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Kr. KZ. 27. ZahrMg. 2. flrildit des.ImoSils" Knlim Pillioliliitl. 5snn!llg. 7. Angnst 1910. KltcraHfchc Rundfchau. Itaislf Hilferding:Das Finanzkapital. Sine Studie über die jüngste EntWickelung des Kapitalismus ." Dritter Band der von Dr. M a x A d l e r und Dr. R u d o l f Hilferding herausgegebenenMarxstudien". Wien ISIV, Verlag der Wiener Volksbuchhandlung Jgnaz Wrand u. Co. Xl und 477 Seiten 8°. Preis gebunden 9 Kronen= 7,70 M. Der Band enthält außer HilferdingS Werk eine Studie von Tatjana Grigorovici:»DieWertlehrebeiMarx undLasfalle". Lange Zeit haben die Schüler der Marxschen ökonomischen Lehren ihre Hauptaufgabe fast lediglich in der Popularisierung und Verteidigung des Lebenswerkes ihres Meisters gesucht. Besonders hat die Abwehr der Angriffe der zünftigen Universitäts - und Han- delskammer-Nationalökonomie manche Arbeitskraft verschlungen, die nützlicher im Dienste der sozialistischen Bewegung hätte verwendet werden können. Gehörte es doch zeitweilig fast auf akadcmisch-volks- wirtschaftlichem Gebiet zum Befähigungsnachweis, irgendeine Marxsche Theorie kritisck zu vernichten. Jeder, der auf einen akademischen Lehrstuhl oler auf einen Posten als Sekretär einer kapitalistischen Jnterejscnsereinigung spekulierte, fühlte sich ver- pflichtet, die Berechtiguns seines Anspruchs durch eine Widerlegung Marxscher Lehren zu erpeisen und sich von den ihm nahestehenden Fachzeitungen attestierer zu lassen, daß er nun Marx endgültig als ökonomischen Theore'.iker erledigt habe. Mag auch heute noch die zünftige Universitäts -Nationalökonomie ßu einem wesentlichen Teiie im Bewußtsein ihrer höheren voraus- setzungslosen Wissenschaftlihkeit verächtlich auf das Marxsche K a- p i t a l" herabsehen, der eigenartige Sport der kontinuierlichen Marxvernichtung hat immrhin eine starke Einschränkung erfahren. Man hat zugeben müssen, auch die offizielle Wissenschaft manche ihrer tieferen Erkenntnift aus den Marxschen Schriften bezogen hat; vor allem aber hat nan einsehen gelernt, daß auf diese Weise die Bedeutung der Marzschen Wirtschaftslehre nicht hinwegargu- mentiert werden kann. Während nicht nur die Vernichtungs- Jfchristen, sondern auch di« Namen ihrer Verfasser größtenteils ver- schollen sind und nur gelegentlich von Material suchenden Fach- gelehrten in öffentlichen Bibliotheken flüchtig aufgestöbert werden, steht das Marxsche �Kapital" noch immer als bedeutsamstes Vermächtnis der vol wirtschaftlichen Literatur des letzten Jahr- Hunderts an der Schi �lle der neuen Zeit. Diese Abflauung i>cr antimarxistischen Kritik hat endlich den Marxisten die ersehn!,,' Gelegenheit geboten, von der Verteidigung der Marxschen Theorien zur Fortbildung dieser Lehren überzu- gehen und zugleich die Ehrenpflicht zu erfüllen, den Marxschen literarischen Nachlaß herauszugeben. Trotz der Anforderungen des politischen Tageskampfes, der den einzelnen immer wieder in seine Fron zwingt und wissenschaftlicher Arbeit entzieht, sind denn auch in den letzten Jahren verschiedene Werke erschienen, die wertvolle Ergänzungen desKapitals" bilden. Darunter vornehmlich die von KarlKautskh aus dem Marxschen Nachlaß herausgegebenen »Theorien über den Mehrwert", deren dritter Band jüngst erschienen und imVorwärts" besprochen worden ist. Ihm schließt sich als neueste wertvolle Ergänzungsschrift Rudolf Hilferdings vor kurzem erschienenesFinanz- kapital" an: