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Nr. 152.

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für 1893 unter Nr. 6708.

Vorwärts

10. Jahrg.

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Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Wahlunregelmäßigkeiten.

Sonnabend, den 1. Juli 1893.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Vor allem sucht aber das Reptil aus der Wilhelmstraße Also auch damit ist es nichts. aus diesen ebenso unbedeutenden, wie von niemandem ge- Da bleibt nur Mannheim   noch übrig, wo es zu einigen In feinem Lande der Welt gehen die Wahlen, wenn billigten Vorfällen, die zum Theil ohne jeden inneren Zu- Schlägereien fam, an denen Arbeiter betheiligt waren. wir von der Schweiz   absehen, so ruhig, so ohne äußere Er- sammenhang mit der Wahl stehen und nur zeitlich mit ihr Solche Raufereien kommen bei dem Temperamente der regung, mit so wenig Störungen der öffentlichen Ruhe und zusammenfielen, Waffen gegen die Sozialdemokratie zu Süddeutschen recht häufig vor und zwar aus allen möglichen des Geschäftsverkehrs vor sich wie im Deutschen   Reiche. schmieden. Anlässen. Es wird keinem Kenner der süddeutschen Ver­Die letzten allgemeinen Wahlen, die vor den deutschen   statt- Dies wird ihr nicht gelingen, denn, wie wir beweisen hältnisse beifallen, aus einem Vorfalle wie dem Mannheimer gefunden haben, waren die in Serbien  . Noch bevor uns werden, sprechen die Thatsachen und gewichtige Zeugnisse, irgend welches politisches Kapital zu schlagen, diese Vor­Wahlergebnisse gemeldet wurden, erfuhren wir durch den wir führen hier blos solche aus dem gegnerischen Lager an, gänge gegen irgend eine Partei auszunüßen. Somit fällt Draht, daß so und so viele Todte, so und so viele Ver- gegen die infamen Unterstellungen und bösartigen Folge- das künstliche Gebäude der Norddeutschen" in Nichts zu­wun dete im Wahlkampfe geblieben sind. In Ungarn   werden rungen der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung". sammen. Dor den Wahlen die Truppen über das ganze Die Erzesse in Breslau   fanden einige Tage nach der Würde sie Wahlskandale gegen die Sozialdemokratie Land vertheilt, gleichzeitig mit den Kortes, den Wahlmachern, Wahl statt, betheiligt waren an ihr vornehmlich halb- ausbeuten wollen, müßte sie mit solchen aus Berlin  , Ham­vertheilen die Korpskommandanten an ihre Truppenkörper wüchsige Jungen im Alter von 14-16 Jahren. Kein burg, München  , Nürnberg   und ähnlichen Hauptsitzen der die Befehle bezüglich ihres Verhaltens bei den Wahlen. Breslauer Blatt, selbst die reaktionäre Schlesische Sozialdemokratie hinausrücken. Aber überall dort, wo die In Spanien  , in Italien  , in den südamerikanischen 8tg." nicht, machte den Versuch, die Ausschreitungen in Sozialdemokratie eine Macht ist, verlief die Wahl in vollster Republiken kommt es bei den Wahlen zu förmlichen irgend welchen Zusammenhang mit den Wahlen zu bringen, Ordnung und Ruhe. Es wird sich also aus den Vorgängen Schlachten, die Parteien bekämpfen sich nicht nur in Wort nirgends findet sich auch nur der mindeste Anhalt, daß die bei den Wahlen keine Stimmung gegen die Sozialdemokratie und Schrift, sie lassen nicht allein den Stimmzettel ent- Betheiligten irgendwie der Sozialdemokratie an die Rock machen lassen trotz des heißen Bemühens der Hintermänner scheiden, sondern sie suchen in sicherlich nicht beweiskräftiger schöße gehängt werden könnten, dies hindert jede anständige der Norddeutschen", die in ihrer heutigen Nummer sich Weise die Gründe ihrer Partei durch Faustschläge und Zeitung, jeden Ehrenmann, diese Ereignisse in einer über die Berner Krawalle verbreitet, die aber allen anderen Dolchstiche recht eindringlich zu gestalten. Aber nicht blos Weise zu verwerthen, wie es der Norddeutschen Allgemeinen cher als den herrschenden Gewalten zur Ehre gereichen. der heißblütigen Bewohner des Südens bemächtigt sich bei Beitung" beliebte. den Wahlen große Aufregung. Auch im fühlen Norden werden die Wahlkämpfe erregter und leider auch blutiger geführt als bei uns.

