Jnteressanl waren die Begleitumstände dieser Wahl. Die sozialdemokratische Fraktion erklärte sich gegen den vor- geschlagenen Kandidaten, einen Bezirksamtmann, weil dieser früher Beamte und Bedienstete, die einer sozialdemokratischen Versammlung anwohnten, bei dem Ministerium zur Anzeige brachte. Nun versuchte der Zentrumsführer Dr. P i ch l e r das Vorgehen des Bezirksamtmannes zu rechtfertigen und führte aus, daß er der Meinung sei, daß der Beamte auch ohne Auftrag des Ministers nur seine Pflicht getan habe. Staatlichen Beamten und Be- diensteten könne es nicht gestattet werden, an sozialdemokratischen Versa nimlungen teilzunehmen. Diese Ausführungen des kulturell reaktionärsten Zentrums- führers riefen auf den Bänken der Sozialdemokraten einen Sturm der Entrüstung hervor, wie er wohl noch selten im bayerischen Parlament zu beobachten war. Es ist bezeichnend für die schlimme Situation des Zentrums auch in Bayern , daß es seine Zuflucht schon zu den verwerflichsten Mitteln des Terrorismus und der Vergewaltigung der staatlichen Be- diensteten nehmen zu müssen glaubt. Wie sagte der Bischof Heule? Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben. Ein„brauchbarer und mustergültiges Vorgesetzter! Eine unglaubliche Soldatenquälerei leistete sich der Unter- offizier Trenkncr vom 64. Art.-Rgt. in Pirna , der sich wegen Mißhandlung eines Untergebenen und Anmaßung einer Befehlsbefugnis vor dem Dresdener Oberkricgsgericht zu verant- antworten hatte. Die Mannschaften des genannten Regiments waren am Sonntag, den 8. Mai, mit dem Reinigen des Stalles be- schäftigt. Der Angeklagte bemerkte dabei, daß der Fahrer Weigand zwischen dem Mist, den er herausschaffte, einige Halme gutes Stroh hatte. Das darf nicht vorkommen, in solchen Kleinigkeiten ist unser„sparsamer" Militarismus sehr haushälterisch! Eine An- zahl Soldaten hatten schon den Befehl erhalten, aus dem auf dem Hofe liegenden Düngerhaufen die guten Strohhalme herauszulesen! Auch Weigand wurde vom Angeklagten dazu befohlen. Dieser Auf- forderung soll der Soldat angeblich nicht schnell genug nach- gekommen sein. Der Angeklagte ließ den Soldaten zur Strafe dafür an dem warmen Tag« auf dem Kasernenhofe Laufschritt machen. Trotzdem W. dadurch sehr erschöpft war, mußte er noch längere Zeit Kniebeugen mit Armerollen machen! Dann wurde nochmals Laufschritt kommandiert! Nach dieser Quälerei erhielt W. noch den Befehl, an den Düngerhaufen zu treten und Stroh herauszulesen! Der Soldat war ganz erschöpft und hatte heftiges Seitenstechen, weshalb er zum Unteroffizier sagte:„Ich kann nicht mehr!"„Ach was, Du bist bloß zu faul, bück Dich nur" antwortete der Quäler. Plötzlich wurde dem Soldaten unwohl und er brach, mit dem Kopf in den Dünger fallend, ohnmächtig zusammen!! Von einigen Kameraden wurde W. in den Stall gebracht, wo sie sich um ihn bemühten; längere Zeit lag er bewußtlos da. Der An- geklagte aber kümmerte sich nicht um das Opfer seiner Quälerei!! Am nächsten Tage mußte sich W. krank melden und er war über 5 Wochen im Lazarett. Von ärztlicher Seite wurde erklärt, daß der Ohnmachtsanfall eine Folge der Ueber- anftrengungen war. Vor Gericht erklärte der Angeklagte, der Soldat habe den Unfall simuliert: dem wurde von Sachver- ständigen entgegengetreten. Das Kriegsgericht erkannte für diese gemeine Schinderei auf ganze i 10 Tage mittleren Arrest, weil der Angeklagte als ein brauchbarer und Muster- gültiger Vorgesetzter geschildert wird! Diese Strafe war selbst dem Gerichtsherrn zu gelinde, er legte Berufung ein. Der Anklagevertreter bemerkte, daß sich die Vorin stanz zu sehr dem Eindruck