jeden vernünftigen Fortschritt in der Ardeiterschixtzgesetzgefmng,in der Arbeiterversicherung, so getraut sie sich jeden Minister, derbei ihr in den Verdacht kommt, zu arbeiterfreundlich zu sein, zumTeufel zu jagen. Deutschland ist kein parlamentarisch regiertesLand wie England und Frankreich. Die Minister werden vomMonarchen eingesetzt, aber abgesetzt werden sie— das steht nachder Geheimkonferenz im Palasthotel fest— von den Grubenbaronen. Dort ist gesagt worden, wenn die Regierung es wagensollte, den Wünschen der Bergarbeiter entgegenzukommen, dannfliegt der erste Minister, und nützt das nichts, dann der zweite,dritte, vierte Minister und sofort, bis wir einen haben, der unsgehorcht. Unheilvoll ist der Einfluß dieser Grubenlords auf unserganzes politisches Leben und ihre wirtschaftliche Uebermacht, ihrBestreben, alles von sich abhängig zu machen, wird auch demgroßen Heere der Konsumenten sehr bemerkbar, deshalb wächstauch in diesen Kreisen der Gedanke, möglichst bald zu einer Vor-staatlichung zu gelqngen. Diese Stimmung müssen wir möglichstzu nähren suchen. Wie weit wir sind, hat sich bei der Beratungdes Kaligesetzes gezeigt. Da spielte der Gedanke der Verstaat-lichung eine große Rolle. Dem Wirken Hues und der sozialdemo-kratischen Fraktion ist es zu danken, daß bei dem Kaligesetz auchdie Interessen der Arbeiter einigermaßen berücksichtigt wordensind. Immer mehr dringt die Erkenntnis durch, daß die Schätzedes Bodens der Nation gehören und nicht einer kleinen Gruppevon Leuten, die keine Grenze für ihre Profilsucht kennen.(Lebh.Beifall.)Gilmoor(England). Die Verstaatlichung der Bergwerkeist noch ein Ideal, aber es ist gut, wenn die Bergarbeiter es immervor Augen haben. Was heute noch Ideal ist, kann morgen schonWirklichkeit werden. Die Frage der Altcrspensionen schien inEngland bis vor kurzem ganz außerhalb des Bereichs der prakti-schcn Politik zu stehen, heute steht sie im Beginn der Verwirk-lichung. Freilich stehen der-Nationalisierung der Bergwerke zu-mal in England noch große Schwierigkeiten gegenüber. Nicht nurdie Abgaben müssen abgelöst werden, die dem Grundherrn für dieBergwerksgerechtsame'zu zahlen sind, das ganze Land mutz ihnen,wenn sie wollen, erst abgekauft werden, bevor man an die Erd-schätze herankann. Dazu sind gewaltige Summen erforderlich,und eine Verdoppelung der nicht kleinen englischen Staatsschuldwürde, gering gerechnet, die Folge sein. Was hilft aber auch diebloße Verstaatlichung der Gruben, solange da? kapitalistischeSystem existiert. Auf den preußischen und österreichischen Staats-gruben sind die LöhUe niedriger als auf den Privatgruben. Esgilt also, das ganze kapitalistische System zu stürzen. Die englischenArbeiter bewundern die deutsche Sozialdemokratie, die von Siegzu Sieg schreitet. Sie hoffen, daß der Tag nicht mehr fern ist,wo sie das Heft in Händen hält. Folgen wir Engländer diesemKcispiell(Lebh. Beifall.)Rymer(Berufsvereinigung der polnischen Bergarbeiter)gibt folgende Erklärung ab: Wir begrüßen die Forderung mitFreuden, die Bodenschätze zum Gemeingut zu machen. Augen-blicklich aber sind die Arbeiter in den fiskalischen Bergwerken inkeiner beneidenswerten Lage. Der Grubenfiskus ist kein muster-gültigen Arbeitgeber. Vor allem sucht er auch die politische lieber-zeugung seiner Arbeiter