ein Werk, das auf der Grundlage der Marxschen Werttheorie in gründlicher Weise die seit dem Abschluß des Marx- scheuKapitals" hervorgetretenen neueren Entwickelungsphasen des Kapitalismus, speziell die fortschreitende Mobilisierung des Kapitals, schildert und den Einfluß dieser Neugestaltungen auf die Wirt- schaftspolitik untersucht. Einzelne dieser neueren Wirtschafts- erscheinungen, wie z. B. die Kartelle und Trustorganisationen, die EntWickelung des Bankkreditwesens, die Veränderung des Cha- rakterS der Wirtschaftskrisen, die Wandlungen der Handelspolitik, sind zwar auch von anderen marxistischen Schriftstellern bereits mehrfach in kürzeren und längeren Artikeln behandelt worden, aber meist geschah dies lediglich zum politischen Tagesgebrauch zu dem Zweck, den Leser über diese wirtschaftlichen Neuerscheinungen und ihre Einwirkung auf bestimmte wirtschaftspolitische Strö- mungcn kurz zu unterrichten. Die Artikel waren politische Ge­legenheitsarbeiten. Hilferdings Schrift hat dagegen den Charakter einer streng systematisch-theovctischen Analyse, die im Anschluß an die Marxsche Lehre vom Reproduktions- und Zirkulationsprozeß des Kapitals die neueren Erscheinungen des Kapitalismus als Fort- bildungen bezw. Erweiterungen der im MarxschenKapital" dar- gelegten Gestaltungen zu erfassen und nachzuweisen sucht. Mit großer Fertigkeit hat sich Hilferding in die Gedanken- gänge und selbst in die Marxsche Darstellung-- und Ausdruck-weis« hineingearbeitet, so sehr, daß man oft nicht weiß, ob man nicht Ausführungen aus demKapital" liest und sich erst durch einen Vergleich überzeugen muß, daß die betreffenden Ausführungen völlig Hilferdings geistiges Eigentum sind. Wie nach dem Aus- sprach von Engels Marx geflissentlich in seiner Darstellung mit Hegel kokettiert hat, so kokettiert Hilferding vielfach mit den Marx- scheu Stileigcnheiten. Sogar die Vorliebe von Marx , seiner Satire selbst inmitten streng analytischer Deduktionen die Zügel schießen zu lassen und allerlei bissige Bemerkungen über die zitierten Auwren oder über die bürgcrlich-geschäftliche Moralheuchelei einzu- flechten, hat sich Hilferding angeeignet. Teilweise hat diese enge Anlehnung an die Marxsche Dar- ftellungs- und Ausdrucksweise einen entschiedenen Vorteil. Sie erleichtert dem, der die drei Bände desKapital" kennt, das Eindringen in die von Hilferding behandelte schwierige Materie. Der Leser hat das Gefühl, als marschiere er durch ein ihm schon größtenteils vertrautes Terrain. Andererseits dürfte allerdings dem, der nicht die Marxsche Schule durchgemacht hat, die hegelia- nische Antithesenhascherei und der Gebrauch mancher Anglizismen die Lektüre oftmals erschweren. Die Aufgabe, die Hilferding sich gestellt hat, ist eine äußerst schwierige. Seine Leser sollen die neueren Erscheinungen des Kapitalismus wissenschaftlich verstehen lernen, und zwar in ihrem kausalen Zusammenhange als natürliche Ergebnisse der Entwicke- lungstendenzen des Kapitals. Er will zeigen, wie das Finanzkapital stch mehr und mehr vom industriellen und kommerziellen Kapital loslöst, sich verselbständigt hat, daS heißt besonderen Tendenzen folgt, und wie diese neuere EntWickelung, obgleich Marx sie bei der Abfassung seine?Kapital" nicht kannte und kennen konnte, s i ch doch au» dessen ökonomischen G r u n dau f fa s s u n- gen folgerichtig ergibt. Aus dem Ziel ergab sich von selbst die Gliederung deS Stoffes. HtlferdingSFinanzkapital" beginnt