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Wo sind denn Exzesse an der Tagesordnung? Da wo das gesinnungstüchtige Hurrah- Bolt sich zu patriotisch"= loyal"- byzantischen Feiern zusammen thut. Wo tracht denn der antikollektivistische Bauernschädel? Nicht im Wahlkampf, aber auf der Kirchweih, beim Sedansrummel und ähnlichen Anlässen, wo die teutsche Begeisterung in Fusel und Lagerbier ihre Feste feiert. Exzesse begehen über­müthige Lieutenants, die kleine Kinder mit der Reitpeitsche mißhandeln, Exzesse gehen vor auf den Tanzböden, wo das Militär Händel   sucht mit den Zivilisten.

Die offiziöse Hoffnung auf die Bauern als die jenigen, die Revolutionen niederschlagen sollen, fann täuschen, waren doch die Bauernkriege die fürchterlichsten Revolutionen, die Deutschland   je gesehen hat.

In Pirmasens   stand bei der Stichwahl gar kein Sozialdemokrat in Frage. Unsere Partei hatte an der Wahl des Nationalliberalen ebenso wenig Interesse, wie In England fam es oft zu Handgemengen, in Irland   an der des Zentrumsmannes. Unsere Genossen hatten zu förmlichen Schlachten, auch in den Vereinigten Staaten   daher nicht die mindeste Veranlassung zu besonderer Er­von Amerila floß oft bei den Wahlen das Blut der Bürger. regung. Die Nuheſtörungen, die vorkamen, kommen daher Häufig genug waren es die konservativen Parteien, welche sicherlich nicht auf Rechnung der Sozialdemokratie. am Gewicht ihrer Gründe verzweifelnd, die Gegner mit Ju Lübeck bestanden die Unruhen darin, daß ein paar förperlicher Gewalt an der Wahlhandlung zu verhindern Fensterscheiben eingeschlagen wurden. Von wem und warum suchten. dies geschah, wird die gerichtliche Untersuchung zeigen, auf Sind unsere Wahlen auch kein Muster eines idealen, die vor allem ein Regierungsorgan warten sollte, bevor es rein sachlich, durchaus objektiv geführten Kampfes, spielt aus solchen Vorgängen allgemeine Schlußfolgerungen zieht. auch bei uns Verdächtigung und Verleumdung, Herein- Bei der Affäre in Jauer waren nach übereinstimmen­ziehung persönlicher persönlicher statt rein sachlicher Momente den Nachrichten Freisinnige und Konservative betheiligt, so Von Wahlunregelmäßigkeiten hätten übrigens die Vers eine Rolle, so lassen sich trotzdem unsere Wahlsitten noch daß blos die aufgebauschten Unruhen in Straßburg   und treter der konservativen Parteien am stillsten zu sein, ihre lange nicht mit denen der Serben, Ungarn  , Irländer, Eng- Mannheim übrig bleiben. Diese fielen zeitlich mit einem brutalen Eingriffe in die Wahlfreiheit wiegen bedeutend länder und Amerikaner vergleichen. Von ganz geringen Siege und einer nicht erwarteten Niederlage der Sozial- schwerer, als alles, was an Ordnungswidrigkeiten seitens Unordnungen abgesehen, verläuft bei uns der Wahltag und demokratie zusammen, scheinen demnach auf das Konto der der Gegner der Militärvorlage felbst nach Meinung der die Zeit der Wahlbewegung in vollster Ruhe und Ordnung, Sozialdemokratie zu gehören, aber es scheint blos so. In Norddeutschen" vorgefallen ist. Es wird ihnen nicht ge­am wenigsten wird sie dort gestört, wo unsere Partei ihre den Hamburger Nachrichten", einem sicherlich nicht sozia- lingen das allgemeine Wahlrecht zu diskreditiren. alten Sitze hat, wo unsere Genossen die politischen Sitten liftenfreundlichen Blatte, dessen wirklicher geheimer Chef­beeinfluffen. redakteur der Vater des Sozialistengesetzes und der frühere Blos so verlogene Reptilien, wie sie in der Nord- Spiritus rector der Norddeutschen Allgemeinen 8tg." war, deutschen Allgemeinen Beitung" ihr Unwesen wird direkt erklärt, daß nicht die Sozialdemokraten, sondern treiben, können sich bei dieſer Lage der Dinge extühnen, die Proteſtler an dem Entstehen und, wie wir hinzufügen Politische Leberlicht.

