fast dreffähngen Existenz nur damit beschäftigte, als Schirmwand fürdie Bureaukratie zu dienen und ihr weitere Existenzmöglichkeit zu der-schaffen, sonst aber eine vollkommene gesetzgeberische Impotenz anden Tag legte, schwang sich in den letzten Monaten der verflossenenSession zu einigen energischen- Vorstöben gegen die„Fremdvölker"auf. die eine neue Ncra des rein„zoologischen" Nationalismus ein-leiteten. Jetzt, nachdem die Duma durch die Vernichtung derfinnischen Freiheit ihre„Regierungsfähigkeit" dokumentiert hat, istdie herrschende Dumapartei von der weiteren Existenz der Dumaüberzeugt. Es wäre aber auch sonst kaum anzunehmen, daß dieRegierung der dritten Duma den letzten Fußtritt versetzen würde,denn wie die dritte Duma nur aus Staatsstreichs- und Regierungs-gnaden existiert, so bedarf die Negierung Stolhpin der sogenanntenVolksvertretung zu weiteren erpresserischen Manipulationen.Indessen wäre eS falsch anzunehmen, daß die Regierung aufihren Lorbeeren ausruht und keine entsprechenden Maßnahmen für dievierte Duma trifft. Es war höchst charakteristisch bei der Beratungder Finnlandvorlage, daß der Duma das Recht entzogen wurde, die„allgemein staatlichen" Allgelegenheiten Rußlands und Finnlands fest-zulegen, denn, so führten die Vertreter der Regierungsparteien aus,die nächste Duma könnte liberaler sein und die Früchte des jetzigenVorgehens gegen Finnland beeinträchtigen. Auch die einzelnen Par-teicii beginnen schon ihre Borkehrungen für die Wahlen zu treffen. Sohat schon der„Verband des Erzengels Michael", der unter derLeitung Purischkeivilschs steht, ein Rundschreiben an die Provinz-filialen erlassen, in welchem anbefohlen wurde, sich für die Wahlenfür die vierte Duma zu rüsten. In der großkapitalistischen Pressewird dafür Stimmung gemacht, daß die Fabrikanten bei denWahlen selbständig vorgingen, um die Junker zurückzudrängen unddie Interessen der Industrie in der Duma mehr zur Geltung zubringen. Die liberale Presse ergeht sich gleichzeitig in tief-sinnigen Betrachtungen über die Wahlaussichten der Kadettenparteiund mißt, bezeichnenderweise, den Streitigkeiten zwischen denNationalisten und Oktobristen, wie dem Zerfall der Oktobristen-Partei eine größere Bedeutung bei, als den Losungen ihrer eigenenPartei.Die russische Arbeiterklasse hat alle Veranlassung, den nächstenDumawahlen schon jetzt die größte Aufmerksamkeit zu schenken.Man kann— so schreibt das Moskauer Gcwerkschaftsorgan„NascbPutj"(Unser Weg)— die Vorzüge unserer einzelnen Duma-abgeordneten verschieden einschätzen, aber im großen und ganzenerkennen wir alle an, daß die Arbeiterfraktion in der Reichsdumadie auf sie gelegten Hoffnungen gerechtfertigt hat. indem sie dieInteressen der Volksmassen und speziell der Arbeiter mutig ver-teidigte. Durch die Festigkeit ihrer Ueberzeugungen und die liebung,die sie im Laufe der Dumatätigkeit gewann, festigte sie das Ver-trauen, das ihr entgegengebracht wird. Es wäre wünschenswert,dieselbe Fraktion auch in der vierten Duma wiederzusehen, indessenwird kein einziges Mitglied der Arbeiterfraktionwährend der Wahlen zur vierten Duma das Wahl-recht besitzen."Hier stoßen wir auf eine„nationale" Eigentümlichkeit derrussischen Verfassung, die in der parlamentarischeir Geschichte einzigdasteht. Die sozialdemokratischen Abgeordneten, die zum Teil alsVertreter der Arbeiterkurien der sieben größten Städte, zum Teil alsAbgeordnete der Gouvernements- Wahlmännerversammlungen indie Duma einzogen, besitzen