mit einer Analyse des Geldes und der Kreditfunktionen. Ausgehend vom Warenaustausch und dem sich in diesem durchsetzenden Wertgesetz, erörtert Hilferding die Notwendigkeit des Geldes als Vermittlers der Warenzirkula- tion, die Ersetzung des Metallgeldes durch staatliche Geldzeichen, durch das sogenannte Papiergeld, die Arten der Papierwährung und die Frage der Entwertung des Papiergeldes in seinem Verhältnis zum Metallgeld. Dann folgt eine kurze Darstellung der Ent- stehung des Kreditgeldes, der Funktionen des Geldes in der Zirku- lation des industriellen Kapitals, des Kreditverkehrs der Banken (besonders des Wechsel- und Kapitalkredits) und schließlich der Be- stimmung des Zinsfußes. Größtenteils lehnt sich in diesen Kapiteln Hilferding an die Darstellungen an, die Marx im ersten Abschnitt des zweiten Bandes desKapital" über den Zirkulationsprozeß des Kapitals, sowie im vierten und fünften Abschnitt des dritten Bandes über die Metamorphosen des Waren- und Geldkapitals bietet; aber H i l- ferding übernimmt keineswegs ohne weiteres die Marxschen Ausführungen. Es zeigt sich vielmehr, daß er in der Behandlung des Stoffes viel selbständiger verfährt, als die äußere Anpassung seiner Darstellung an die Marxsche an- nehmen läßt. Er hat überall die neueren Wirtschaftstatsachen vor Augen, prüft die Marxschen Auffassungen an diesen und stellt mehrfach auf Grund der neueren ökonomischen Erfahrungen An- sichten auf, die über die Marxsche Lehre in bestimmter Richtung hinausgehen. So macht z. B. Hilferding der sogen,charta- l i st i s ch e n" Richtung neuerer Währ.ungspolitiker verschiedene Zugeständnisse, wenngleich er im ganzen die von Marx vertretene Ansicht(I. Band desKapital". III. Kapitel, 2 c:Die Münze, das Wertzeichen") akzeptiert, daß gemünztes Geld immer nur soweit durch Papiergeld ersetzt werden kann, daß die Masse des Papiergeldes unter dem Mini malmatz der zur Zirkulation erforder- lichen Gesamtgeldmenge bleibt. Weiter hinaus über Marx geht Hilferding in seinem Kapitel über die Veränderungen des Zinsfußes. Gegenüber Marx, nach dessen Erklärung die Variationen des Zinsfußes(abgesehen von den speziellen Verhältnissen der einzelnen Länder) lediglich vom Angebot des Leihkapitals, das heißt jenes Kapitals abhängen, das in Form von Geld(Hartgeld und Noten) verliehen wird(im Unter. schied zum industriellen Kapital, das in Warenform vermittelst des kommerziellen Kredits verliehen wird), macht Hilferding meines Erachtens mit vollem Recht geltend, daß diese Erklärung allzu einseitig von den Verhältnissen des englischen Geldmarktes ausgeht, wo durch die Peelakte die zirkulierende Notensumme ein für alle- mal in einem bestimmten Ausmaße festgelegt worden wäre. All gemein betrachtet, das heißt, wenn man den außerenglischen Geld- markt mit in Betracht ziehe, hänge die Aenderung des Zinsfußes nicht nur von dem Angebot des Leihkapitals ab, sondern von der Gesamtmenge des verleihbaren Geldes, das sich in den Kellern der Banken befindet und erfahrungsgemäß als notwendige Reserve für die inländische und internationale Zirkulation dient. Die In- anspruchnahme dieses zum Ausleihen verfügbaren Restes bestimme in letzter Instanz hie Höhe des Zinsfußes: eine Inanspruchnahme, die jedoch ihrerseits wieder abhänge vom Stande des Zirkulations-, also des kommerziellen Kredits. Solange dieser sich in gleichem Maße ausdehnen könne, wie es die gestiegene Nachfrage