zu knechten. Darunter haben wir Polenbesonders zu leiden. Wir közznen für keine Resolution stimmen,die uns einen Arbeitgeber gibt, der viel schlechter ist, als der gegen-wältige Private und werden deshalb, obwohl wir prinzipiell mitder Forderung einverstanden sind, uns der Stimme enthalten.Mit dieser Ausnahme werden die beiden Resolutionen ein-stimmig angenommen.Es- folgt die L o h n f r a g e. Hierzu liegt ein Antrag Deutsch.lands vor, der den Abschluß von Tarifverträgen auchim Bergbau empfiehlt. Rymer(Polnische Berufsvereinigung)begründet den Antrag und befürwortet auch zwei Anträge derG e l g i e r und Franzosen auf gesetzliche Festlegung einesMinimallohnes. Bisher haben die Unternehmer noch immerversucht, in Zeiten der Krise die Bergarbeiterlöhne hcrabzudrücken,leider meist mit Erfolg. Solche Lohnherabsetzungen sind zumalin der gegenwärtigen Zeit recht unangenehm, wo neue Steuer»lasten auf die arbeitende Klasse abgewälzt worden sind. Not undElend müssen da Platz greifen. Daher müssen Tarifverträge ab-geschlossen werden, die dieser Unternehmerwillkür einen Dammentgegensetzen. Man sagt, Tarifverträge wären im Wergbau nichtmöglich. Dahinter steckt nur die Furcht, daß es dann mit demHerr-im-eigenen-Hause-sein ein Eride haben wird. Als beimKaligesetz nicht alles so kam, wie die Herren eS sich dachten, dakündigten sie auch flugs eine Lohnherabsetzung an. An den Ar-beitern wollten sie sich schadlos halten. Glücklicherweise traten imReichstag die Arbciterabgeordneten dagegen auf und, wenn ihnenauch nicht alles gelang, etwas kam doch heraus. Wir müssen nunversuchen, in Zukunft mehr zu erreichen. Wir stimmen für alledrei Anträge.(Beifall.)>—Cadeaux» Frankreich verweist auf die gerade jetzt sehrlebhafte Agitation unter den französischen Bergarbeiteim auf Ein-iführung eines Minimallohns in Höhe von 6,73 Fr. für den Tag.Die Unternehmer befürchten davon einen Rückgang der Produktion,während sie selbst heute durch Einstellung ungeübter Hilfsarbeitereinen folchen Rückgang verschuldet haben.Die Fortsetzung der Debatte wird auf Mittwoch vertagt.Ken Vorsitz führt morgen Husemann-Bochum.Hus Induftm und ftandd.Patriotische Kohlenpreise.Dem rheknisch-westfälischen Kohlensyndikatswucher steht der deroberschlesifchen Kohlenmagnaten durchaus ebenbürtig gegenüber. Inder letzten Zeit hat sich der preußische Staat alle Mühe gegeben.den Kohlenmagnaten Schlesiens BesänftigungSgeschenke zugewähren. Deren Wunsch, nach Berlin billige Frachtsätze für dieoberschlesische Kohle zu bekommen, um so gegen das englischeMaterial konkurrieren zu können, wurde durch den EisenbahnzentralratSicht erfüllt. Es wäre auch ein Skandal sondergleichen gewesen,�enn dafür gesorgt worden wäre, daß Berlin nicht mehr diebillige englische, sondern die teurere oberschlesische Kohle hätte kaufenmüssen. Kürzlich bekamen die Oberschlester schon ein Pflaster fürdiesen Schmerz dadurch, daß die sächsischen Staatsbohnenbeschlossen, einen langfristigen Lieferungsvertrag auftäglich b00 Tonnen Lokomotivkohlen mit oberfchlestschen Unter-nehimmgen abzuschließen. ES waren die oft genannten Friedländerund Wollheim, die daS glänzende Geschäft machen konnten. Erleichtertwurde«S ihnen dadurch, daß daS preußische Eisenbahnzentralamt für dieKohlentransporte nach Sachsen den Regiefrachtsatz