mehr avgegeven worden, als für die bllrger- lichen Parteienl Schwierig war die Agitation im 20. Kreise stetZ. Weit dehnt er sich über das obere Erzgebirge aus, zum Teil bis an die böhmische Grenze. Die Städte sind klein, ohne rechte EntWickelung. Zschopau hatte zeitweise infolge des Niederganges seiner Textil- industrie einen Bevölkerungsrückgang. Unsagbar arm ist die Be- völkerung, die in den laug in den Tälern sich hinziehenden Dörfern bei der Heimarbeit tätig ist. Die berüchtigte erzgebirgische Spiel- warcnindustrie in den Dörfern um Seiffen und Olbernhau , die Blumeufabrikation mit ihren Hungerlöhnen haben Männern, Frauen und Kindern Saft und Kraft aus den Knochen herausgeholt. Spott- schlecht sind auch die Löhne in der Textil- und in der Holzindustrie, aber ein wenig besser können sich die darin beschäftigten Arbeiter doch ernähren und allmählich faßt die gewerkschaftliche Organisation bei ihnen festen Fust und die Lebenslage der Arbeiter hebt sich. Lange Zeit hat es eigentlich nur bescheidene Anfänge einer sozialdemokratischen Organisation im Kreise gegeben; kleine aber feste, unerschütterlich treue Gruppen in Zschopau , Gelenau , Olbern- hau, Ncuhausen und einigen anderen Orten. Wenig nur verbreitet war die sozialdemokratische Presse. VersammlungSsSle zu erhalten war immer sehr schwer; die meisten Versammlungen haben von jeher unter freiem Himmel auf abgeernteten Feldern stattgefunden. Dadurch war auch die Werbearbeit durch Versammlungen auf einen kleinen Zeitraum im Jahre beschränkt. Seit 1907 hat sich aber die Zahl der organisierten Sozialdemokraten, die allmählich gestiegen war, verdoppelt und wesentliche Fortschritte hat auch die Verbreitung der Parteipresse gemacht. Beim Tode Zimmermann? waren die bürgerlichen Parteien nahezu vollständig desorganisiert. Eigentliche politische Organi- sationen haben sie im 20. Kreise nie gehabt. Zimmermann und seine Getreuen haben sogenannte vaterländische Bereine gegründet, in denen alle bürgerliche Parteien gegen die Sozialdemokratie zusammen- gefasit sein sollten. Die Liberalen sind auf den Leim gegangen. Als jetzt zur Kandidatenfrage Stellung genommen wurde, stellte sich her- aus, daß die vaterländischen Vereine als antisemitische Organisationen wirken sollten. Ohne jede Organisation standen die Nationalliberalen und die Freisinnigen da. Geraume Zeit hat vollständige Ratlosigkeit im bürgerlichen Lager geherrscht. Ein kleiner politischer Freibeuter, Pastor Richter- Königswalde, der sich seit einigen Jahren um die Gründung von evangelischen Arbeitervereinen bemüht, pries sich selbst aufdringlich als Sammelkandidat an. Von den Liberalen ist er nicht ernst ge- nommen worden; nicht einmal genannt wurde sein Name in den Versammlungen, die sich mit der Kandidatenfrage befaßten. Als erster Kandidat erschien der Reformer Kurt Fritsche auf dem Plan und bemühte sich, die Anerkennung der Liberalen zu erlangen. Die„Nationallib. Korrespondenz' erklärte jedoch, die Nationallibe- ralen seien zwar nicht abgeneigt, sich auf eine Kompromißkandidatur zu einigen, doch sei Fritsche dazu nicht geeignet. Die national- liberale Partei lehne ab, im e r st e n Wahlgang für ihn einzutreten. Daraus kann auf die Neigung der Nationalliberalen geschlossen werden, bei einer etwaigen Stichwahl für den agrarischen Anti- semiten einzutreten. Pomphaft haben die Fortschrittler außerhalb de? Kreises erklärt, sie würden einen eigenen Kandidaten aufstellen, der sicherlich in die Stichwahl mit dem Sozialdemokraten kommen werde. Bisher hatte man noch gar nicht gewußt, daß es eine nennenswerte Anzahl Fort- schrittler im Kreise gibt. Dann erklärten auch die Nattonalliberalen. sie würden mit einem eigenen Kandidaten antreten. Mehrere Namen wurden von fortschrittlichen und nationattiberalen Kandidaten