verlange, werde keine Veränderung im Zinsfuß erfolgen. Der größte Teil der Nachfrage werde durch ein Angebot befriedigt, das gleichzeitig mit der Nachfrage wachse, denn der größte Teil des Kredits sei kommerzieller Kredit. Die Ausdehnung dieses Kredits aber sei möglich ohne jede Wirkung auf den Zinsfuß. Der Zinsfuß, so führt Hilferding , gestützt auf die Erfahrungen der Bankdiskont- Politik, weiter aus, steige erst dann, wenn die Geldbestände der Banken abnehmen, die Reserven sich ihrem Minimum nähern und die Banken daher den Diskont hinaussetzen. Von der Darlegung der Funktionen deS Geldes und Kredits schreitet im zweiten Abschnitt Hilferding fort zur Schilderung der zunehmenden Mobilisierung des Kapitals. Mit dem technischen Fortschritt und der stetigen Ausweitung der Produktion verändert sich auch das Produktionskapital. Da? konstante, d. h. das in sachlichen Produktionsmitteln be- stehende Kapital, wächst schneller als das Lohnkapital, besonders nimmt jener Teil des konstanten Kapitals, der in Gebäuden, Ma- schinen, Werkzeugen, Transportmitteln usw.besteht und deshalb alsfixe s" Kapital bezeichnet wird, weit schneller zu als das in Löhnen, Roh- und Hilfsstoffen bestehende zirkulierende Kapital. Die kapitalistische Wirtschaft wird vorwärts getrieben durch die Sucht nach Profit, und dieser Kampf um den Profit zwingt jeden Unternehmer, einen Teil des jährlichen Profits nicht für seine Privatbedürfnisse zu verwenden, sondern damit er konkurrenzfähig bleibt, aufzuhäufen und in seinem Betriebe neu anzulegen. Doch geht diese einzelne Kapitalanhäufung zu langsam vor sich, als daß sie den Bedürfnissen der Produktionserweiterung zu genügen ver- möchte. Der Unternehmer sieht sich zu steigender Inanspruchnahme des Kredits, vornehmlich des Bankkredits, genötigt. Damit ändert sich auch das Verhältnis der Banken zu den Industriellen oder, wie man gewöhnlich sagt, zur Industrie. Gibt die Bank die Mittel her zur Vergrößerung des fixen Kapitals industrieller Unter- nehmungen, so erlangt sie damit meist zugleich auf diese einen bestimmenden Einfluß. Aber auch der Bankkredit genügt nicht der rasch zunehmenden Nachfrage nach industriellem Kapital. Die Folge ist, daß das Aktienwesen einen immer größeren Umfang annimmt. An die Stelle des Einzelunternehmers tritt die Aktiengesellschaft. In mehreren Kapiteln untersucht Hilferding die Eigenart der Aktie und zeigt, daß der Aktionär nicht als industrielle» Unter- nehmer, sondern nur als Geldkapitalist aufgefaßt werden kann, wie auch die Aktie nicht eine Anweisung auf einen Teil des im betreffenden Unternehmen tatsächlich fungierenden Kapitals, son- dern eine Anweisung auf einen Ertragsanteil, einen Revenuetitel auf künftige Produktionserträge darstellt, weshalb auch der Umsatz von Aktien lediglich ein Kauf und Verkauf von Rententiteln ist, kein eigentlicher Kapitalumsatz. Dann schildert Hilferding die Entstehung des Grün- dergewinneS, die Finanzierung der Aktien- gesellschaften, die Emissionstätigkeit der Ban- ken, die Funktionen der Börse, die Spekulation an der Effekten- und Warenbörse, und analysiert darauf im zehnten Kapitel, das den TitelB a n k k a p i t a l und Bankgewinn" trägt, die Funktionen des Bankkapitals und die verschiedenen Verwertungsmöglichkeiten, die sich diesem durch die Börsenspekulation neu erschlossen haben. Trotz der Mobilisierung des Kapitals verringert stch indes mit der kapitalistischen EntWickelung die