hatten. Da erfahren wir, welch tiefer Sinn: In dem kindischenSpiele liegt.Betrachten wir zunächst die Argumente zugunsten der Hof-Gängerei. Da haben wir einmal die Gratulationscour. Kolb schreibt:Jedesmal, wenn wir in ein Präsidium eintraten, haben wir, auchim Reichstag, uns bereit erklärt, alle in der Verfassung und derGeschäftsordnung vorgesehenen Bedingungen zu erfüllen.„Die Geschäftsordnung der Zweiten badischen Kammer ent-hält in dem Z 74 die Bestimmung, daß der Landtag an den Groß-herzog eine Deputation senden kann, die aus den Mitgliedern desPräsidiums und etwa noch ausgelosten weiteren Mitgliedern derZweiten Kammer besteht. Nun hat die Zweite Kammer bc-schloffen, dem Groffherzog anläßlich seiner silbernen Hochzeit ihreGratulation zu übermitteln und damit das Präsidium auf Grunddes Z 74 der Geschäftsordnung beauftragt. Wollten wir nichtwortbrüchig werden, dann blieb nichts übrig, als daß unsereVertreter im Präsidium sich ebenfalls bereit erklärten, den vonder Zweiten Kammer ihrem Präsidium erteilten Auftrag mitauszuführen."Und Kolb fragt weiter, was man denn sonst hätte tun können?ES ist mir leider bisher noch nicht gelungen, dieser famosenGeschäftsordnung habhaft zu werden und den Wortlaut des H 74zu erfahren. Das was Kolb darüber mitteilt, zwingt niemand, aneiner Gratulationscour bei Hofe teilzunehmen. Der Z 74 hat offenbar den Zweck, der Zweiten Kammer die Entsendung von Depu-tationcn an den Großherzog zu politischen Zwecken zu er-möglichen, etwa um ihn mit Forderungen der Kammer bekannt zumachen. Unsere Fraktion hatte da nicht nur das Recht, sondern diePflicht, energisch dagegen zu protcjneren, daß dieser Paragraphdazu mißbraucht werde, das Präsidium zur Staffage bei un-politischen Familienfesten zu degradieren. Es war ihrePflicht, zu erklären, bei einem derartigen Mißbrauch der Geschäfts-ordnung zu byzantinischen Zwecken würden sie nicht mittun.Aber merkwürdig, dieselben Leute, die mit dem Disziplin-b r u ch gegenüber der Partei so rasch bei der Hand sind, um ihreUeberzeugung nicht zu gefährden, sie vermeiden ängstlich auch nurden entferntesten Schein eines Bruchs der Geschäftsord-nung und nehmen lieber an jedem Mißbrauch derselben teil, magauch ihre republikanische Ueberzeugung dadurch noch so sehr verletztwerden. Da empfinden sie plötzlich den„Kadavergehorsam" alsihre heiligste Pflicht— unsern Gegnern gegenüber.Ebensolchen Kalibers sind die Gründe für die Teilnahme amHoch auf den Großherzog bei der Schlußfeier:„Daß wir bei diesem Hoch aufgestanden sind, entspricht nichtden Tatsachen, die ganze Versammlung hatte sich schon zuvor vonden Sitzen erhoben. Allein das ist ja ohne Bedeutung, denn daßman, wenn man schon an solchen Akten teilnimmt, bei einem Hochaufsteht, entspricht den einfachsten Regeln des Anstandes und desin der ganzen kultivierten Welt üblichen Taktes. Wenn aufunseren Parteitagen ein Hoch auf unsere Partei ausgebracht wird,erheben sich die anwesenden Gegner auch, wenigstens diejenigen,die Anstand gelernt haben"(S. 30)._ Also sie sind nicht aufgestanden, sind aber doch aufgestanden,weil bei solcher Gelegenheit jeder anständige Mensch aussteht, alsoauch unsere badischen Aufständischen—„wenn man schon ansolchen Akten teilnimmt". In diesem Sätzchen liegt desPudels Kern. Wer zwang unsere Genossen, an jenem Akt teilzu-nehmen? Sie wußten, daß die Schlutzfeier eine