nun weder hier noch dort daspassive Wahlrecht. In der»Arbeiterkurie dürfe» sie ihreKandidatur nicht mehr aufstellen, da nur der Arbeiter, dersechs Monate fortlaufend auf der Fabrik gearbeitet hat, das Wahl-recht besitzt. Und auch in der allgemeinen Wählerkurie kommensie nicht in Betracht, da man hierzu mindestens ein Jahr an dembetreffenden Orte Inhaber einer eigenen Wohnung sein muß(alsJmmobilienbesitzer in Stadt und Land, die das Wahlrecht stets be-sitzen, kommen die Sozialdemokraten natürlich nicht in Betracht).Erst jetzt tritt die ganze Infamie des Stolypinschen Wahlgesetzeshervor, denn nicht genug, daß es die Arbeiterklasse des größten Teilsseines Wahlrechts beraubt und den tüchtigsten Parteigenossen denWeg zur Volksvertretung durch administrative und gerichtliche Ver-folgungen versperrt hat,— es beraubt auch die Arbeiterklasse ihrerVertreter, die sich bei der Tätigkeit in der Duma in fortgesetztemKampf gegen die bürgerlich-jnnkerliche Majorität eine reiche parla-mentarische Erfahrung erworben haben.In Anbetracht der Tücken und Schliche des Stolypinschen Wahl-gesetzes und noch mehr wegen der sicherlich zu erwartenden„Senats-erläuterungen" wird der Wahlkampf der Sozialdemokratie ungeheuererschwert sein, llmsomehr ist es schon jetzt Pflicht der legalen undillegalen Arbeiterorganisationen wie der einzelnen Parteigenoffen,an die Wahlvorbereitungen zu schreiten, und das umsomehr, alsdiese Ausgabe als vorzügliches Mittel dienen kann, den Wiederaufbauder Partei zu beschleunigen.politische Uchcrücht.Berlin, den 9. August 1910,Biilowsche Prestmnche.Die„Rhein.-Wcstfäl. Ztg." liebt es. den Fürsten Bülowgelegentlich zu kitzeln und aus seiner Amtspraxis allerlei kleineEpisoden zu erzählen, die den weltniännischen Tänzer auf dermittleren Linie als eitlen Faiseur erscheinen lassen. Heutebeschäftigt sie sich mit Vülow und seiner Presse, ein Thema,zu dem sie sich von einer„bekannten politischen Persönlichkeit"folgende Reminiszenzen schreiben läßt:„Auch Fürst Bismarck hat, um seine Zwecke zu fördern, dasInstrument der öffentlichen Meinung sehr geschickt zu handhabengewußt. Der Unterschied ist aber der gewesen, daß eS demFürsten Bülow in allererster Linie immer darum zu tun gewesenist, seine Person in den Vordergrund zu schiebenund sich von der Presse feiern zu lassen. Man frageirgend einen höheren Beamten, der in der Lage gewesen ist,die Preßtätigkeit des einstigen Kanzlers aus der Nähe zubeobachten. Sie sind in diesem Punkte ganz einstimmig, und dielustigen Geschichten, die auf diesem Gebiete zirkulieren, werdenvoraussichtlich einmal der weiteren Welt nicht verborgen bleiben.Sie werden auch später noch viel Heiterkeit erregen.Die Neigung des Fürsten Bülow. gedrucktes Lob zu lesen,beherrschte ihn dermaßen, daß ihm darüber der politische Zweckhäufig verloren ging. Und dabei kam eS ihm gar nicht einmaldarauf an, von wem dieses Lob ausging.Es ist eine Tatsache, daß er sich die größte Mühe gab. einensehr bekannten deutschen Journalisten zu gewinuen, obwohl dochgerade dieser ihn wohl am schlechteste,!, und seine Person mitbeißender Satire behandelt hat. Durch Mittelspersonen hat erjahrelang gesucht. Anschluß an seine viel gelesene Wochenschrift zuerhalten. Den Korrespondenten auswärtiger Blätter � ginger persönlich mit der ganzen Liebenswürdigkeit, über die erverfügte, um den Bart. Er machte ihnen geradezud e n H o f. Er ergriff die Initiative, um sie kennen zu lernenund behandelte sie mit größerer