ge« nannt. Vertrauliche Verhandlungen wurden zwischen den National- liberalen und Fortschrittlern wegen einer gemeinsamen Kandidatur geführt. Im benachbarten 21. sächsischen Kreise, Annaberg -Schwarzen- berg-Eibenstock, ist das Mandat des nationalliberalen Dr. Strese- mann, der 1907 unseren Genossen Grenz verdrängte, schwer ge- fährdet, da nicht nur die Sozialdemokratte erstarkte. sondern auch die Agrarier Stresemann fallen lassen wollen. Der Handel kam zum Abschluß auf der Grundlage, daß die Nationalliberalen jetzt im 20. Kreise für einen fortschrittlichen Kandidaten eintreten, wofür die Fortschrittler bei den nächsten all- gemeinen Wahlen Dr. Stresemann keinen eigenen Kandidaten gegen- überstellen. Auch damit hatten die Kandidatenschmerzen noch kein Ende. Aufgestellt wurde der fortschrittliche Landtagsabgeordnete Roch- Annaberg. Nach einigen Tagen spielte Roch aber nicht mehr mit, weil er offenbar keine Lust hatte, den Durchfallskandidaten zu machen. Schließlich wurde der fortschrittliche jLandtagsabgeordnete Landgerichtsrat Brodauf- Chemnitz Kandidat der Fortschrittler und Nattonalliberalen. Mit mehreren riesigen Massenversammlungen unter freiem Himmel leiteten unsere Parteigenossen den Wahlkampf ein. Mehr Säle InSiritrte und Arbeiter in Japan . Von Chagrin. iVL In der Textilindustrie Japans , der Mutter der In- dustrien des Landes, herrschen die t r o st l o s e st e n Zustände. In ihr wütet genau so wie in der Minenindustrie der Feudalismus , aber ein Feudalismus«ans pbrase, ohne mildernden Adjektiv. Den Textilfabrikanten gebietet nicht wie den Minenherren die dringende Notwendigkeit die Beschäftigung mit der Wohltäterei, denn ihre 32S047 Köpfe zählende Arbeiterschaft setzt sich bis zu neun Zehntel aus gefügigen und anspruchslosen Frauen und jungen Mädchen zusammen. Gewiß müssen auch sie bei der Anwerbung der Arbeitskräfte einen Schein patriarchalischen Wohlwollens wahren und etwas für den Unter- fjalt der Arbeiter tun, aber das läßt sich beinahe ohne Kosten be- werkstelligen. Zuerst einiges über die Anwerbung der Ar- Leiterinnen. Die Textilfabrikanten haben das ganze Land mit einem Netz von Agenten überzogen, die den Fang von Lohnsklaven zu betreiben haben. Den Mädchen und Jungen auf dem Lande, oder besser, deren Eltern, wird das Fabrikleben in den prächtigsten Farben geschildert und ihnen für ihre Begriffe krösuSartige Löhne versprochen. Die Alten, arme, hungernde, bis über die Ohren in Schulden steckende Bauern, sind gezwungen, mit beiden Händen die iihnen ausgemalte Möglichkeit, ein Nebeneinkommen durch zeit- weisen Verkauf ihrer Kinder zu erhalten, zu erfassen. Das in Aussicht gestellte Handgeld vor allem sticht in die Augen. Damit kann vielleicht die Scholle vor dem Wucherer oder vor dem Steuer- beamten des Mikado gerettet werden. Die Anzahlung fällt in der Regel geringer aus. als versprochen wurde. Noch weniger erfüllt jsich die Hoffnung der Kinder auf guten Lohn. Aber die Eni- jtäuschung und die Wut über den Betrug kann den Arbeitsvertrag wicht mehr rückgängig machen. Die Kinder haben die in dem Kontrakt festgesetzte Zeit zu dienen. Kontraktbruch ist. wenn von Arbeitern begangen, in Japan ein hundertmal größeres Ver- brechen als beispielsweise im Lande der Gottesfurcht und frommen Sitte. Die Nichterfüllung der Versprechen kümmert den Unter- lhändler der Unternehmer am allerwenigsten. Er hat seine Fang- Prämie und damit ist für ihn der Handel erledigt. Der japanische Unternehmer hat große Vorliebe für ge- fchriebene Kontrakte. Er weiß, daß ihm die ganze Staatsmacht zur Seite steht. B>fm der Arbeiter ihn nicht erfülfen sollte; und als früher stehen ihnen zur Verfügung, aber in einer ganzen Anzahl ' der vielen Orte sind sie wie bisher obdachlos. Dafür werden Ver- fammlungen unter freiem Himmel abgehalten. Sie