei er einfach eine Tonne für Walfische. DaSReichstagswahlrecht wirke heute wie ein Sicherheitsventil, durchdas sich die Empörung der Massen entladen könne, ohne den Herr-schenden dabei unmittelbaren Schaden zuzufügen. Bei der heutigenWahlkreiseinteilung sei die Erringung der Mehrheit der Mandateausgeschlossen, auch wenn wir die Mehrheit der Stimmen bekämen.Damit sei ausgeschlossen, daß wir je imstande seien, auf reinparlamentarischem Wege eine wirkliche Bestrafung der Feinde vor»zunehmen. Um wirklich entscheidende Vorteile zu erringen, wirklichAbrechnung zu halten, müsse auf die außerparlamentarischenMachtmittel zurückgegriffen werden: auf Demonstrationen undStreiks. Der in Aussicht gestellte Wahlsieg des nächsten Jahre»könne also keine entscheidende Bedeutung haben.Kautsky denke darüber kaum anders; er suche deshalb die Be-deutung der Wahlen darin, daß die herrschenden Klassen durchunseren Sieg so erschreckt würden, daß sie zum Staatsstreichgreifen, das Reichstagswahlrecht aufheben würden. Dann sei dierevolutionäre Situation da, dann würden die Massen durch Massen»streiks die herrschende Klasse zwingen, davon abzulassen oder sie ineiner Entscheidungsschlacht niederwerfen.Das heiße: jetzt nicht angreifen, denn wir seien für einenEntscheidungskampf zu schwach, sondern warten, bis wir angegriffenwürden. Seien wir dann auf einmal nicht mehr zu schwach? Nie-mals in der Offensive, immer in der Defensive, das sei die neueuns empfohlene taktische Parole. Möglich sei es, daß sich die Ent-Wickelung so abspielen werde, wenn nämlich die Massen nicht inBewegung kommen wollten, so dass sie erst der Staatsstreich vonoben in Bewegung bringen müsse. Aber etwas anderes sei, das alstaktische Methode zu empfehlen und gerade dann, wenn die Massenangreifend vorgehen wollten. Darauf fährt P. fort:„Wie aber, wenn der Staatsstreich ausbleibt? Kautsky stelltdie Alternative: entweder Konzessionen an das Proletariat oderein Staatsstreich; aber es besteht noch ein drittes, das die größteWahrscheinlichkeit für sich hat: daß einfach nichts geschieht, daßin der üblichen reaktionären Weise fortgewurstelt wird. DieJunker mögen noch so dumm sein, sie wissen so gut wie wir, daßunter dem heutigen Reichstagswahlrecht die Sozialdemokratienie die Mehrheit bekommen wird. Unser Wachstum wird vorallem die Liberalen und vielleicht das Zentrum, aber am aller-wenigsten die Junkersitze gefährden. Weshalb sollen sie sich dannin die Gefahren eines Staatsstreichs stürzen? Wollen sietörichterweise das Proletariat zu einer Revolution provozierenund dazu den Staatsstreich inszenieren, so können sie auch jetzteinen Vorwand finden, und haben sie dazu das Resultat dernächsten Reichstagschahlen nicht nötig. Wer von unserer Seitenicht eine angreifende revolutionäre Bewegung wünscht, sondernauf eine Revolution auf Umwegen rechnet, die uns aufgenötigtwerden soll, der gerät in die größte Gefahr, sich zu verrechnen,indem sie ausbleibt. Es will uns scheinen, daß dies für uns auchviel besser ist. Gehen wir angreifend vor, wie bisher, werfenwir den Feind immer mehr aus seinen Positionen zurück, sowird diese-offensive Kriegstaktik wahrscheinlich wirksamer seinund weniger Opfer kosten, als wenn wir uns in die Defensivedrängen lassen. Der Angriff ist immerdie beste Ver»t e i d i g u n g, und so wird der fortgesetzte energische Angriffdas Ideal weiblicher Schönheit und Tugend bewundert, erklärt, sobald er durch die verspätete Beichte des Bruders von der Unter-schlagung hört, daß er auS seinen Ersparnissen das Fehlende be«gleichen werde, nur dürfe Dorothy nichts davon erfahren. Er über«trumpft sich andauernd in Edelmut. Herr H a r t a u verstand e»,diesem kindlich gläubigen Verehrer eine sehr sympathische persönlicheNote zu geben. Das strahlende Hoffnungsglück, die mühsam ge-bändigte Empörung, als ihm ein Zufall Dorothy« ursprünglichenPlan verrät, die tiefe Depression in seinem Junggesellenheim vordem letzten, alles zum Guten wendenden Theatercoup, kam in schlichtlebendiger Ueberzengnngskraft heraus. Ellen Neustädter setzteihre bedeutende Kraft in der wenig dankbaren Rolle der Titelheldinein. Die Episodenfignr des schrullenhaften alten Chef« und ein-gefleischten Junggesellen fand in Herrn Herzfeld einen trefflichenVertreter. Die Aufnahine war freundlich. dt.Humor und Satire.Mormonen.Zwanzig Stück— igitt, igittt—Kamen(männlich grösstenteils)Nach Berlin aus Saltlake City,Predigten das Wort de« Heils lAhnten wohl die hiesigen Moden,Als der Geist sie fprecwärtS trieb,Denn Berlin war längst ein BodenFür ihr frommes Grundprinzip.Doch man nahm sie am Schlafittchen.Hemmte das Bekehrungswerk,Schickte sie nach Snltlake Cit-chenHeimwärts von dem Spree-Bezärk.Unvermutet kam eS diesen.Wußten kaum, wie das geschah..Zwanzig hat man ausgewiesenAber viele find noch da.__(Gottliev im.Tag'.)Notizen.— Zeppelin im Eise. Die Studienfahrt der arktischenZeppelingesellschaft nach Spitzbergen, die die zu später geplantenLuftschiffexperimente im hohen Norden vorbereiten sollte, scheint er-gebniSlos verlaufen zu sein.(Sie ist von Kenner» der Arktis vonvornherein für eine akademische Spritzfahrt erklärt worden.) NachMeldungen de? in,Dromsö(Norwegen) eingetroffenen Torpedoboote?.Carmen", das die beiden Expeditionsschiffe in der Croßbay auf-üchte, war daS Vordringen durch das Eis erschwert. Die Fahrtnach Grönland ist aufgegeben. Einen Ankerplatz für Luftschiffe hatZeppelin auch nicht gefunden. Die Expedition wird bereits imAugust zurückkehren.— Die Hergesellen werden die mangelndenErfolge sicherlich durch verstärkte viellam» für da» nationale Unter-nehmen ersetzen.