der güten Be- urteilung hingegeben habe und hielt eine Erhöhung der Strafe für angezeigt. Das Oberkriegsgericht hat aber die Be- rufung verworfen. Es habe keine Veranlassung vorge. legen, die Strafe zu erhöhen, dieselbe sei im vorliegenden Falle angemessen!! Unglaublich! Geheimbundsprozest. Ein großer politischer Prozeß wegen Geheimbündelei und Aufteizuna zu Gewalttaten steht in Posen bevor. Angeklagt sind 27 Personen, darunter auch der Landtagsabgeordnete Switala und der Probst Dykier in Buk. fraukrdcb. Die Affaire Rochette. Paris , 29. Juli. Die Untersuchungskommission für die Ange- legenheit Rochette hat sich bis zum ü. Oktober vertagt. Italien . Aus der Romagnu. Rom , 27. Juli. (Eig. Ber.) In einem Teil des Kampfgebietes, in der Umgegend von I m o l a, ist endlich ein Einvernehmen zustande gekommen. Die Arbeiter verbessern ihre Tarife und jede den Unternehmern oder Halbpartnern gehörige Dreschmaschine muß von drei bis vier organisierten Arbeitern zu tarifmäßigen Löhnen bedient werden. In R a V e n n a dagegen dauert der Kampf fort. Die Grundbesitzer lasten die Tennen für die roten Maschinen sperren, während die Terziari, eine Art Tagelöhner in Natural- lohn, die gelben Maschinen auf ihren Tennen nicht dulden wollen. An vielen Orten fängt man an, daS Korn mit Dreschflegeln, aber zu tarifmäßigem Preise, zu dreschen. In der Provinz Ravenna ist die Spannung immer noch sehr groß. Wieder ein blutiger Konflikt in Südstalien. Rom , 27. Juli. (Eig. Ber.) In San Pietro Vernotico in der Provinz Lecce hat man schon wieder einmal bei der Demon- stration die Wafkengegen die Volksmenge gerichtet. Die Bevölkerung des kleinen Ortes war erbittert, weil die Präfektur den Gemeinderat ausgelöst hatte. In der üblichen dummen Weise stellte man der demonstrierenden Menge eine Handvoll Karabinieri. im ganzen 7 Mann, gegenüber. Natürlich kam es zu einigen Steinwürfen, wie dies bei einer so heftigen und politisch rechtlosen Bevölkerung nicht zu verwundern ist. Im Bewußtsein ihrer ge- ringen Zahl verloren die Karabinieri den Kopf und schostcn, noch dazu ohne vorher die vorschriftsmäßigen Signale zum Räumen des Platzes zu geben. Das Resultat waren zwei Tote und etwa 10 Verwundete. Man kann den geradezu stereotypen Hergang dieser Metzeleien nicht lesen, ohne sich zu fragen, warum die Re- gierung nicht endlich begreift, ivas doch nachgerade ein Kind oder ein Blödsinniger begriffen haben muß, daß man aus psychologischen Gründen einer Menge von mehreren Hundert Personen nicht ein halbes Dutzend Karabinieri gegenüberstellen darf. Es ist bis zum Ileberdruß bewiesen, daß die Karabinieri, wenn sie sich in Gefahr fühlen, überwältigt zu werden— und 7 Menschen gegen 500 befinden sich eben in dieser Gefahr—, den Kopf verlieren und von den Waffen Gebrauch machen. Will man schon bewaffnete Macht schicken, ivas mit Rücksicht auf die ausreizende Wirkung gar nicht angebracht ist, so schicke man eine hinreichende, ja eine imponierende Zahl ruhiger und vernünftiger Leute. Gerade das Bewußtsein ihrer Slärle wird dann den Karabinieri Ruhe und kühles Blut «eben. Die heutigen Verhältniste stellen ein ruchloses und frevel- aftes Spiel mit Menschenleben dar. Was man heute bei Volks- bewegungen in Süditalien „die Ordnung aufrechterhalten" nennt, ist einer prompt und sicher funktionierenden Mausefalle zu 6er- gleichen, mit der man Menschen ums Leben bringt. Spanien . Der Konflikt mit dem Vatikan . Madrid , 29. Juli. Wie„Jmparcial" meldet, wird Minister- Präsident C a n a l e j a S dem König wegen der Verhandlungen mit dem Vatikan heute in San Sebastian die Vertrauensfrage