sind sehr gut besucht. Bemerkenswert ist. daß dazu auch Landwirte und Geschäftsleute erscheinen, die mit großem Interesse der Kritik unserer Redner an den bürgerlichen Parteien lauschen. Ab und zu kommen auch fortschrittliche Parteisekretäre, von denen mehrere im Kreise stationiert worden sind. Das Ende ist gewöhnlich daß sie von den Versammelten ausgelacht werden. Durchweg schlecht besucht sind die Versammlungen der beiden bürgerlichen Kandidaten, wenn unsere Parteigenossen sie nicht be- suchen. Mit dem Antisemiten Fritsche haben Parteigenossen in mehreren Versammlungen so erfolgreich diskuttert, daß der Mann schließlich die Polizei gegen einen unserer Redner zur Hilfe rief. Seitdem meiden die Sozialdemokraten feine Versammlungen und Fritsche muß vor zwei bis drei Dutzend Leuten reden. Anfänglich versicherte Fritsche, er sei von den Konservativen und dem Bunde der Landwirte vollständig unabhängig. In beweglichen Tönen wurde zu der Zeit in Aufrufen um Geld für seine Kandidatur gebettelt. Jetzt wirken für Fritsche konservative Parteisekretäre und der Leiter des Bundes der Landwirte in Sachsen . Er hat den An- schluß an die Kassen der großen Organisationen gefunden. Brodauf bestreitet, der Kandidat des Hansabundes zu sein, ver- sichert aber, daS Geld des Hansabundes zur Bestreitung der Wahl- kosten würde er gern nehmen, und der Bund täte nur klug, die Mittel herzugeben. Beschimpfungen der Sozialdemokratie, die bei Fritsche gang und gäbe sind, vermeidet Brodauf. Sachliche Aus- einandersetzungen zwischen ihm und sozialdemokrattschen Rednern haben wiederholt stattgefunden. Die Leute, die für ihn reden, fangen aber schon an ruppigere Töne anzuschlagen. Unsere Genossen bleiben ihnen nichts schuldig, wenn sie den Herren entgegentreten, was öfter geschieht. Arger Pessimismus herrscht unstreitig in den bürgerlichsn Lagern. Die Amtsblätter klagen immer wieder über die zu Tage tretende Interesselosigkeit der bürgerlichen Wähler. ES darf bezweifelt werden, daß daS Interesse geweckt wird durch die massenhafte Verteilung der albernsten Reichsverbands- flugblätter. Große Anstrengungen wollen die Gegner noch bis zum Wahltage machen, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine Stich- wähl erreichen zu können. Die Fortschrittler haben allein noch S0 Versammlungen angesetzt. Für den Tag vor der Wahl haben sie sich in den größeren Orten die Säle gesichert. Nationalliberale und fortschrittliche Abgeordnete sollen als Redner erscheinen. Die Ne- former werden nicht weniger eifrig sein. Von brennendem Eifer erfüllt, das Aeußerste für die gute Sache zu tun, sind unsere Parteigenossen. Was nur möglich ist, wird ge- tan werden, um alle Bemühungen der Gegner zuschanden zu machen. Alle Kraft wird daran gesetzt, damit die bürgerlichen Parteien abermals heimgesucht werden für die Sünden, die sie am Volke ver- übten und der 24. August zu einem neuen Sieges- und Freudentage für die Sozialdemokratie wird. Kindziiops-ü'olitili. Die liberale Presse Bayerns — und die Liberalen Bayerns sind so ziemlich die rückständigste und jämmerlichste Sorte— gestattet sich in ihrer politischen Ahnungslosigkeit, unsere bayrischen Genossen anzugreifen, weil sie das B u d g e t a b- g e le h n t haben. In einem trefflichen Artikel macht sich unser Münchcner Bruderblatt über diese Kindsköpfe lustig, welche das Budget einer feindlichen Regierung, der das Zen- trum seinen Willen oktroyiert, mit Hurra apportieren. Die Angriffe der Liberalen, bemerkt die..Münchener Post', sind übrigens umso komischer, sintemal der größte Teil der Libe- ralen bei der Abstimmung durch Abwesenheit geglänzt hat. Und sintemal die liberale Fraktion sich mit der Frage der Ablehnung des Finanzgesetzes doch selbst, und zwar sehr schmerzhaft, zu beschäftigen hatte. Und sinte- mal das