Ar. 202. 27. IahtMg. i KeilM Ks J Aieustag, 30. Anguß 1910. 8. Internationaler Sozialiftikljer Kongreß. Kopenhagen , den 28. August. ErZffnungSsitzung. Der prächtige Saal des Konzertpalastes ist die Stelle, wo die Internationale tagt. Beinahe ist er zu klein für die ungeheure Menge von Delegierten, die aus allen Teilen der Welt zusammen- gekommen find. Die Säulen, die den Eingang des Gebäudes flankieren, find rot umwunden. Ein breites Banner trägt die dänische Inschrift: Achder Internationaler Socialist Kongres. Der Saal selber hat eindrucksvollen sozialistischen Schmuck angelegt. Die Wand der Rednertribüne zeigt auf einer Niesenkarte die beiden Hennsphären, die durch ein Band mit dem alten Kampfruf der Internationale: »Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" verbunden sind. Links und rechts davon hängen im Kuppelraum die dänischen Partei- und Gewerkschaftsfahnen herab. An den Galerien sieht man zwölf Banner in den Farben und mit den Wappen der groben Nationen. Für Deutschland ist schwarz-rot-gold gewählt. In vier Sprachen: dänisch, deutsch , englisch und französisch sieht man das auf kurze Formeln gebrachte Programm der internationalen Sozialdemokratie. Diese Inschriften lauten: Die Arbeit ist die Quelle des Reichtums! Wir bauen an der Solidarität! Wissen ist Macht! Religion ist Privatsache! Aufhebung der Klassen- unterschiede! Keine privaten Monopole! Des Volkes Wille ist das höchste Gesetz! All gemeines, für alle gleiches Wahlrecht! Acht stündiger Maximalarbeitstag! Die Abrüstung bedeutet den Frieden! Dasselbe Recht für Frau und Mann! Freiheit. Gleichheit. Brüder- lichkeit! Die Delegierten sind an neun, immer durch einen Quergang geschiedenen Tafeln untergebracht. Die erste Tafel links vom Präsidium wird von der schwedischen Delegation eingenommen. Deutschland besetzt die zweite und dritte Tafel, Oesterreich die vierte. Die fünfte Tafel in der Milte ist für folgende Nationen bestimmt: Serbien , Türkei , Rumänien , Argentinien , Spanien , Portugal , Japan , Griechenland , Südafrika , Australien . Luxemburg , Italien , die Schweiz , Rutzland und Polen . Die sechste Tafel gehört Belgien . Ungarn - Kroatien und Böhmen . An der siebenten Tafel liegen die Plätze für Holland und Frankreich , an der achten die für Finnland , die Vereinigten Staaten von Nordamerika und Norwegen , während die letzte, neunte Tafel von Großbritannien eingenommen wird. Die große dänische Delegation hat unten leinen Platz mehr gefunden Sie nimmt daher die Galerre rcckits ein. während die Galerie links für die 125 Pressevertreter, die sich zur Tagung eingestellt haben, reserviert ist. Die vollkommen überfüllte Mitteltribüne ist für die Zuhörer bestimmt. Um'MI Uhr wird der Kongreß mit dem Vortrage einer Kantate eröffnet, die vonA. P. Meyer, dem bekannten sozialdemokratischen Schriftsteller, Agitator. Dichter und Abgeordneten verfaßt und von S. H e n d, einem Kopenhagener Kapellmeister, komponiert ist. In der Kantate finden sich die Nationen zu einem Bölkerreigen der Freiheit und des Friedens zusammen. Die Motive nationaler Freiheitslieder erklingen, von Solis unterbrochen, bis sich das Ganze zum mächtigen Massenge sang der Internationale der- einigt. Der erste Teil der Kantate endete mit der Marseillaise . In der Pause der Musik betrat Dr. Gustav Bang, Mitarbeiter des .Sozialdemokraten" und Folkethingsabgeordneter, die Rednertribüne. und, indem er selbst seine Worte französisch, deutsch und englisch über setzte, führte er das Folgende aus: Genossen! Wir haben in dieser Kantate versucht das Gefiihl auszudrücken, das uns beseelt und daS den Boden bildet, auf dem wir hier zusammentreten, daS Gefühl internationaler Solidarität dek- kämpscnden Proletariats aller Länder der Welt. Dieses Gefühl hat in der dänischen Sozialdemokratie innner gelebt und ist, wie das bei einem so kleinen Lande natürlich ist, besonders stark hervor getreten hier, wo es von der äußersten Wichtigkeit ist, bei den Bewegungen der großen Kulturländer Belehrung und Kräftigung zu suchen. Von den allerersten Anfängen an war die dänische Sozial- demokratie eine Sektion der internationalen Arbeiterassoziation. Während eines 