stellen. Cngiancl. Annahme der Eidesformel. London , 28. Juli. Unterhaus. Die gestern von dem Premierminister Asquith vorgeschlagene neue Fastung der Er- klärung des Königs bei der Thronbesteigung wurde mit 244 gegen S4 Stimmen angenommen. Die Vetokonfereuz. London , 29. Juli. In der heutigen Sitzung des Unter- Hauses erklärte Premierminister Asquith bezüglich der Veto- k o n f e r e n z, die Vertreter der Regierung und der Oppo- sition seien zwölfmal zusammengekommen und hätten mit Sorgfalt einen großen Teil der stritttgen Materie in Er- wägung gezogen. Obschon wir bisher noch zu keinem Uebercin kommen gelangt sind, fuhr der Premier- minister fort, so haben doch die Besprechungen zu solchen Fortschritten geführt, � daß es nach unser aller Meinung nicht nur notwendig, sondern wünschenswert ist, sie fortzusetzen. Ich kann tatsächlich noch weitergehen und sagen, wir würden es für falsch halten, sie in diesem Stadium abzubrechen. Es handelt sich nicht um eine unbestimmte Fortdauer der Besprechungen. Wenn wir in den weiteren Beratungen während der Parlamentspause zu der Ansicht ge- langen sollten, daß keine Aussicht auf eine Einigung vor- Händen ist, welche dem Parlament im Laufe der gegenwärtigen Session mitgeteilt werden könnte, so werden wir die Konferenz schließen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung kamen mehrere Redner auf die in Marokko verübten Grausamkeiten zu sprechen. Die Redner legten der Regierung nahe, in der Frage eine energischere Haltung einzunehmen und auch die französische Regierung auf die Dringlichkeit der Angelegen- heit hinzuweisen. Parlaments-Untersekretär McKinnon Wood erwiderte mit Bezug auf die Folterung der Frau des Gouverneurs von Fes, daß die englische Regierung der fran- zösischcn das Material über diesen Fall zur Verfügung gestellt und sie dafür gewonnen habe, gemeinsam mit der englischen Regierung auf den Sultan den stärksten Druck auszuüben, um diesen scheußlichen Grausamkeiten ein Ende zu bereiten. Er glaube, daß die französische Regierung in diesem Bestreben ebenso eifrig sei wie die englische. Darauf vertagte sich das Haus bis zum 1 5. N o v e m b e r. Zu einer formellen Sitzung wird das Haus indeß am 3. August zusammentreten, um von der königlichen Genehmigung der Aenderung der Er- klärung bei der Thronbesteigung Kenntnis zu nehmen. Hus der Partei. Die Mannheimer Genossen über die Budgctb ewilligung. Aus Mannheim wird uns telegraphiert: Eine sehr stark besuchte Versammlung des sozialdemokratischen Vereins in Mannheim beschäftigte sich mit der Tätigkeit der badischen LandtagSfraktion. Genosse Geiß erstattete den Bericht. Er ver- teidigte dle Haltung der Fraktion in der Großblockfrage und wegen der Budgetfrage. In der Diskussion sprachen die Genossen Heinr. Remmele, Lehmann, Horter und W. Heintz scharf gegen die Stellung der Fraktion, nicht nur wegen der Zustimmung zum Budget, sondern auch wegen ihrer Zustimmung zur Gemeindereform, zum Schulgesetz und zum Einkommensteuergesetz. Allgemein wurde namentlich die Hofgängerei verurteilt und nachgewiesen, daß auch eine Ber- pflichtung au? der Geschäftsordnung hierzu nicht hergeleitet werden könne, schon weil der Landtag jetzt geschlossen ist, ein Vorstand nicht besteht, derselbe daher auch keine Befugnis habe, eine Deputation zur silbernen Hochzeit des Großherzogs zu entsenden. Scharf wurde hervorgehoben, daß der Disziplinbruch der Fraktton erst den Streit in die Partei gebracht habe. Die Mitglieder der Fraktion Süß- k i n d und Dr. Frank verteidigten deren IHaltung im Landtage und versuchten nachzuweisen, daß die Fraktion durch die Macht