bewilligte, dasheißt, eine um 40 Prozent erniedrigte Fracht ficherte. DerAusfall für die böhmische Braunkohlenindustrie ist ganz gewaltig.Die Wiener.Neue Freie Presse" teitt mit, daß durch diesen Vertragjährlich ungefähr 130 000 Tonnen böhmische Braunkohlenweniger nach Sachsen gehen würden. Dazu kommt abernoch, daß jetzt die bayerischen Staatsbahnen eben-falls beschlossen haben, ihren Bedarf aus Oberschlesien zubeziehen, sicher ebenfalls unter Gewährung des AuSnahmetarifS.DieS wäre ein weiterer Ausfall für die österreichische KohlenauSfuhrvon rund 170000 Tonnen, durch die wieder besonders da» Brüxer Reviergetroffen würde. Die österreichische Regierung will nun die kürzlich er-höhten Ausfuhrtarife für Kohlen wieder ermäßigen. Bemerkenswerter-weise wirdpeinlich verschwiegen, welche Preise in den Lieferungskontraktenfestgelegt worden sind. Vielleicht sind sie so unverschämt hoch, daßman sich einfach scheut, sie öffentlich bekannt werden zu lassen. Es seihier an die Verträge des preußischen EisenbahnfiSkuS mit demKohlensyndikat auS dem Jahre 1907 erinnert, die für das.liebeVaterland" Preise vorsahen, die um rund 60—80 Proz. höher waren,all die, die nian im ftanzöfifchen Konkurrenzgebiete forderte. Dieoberschlesifchen Auslands- und Inlandspreise, die kürzlich beröffent-licht wurden, ergeben dasselbe Bild. Die Preise, die für daSInland je nach der Sorte zwischen 12,50 und 8,50 M. schwanken,lauten im besttitleneu Gebiete auf 7,50 bis 4,50 M. l Und so wirdder jetzige sächsische Vertrag auch weiter nichts sein, als ein gutesMittel für die Oberschlester, die Preise für das Inland nachoben festzulegen. Mit den bayerischen Abmachungen dürfteeS nicht viel anders werden. Der Schlußeffett ist immer wieder:der dumme deutsche Michel zahlt allesl Und dieHerren Magnaten sprechen mit Begeisterung von ihrem Vaterlande!Man kann aber auch anders I Als vor zwei Jahren daS Reichs-marineamt nicht die teure deutsche, sondern die billige schottischeKohle kaufen wollte, da drohten die.Hamburger Nachrichten" damit,daß die deutschen Schlachlstbiffe im Kriegssalle keine deutschen Kohlenbekommen würden. Jetzt kaust das Reichsmarineamt selbstverständ-lich wieder die teuere rheinisch-westfälische Kohle. Und der PatriotiZ-muS lodert wieder hell auf!_Eine stürmische Gläubigerversammlung.Ueber den Verlauf der Versammlung der Gläubiger der ver-krachten Niederdeutschen Bank in Dortmund wird uns noch berichtet:Außer den Vertretern der Großbauken, der Treuhand-Gesellschaft,der Reichsbank und kleinerer Bankinstitute waren auch zahl-reich die sogenannten kleinen Leute aus dem Mllnsterlande undauch vom Rhein erschienen. Gleich als der Konkursrichter die Ver-sammlung eröffnete, wurden allgemein Ruft nach dem inhaftiertenBankier Ohm laut. Der Konkursverwalter erstattete dannseinen Bericht, der die pessimistischen Urteile über dietraurigen Aussichten der Gläubiger in allen Teilen vollaufbestätigte. Nach Ansicht deS Konkursverwalters haben dieGründer der Bank von vornherein die Absicht gehabt, Spekulations-geschäfte zu machen. Ohm hat sich nicht nur in Effektengeschäftenengagiert, sondern auch große Produkrengeschäfte durch die FirmenBlomberg u. C o.