Auszeichnung als die vor-nehmsten Botschafter des Reichs. Wenn dann im„Figaro"oder im„Temps" ein lobender Artikel erschien, war die Ge-nugtuung im Palais auf der Wilhelm st ratzegroß. Wir konnten einen hohen und höchsten Beamten desReiches mit Namen bezeichnen, der eS aufgab, in dem Palaiswieder zu erscheinen, weil er länger antichambrierenmutzte, als ein ziemlich unbekannter aus-wärtiger Zeitungsvertreter."Uebertrieben sind übrigens diese Erzählungen nicht.Keiner hat die liberale Presse skrupelloser zur Befriedigungseiner kleinen Eitelkeit benutzt und keiner hat sie in gleichemMatze korrumpiert, als der„liberale" vierte Reichskanzler.Immer bedächtig!Herr Sydow, der frühere Reichsschatzsckretär und jetzige Handels-minister, ist eifrig bemüht, sich das Lob der Großindustriellen zuerwerben. Er hat folgenden schönen Erlaß an die Fabrikinspektorcngerichtet:„Die Jahresberichte haben sich, ihrer gesetzlichen Bestimmunggemäß, auf die Milteilung von Totsachen und Wahrnehmungenzu beschränken, theoretische Erörterungen, insbesondereAbschweifungen auf das Gebiet der Ausgestaltung und Ab-änderung bestehender Gesetze, Verordnungen usw., gehöre nichtin diese Berichte. Nur solche Tatsachen sind mitzuteilen, die aufzuverlässige Ermittelungen beruhen i Angaben dritter Personenoder gar Gerüchte, deren Nichtigkeit sich nicht zweifellos so fest-stellen lassen, sind entweder überhaupt nicht zu berück-sichtigen oder, wenn ihre Erwähnung aus besonderen Gründengeboten erscheint, nur unter Mitteilung der von dem Aufsichts-beamten unternommenen Versuche zu ihrer Klarstellung undunter ausdrücklicher Betonung ihrer Unkontrollierbarkeit wieder-zugeven. ES ist zur Vermeidung jeder überflüssigen und lästigenAusdehnung strengstens darauf zu achten, daß der Bericht nurüber diejenigen Punkte sich verbreitet, hinsichtlich deren in, Berichts-jähr Wahrnehmungen gemacht worden sind, die wesentlich genugerscheinen, um zur Kenntnis des Bundesrates und des Reichstagsgebracht zu werden."Die„theoretischen Erörterungen" und„Abschweifungen" derFabrikiuspektoren sind den Scharfmachern stets unangenehm gewesen,so schüchtern auch die meisten Beamten sich geäußert haben. Künftigdürfen sie zwar noch mitteilen, daß da oder dort ein Unternehmereine Kaffeeküche eingerichtet hat, aber Vorschläge zur Beseitigungvon Mißständen müssen sie unterlassen.Nach SchabloneZu dem Artikel„Nach Schablone(Nr. 183 des„Vorwärts")schreibt man uns:Das lleberfahren von Signalen auf bloße Unvorsichtigkeit oderFahrlässigkeit der Lokomotivführer zurückführen zu wollen, wie eS jaauch in gefälligen Zeitungen so bereitwillig berichtet wird, gehört zuden Gepflogenheiten der Personen, die die Aufgabe haben, die Ver-antwortung der Eisenbahndirektionen für den Be-triebSdienst möglichst bequem auf die Betriebsbeamten und Unter-beamten abzuwälzen.Von der erschöpfenden Ueberanstrengung und Uebernnidunggerade der Lokomotivführer kann sich der Fernstehende keinen Begriffmachen. Wer darüber die Wahrheit erfahren will, der braucht bloßGelegenheit zu suchen, die Aerzte zu hören, die kranke Lokomotiv-führer behandeln. Sie werden bezeugen, daß unser gesamtes Loko-motivpersonal übermäßig abgemartert und geplagt wird.Auch die scheinheilige Aeußerung, die öfters nach Unfällen insolchem amtlichen Bericht zu lesen ist:„Der fahrlässige Beamte warerst zwei Stunden in Dienst" oder:„Der Beamte hatte erst kurzvorher seinen Dienst angetreten"— ist weiter nichts als eine Ver-s ch l e