Huldigung fürden Großherzog mit sich bringe, sie waren ihr entsprechend fest-lich gekleidet erschienen— und dann wollen sie uns weis-machen, das Ganze sei einfach ein bedeutungsloser Akt des„ein-Wachsten Anstandes".Daß das nicht stimmt, verrät uns Kolb in seinem Eifer selbst:'«In der Politik gibt eS Imponderabilien, Dinge, dieman nicht wägen und nicht messen kann, deren Beachtung oderNichtbeachtung doch auch manchmal nicht ohne Bedeutung ist. Wodie Taktik unserer parlamentarischen Vertretung ausschlaggebendin die Wagschale fällt, sind auch solche an sich belanglose Dinge(wie die Teilnahme an Huldigungen K.) nicht ganz ohne Bedeu-tung. Ob unsere Teilnahme an der Schlußfeier aus Gründender politischen Zweckmäßi gleit geboten war oder nicht,darüber können wir jedenfalls ein zutreffenderes Urteil fällenals jene Genossen, die unsere Beteiligung so abfällig kritisieren.Auch hier handelt es sich um eine Frage derTaktik. Für den Taktik gibt es aber sehr oft Gründe, die mannicht an die große Glocke hängt. Es ist doch sicher kein Zufall, daßdie Zentrumspresse gerade auch über unsere Beteiligung an derSchlußfeier im höchsten Grade entrüstet ist und in allen Tonartenüber uns herfällt. Die Herrschaften des schwarzblauen Blockshaben instinktgemäß begriffen, daß dieser an sich, wie gesagt, be-deutungslose Vorgang für die badische Politik nicht so bedeutungs.loS ist, als unsere norddeutschen Parteiorgane annehmen. Früherhat sich die Zcntrumspresse über unser Fernbleiben entrüstet undes politisch ausgeschlachtet, jetzt versucht sie in ohnmächtigemGrimm das Gegenteil, genau wie bei der Budgetabstimmung"(S. 29, 30).Dem Zentrum werden wir es nie recht machen, so oder so. Umso weniger beweist die jetzige Entrüstung des Zentrums über diesozialdemokratische Teilnahme an der Schlußfeier etwas dafür, daßdiese Teilnahme am Platze gewesen sei. Wohl aber zeigt der ganzePassus, wie alles, was uns über die Bedeutungslosigkeit der ver-schiedenen Akte der Hofgängerei gesagt wird, daß sie nur durchRücksichten auf Geschäftsordnung und Anstand erzwungen wordenseien, nichts ist als leere Flausen.Man will eine politische Wirkung mit diesen Huldigungen er-zielen— sie waren„durch Gründe der politischen"Zweck-Mäßigkeit geboten," sagt Kolb selbst, wobei er geheimnis-voll hinzufügt, diese Gründe dürfe er nicht„an die große Glocke"hängen. Seine intimen Kenntnisse der höfischen Strömungen darfer uns nicht verraten, ob er auf die„Imponderabilien" des Groß-Herzogs selbst spekuliert oder des ErbgroßherzogS oder irgend einerseiner Tanten oder Basen, deren Einfluß„nicht ganz ohne Bedeutung"ist. Aber so viel läßt er uns doch erraten, daß die Hofgängereizu dem Zweck unternommen wurde, bei Hofe eine günstige Meinungvon der Sozialdemokratie— oder vielmehr von dieser ArtSozialdemokratie— hervorzurufen und dadurch die parlamen-tarische Stellung der Fraktion zu stärken.Es wäre ein bedenkliches Zeichen, wenn diese Art Politik beimbadischen Proletariat Anklang fände. Höfische Hintertreppen-Politik ist nie eine großartige Sache. Höfische Hintertreppenpolitikvon Vertretern einer proletarischen, republikanischen Politik be-trieben, kann diese Politik nur verächtlich machen, auch bei denen,lim deren Gunst sie sich untertänig bemüht.Kolb ist indes nicht zufrieden damit, die Hofgängerei al» einbedeutungsvolles Produkt schlauer Taktik aus den besonderenbadischen Verhältnissen zu erklären und sie gleichzeitig«IS politischbedeutungslose Konsequenz bloßer GeschäftsordnungZbestimmungenund allgemeinen AusftandeS hinzustellen, den die Gegner auch füruns an den Tag legen. Er fügt zu diesem Widerspruch noch denhinzu, daß er einmal die Hofgängerei als ein Produkt badischerEigenart hinstellt, dann aber erklärt, sie sei eine Notwendigkeit fürbie monarchischen Länder überhaupt!