- Düsseldorf und Siegel u. Lau-Kölnentrieft. Im Auftrage von Ohm kauften diese Getreide gegendrei MonatS-Akzept, un� es sofort wieder mit Verlustgegen Kasse zu verkaufen. Das bare Geld erhielt Ohm.An diesen Geschäften sind nach den Feststellungen des Konkurs-Verwalters 1000 000 M. in ganz kurzer Zeit verloren gegangen.Die Lünener Bank, eine Gründung Ohms, deren Direktor ebenfallsin Untersuchung sitzt, hat von der Niederdeutschen Bank mehrerehunderttausend Mark dubiose Forderungen und fingierte Kontenübernommen. Die enormen Verluste hat Ohm bilanzinäßig nie zumAustrag gebracht. Die ganze Arbeit der Konkursverwaltung istbisher auf die Lösung der Börsenengagcments verwandt worden.Was für die Gläubiger bei dem Konkurs herauskommen wird, dashängt nach den Ausführungen des Konkursverwalters in der Haupt-fache davon ab, wie die Werte der Tochtergesellschaften realifieftwerden können.Von neun zu bestimmenden Mitgliedern des GläubigerauSschusfesverlangten die Hauptgläubiger, Deutsche Handelsgesellschaft, West-holsteinsche Bank und einige andere für sich das Recht, acht Mitglieder zu bestimmen, wohingegen die gesamten anderen Gläubigernur ein Mitglied ernennen sollten. Den Vcftretern der Großbankenwarf man vor, daß sie zum Nachteil der Gesamtmasse Sonder«inleressen verfolgten. Die sehr begehrte Mitgliedschaft zumGläubigerausschuß dürfte schätzungsweise jedem Mitgliede 10—15000Mark einbringen.Nach einein während der Verhandlungen vom Reichsbankpräsi-deuten an Direktor U h l e m a n n eingegangenen Telegramm sinddie Großbanken angeblich nach wie vor bereit, dem kleinen Gläubigerder Niederdeutschen Bank einen Teil seiner Forderung möglichst baldin bar auszuzahlen. Trotz dieser wiederholten Versicherungen stehenEingeweihte den schönen Worten skeptisch gegenüber. Jedenfalls fehltauch den kleinen Gläubigern zum großen Teil der Glaube an dieBotschaft.Inzwischen war vom Gefängnis die Nachricht eingegangen, daßdie Vorführung OhmS nicht möglich erscheine, weil er krank sei. DieMitteilung wurde von der Versammlung mit foftgesetzten Zurufenaufgenommen. Der Antrag Ohms auf Haftentlassung ist amDienstag vom Oberlandesgericht abgelehnt. Man nimmt deshalban, daß Herr Ohm nun einen neuen Weg einschlagen will, um auSder ihm sehr unbequemen Haft entlassen zu werden.Der KoukurSrichter hatte schließlich an die Gläubiger-Versammlungden Vorschriften gemäß, die Frage zu stellen, ob der KonkurSschuldnerbezw. seine Familie aus der Masse unterstützt werden sollten. DieAnfrage löste nochmals einen wahren Sturm aus. Der Ruf: Laßtsie betteln! wurde mehrfach laut.Bei dem gegenwärtigen Stand des Konkurse? blieb der Ver-samnilung weiter nichts übrig, als sich zu vertagen.Von den Hauptgläubigern wurden in der Versammlung anForderungen geltend gemacht: Deutsche Handelsgesellschaft3 000 000 M., von denen das Gericht unter Vorbehalt 2 000 000 M.anerkannte, von der Westholsteinschen Bank 1000 000 M., vom Dortmunder Brauhaus A.