i e r u n g des wahren Sachverhalts. Man erfährt nämlich nicht,wieviel„R u h e" der Beamte vor Antritt des Dienstes gehabt hat,ob er, der Uebermüdete, nicht wegen plötzlicher Erkrankung eines Kol-legen in der Nacht nach wenigen Stunden Schlaf sofort zumDienst gepreßt wurde und nun trotz eigener Erschöpfung wieder auf-reibenden Dienst tun muß, den er dann allerdings mit aufgerissenenund immer wieder zufallenden Augen versieht, indem er mechanischohne wirkliche Arbeitsfähigkeit seine Tätigkeit leistet und dabeinatürlich die unbegreiflichsten Versehen macht, die ihm bei klarerBesinnung und Körperfrische nie passieren würde».Also es bleibt dabei: Für SS Proz. aller Unfälle sind dieEiseubahnbetriebsämter, die Eisenbahudirektionen und die Eisen«bahnminister die Schuldigen. Eingesteckt werdenLokomotivführer, Weichen st eller, Bahnwärter.Denn eS ist das bequemste und leichteste, auf Grund derHunderte von Paragraphen in den zahlreichen gedruckten Vor«schriften- Heften die Aermsten dem Staatsanwalt zu überliefern.Das nennt man dann:„Die Untersuchung ist in vollem Gange!"— Der Staatsanwalt findet spielend die Paragraphen heran»,gegen die der Beamte gefehlt hat. Bequem ist diese Methodebesonders deshalb, weil ja die gütige Eisenbahndirektion die Behördeist, die vor Gericht zugleich als Sachverständiger fungiert. Niewürde ein Staatsanwalt wagen, nach der Schuld der Direktionzu fragen. Sie ist bei uns Ankläger und Richter zu-gleich!--Mögen die Verteidiger dcffen eingedenk sein, die berufenind, die unglücklichen Opfer unserer Eisenbahn-Spar- und Knauserei-Wirtschaft zu vertreten._Auch-Arbeiter.In A l l e n st e i n tagte am Sonntag der ostpreußische Verbandevangelischer Arbeiter- und Volksvereine. Nach einem Bericht der„Kreuz-Zeitung" haben auf diesem Arbeitertag gesprochen: Super-i n t e n d e n t Graf. Superintendent Hassenstcin, Bürger-m e i st e r Dr. Zülch und einige andere Größen. Die Herrenühlen sich offenbar auch als— Arbeiter! Von demWirken dieser Vereine unter ihrer seelenhirtlichen Leitung bekommtman einen Begriff, wenn man sich die Abrechnung anschaut.36 Vereine mit 4600 Mitgliedern hatten eine Gesamteinnahme imJahre von 2001 M., das sind pro Mitglied und Woche noch nichteinmal ein ganzer Pfennig.Seltsame Auslegung des Reichsvereinsgesetzes.Das Stiftungsfest eines sozialdemokratischen Vereins ist alspolitische Versammlung zu betrachten: so hat das B r e S l a u e rSchöffengericht gegen den Einspruch eines dem Genoffen Neukirchals Vorsitzenden des sozialdemokratischen Vereins Breslau zu-gegangene» Strafbefcbls'entschiedcn. Am Stiftungsfest wurde nämlicheine Festrede gehalten, die einen Rückblick auf das Mjährige Bestehen desVereins zum Inhalt hatte. Diese Festrede soll politischen Inhalts ae-Wesen sein. Der Eintvand des Genossen Neukirch, daß nur Mitgliederdes Vereins Zutritt hatten, und daß es sich um eine geschlosseneGesellschaft gehandelt habe, wurde als nicht berechtigt anerkannt,weil die über 7000 Köpfe zählende sozialdemokratische Partei inBreslau ein viel zu lose zusainmengefügieö Gesellschaftsgebilde fei,um als geschlossene Gesellschaft im Sinne des Gesetzes gelten zukönnen. Der Strasbefehl wurde also bestätigt.Bisher haben wir noch nicht gehört, daß Stiftungsfeste Hurra-patriotischer Vereine mit noch mehr Mitgliedern als anmeldepflichtigepolitische Versammlung angesehen wurden.Die Wirkung der Getreidezölle.Professor� Lujo Brentano hat soeben in der Cottaschen Buch-Handlung eine Denkschrift:„DiedeutschenGetreidezölle"erscheinen lassen, in der er an verschiedenen Beispielen nachweist,wie die Zollerhöhungen die Lebensmittel verteuert haben. Soheitzt eS!L der Schrift:.