-, Er fragt die Gegner seiner Taktik:„Glauben sie wirklich, daß Sozialdemokratie und monar»chische Staatsform unter allen und jeden Umständen sich gegen.feitig ausschließende Begriffe sind? Notabene, eS handelt sichalso nicht um Sozialismus und Monarchie. Eine sozialistischeGesellschaftsordnung mit monarchischer Spitze ist undenkbar. Beider Frage, die ich aufwerfe, handelt es sich um etwas anderes,um eine Sache, die in parlamentarisch regierten Monarchienüber kurz oder lang für unsere Partei akut wird.Zunächst will ich aber auf deutsche Verhältnisse exempli-fizieren, denn die liegen uns näher. Gesetzt den Fall, in irgendeinem Bundesstaat erobert unsere Partei die relative oder gardie absolute Mehrheit im Parlament. Sie wird dann nichtumhin können, nicht nur den ersten Präsidenten zu stellen, wennsie sich nicht für politisch bankrott erklären will. Glaubt man«un im Ernst, daß in einem solchen Falle der sozigldSUg-k r a k i s ch e Präsid'enk den Landesfürsten, der verfassungsmäßignicht nur der Repräsentant des Staates, sondern ein mit-bestimmender Faktor von Gesetzgebung ist, einfach igno-rieren kann? Das ist doch schlechterdings ausgeschlossen."Kein Zweifel, der Fall, den Kolb hier im Auge hat, bietetgroße Schwierigkeiten. Dank unserem Partikularismus ist esmöglich, daß die Sozialdemokratie in irgend einem deutschen Einzel.staat die Mehrheit in der Kammer erobert, indes im Reich dieSozialdemokratie noch in der Minderheit ist. Die Mehrheit injenem Einzelstaat wird da in die schwierigsten Verhältnisse ver-fetzt, alle Aufgaben einer sozialdemokratischen Mehrheit werdenihr zugewiesen, indes ihr gleichzeitig die Macht vorenthalten wird,diesen Aufgaben gerecht zu werden.Aber die Frage, wie sich der sozialdemokratische Präsident zumLandesfürsten stellt, wird dann die geringste unserer Sorgen sein.Sie ist völlig bedeutungslos gegenüber der Frage, wie sich dieMehrheit zur Regierung und deren Anforderungen stellen wird!An der Zivilliste z. B. wird dem Regenten weit mehr gelegen seinals an der persönlichen Vorstellung des Präsidenten. Und sollenwir das Kultusbudget bewilligen, die politische Polizei, die Ge-hälter von Beamten, die das Recht brechen, um das Proletariatin seinem Klassenkampf zu hindern?In einem solchen Land muß es dann'zu einer Periode tief-gehender Konflikte kommen, in denen unsere Vertreter den größtenScharfsinn, die größte Zähigkeit und Unerschrockenheit werden auf-bieten müssen, um sich zu behaupten. Sie verlieren aber dasSpiel von vornherein, wenn ihre erste Sorge die ist, die Gunst desLandesherrn zu gewinnen, wenn sie das Unmögliche möglich machenwollen, gleichzeitig für Proletariat und für die Monarchie zuarbeiten.Das aber ist nach Kolb zunächst ihre Aufgabe. Schon früherin seiner Schrift behauptet er:„Wenn wir heute in irgend einem Staate die Mehrheit er-halten, das heißt die politische Macht erobern, so haben wirdamit noch keineswegs die Macht, die Monarchie und die Klassenzu beseitigen, das heißt also die sozialistische Gesellschaft zu«er-richten."Das dient zur Bekräftigung des Satzes:„Die kapitalistische Gefellschaft läßt sich nicht durch politischeDemonstrationen aus der Welt schaffen, sondern nurdadurch, imß wir uns in steigendem Maße Einfluß auf allein ihr wirkenden EntwickelungSkräfte ver-schaffen."