-G. 2 000 000 M., von der verkrachten LünenerBank 3 500 000 M. Die anderen größeren Gläubiger machtenkeine näheren Angaben über ihre Forderungen.Nach Mitteilungen von informierter Seite dürste die Unter-suchung gegen Ohm mit dieser Versammlung in ein neues Stadiumtreten. Die Untersuchung wurde bisher nur wegen Bilanz-Verschleierung geführt. Nach der Gläubigerversammlung ist gegenOhm auch Strafanzeige wegen Depotunterschlagung in Höhe von400 000 M. erstattet. Von dieser Anzeige war bisher Abstand ge-nommen, weil die Geschädigten glaubten, ihre Depositen, die sich inHänden von Berwaltungsmrtgliedern befinden, zurückzuerhalten. DieVerwaltungsmitglieder haben nunmehr endgültig die Herausgabeverweigert, weil sie nach ihrer Behauptung dieselben bona Ms erworben haben.In der Buchhandlung der Doftmunder„Arbeiter- Zeitung" isteine jener Haussparkassen ausgestellt, mittels deren die Agenten derBank unter Assistenz katholischer Geistlicher den frommen Kirchen-gläubigen das Geld aus den Häusern abholten.GericMs- Leitung.In dir Welt berjenigrn,«die nicht alle werdendführten zwei Verhandlungen, welche gestern das Moabiter Straf.gericht beschäftigten. Die erste dieser Verhandlungen gestatteteeinen recht interessanten Einblick in jenes Verbrechertum, welchesimmer noch, trotz aller Beobachtungen der Kriminalpolizei, diegroßen Berliner Bahnhöfe unsicher macht. Wegen Betruges imstrafschärfenden Rückfall war der Händler Hermann Schröder an-geklagt. Der Angeklagte, welcher zu der edlen Sippe der Bauern-fänger gehört, hat schon insgesamt über fünf Jahre wegen Betrugesund gewerbsmäßigen Glücksspiels hinter den„schwedischenGardinen" gesessen. Am 15. Juni d. I. wurde er nach Verbüßungeiner längeren Gefängnisstrafe aus der Strafanstalt entlassen.Am nächsten Tage spähte er schon wieder in der Vorhalle deSSchlesischen Bahnhofes auf Opfer aus. Bald lief ihm auch ein„Grüner" in der Person des Arbeiters Offowski, der aus Dort-mund nach seiner westpreußischen Heimat zurückkehren wollte, indie Hände. Der Angeklagte machte sich in geschickter Weife an seinOpfer heran, indem er sich als Landsmann ausgab. Alles verliefauch programmäßig. OssowSki wurde durch die Straßen Berlinsgeschleppt, bis er überhaupt nicht mehr wußte, wo er eigentlichwar. In einer bekannten„Nepperkneipe" in der Auguststraßefand sich dann der gute Bekannte des angeblichen Landsmanneshinzu, und ebenso„zufällig" wurde unter einer Zeitung ein SpielKarten entdeckt. Bald War ein kleines Spielchen im Gange, beiwelchem O. erst gewann, dann aber im Handumdrehen seine sauerersparte Barschaft in Höhe von 130 M. verlor. Als sich dann dieberden Gauner unter einem Borwande empfeblen wollten, er-innerte sich O. mit einem Male daran, daß er in seinem Heimat»licheti Lokalblättchen schon etwas von einer gejpissen Sorte vonSchwindlern gelesen hatte, die etwaS„naiven" Prsbinzialen beitftKümmelblättchen das Geld abnehmen. Er folgte dem Angeklagtenund erwischte ihn gerade noch, als er verschwinden wollte. Vondem Geld hätte der„Landsmann" jedoch keinen Pfennig mehr be?sich; mit diesem war sein Genosse längst über alle Berge.— DieStrafkammer erkannte mit Rücksicht auf die Gemeingefährlichkeitdes Treibens des Angeklagten dem Antrage des Staatsanwaltsgemäß auf zwei Jahre Zuchthaus, 300 M. Geldstrafe, eventuell noch20 Tage Zuchthaus zusätzlich, und drei Jahre Ehrverlust.