Ergebnis dieser Beschäftigung die Erlaubnis für die„entschiedene Linke" war. sich— der Stimme zu enthalten- Die„entschiedene Linke" war dann von diesem Ergebnis so entzückt, daß sie sich überhaupt der— Anwesen- heit enthielt. Im übrigen kann die„Münchener Post" die liberalen Politikaster sehr leicht abtun, indem sie eine vernünftige liberale Stimme sprechen läßt. Das bayrisch -liberale Wochen- blatt„Fortschritt" schreibt nämlich über die Budgetbewilligung durch Liberale: „... Der Liberalismus muß den Mut haben, Regie- r u n g s- oder Oppositionspartei zu sein. Konscr- vative und Ultramontane, Junker und Pfaffen, haben den Mut, sich für oder gegen Regierung zu erklären. Nur die National- er kennt auch den tiefen Respekt, den die Arbeiter vor einem mit Siegel versehenen Stück Papier haben. Der Kontrakt bedeutet für den Arbeiter eine unzerreißbare Fessel und für den Unternehmer nichts, rein gar nichts. Der Arbeiter hat kein Mittel, den Fabri- kanten zur Erfüllung seiner Verpflichtung anzuhalten. Selbst wenn Arbeiterschutz bestände, würden die engagierten Kinder durch ihre Unerfahrenheit, Hilflosigkeit und ihren Mangel an Mut oder durch ihren Fleisch und Blut gewordenen Respekt vor der Autori - tät gehindert werden, davon zu profitieren. Aber es besteht kein Arbeiterschutz, noch nicht einmal ein Schein davon. Ein Gesetz- entwurf, der mittlerweile wohl Gesetz geworden ist, hat einige Paragraphen, denen nur grober Optimismus arbeiterfreundlichen Inhalt gibt. Sie lauten: „Kinder unter zehn Jahren dürfen in industriellen Eta- blissements nicht beschäftigt werden. Aber es können durch Er- lasse Ausnahmen von diesem Prinzip gestattet werden für Industrien, die sich in speziellen Verhältnissen be- finden.'„Unter vierzehn Jahre alte Kinder dürfen nicht länger als zehn Stunden pro Tag beschäftigt werden, es sei denn, man habe eine kompetente Spezial-Autorisatton für exzeptionelle Gründe." Es ist nicht nötig zu sagen, daß. wenn diese Bestim- mungen praktisch in Kraft wären, jeder Fabrikant spezielle Ver- Hältnisse und exzeptionelle Gründe für die Enthebung von der Be- obachtung de? Gesetzes anführen könnte und auch zuerkannt er- halten würde. Es existieren nur hier und da im Zivilrecht noch Stroh- Halme, an denen sich ein mit Mitteln. Zeit und Mut versehener Arbeiter aus seiner tollen Rechtslosigkeit ziehen kann. Aber wo diese Möglichkeit zu drohen scheint, mutz beim Unterschreiben des Arbeitsreglements(wie in Aschio) durch Unterschrift erklärt wer- den, daß niemals eine Berufung auf die näher bezeichneten Para- graphen des Zivilgesetzes statthaben wird. Der japanische Prole- tarier kann sich drehen und wenden wie er will, er ist der Unter- nehmerwillkür schutzlos preisgegeben, und es wird auch auf abseh- bare Zeit noch bleiben. Denn wer soll ihm Schutz verschaffen? Die Volksvertretung? Sie ist von einer unendlich winzigen Minderheit des Volkes, von den Besitzenden gewählt und ist korrupt obendrein. Die Arbeiterorganisation? Eine solche existiert nicht, kaum Ansätze dazu. Die kontraktlich engagierten Arbeiter und Arbeiterinnen der Textilindustrie werden in der Fabrik einquartiert und darin be- köstigt. Ihr Tagelohn ist 12 Sen(24 Pf.), der bei älteren Arbeite- rinnen bis auf 30 Sen steigen mag. Die tägliche Arbeitszeit ist 12 Stunden. DaS Zweischichtsystem ist in Kraft. Während die eine Hälkte arbeitet, schlaft die andere. UebrigenS sind zuweilen v»r für die Hglfte der ArbeitersSäft Mhlusume, d. f. LjcgepMe liberalen, nur die pflaumenweichen Liberalen haben nicht den Schneid, sich für oder gegen eine Regierung zu entscheiden. Leben in ständiger Kontroverse mit Reichs- und Landesregierung, schreien auf wegen angeblicher Verletzung libe- raier Grundsätze durch die Regierungsmaschine, gebärden sich wegen dieser oder jener Verletzung