(S. 11. 12).Hier ist die Hofgängerei nicht mehr ein bedeutungsloser AuS-'luß eines Zwanges des Z 74 der Geschäftsordnung der badischcnZweiten Kammer, sondern ein Ausfluß der einzigen Methode,die Kolb kennt, um die ganze kapitalistische Gesell-chaft zu bekämpfen. Diese Methode heißt: Einfluß auf allein ihr wirkenden EntwickelungSkräfte gewinnen, auf Monarchen,Bureaukraten, Kapitalisten ebenso wie auf das Proletariat. DaSist die einzige Methode praktischer Politik, die er kennt, alles andereist leere„Demonstration". Klassengegensätze und Klassenkampfexistieren für ihn nicht; er findet sie nicht in der Wirklichkeit,sondern nur in den„verknöcherten Dogmen" der Theoretiker.Wie kann aber die Sozialdemokratie Einfluß gewinnen aufsene„EntwickelungSkräfte", die durch die Ausbeutung und Be-herrschung des Proletariats existieren? Ich gewinne nicht Ein-'luß auf Elemente, die ich bekämpfe, sondern nur auf Elemente,>eren Interessen ich entweder wirklich oder doch dem Anschein nachvertrete. Sicher kann auch der Sklave Einfluß auf seinen Herrngewinnen und durch diesen Einfluß eine gewisse Macht ausüben.Manche Sklaven der römischen Kaiser beherrschten das Reich.Aber der Sklave kann zu solcher Herrschaft nur gelangen als An-walt der Interessen seines Herrn, durch völligen Verzicht darauf,die Sklaverei aufzuheben oder auch nur einzuschränken.Die Kolbsche Methode ist die Methode des Sklaven, der sichinnerhalb der Sklaverei möglichst bequem einzurichten sucht, derdarauf verzichtet, auf der Beseitigung der Sklaverei hinzuwirken,der sich seinem Herrn durch den großen Nutzen, den er ihm schafft,unentbehrlich zu machen sucht. Es ist nicht die Methode desKämpfers, der seine und seiner Genossen Ketten zu brechen sucht.Die Kolbsche Methode ist nicht nur nicht sozialdemokratisch, sieist nicht einmal mehr demokratisch. Sie ist nationafliberal.Ifljiitft Verbssildstligdes Zentrillottbandes der Fabrililttbeiter Dentschlands.Halle, 10. August.Der dritte Verhandlungstag war der Beratung der Statutengewidmet, bei der die größte Rolle die Gestaltung des Beitragesund der verschiedenen Unterstützungsarten spielte. Gegenwärtigbesteht im Verband ein Wochenbcitrag von 40 Pf. für männlicheund 20 Pf. für weibliche Mitglieder; außerdem ist eS den erwachsenen männlichen Mitgliedern freigestellt, einen Beitrag von50 Pf. pro Woche zu zahlen gegen die Gewährung höherer Unter-stützung. Höchst und Frankfurt a. M. wollten jegliche Erhöhungnur durch eine Urabstimmung beschließen lassen, während Kölndie Urabstimmung anwenden wollte, wenn die Erhöhung über ö Pf.hinausgehen sollte. Vom Vorstand lag ein Antrag vor auf öv Pf.für männliche, 30 Pf. für weibliche und Personen unter 18 Jahren;Freiwilligenklasse 60 Pf. Den weiblichen Mitgliedern sollte esfreigestellt kein, ebenfalls den 50-Pf.