der Verhältnisse gezwungen gewesen sei, gegen die Beschlüsse des Nürn- berger Parteitages zu verstoßen. Nachts gegen 1'/« Uhr wurde eine Vertrauensresolution gegen eine starke Minderheit an« genommen._ In Weimar wurde in einer stark besuchten Parteiversammlung nach einem Vortrage deS Genosten B ändert über:„Monarchie oder Republik" folgende Resolution einstimmig angenommen: „Die Parteigenosien in Weimar bedauern die Zustimmung der badischen Landtagsfraktion zum Budget und erblicken in diesem Vor« gehen einen Bruch der Disziplin, der eine schwere Schädigung der Einheit innerhalb der Partei bedeutet. Die Parteigenossen in Weimar verurteilen scharf die Teilnahme der badischen Landtagsfraktion an höfischen Kundgebungen, da solche als widersinnig mit dem republikanischen Charakter der sozialdemo- kratischen Partei zu bezeichnen sind. Die Parteigenosien in Weimar erwarten vom Parteitage in Magdeburg , daß er Mittel und Wege findet, um der Beachtung von ParleitagSbeschlüssen die Geltung zu verschaffen, die zu einem ein- heitlichen taktischen und prinzipiellen Vorgehen der Partei un- erläßlich ist." Der bayerische Landesparteitag findet vom 13. bis 16. August in Erlangen statt. Als T a g e s o r d n u n g ist vorläufig fest- gesetzt: 1. Bericht des Landesvorstandes und Neu- organifation. Berichterstatter E. Auer. 2. P a r l a in e n- tarischer Bericht der Landtagsfraktion. a)Allge- meine Politik. Berichterstatter Adolf M ü l l e r. d) Steuer- Politik. Berichterstatter Dr. v. Haller. o) Sozialpolitik. Berichterstatter M. Segitz. 3. Gemeindewahlprogramm. Berichterstatter Ed. Schmid. 4. Agitation und Presse. 6. Anträge und Neuwahlen. AlS Sekretär für das neu eingerichtete Parteisekretariat für den Wahlkreis Kassek-Melsungen wurde Genosse Struve» Hamburg gewählt._ Eine österreichische Parteischule. Auf dem Reichenberger Parteitag haben die Teplitzer Genosten den Antrag gestellt, die Partei möge eine Parteischule er- richten, um den Vertrauensmännern der Provinz eine Gelegenheit für ihre methodische Fortbildung zu schaffen, wie sie den Arbeitern Wiens in unserer Arbeiterschule schon seit einigen Jahren geboten wird. Der Parteitag hat diesen Antrag der Parieivertretuna zu- gewiesen. Dieser Plan ist jetzt verwirklicht worden: die Parteischule wurde letzten Montag in Bodenbach(Böhmen ) eröffnet. Der Unterrichtskursus dauert einen Monat. Der Unterricht wird täglich von 7 Uhr früh bis 11 Uhr vormittag» und von 6 Uhr nachmittags bis 7 Uhr abends in der Volkshalle, dem schönen Heim unserer Bodenbacher Genosten, erteilt. Der Lehrplan umfaßt die Volkswirtschaftslehre, die Geschichte des modernen Staates seit der Reformation, die Geschichte Oesterreichs seit 1848, Theorie und Praxis der Gewerkschaften. Arbeiterschutzgesetz- gebung und Arbeilervcrsicherung, eine Einführung in daS Arbeitcrrecht und statistische Uebungen. Die Lehrer wurden dem Lehrkörper der Wiener Arbeiterschule entnommen. AlS Schüler wurden nur diejenigen Genosien zugelassen, die von einer politische», einer gewerkschaftlichen oder einer gcnosienschaftlichen Organisation in die Schule entsendet worden sind. Die Organisa- tionen, die die Schüler delegiert hoben, tragen auch die Kosten ihres Aufenthalts in Bodenbach; die anderen Kosten trägt die Reichs- Partei. An der Schule nehmen 36 Genosien und zwei Genossinnen teil, und zwar 30 Genossen aus Böhmen , drei aus Niederösterreich , drei aus Schlesien , je einer aus Mähren und aus Oberösterreich . Soziales. Lagereiarbeiter. Der soeben erschienene Bericht der Lagerei-Bcrufsgenossenschaft erwähnt, daß die Regierung erfreulicherweise den