der Verfassung wie Wilde. die nach dem Kampfe mit der Regierung lechzen, und sind einige Wochen darauf die ergebenen und dienstbereiten Handlanger der- selben,„eben der" Regierung, der sie mit Wonne das Budget genehmigen. Von Budgetperiode zu Budgetperiode wieder- .holt sich dieses Schauspiel. Protestversammlung über Pro- testversammlung. Gesteckt voll sind die größten Säle der Groß- städte, denn endlich einmal soll der Kampf, der langangekündigte, gegen die Reichs-, gegen die Landesregierung beginnen. Zu Tausenden strömen die Wähler in die Arena und jubeln dem Führer zu, der mit Emphase in die tosende, brausende Ver- sammlung ruft:„Auf zum Kampfe, dem wir nicht ausweichen, den wir mit frischem Mut gegen die Regierung führen werden, vor dem wir uns nicht fürchten, auf! auf zum flammenden Protest gegen Unfreiheit und klerikale Knechtschaft!" BumI BumI Buml Bravo, Bravissimo! Hurrak Mit roten Köpfen geth's nach Hause. Auf der Straße noch zittert die Erregung nach, die der Redner, der Sturmleiter im drohenden Kampfe gegen die Regierung ausgelöst. Wirst sehen, dieses Mal wird's ernst, so Hab ich die Liberalen noch nie reden hören. Können gar nicht mehr anders, als Opposition im schärfften Sinne des Wortes treiben. Wart' einmal, was die nächsten Tage bringen. Und wirklich hat's in den kommenden Wochen den Anschein, als ob's ernst, blutigernst würde. Scharfe, spitze Reden fliegen durch den Saal. Aber die Herren Minister hleiben merkwürdig still und gelassen und fangen die Wortbomben mit hurtigen Händen und harmlosen Mienen auf. Der Uneingeweihte meint, jeden Augenblick kommt's zum Krachen. Die Minister wissen das besser.„Reg' dich nicht auf, lieber Kollege im Amte," sagt ein Eisgrauer zu einem Ministernovizen,„den Zauber kennen wir, so war's noch immer, das Maulwerk darfst du nicht fürchten, laß sie schimpfen und schreien, wenn sie uns nur hübsch brav daS Budget bewilligen." Und das Ende. Jedermann weiß es. Den Liberalen fehlt der Mut, Regierungspartei, fehlt aber auch der Schneid,„Oppositionspartei" zu sein. Nicht warm und kalt, sondern lau. Jederzeit bereit, über Verfassungsverletzungen zu zetern, nie aber gewillt zu strammer Opposition. Im Reiche, in den verschiedenen Landtagen könnt ihr täglich dieselbe Un- entschloffenheit erleben. Die Schuld am Rückgange des Liberalismus tragen nicht die einzelnen Kandidaten, nicht Regierung, nicht gegnerische Parteien, die Schuld trägt die Unentschlossenheit der liberalen Fraktionen, die- den Wählern bei jeder passenden und unpassen- den Gelegenheit einen schauerlichen Kampf deS Liberalismus gegen die Regierung vormalen, die im Wähler Oppositionssttm- mung großziehen, selbst aber nie den Mut zu dauernder Oppo- sition finden. Wer Kampf gegen eine Regierung predigt, muß diesen Kamps auch tatsächlich führen. Nicht mit leeren Worten, nicht mit Reden, die mit Dornen und Stacheln gespickt sind, sondern mit der Tat. Und diese Tat ist die Budgetverweigerung, von der eine Partei Gebrauch machen muß, wenn sie der Re- gierung todfeindlich gegenübersteht. Tut sie dies nicht oder ist sie nicht gewillt, dies zu tun, hat es wah rl i ch keinen Sinn, von einem Kampfe zu sprechen, den die Partei gegen die Regierung führen wird. Der Wähler läßt sich nicht foppen, läßt sich nicht in eine Kämpfer- stimmung künstlich hineintreiben, von der die Führer innerlich selbst nichts wissen, und wendet sich, wenn seine Oppositionslust einmal wachgerufen ist, eben derjenigen Partei zu, die mft der Opposition nicht spielt, sondern Ernst mit ihr macht. In Württemberg ist über die NationaMberake.Parte! ein Tag der Abrechnung hereingebrochen. Ich fürchte, auch anderSwo wird man den Tag des Gerich.ts zu fürchten haben, wenn der Liberalismus vergessen sollte, daß er Kampf gegen die Regierung gepredigt hat, gleichwohl