-Veitraa zu leisten. DieGrundlage der Diskussion bildete eine ausführliche Vorlage derStatutenberatungskommission. Ihr Vorschlag zur Beitrags-erhöhung lautete folgendermaßen: Der Beitrag beträgt pro Woche50 Pf. für männliche und 25 Pf. für weibliche Mitglieder undmännliche unter 18 Jahren. Der Vorstand hat das Recht, für Orte,in denen der ortsübliche Tagelohn für erwachsene männliche Ar-heiter nicht über 2 M. beträgt, und die Mehrzahl der erwachsenenmännlichen Mitglieder weniger als 2,50 M. pro Tag verdient, aufAntrag derselben den Beitrag pro Woche auf 40 Pf. für männ-liche und 20 Pf. für weibliche Mitglieder festzusetzen. Erwachsenenmännlichen Mitgliedern ist eS freigestellt, einen Beitrag van60 Pf. pro Woche zu zahlen gegen Gewährung höherer Unter.stützung.— Außerdem enthielt die Vorlage Abänderungsvorschlägein bezug auf die einzelnen Unterstützungsarten usw. Nur wenigeStimmen wurden laut, die mit der Vorlage in jeder Hinsicht ein-verstanden waren. Aber die meisten Redner wiesen doch ein-dringlich nach, daß man die Beiträge unbedingt erhöhen müsseund man sich auch nicht mit einer unzureichenden Erhöhung von5 Pf. begnügen dürfe.Die Anträge auf eine Beitragserhöhung von 5 Pf. sowie aufStaffelung der Beiträge fanden lebhafte Befürworter. Donners-tag wird die Debatte fortgesetzt.Berichtigung: Der Bericht über den zweiten VerhandlungStq,läßt einen Essener Redner sagen,„im Essener Gebiet allem befändensich fünf Zechen, die 24 080 Tonnen Nebenprodukte herstellen". ESmuß heißen: L004480Tonnen.21. Intervationaler SergltrbttttrklivgrtK.B r ü s s e l. 9. August 1310.Der erste Gegenstand der sachlichen Beratungen des Aon-gresses ist die Forderung vonArbeiterlnspektorea.Eine Resolution der deutschen Delegation verlangt«von denArbeitern gewählte und vom Staat besoldete Grubenkontrolleure,die das Recht haben müssen, so oft sie wollen, oder so oft die Ar-beiter es verlangen, die Gruben zu inspizieren".Eine englische Resolution beschränkt sich auf die Forderungeiner Vermehrung der Zahl der Inspektoren, die aus der Ar-beiterklasse auszuwählen seien.H u s e m a n n- Bochum erinnert an Radbod. Von den 350Kameraden, die dgrt im November Ivos elend zugrunde gingen.sind erst 118 beerdigt, und eS ist fraglich, od die übrigen fe SstZTageslicht geschafft werden können. Der Prozeß gegen die«Berg»arbeitcrzeitung" ist vom Reichsgericht an die Strafkammer inBochum zurückgewiesen worden und wird im November oder De-zember d. I. erneut zu Verhandlung kommen. Die Schuldfragewird dort gründlich erörtert werden. Das Ermittelungsverfahrengegen den verantwortlichen Leiter der Grube Radbod ist noch inder Schwebe, und niemand weiß, wann ZF zum Abschluß kommenwird. Das Jahr 1909 ist ohne größere Unglücksfälle im Bergbauverlaufen; dennoch sind über 100 000 Unfälle vorgekommen,darunter 12 770 schwere und tödliche. Das neue Gesetz hat denpreußischen Bergarbeitern die„Sicherheitsmänner" gebracht, aberdiese Einrichtung, mit der der Minister Delbrück die„Seelen derArbeiter" gewinnen wollte, ist durchaus unzulänglich. Den Sicher-heitsmännern sind die Hände gebunden; nur in Gegenwart vonBeamten dürfen sie einfahren. Es sieht beinahe so aus, als solltedie Einrichtung nur benutzt werden, um den Arbeiterkontrolleurendie Schuld an Unfällen aufzubürden; bei der Grube Reeden hatman ähnliches erlebt. Trotz alledem werden die Bergarbeiter vonder neuen Einrichtung Gebrauch machen und die öffentlicbeMeinung aufrufen, um sie auszubauen und so zu einem wirk-samen Mittel zur Verminderung der furchtbaren Unfallgefahr imBergbau zu gestalten.