— Aehn-liche trübe Ersahrungen in der Großstadtluft mußte ein Land-Wirt I. machen, der aus dem Städtchen L. in Pommern MitteApril d. I. nach Berlin gekommen war. Als I. am Abend des10. April d. I. die Friedrichstratze entlang ging, wurde er in derNähe des Oranienburger Tores von zwei schon etwas angejahrtenund stark gepuderten Dämchen angesprochen, die ihn kurz entschlossenunter die Arme nahmen und ihn durch verschiedene Lokale in derElsasserstraße schleppten. In der Wohnung der einen„Schönen"in der Ziegelstraße kam es dann zu einem Eklat. Die holdeDulzinea, die wohl früher in einer Jahrmarktsbude als Riesen-dame angestellt gewesen war, nahm dem völlig eingeschüchtertenProvinzonkel einfach das Portemonnaie und machte sich mit demInhalt in Höhe von 58 M. selbst bezahlt. Schließlich gab sie ihmaus Mitleid 2 M. Fahrgeld. Die beiden tatkräftigen Venus»priesterinnen, die Händlerin Anna Lotze und die Frau HeleneRebstock wurden gestern zu einem Monat bezw. zu drei MonatenGefängnis verurteilt._Wahlvcrgehen.Von der Ferienstrafkammer des Dortmunder Landgerichtswurde ein Dachdecker zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt, weiler bei der im Dezember stattgefundenen GewerbegerichtSwahtzum drittenmal auf eine fremde Wahllegitimation hin hat wählenwollen. Nach denk Urteil hatte der Dachdecker zweimal gewählt,als er noch ein drittes Mal zum Wahllokal ging, um nochmals füreinen anderen zu wählen._Polizei und Recht deS StreikpostcnstehcnS-AuS Anlaß deS Gemeindearbeiterstreiks waren im Vorjahre inKiel 16 Arbeiter mit einem polizeilichen Strafmandat bedachtworden, weil sie den Anordnungen der Schutzleute, wegzugehen,nicht Folge geleistet hatten. Sie verlangten gerichtliche Eni-scheidung, und das Schöffengericht verurteilte mehrere, sprachandere aber frei. Gegen die freisprechenden Urteile legte dieStaatsanwaltschaft, gegen die verurteilenden legten die VerurteiltenBerufung ein. Die Strafkammer setzte die Verhandlung aus undbeschloß, die Entscheidung des Kammergerichts über Streikpostenstehen herbeizuschaffen und Erhebungen zu veranstalten, ob vomKieler Polizeipräsidenten während des Streiks besondere An-ordnungcn für das Verhalten der Schutzleute gegenüber den Streik-Posten ergangen seien. Am Dienstag kamen nun die Berufungenvor der Strafkammer in Kiel zur Verhandlung. Die herbei-geschaffte Entscheidung des Kammergerichts besagt:„Ein Schutzmann ist nicht befugt, auf Grund allgemeinerpolizeilicher Anweisungen Streikposten wegzuweiscn, ohne vorherzu prüfen, ob eine Gefährdung der öfscntlichc» Ordnung undSicherheit vorliegt."Der als Zeuge geladene Polizeiinspektor Kelpe bekundete nun:Wegen der gefährlichen Situation beim Gemeindearbeiterausstand,sowohl für die Schutzleute als auch für das Publikum, wies derPolizeipräsident die Schutzleute in einem schriftlichen Befehl an,jedem Versuch der Streikenden, die Arbeitswilligen bei ihrerTätigkeit zu belästigen oder gar tätlich anzugreifen, entgegen-zutreten, sowie auch von vornherein den Streikposten entgegen-zutreten eventuell durch Erstattung von Anzeigen auf Bestrafungaus 8 43 der Strahenpolizeiverordnung vom 11. August 1906 zudringen. Der Polizeiinspektor erklärte, daß die Schutzleute injedem Falle nachprüfen sollten, ob die Befürchtung vorlag, daßeS zu Unruhen kommen könnte. Während der Zeuge Polizei.kommissar Leder sich der Auslegung anschloß, die der Polizei-inspektor dem Befehl des Präsidenten gab, hat der kommissarischvernommene Polizei kommissar Arend erklärt, daß er aus dem Be-fehl entnommen habe, baß den Schutzleuten eine eigene Prüfungder Sachlage nicht überlassen sein sollte, daß sie vielmehr jede»Streikposten wcgzuweisen hatten.Daz Gericht entschied, daß