aber der- selben Regierung bereitwillig da» Schmieröl für die Regierungsmaschine bewilligen wird.' Woraus zu ersehen ist, bemerkt die„Münch. Post", daß es„ganz andere Gebiete der Heiterkeit für die Liberalen gibt, als die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion. Und daß, wer so furchtbar im Elend sitzt, wie diese„liberalen" Jammermeier, sich bessere Zeiten für die Entfaltung seines Größenwahns aussuchen sollte, als die des rettungslosen Niederganges." In der Tat ist das, was hier ausgeführt wird, ja auch überall außerhalb Deutschlands selbstverständlich. Gehört es doch zum Abc jeder ernsthaften bürgerlichen Oppositionspolitik, einer feindlichen Regierung und ihrer Mehrheit durch Ableh- nung des Budgets ihr Mißtrauen zu demonstrie» r e n und vor dem Volke die Verantwortung für die Politik der herrschenden Parteien abzulehnen. Wenn der bayerische Liberalismus als Opposition ernst genommen vorhanden. Wenn dag Signal ertönt, nimmt die abtretende Schicht die gerade frei gewordenen, noch warmen Liegeplätze ein. Ein Beamter erzählte, die Fabrikmädchen zögen die Nachtarbeit der Tagesschicht vor, weil im Sommer die Arbeitssäle kühler und im Winter wärmer seien als die Schlafräume. Das ist die Wahrheit, aber nicht die ganze: die Mädchen ziehen nur im Winter die Nacht- arbeit vor, weil nicht genug Schlafdecken vorhanden sind, ohne die sie in den Zigarrenschachteln von Behausungen erfrieren würden. Der Anblick der jungen Geschöpfe in den Spinnereien krampst daS Herz zusammen. Mädchen, Kinder, die anderwärts noch mit Puppen und Teddybären spielen, tagauS, tagein zwölf Stunden in einer von Millionen von Wollpartikeln geschwängerte Atmosphäre an Maschinen gekettet! WnS an ihnen noch Jugendliches ist, wird durch Schmutz und ölige Kleidcrfetzen verdeckt. Bei meinem Be- suche der größten Spinnerei des Landes lagen in einem Saal der Schlafbaracken drei Dutzend äußerst dürstig gekleideter Mäd- chen auf dem blanken Boden. Sie litten an Schwindsucht oder Beri-Beri. Als sie meiner ansichtig wurden, hellten sich die tod» müden Gesichter ein wenig auf. War es die Freude über den Besuch? oder hielten sie als echte Asiaten es ihrer unwürdig, dem Jjin die wahren Gefühle zu zeigen? Der„Doktor" berichtete, die Arbeiterschaft werde schwer von diesen beiden Geißeln heimgesucht; es seien noch mehr Kranke da, aber die seien noch arbeitsfähig. Kein Wunder! Auch wenn sich die Fabrikbevölkerung nicht aus Kindern zusammensetzte, könnte ihre Gesundheit der dumpfen Luft der Arbeitssäle, der übermenschlich langen Arbeitszeit und der Unterernährung nicht lange Stand halten. Von ihrem 24 Pf. betragenden Lohn werden den Arbeiterinnen täglich 16 Pf. für Kost und Logis abgezogen. DaS Essen der Zwangspensionäre besteht aus minderwertigem, den europäischen Magen fast durchschlagenden Reis, einer bitter schmeckenden Brühe, Tee genannt und, wenn auch nicht immer, auS winzigen Portionen krausem Fischzeug. Das Mahl muß eiligst verschlungen werden, weil die andere Hälfte der Mädchen währenddessen die rfhne Aufsicht gelassenen Maschinen mit zu bedienen hat. DaS LogiS bilden geräumige, von allen Möbeln entblößte Säle, in denen auf dem Boden die Schlafdecken ausgebreitet sind. Das ganze Leben der Arbeiter vollzieht sich unter oen Augen des Fabrikanten und seiner Aufseher. Den Mädchen wurden beim Engagement hoher Lohn, bunte Kimonos(Kleider). Vergnügen und gutes Essen versprochen. Und dafür finden sie schmutzige Arbeitssäle, stete Fron, häßlich klappernde Maschinen und ständige Einsperrung. Daß sie sich aus dieser Drangsal hinwegsehnen, bedarf keiner Begründung. Finden sie einmal die Tür unbewacht und günstige Gelegenheit, laufen sie ejuzela odep ia Nudelt! davon. DaS Verbrechen, Kontraktbruch
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