(Lebh. Beifall.)Brace(England): Die englische Resolution legt der Forde-rung, daß die Bergarbeiter selber die Grubeninspektoren wählensollen, geringere Wichtigkeit bei. Die Hauptsache ist uns, daß dieZahl der Arbeiterinspcktoren vermehrt wird. Der Bergbau Groß-britanniens fordert in jedem Jahre 1000 Tote. 140— 150 000 Unfälle kommen in jedem Jahre vor, wobei nur diejenigen Unfällegezählt sind, wo die Herstellung der Verwundeten länger als eineWoche gedauert hat. Angcsichts dieser schrecklichen Ziffern mußdie Forderung größerer Sicherheit in den Gruben nicht als Partei-politisch, sondern als humanitär gelten. Wir haben nun Aus-ficht, demnächst die Zahl der Arbeiterinspektoren vermehrt zu er-halten. In der letzten Session des Unterhauses haben Edwardsund ich eine Resolution beantragt, die die Vermehrung tzer In-spektoren fordert. Der Minister des.Innern hat versprochen,unserm Verlangen nachzukommen(Beifall). Es bedarf dazu keinerbesonderen Vorlage, sondern nur einer Verständigung zwischenihm und dem Finanzminister bei der Aufstellung des nächstenEtats. Die Bergarbeiter, die das Zentrum der modernen Pro-duktion bilden, haben ein Recht darauf, daß ihr Leben und ihreGesundheit sicher gestellt werden.(Lebh. Beifall.)C o r d i e r(PaS de Calais): Seit dem Unglück von Courriereist die Grubeninspektion in Frankreich bedeutend verbessertworden. Tie Selbständigkeit der Arbeiterinspektoren, ihre Unab-bängigkeit von den Grubenverwaltungen ist sichergestellt und ihreFunktionen sind erweitert worden: so habcn� diese von den Ar-beitcrn gewählten Inspektoren die Kontrolle über die Ausführungdes Gesetzes von 1900— Kinderarbeit in den Bergwerken— unddes Gesetzes von 1905— Einschränkung der Arbeitszeit in denGruben. Ebenso liegt in ihren Händen die Prüfung der Gesund-heitszustände in den Bergwerken.(Beifall.)Ballas(Belgien.) Das belgische Gesetz von 1897 über dieGrubenkontrolle befriedigt nicht, vor allem nicht die Art, wie dieArbeiterinspektoren ernannt werden. Der Minister hat sie aufGrund einer Liste auszuwählen, die von den Handels- und In-dustrieräten aufgestellt wird. Diese Jndustrieräte setzen sich auSArbeitern und Unternehmern zu gleichen Teilen zusammen;natürlich gelangen sie nie zu einer gemeinsamen Liste. � ES werdenalso zwei Listen dem Minister vorgelegt, und dieser wählt die Ar-bciterdelegierten regelmäßig aus der Unteruehmerliste. Die Berg-arbciter haben daher gar kein Vertrauen zu den Grubenkon-trolleuren, deren Wirksamkeit noch dadurch beschränkt wird, daßsie nur in Gegenwart eines Grubenbeamten einfahren dürfen.Die einzige Abhilfe erwarten wir von der Durchführung der beut»scheu Resolution.(Lebh. Beifall.)Elfer». Holland: Der holländische Bergbau, dessen Arbeiterzum ersten Male auf einem internationalen Bergarbeiterkongreßvertreten find(Beifall) ist jung, aber die Zahl seiner Unfälle istbereits beträchtlich. Im Jahre 1906 ist ein Bergwerksreglementgeschaffen worden, wonach sich Arbeiterkontrolleure mit der Sicher-heit und Hygiene in den Gruben befassen sollen. Aber es ist sehrungenügend durchgeführt. Die allgemeinen Gewerbeinspektoren,die häufig nicht das Geringste vom Bergbau verstehen, sind vielfachmit der Grubcnkontrolle betraut. Die Frage wird von denholländischen Bergarbeitern jetzt eifrig studiert; wir werden innächster Zeit mit bestimmten Vorschlägen im Sinne der deutschenResolution an unser Parlament herantreten. Die deutsche Re»solution verdient, da sie präziser ist, den Vorzug vor der englischen.