Möglichkeit der stetigen Ab- und Zuwanderung des industriellen Kapitals aus wenig rentieren- den(d. h. eine geringere Profitrate abwerfenden Unternehmungen) in profitablere. Je größer das in Gebäuden, Maschinen, Transport- Mitteln angelegte Kapital ist, desto schwieriger ist es, dieses Kapital wie der gewöhnliche Ausdruck lautet,flüssig" zu machen und in anderen Unternehmungen zu verwenden. Die Folge ist, daß in gewissen Produktionssphären die Profitrate sich oft längere Zeit unter dem Durchschnitt hält, besonders in solchen Großindustrie- zweigen, die, durch frühere zeitweilige Umstände begünstigt, eine über Bedarf starke Ausweitung(Produktionsfähigkeit) erfahren haben. Die Folge ist, daß in solchen Industriezweigen sich mehr noch als in anderen das Bestreben zur Abschüttelung oder doch Ein- schränkung der preisdrückenden Konkurrenz geltend macht, und der Erfolg dieses Bestrebens wird, wie Hilferding nachweist, dadurch er- leichtert, daß häufig in solchen Branchen nur wenige kapitalstarke Großbetriebe vorhanden sind, die zudem meist in technischer Be- ziehung einander gleichen, und daß ferner die an mehreren solchen Unternehmungen beteiligte Bank ein entschiedens Interesse daran hat, die den Profit und damit auch ihren Profitanteil schmälernde Konkurrenz zwischen den betreffenden Werken möglichst auSzu- schalten. Das führt vornehmlich, wenn die ausländische Konkurrenz ohnehin vom inländischen Markt durch Zoll- und Frachttarife aus- geschlossen ist, zur Entstehung sogenannter Interessengemeinschaften' und Fusionen(Kartelle, Syndikate, Trusts). In knapper und doch alle wichtigeren Momente scharf herbor- hebender Weise bespricht Hilferding unter Bezugnahme auf die deutsche Kartellenquete und die EntWickelung des mnerikanischen Stahltrusts die Organisation dieser Verbände, ihren Einfluß auf den Handel durch eine mehr oder minder ausgedehnte Selbstüber- nähme des Absatzes ihrer Produkte und untersucht schließlich im fünfzehnten Kapitel die Frage, wie sich der Preis der Kartell­produkte bestimmt und sich dementsprechend die Kartellprofitrate zur Durchschnittsprofitrate verhält. »» » Der interessanteste Teil des Buches ist jedoch der Abschnitt über Das Finanzkapital und die Krisen", in dem Hilfer- ding, ausgehend von einer Analyse der Gleichgewichtsbedingungen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses die Ursachen der Krise, die Gestaltung der Kreditverhältnisse im Verlauf der Konjunktur und das Verhältnis des Geldkapitals zum produktiven Kapital wäh- rend der folgenden Depression untersucht. Nirgends tritt die Be- gabung Hilferdings für die theoretische Analyse so deutlich hervor, wie in diesen Kapiteln; und doch, trotz aller Vorzüge habe ich mich, offen gestanden, von diesem Teil des Werkes am wenigsten be- friedigt gefühlt. Das kommt daher, daß meines ErachtenS Hilfcr- ding den Standpunkt, von dem er an die Bewältigung seiner schwie- rigen Aufgabe geht, von vornherein falsch gewählt hat. Sieht Hilferding auch keineswegs, wie so mancher unserer heutigen libe- ralen Krisentheoretiker, in den letzten Wirtschaftskrisen nur söge» nannte Geldkrisen, so geht er doch in seiner Auseinander- setzung nicht von der neueren EntWickelung des Produktionsprozesses aus, sondern von der Aenderung der Austauschverhältnisse. Er zitiert selbst die von Marx im neunten Kapitel des zweiten Bandes desKapital" ausgesprochene Ansicht, daß die Krisenperioden mit demWertumfang