„Cr tili: aus sechs Personen bestehende Familie kamt für 2f M.in Gelderland(einer der östlichen Provinzen Hollands) ebenso-viel kaufen wie im Ruhrdistrikte Deutschlands für 28 M. DieLöhne sind höher in Deutschland; ein Spinner verdient z. B. in'Enschede lö— 16, in Gronau 15— 17 Gulden wöchentlich; ein Tag-löhner 7,5 gegen 0 in Gronau, ein Weber 10 gegen 11 in Gronau.Aber infolge der höheren Kosten des Lebensunterhaltes g e h t d e rdeutsche Arbeiter aller Borteile seines höhe-ren Lohnes verlustig. Durch die höheren Kosten desLebensunterhaltes sahen sich die holländischen Staatsbahnen imJahre 1836 genötigt, ihren Angestellten in Emmerik(Deutsch-land) eine Extravergütung im Betrage von 10 Proz. ihrer Ge-hälter, mindestens aber 50 Gulden, zu gewähren, und diese Mini-malgchaltsznlage wurde seit dem Jahre 1907 auf 100 Gulden er-höht. Etwa 600—700 Arbeiter begeben sich jeden Tag von En-schcdc(Holland) nach Gronau(Deutschland) und kehren abendsnach Hause zurück, weil es sich in ihrem Lande so be-deutend billiger leben läßt. Ein ganzes Dorf von4000 Einwohnern ist in Glanerburg(Holland) nahe der deutschenGrenze aufgewachsen; die deutschen Fabrikanten errichtenauf holländischem Grund und Boden Häuser fürganze Arbeiterkolonien, weil ihre Arbeiter ineinem fremden Lande billiger und besser lebenkönnen."_Total verkommen.Während die ganze Welt mit Spannung wartet, ob die Hoff-nuugen sich erfüllen werden, die man an das neue Heilmittel desProfessors Ehrlich gegen die Syphilis knüpft, hat ein Zentrums-blatt es fertig bekommen, auch bei dieser Gelegenheit die Fäulnisseines sittlichen Gefühls an den Tag zu legen. Das in Danzigerscheinende„West preußische Volksblatt" schimpft darüber,daß die sozialdemokratische Presse manchem verbrecherischen Pfaffendie Maske vom Gesicht gerissen hat, und schreibt in diesem Zusammen-hang in seiner Nr. 168 vom 26. Juli d. I.:„Wollten die Herren wirklich sittliche Mißstände ausfegen, sokönnte man sie höflichst einladen, zunächst gefälligst vor dereigenen Tür zu kehren; da gäbe eS sittlichen Schmutz genug zubekämpfen. Keine Presse hat sich mit solch liebe-voller Sorgfalt um Professor Ehrlichs neuesSyphilis mittel angenommen wie die sozial»demokratische."Also die Freude darüber, daß Aussicht besteht, eine der furcht»barsten Seuchen mit Erfolg zu bekämpfen, eine Seuche, die nochdazu häufig unschuldige Frauen und Säuglinge trifft, wenn ihnendas Unglück einen Shphilislranken zum Galten oder Vater beschertbat— diese Freude ivird hier als„sittlicher Schmutz" beschimpft.Es gibt doch kaum irgendwo sonst so viel innere Verknmpung wiebei den Leuten, deren Mund überfließt von der Religion der Liebe.Die heilige Disziplin.Wegen Ungehorsams, verübt anläßlich der Stellung, zu einerUeLuiig, beantragte der Vertreter der Anklage vor dem Kriegsgerichtin Düsseldorf gegen den Arbeiter H e i m a n n zwei MonateGefängnis. Der Mann hatte in der Trunkenheit dumme Antwortengegeben. Zur Begründung des hohen Strafmaßes hob der Ver-tretcr der Anklage hervor:Gegen solche Ungehörigkeiten müffe energisch vorgegangenwerden. Es sei bedauerlicherweise ein erhebliches Schwinden desmilitärischen Geistes im Industriegebiet festzustellen, was in einergewiffen Aufsässigkeit gegen die militärische Disziplin zum Ausdruckkomnie, sowohl