(Lebh. Beifall.)Avramoff(Bulgarien). Auch die bulgarischen Berg»arbeiter sind zum ersten Male hier.(Beifall.) Unsere Organi-sation ist jung aber sehr eifrig. Noch liegt alles im argen. VonArbeiterkontrolleuren ist in Bulgarien noch nicht die Rede. Wirhaben zwar Jnspektoven, die die Durchführung des Gesetzes überdie Frauen- und Kinderarbeit zu beobachten haben, aber sie werdenvom Minister ernannt. Nur die deutsche Resolution kann unsgenügen. Niemals darf man einer Regierung die Auswahl derGrubenkontrolleure überlassen. Die besten Hüter der Arbeiter-interessen sind die Arbeiter selbst.(Bravo l) Der englische Dele-gierte meinte, die Frage der Sicherheit in der Grube sei keinepolitische, keine Parteifrage, sondern eine humanitäre Frage.Diese Auffassung scheint mir nicht der Wirklichkeit zu entsprechen:sie war immer eine politische und eine Parteifrage. Die einzige,sichere Hilfe für die Arbeiter ist eine zielbewußte Arbeiterpartei.(Lebh. Beifall.)Die Engländer ziehen darauf ihre Reso»lution zugunsten der deutschen zurück, und diesewird einstimmig von allen auf dem Kongreß vertretenen Nationen(England, Belgien, Frankreich, Deutschland, Bulgarien undHolland) angenommen.Die nächste Frage, die den Kongreß beschäftigt, ist die derNationalisation der Bergwerk«.Eine Resolution der Belgier, die L o m b a t begründet, wendetsich gegen den Brauch, Gesellschaften mit beschränkter Haftpflicht.privaten Finanzleuten und Kapitalisten Bergwerkskonzcssionen zuerteilen und fordert, daß die Bergwerke zum Nutzen der ganzenGesellschaft betrieben werden.Eine französische Resolution fordert gleichfalls, daß die Berg»Werke nicht Privatpersonen überlassen werden sollten und daß da»nationale Interesse ihre Ausbeutung zum Nutzen der ganzenNation erheischt.C h o q u e t(Frankreich) stellt fest, daß in seinem Lande indieser Frage kaum Fortschritte erzielt worden sind. Die so»genannten sozialistischen Minister Viviani und Briand sind ebenim Begriff, neue Konzessionen für Kohlcnfelder im PaS de Calais.im Departement Meurthe et Moselle und vor allem in Nordaftikaan Privatkapitalisten zu erteilen. Die sozialistische Fraktion wirdäußersten Widerstand leisten und die Kohlenarbeiter werden siedarin unterstützen. Handelt es sich doch besonders bei den Boden-schätzen in Algier um Milliarden, die der Nation entzogen werden.P okorn y-Bochum: Der Gedanke der Verstaatlichung derBodenschätze dringt immer weiter vor, selbst breite Kreise de»Bürgertums verschließen sich ihm nicht länger. Der Privatkapi-talismuS treibt Raubbau mit den Dingen und den Menschen.Man braucht nur an die ungeheuren Unfall- und Krankenziffernund an die Masse von Not und Elend zu denken, dit sich in denBergwerkdistrikten aufgehäuft hat, um die Notwendigkeit der Ver-staatlichung einzusehen. Im Rulnbecken sind 10 Familien die un-umschränkten Herrscher über 350 000 Bergarbeiter, 150 000 Hütten»arbeiter und andere Arbeiter, über ihre Familienangehörigen,über ein Heer von Beamten und zahllose kleine Geschäftsleute.Dieser Zustand ist unhaltbar. Wenn diese kleine Gruppe sich mitihren Kollegen, die die anderen Reviere beherrschen, verbündet,dann fühlt sie sich stark genug, der politischen Gesetzgebung, demKtaate, Widerstand zu leisten. Es ist sie?in Hemmschuh gegen