von Wahlunregelmäßigkeiten, ja von unerhörten Aus wollen, die Schneidigkeit der einschreitenden Organe an dem schreitungen bei den Haupt- und Stichwahlen" Umfange der Unruhen Schuld trugen. Die Kölnische zu sprechen, und die vereinzelten Ausschreitungen, die Volts- Zeitung", ein ultramontanes, uns entschieden feind­vorkamen, als charakteristisch für die militärpolitische lich gesinntes Organ, erklärte, daß vornehmlich ruhig heim- Aberdeen  ( Schottland  ) aus Neapel  ( Italien  ) und Situation überhaupt zu bezeichnen, ja sie systematisch zurück gehende Studenten, Beamte von der Polizei verwundet und zuführen auf eine Methode des Wahlkampfes der Herren geschlagen wurden. Ein anderes bürgerliches Blatt stellte Richter, Lieber und Bebel, welche die Geschäfte der Feinde fest, daß Straßburgs goldene Jugend" an dem Radau des inneren und der Feinde des äußeren Friedens besorgen". die Schuld trägt.

Feuilleton.

Nadbrud verboten.)

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Die Bekehrung André Savenay's.

Sozialistischer Roman von Georges Renard  .

Berlin  , den 30. Juni. Sympathiebezeugungen ausländischer Genossen. Aus aus Paris  ( Frankreich  ) sind uns weiter von sozia­ listischen   Organisationen warme Glückwünsche zu unseren Wahlfiegen zugegangen. Von Vaillant haben wir folgen­den Brief erhalten:

André hatte in der That viel gelesen, viel gesehen und Man muß in dieser Welt gar viele niedern Dinge lieben, über vieles nachgedacht. Troß seiner Jugend hatte er sein Üm schließlich zu erfahren, was uns am liebsten ist." Studium mit einem Eifer betrieben, als hinge seine Zukunft Und so hatte er denn nach einander erst mit Geisen davon ab. Als er zwanzig Jahre alt war, starb sein dann mit Fechten, mit Pferden, mit dem Spiel, endlich Vater und hinterließ ihm in dem großen Vermögen die mit einigen Weibern   aus der ganzen und halben Welt seine Mittel zum Müßiggang. Aus Ermangelung eines Besseren Zeit todtgeschlagen. Bei alledem aber hatte er mehr ge­machte er eine Reise durch ganz Europa  , auf der er sich, geben als empfangen. Niemals war er wirklich im Innersten ohne daß es ihm eigentlich zum Bewußtsein kam, eine Fülle erfaßt und gefesselt gewesen. Von seinen Geliebten hatte von Ideen aneignete und viele interessante Bekanntschaften die eine ihm den Abscheu vor der käuflichen Liebe, die Autorifirte Uebersehung von Marie Kunert  . machte. Aber er achtete dieses Schayes nicht. Brauchte er andere die Furcht vor der Ehe zurückgelassen. Dann zog Wenn sein Wesen also einerseits etwas Bartes, fast ihn denn? ihn das Spiel für eine Weile an. Als er aber eines Tages Weibliches hatte, so zeigte der erste Blick auf sein Arbeits- So eine Erbschaft," sagte er, ist ein Reizmittel für erlebte, daß ein Marquis, der Träger eines altadeligen zimmer unsern Helden als einen ganz anderen Menschen. die Eltern, die ihre Kinder reich machen möchten; sie ist Namens, aus dem Klub ausgestoßen wurde, weil er Da sah man Tapeten in satten Farben, Möbel aus dunklem aber auch ein Schlafmittel für die Kinder, die durch ihre falsch gespielt hatte, da schauderte er vor dem Ab­Holz, alles in strenger Einfachheit gehalten, ein einziges Eltern reich werden." grund zurück, der so leicht die Ehre eines Mannes Gemälde an der Wand, das Porträt seines Vaters, ein Wenn man zu André davon sprach, ob er nicht eine verschlingen konnte. Daun   wurde er ein regel einziger Stich, ein Wasserfall nach Corot  , der, obgleich er bestimmte Laufbahn einschlagen wolle, antwortete er: mäßiger Zuschauer bei den Wettrennen, bis er sich André's eigenes Werk war, doch nichts Dilettantenhaftes Wozu? Rechtsanwalt etwa? Ich habe Geld genug schließlich die Frage vorlegte, wer eigentlich dümmer an sich hatte; sonst nichts, was den Blick ablenken oder zum Leben! Die Kunst? Mein Gott ja, das wäre ganz sei: die Pferde, welche rennen, oder die Menschen, welche ihr den Geist zerstreuen konnte, ein echtes Denkerstübchen", schön. Aber dazu muß man Genie haben! Und ist es Leben damit zubringen, sie rennen zu sehen. Durch sein wie André es nannte. Auf dem Tische diese scheinbare denn nothwendig, daß man durch seine werthe Person noch Herumstreifen balb in diesem bald in jenem Lande hatte er Unordnung von Büchern und Papieren, die auf eine täg die große Heerde der Mittelmäßigen vermehrt?" Wie den Reiz der Heimkehr in fein geliebtes Paris   schäßen ge= liche ernste Beschäftigung mit Lektüre und Schriftstellerei es denn mit dem militärischen Beruf wäre? Er ver- lernt. So verbrachte er sein Leben in einer Art beschäftigten hindeutet. In den Bücherschränken nur einfach gebundene abscheute das Soldatenhandwerk im Frieden ebenso sehr, Müßigganges, er betheiligte sich an dem eleganten Leben in Werke, einige Bände mit abgegriffenen Rücken, eingeknifften wie er es im Kriege schätzte und achtete. Die Politit? Paris  , nahm zuweilen mit mitleidigem Lächeln, meist aber Blättern, und die am meisten benutzten unter ihnen waren Pfui doch! Sich in unfruchtbare Wortgefechte stürzen, wo gleichgiltig oder gelangweilt als Zuschauer theil an dem feltsamerweise nicht Romane, sondern Geschichts- und philo- es Grobheiten oder gar Büffe regnete! Und dabei Leuten, wilden Kampfe der Leidenschaften und Interessen. Oft sophische Werke, hin und wieder auch ein Band Gedichte, die man verachtet, den Hof machen müssen. Seine re fagte er achfelzuckend: Was wird das alles für eine Bes tiefempfundene finnreiche Verse. Aus der Wahl dieser Unabhängigkeit aufgeben! Das wäre ja reine Tollheit ge- deutung haben, wenn die Sonne einst erstarrt sein wird?" Bücher konnte man einen ernsten, forschenden Geist, der wesen!" War er glücklich? Nein. Dazu fehlte es ihm an träftige Kost liebte und sich nicht mit bloßen Worten oder Seinem Dufel, einem sehr praktisch veranlagien Mann, etwas, das er wünschen oder erstreben konnte. Er hatte blauem Dunst abspeisen ließ, erkennen. antwortete er mit den Worten des Dichters: einen zu gefunden Sinn, und sein Seelenleben war

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