bei den Rekruten, wie auch bei den zur Reserve undLandwehr entlassenen Mannschaften. Besonders im Westen sei beob-achtet worden, daß die gedienten Leute bei geeigneten Anlässen sichnicht so verhalten, wie die Disziplin es erfordere. Die Armee abermüsse schlagfertig erhalten werden und dazu gehöre, daß di» ge»dienten(inaktiven) Mannschaften sich der Disziplin unterordnen.Das Kriegsgericht hatte Verständnis für diese Disziplinsorgen.es ging noch über den Antrag hinaus und erkannte auf dreiMonate Gefängnis._Spanien.Die klerikale Agitation.San Sebastian, 8. August. Die Junten von Navarra,BiScaya, Alava und Euipuzcoa haben beschlossen, die Propagandain ganz Spanien fortzusetzen und Junten für die Verteidigung desKatholizismus zu bilden. ES wurde ein Generalrat ernannt, umeine großartige Kundgebung gegen die Negierung zu organisieren.Die Senatoren und Deputierten der vier Provinzen beschlossen dieFreilassung der noch Verhafteten zu verlangen. Die Ruhe dauert an.In San Sebastian.San Sebastian, 3. August. Die Truppen bleiben vis aufweiteren Befehl hier. Die Abteilungen, welche nach verschiedenenOrten in der Umgegend entsandt worden waren, sind hierher zurück-gekehrt. Von den in der Nacht zum Sonntag verhaftetenPersonen sind 55 in Freiheit gesetzt worden; in Haft verbleibennoch 77. Weitere Haftentlassungen folgen allmählich.perNen.Zur Berhaftmig Sattar KhanS.Ew persischer Revolutionär schreibt uns:Datz der Held der persischen Revolution. der berühmteSattar Khan, der mit so grotzer Energie und Ausdauerfür ein parlamentarisches Regime gekämpft hatte. gegen diekonstitutionelle Regierung die Waffen erhoben und erst nachtagelangem Kampfe überwunden werden konnte, mutz wohlallgemein Verwunderung erregen. Doch wird man solcheVorgänge eher verstehen. wenn man weitz. datz in Persienfast bei allen' Staatsmännern und Volksführeru das persön-liche Interesse leider eine grotze Rolle spielt.Der frühere Räuberhauptmann Sattar Khan gewannseine Popularität durch seine Kühnheit und Tapferkeit beiden Kämpfen in und um Täbris. Von Führung undOrganisation hatte er allerdings kaum eine Ahnung, aberunter richtiger Oberleitung, war er als Kämpfer unersetzlich.Den bedeutenden Einfluß aber, den er durch seine Popularitätgewann, nutzte er zu seinem persönlichen Vorteil aus. DurchRaub und Bestechung, durch sogenannte Geschenke undStrafgelder hat er schon während der Revolutton in Täbrisein Vermögen gesammelt, sich schöne Häuser bauen lassen undwunderbare Gärten angelegt. Nach der Revolutton hatteer seine Nolle eigentlich ausgespielt. Zum Staatsmanntaugte dieser Mann, der kaum schrewen und lesen kann,sicherlich nicht.Durch seine ständige Elnnnschung in die neue Regierung, richtete er nur Schaden an. Er wurde für Täbrisein grotzer Schrecken, und es hat der Regierung sehr viel Mühegekostet, ihn aus Täbris zu entsemen.In Teheran wurde er vom Polle begeistert empfangen.Er hielt sich eine Zeitlang ruhig, Als aber die allgemeineEntwaffnung angeordnet wurde, die das Land gegen diereaktionären Elemente und die Mollhas schützen sollte, weigertesich Sattar Khan, die Waffen niederzulegen, da ja die Waffen-ablieferung seiner persönlichen Machtstellung ein Ende machenmutzte. So führte er seine Anhänger in den Stt'atzenkampf.der mit seiner Verhaftung endete, die längst eine unerläßlicheNotwendigkeit geworden war. gerade im Interesse der konstitutionellen Entwickelung. für die Sattar Khan einst so hervor-ragend gekämpft hatte.