der vom Polizeipräsidenten er-lassene Befehl nicht der vom Gesetz vorgeschriebenen Form entspricht. Die auf Grund des Z 43 getroffenen Anordnungen müssenallgemein bekannt gemacht werden, denn es heißt in dem Para-graphen ausdrücklich, das Publikum müsse den Anordnungenfolgen. Der Befehl des Polizeipräsidenten sei aber so aufzufassen,wie� ihn der Kommissar Arend aufgefaßt habe. Deshalb müssein jedem einzelnen Falle festgestellt werden, ob der Schutzmannannehmen konnte, daß durch das Stehen des Streikpostens eineGefährdung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit entstehen werde.Bei jedem einzelnen Falle erklärte nun der Schutzmann, der dieWegweisung des Streikpostens veranlaßt hatte, daß er in demStreikposten eine Gefährdung der Ruhe, Ordnung und Sicherheitin der betreffenden Gegend erblickt habe. Außerordentlich be-merkt wurde es, daß der Polizeikommissar Leder alle Schutzleuteauf dem Korridor des Gerichtsgebäudes um sich versammelt hatte.und zwar nachdem das Urteil über den Befehl des Präsidentenergangen war und bevor die einzelnen Fälle zur Aburteilungstanden. Das Gericht hob nach den Aussagen der Schutzleute allefreisprechenden Urteile auf und verurteilte die Angeklagten zttGeldstrafen von 1 bis 3 M. Danach ist das gesetzliche Recht deKStreikpostenstehens abhängig von der Gnade des Schutzmanns�Vermifcbtes.Vom Kleroplanrunäklug in franferdd).Am Donnerstag handelte eS sich darum, die dritte EtappedeS RundflugS durch Frankreich zu nehmen. Die erste Etappe von135 Kilometern war von sechs Fliegern durchmessen worden, beider zweiten Etappe hatten nur drei Flieger das 160 Kilometer weiteZiel erreicht. Bei der am Donnerstag zurückzulegenden dftttenEtappe von Nancy nach Meziöreü kamen von den drei übrig ge-bliebenen Konkurrenten noch zwei an, und zwar die BleriotfliegerL e b l a n c und A u b r u n. Der dntte Konkurrent Legagneux, dereinen Sommerapparat fährt, konnte nicht starten, da sein Motor inUnordnung geraten war und trotz aller Reparaturversuche nicht ingebrauchsfähigem Zustand gebracht werden konnte.Die beiden abgefahrenen Bleriotpiloten erreichten jedoch glücklichihr Ziel. Der bisher besonders vom Glück begünstigte L e b l a n cgebrauchte zur Zurllcklcgung der 160 Kilometer langen Strecke nur125 Minuten. Aubrun, der morgens 5 Uhr 43 Minuten abgeflogenwar, traf erst 9 Uhr 25 Minuten am Ziele ein. Er hatte den Wegverloren und eine Zwischenlandung machen müssen.Auch der Deutsche Lindpaintner. den auf der zweitenEtappe kurz vor dem Ziele eine Motorpanne zum Landen gezwungenhatte, die ihn verhinderte, rechtzeitig in Nancy einzutreffen, hattenoch einmal den Versuch gemacht, sich wenigstens um den Etappen-preis zu bewerben. Er geriet jedoch unterwegs in ein Gewitter, daSihn zum Niedergehen zwang, während die bedeutend schnellerenBleriotflieger dieser Gefahr entgingen.Der bisherige Verlauf des RundflugeS stellt immerhin eine bis«her von Aeroplanen noch nicht erreichten Rekord dar. Ist e» dochbis jetzt den beiden Bleriotfliegern gelungen, an drei vorherbestimmten Tagen eine Gesamt st recke von 460 Kilo»meternzurückzulegen._Ein neuer tteberseeflug.Der englische Aviatiler Lorraine, ein belannter Schau-spieler, hat am Mittwoch einen Ueberlandflug zurückgelegt, bei demer 77 Kilometer über das Meer fliegen mußte.