und der Lebensdauer des an- gesammelten fixen Kapitals" zusammenhängen, oder, wie sich Marx einige Zeilen später ausdrückt, daßdie materielle Grundlage der periodischen Krisen" sich aus demeine Reihe von Jahren umfassenden Zyklus von zusammen- hängenden Umschlägen" ergibt, in welchem das Kapital durch seinen fixen Bestandteil gebannt ist; aber Hilferding verfolgt diesen Gedankengang nicht weiter. Er geht in seiner Betrachtung vielmehr von dem äußeren Symptom aus, daß die Krise mit einem Sinken der Profitrate verbunden ist, und stellt nun einfach die Frage: woher kommt der plötzliche Fall der Profitrate, nachdem diese vorher während der Aufschwungsperiode so schön gestiegen war? Die Antwort' besteht darin, daß er Seite 822 seines Werkes ausführt, während der Prosperitätszeit finde eine starke Neuanlage von Kapital statt, und damit erlitte das variable Kapital(Lohn- kapital) im Verhältnis zum Gesamtkapital eine Abnahme, es drücke sich also dieselbe Mehrwertsrate in einer geringeren Profitrate aus. Zweitens vergrößere sich mit dem Anteil des fixen Kapitals gegen- über dem zirkulierenden die Umschlagszeit des gesamten Produk- tionskapitals. Ganz abgesehen davon, daß diese Erklärung einfach unterstellt, daß die Mehrwertsrate während des Wechsels von Prosperität und Krise dieselbe bleiben mutz sie kann ebensogut auch in den ein- zelnen Industriezweigen steigen, begründet sie in keiner Weise den plötzlichen Umschlag, sondern deutet lediglich die im Gefolge dieses Umschlags erkennbaren äußeren Symptome. Das scheint Hilferding selbst gefühlt zu haben; denn er fügt diesem Erklärungsgrund gleich noch eine Anzahl weiterer Gründe hinzu, indem er fortfährt(Seite 322): Dazu kommen andere Umstände, die die Umschlagszeit ver- längern; auf dem Höhepunkt der Prosperität kann die Arbeits- Periode sich verlängern, weil Mangel an Arbeitskräften, besonders an qualifizierten, eintreten kann, abgesehen auch von Lohn- kämpfen, die in solchen Perioden häufiger zu sein pflegen; Stö- rungen im Arbeitsprozesse können sich auch ergeben aus allzu in- tcnsiver Ausnutzung des konstanten Kapitals, z. B. aus allzu großer Beschleunigung der Laufzeit der Maschinerie, die auch durch Einstellung ungeübter Arbeiter geschädigt werden kann, oder aus Vernachlässigung von Reparaturen und Hilfsarbeiten, um die kurze Zeit industrieller Hochspannung ja nicht ungenützt vorüber- gehen zu lassen. Zugleich verlängert sich im weiteren Verlauf die ilmlaufzeit. Der Bedarf des inländischen Marktes ist befriedigt, weiter entferntere«uswärtige Märkte müssen aufgesucht werden r-sw.".... Eine recht wohlfeile Erklärung, die auf den Satz hinausläuft: die Krise entsteht aus allerlei ungünstigen Umständen, die die Fort- setzung des Produktionsprozesses stören. Nach meiner Ansicht muß die Krisenerklärung mit einer Untersuchung der Veränderungen der Produk - tionsweise beginn en. Vor allem müßte gezeigt werden, wie mit der zunehmenden Anwendung technischer Hilfsmittel die Pro- duktion sich in steigendem Maße der Erzeugung von Produkiions- Mitteln zugewandt hat, die wieder als fixes Kapital in den Pro- duktionsprozeß eingehen, wie demnach die Produktion von allge- meinen Genußgütern oder, um mit Marx zu sprechen, von Gegen- ständen der individuellen Konsumtion gegenüber der Erzeugung von Mitteln der produktiven Konsumtion längst nicht mehr jene Rolle spielt� wie früher, und diese EntWickelung nicht nur teilweise die