geplanten „schweren Eingriff in das Selbstvcrwaltungsrecht der Berufs- genossenschaften" aufgegeben habe und dafür natürlich die Kranken- kosten weiter zu knebeln sucht. Die EntWickelung der Berufsgenossenschaft ergibt sich aus folgenden Zahlen: Versichert waren im Jahre 1886: 7421 Betriebe, im Jahre 1908: 68716 Betriebe und im Jahre 1909: 73436 Betriebe mit 371 611 Arbeitern. Die Zahl der Unfälle hat sich von 19 816 aus 20 862 erhöht, während die entschädigten Fälle von 3738 auf 3632 zurückgegangen sind. Da walten die Vertrauensärzte ihres Amtes. An 21 089 Krüppeln wurden im Berichtsjahre Renten ge- zahlt. Die Armee der Verletzten wird immer größer. Die meisten Unfälle haben sich laut Bericht in der Sektion Berlin und Hamburg ereignet. Es wird auf die Konferenz im Reichsversichcrungsamt hingewiesen, welche den Berufsgenossenschaften das Heilverfahren innerhalb der ersten 13 Wochen des Unfalls ans Herz legte. An der Besprechung hätten auch zahlreiche Aerzte teilgenommen— von Versicherten ist natürlich gar keine Rede— und sei ausgeführt worden, daß heute die Berufsgenossenschaften nicht einmal 1 Proz. der Unfälle im Heilverfahren übernehmen würden. Unrichtige Diagnosen und ungenügende Behandlung schädigten jedoch Ver- letzte, wie auch die Bcrufsgcnossenschaften. deren späteres Heil- verfahren wenig Wert noch habe. Unsere berühmten Renten- quetschen machen doch alles, wenn auch die Wissenschaft dies nicht begreifen kann. Da aber die Lagerei-Berufsgenossenschaft selbst nur in 361 Fällen das Heilverfahren übernommen hatte, dafür den Betrag von 20 168 M. verausgabte, so wird verlegen ausgeführt, daß ja„in dicht bevölkerten Bezirken mit großen Betrieben und gut arbeitenden Ortskrankcnkassen, gut vorgebildeten Aerzten und nmstergültigen Heilanstalten naturgemäß das Bedürfnis zu einem umfassenden Vorgehen in dieser Beziehung weniger besteht". Ja, die Krankenkasten sind ja für die Entlastung der Berufsgenossen- schaften da. Die technischen Aufsichtsbeamten der Genossenschaft erwähnen im Bericht, daß ein Unternehmer in sehr schroffer Weise den Zutritt zu seinem Betrieb verweigert habe und viele andere Unter- nehmer sich darüber bitter deklagt hätten, daß sie sehr oft„be- lästigt" würden. Auf die Kontrolle der Gcwerbeinspektion folge die der Berufsgenossenschaft und dann noch die Kartenkontrolle der Jnvalidenvcrsicherungsanstalt. So schlimm wird wohl die Kontrolle nicht gewesen sein. Von 8473 revidierten Betrieben haben die Beamten nur 2067 Betriebe in Ordnung befunden. Die Herren Unternehmer haben also gar keine Ursache sich über die„Be- lästigungen" der Revisoren zu beschweren. Außerdem lvird be- richtet, daß die Aufiichtsbeamten auch„weibliche Personen an Kreis- sägen beschäftigt" vorgefunden haben. Ein anderer Beamter meldet: daß„in den Schulferien häufig Schulknaben 10—14 Jahre alt Kutschern— wohl meist ihren Vätern — als Handlanger behilflich waren. Es handelte sich hierbei oft um hohe Deckwagen, diese Arbeit kann daher nicht gut als ungefährlich bezeichnet werden." Man beschäftigt also Frauen an sehr gefährlichen Maschinen und beutet auch Schulkinder aus, deren Ferien zur Erholung dienen sollen. Nachdem der Bericht eine Reihe sehr auter Schutz- Vorrichtungen näher in Wort und Bild beschrieben hat, weist er auf die Infektionsgefahr in Lumpensortieranstalten, � Knochen-, Fell- und Häutehandlungen hin, in denen aber gewöhnlich die notwendigen Waschgelegenheiten fehlen. Die Beamten begrüßen auch, daß in vielen Betrieben jetzt der Kaffecgenuß stark zu- nimmt, da„dir Arbeiter sich immer mehr gegenseitig aufklären, wozu die im Berichtsjahre weit verbreitete Boykottierung des BiereS und des Schnapses nicht unwesentlich beigetragen haben dürfte." Stimmt. Deswegen haben doch die Schiedsgerichte in 2616 Fällen zugunsten der Genossenschaft und nur in 693 Fällen zugunsten der Verletzten entschieden. Das ReichSversicherungSamt entschied gar in 80 Proz. der Fälle für die Genossenschaft. Abzug deS Krankengeldes von ber Unfallrente. Der Hilfsschaffner P. Sch. zu Frankfurt a. M. erlitt durch Zu- sammcnstoß der Waldbahn mit einem Personenzug einen schweren Unterschenkelbruch. Er bezog später von der Straßen- und Klein- bahn-Berufsgenossenschaft eine Rente, protestierte jedoch dagegen. daß ihm von dieser Rente außer dem Krankengelde der zugehörigen Ortskrankenkasse, auch noch das über die 13. Uufallwoche hinaus ge- währte Krankengeld seitens der Zrntralkrankenkasse der Sattler in Abzug gebracht wurde. Die Berufsgenossenschaft erklärte jedoch, daß sie bei den Krankenkassen Ersatz zu leisten habe, da diese ja den Ver- letzten unterstützt hätten. Der Bezirksausschuß zu Wiesbaden hatte sich nun mit dieser interessanten Streitfrage zu beschäftigen und gab in der ersten Entscheidung dem Verletzten recht. Tie Berufsgenossen- schaft wurde verurteilt, dem Kläger den Betrag von 19 M. berauS- zuzahlen, da ß 26 des U.V.G. den Ersatzanspruch der Krankenkasse geregelt habe. Hiernach wolle der Gesetzgeber nur zulassen, daß dem Verletzten die Hälfte seiner Rente zu kürzen sei und„klma, wenn er mehreren Kranlcnlassen angehört, nickt jeder von ihnen ein An- spruch bis zur Höhe derselben Rente eingeräumt werden, da dann der Fall eintreten könnte, daß die Kassen zusammen die ganze Rente und mehr fordern, diese müssen sich vielmehr in die drei halbe Monatsrenten teilen." Die Berufsgenossenschaft beruhigte sich jedoch bei dieser Entscheidung nicht, sondern stellte Antrag auf mündliche Verhandlung mit der Bemerkung, daß die beiden Kranken. kassen beizuladen seien. � Die Krankenkassen stellten sich auch auf den Standpunkt der Genossenschaft und wurde ein« Entscheidung des Obcrvcrwaltungsgerichts vom 7. Juli 1966 angeführt, wonach beiden Krankenkassen bis zur Höhe von sechs halben Monatsbeiträgen der Rente geleistet werden müßte. In der mündlichen Verhandlung drang denn auch die Berufsgenossenschaft mit ihrer Ansicht durch. Es wurde im Urteil angeführt, daß nach Kenntnis des früher nicht auffindbaren Urteils des Oberverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1666 den Bezirlsausschuß genötiglt habe, in eine neue Prüfung der Be- rechtigung seines Bescheides einzutreten. Aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gehe aber hervor, daß die von den Krankenkassen hier gewährte Unterstützungen grundsätzlich als„vor- übergehende" anzusehen seien und daher im Gegensatze zu„fort- laufenden" Unterstützungen eine Bemessung der Ersatzpflicht je nach der Dauer der Unterstützung nicht stattfindet. Daher sei auch jede Krankenkasse berechtigt, als Ersatz der von ihr gewährten Unterstützung bis zu 3 halben Monatsrenten zu verlangen.„Bei Unterstützung durch mehrere Krankenkassen kann jede Kasse zwar Befriedigung bis zur Höhe von 3 halben Monatsrcnten verlangen, aber nacheinander und nicht gleichzeitig aus der für drei Monate fälligen Rente". An- gesichts dieser grundsätzlichen Festsetzungen des Oberverloaltungs- gerichts sei also lediglich zu untersuchen gewesen, ob die dem Kläger von feinen Renten gemachten Abzüge nicht übermäßig groß. gewesen seien. Dies müsse nach Lage des Falles verneint werden und tzaher sei die Klage kostenfrei abzuweisen,
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