40jährigen steten und ununterbrochenen Wachstums haben wir in Dänemark immer die enge Verbindung mit den Genossen der fremden Länder zu pflegen gesucht. ES gehört zu unseren schönsten und erhebendsten Parteierinnerungen, daß wir vor 27 Jahren, im Jahre 1883, der deutschen . unter der Verfolgung des Sozialistengesetzes stehenden Sozial- demokratie eine Freistätte bieten konnten. Und eine reiche Quelle der Kräftigung hat der revolutionäre Geist in unseren Reihen gefunden im Verkehr mit den Hunderten russischer Parteigenossen, die nach der Revolution, flüchtend vor dem Terrorismus der Konterrevolution, Dänemark durcheilten und denen wir freudig Beistand geleistet haben, soweit eS möglich war.(Lebhafter Beifall.) Auch in anderer Weise haben wir nicht in einzelnen Ausnahmefällen, sondern ständig jähr- aus, jahrein daS Band gefühlt, das uns mit den fremden Bruder- Parteien verknüpft. In Dankbarkeit gedenken wir der moralischen und materiellen Unterstützung, die uns bei der großen Aussperrung von 1899 gewährt wurde. Und wir selbst haben UNS immer be- strebt, nach bestem Vermögen unsere Schuldigkeit zu tun, wenn in fremden Ländern große Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital aus- gefochten wurden.<Veifall.) Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß der Mahnruf des Kommunistischen Manifestes: .Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" für die dänische Sozialdemokratie mehr als eine feierliche Redensart geworden ist, daß er uns ins Blut übergegangen ist.(Stürmischer Beifall.) Mit tiefer, herzlicher Freude entbieten wir daher dem 8. Internationalen Sozialistenkongreß den Willkommensgruß in unserer Stadt, im Herzen von Kopenhagen , wo die Klassengegensätze der dänischen Gc- sellschaft aus die höchste Spitze gelrieben sind, in einem Stadt- viertel, wo die allerrcichste Aristokratie und das allerärmste Prole- tariat unmittelbar nebeneinander wohnen, in einem Stadtviertel, wo der König seine Residenz hat und in dem ein sozialdemokratischer Folkethingsabgeordneter gewählt worden ist.(Stürmischer Beifall.) Während die Klassengegensätze überall rn der Welt sich ver- schärfen, während das Kapital seine Herrschaft und Ausbeutung der großen Volksmassen steigert, während die kapitalistische Weltwirtschast ständig drohende Kriegsgefahren hervorruft und dem wahnsinnigen Wettrüsten immer neue Nahrung zu- führt, den Völkern aber immer neue Lasten auferlegt werden, wollen wir hier Waffen schmieden zur Ueberwindnng aller Klassen- gegensätze nach innen und aller nationalen Gegensätze nach außen, zur Beseitigung aller Ausbeutung, Knechtschaft und Erniedrigung. (Stürnnscher, langanhaltender Beifall.) Wir fühlen eS, wir wissen es, daß wir unS mit raschen Schritten unserem Ziel nähern, der Tag gehört uns, wie es in der Cantate hieß. Die Zeiten sind vor- über, da wir schwere Kämpfe um unser Dasein fllhrcfl mutzte». Jetzt geht der Kampf um unseren Sieg.(Stürmischer Beifall.) Hinter uns liegt das Dunkel, � vor uns die Helle, sagt ein altes dänisches Sprichwort. In der Hoffnung, daß die Verhandlungen dieses Kongresses vom Geiste internationaler proletarischer Brüder-' lichkeit getragen sein werden, in der Hoffnung, daß die Arbeiten dieses Kongresses beitragen werden zur Klärung der Taktik, der wir folgen müssen, um unser großes Ziel zu er- reichen, in der Hoffnung, daß wir alle von diesem Kon- greß zurückkehren werden mit verstärkter Energie zum gemeinsamen Kampf in den verschiedenen Ländern für die Be- fteiung des Proletariats, entbietet Ihnen die dänische Sozialdemo- kratie noch einmal ein herzliches Willkommen!(Stürmischer, lang- anhaltender, mehrfach wiederholter Beifall.) Dann wurde die Cantate beendet. Beim Schlußgesang der Internationale erheben sich die Kongreßmitglieder und das Publikum und stimmen in den Chor ein. öOCl Arbeitersänger der Kopenhagener Gesangvereine brachten die Chöre in prächtiger Reinheit zu packender Wirkung. Orchestcrmitgliedcr des königlichen Theaters führten den instrumentalen Teil aus. Auch die Solis wurden von Mitgliedern des königlichen Theaters, von dem Tenoristen Nielsen, dem Baritonisten Hober und der Sopranistin Noeregard Anse vorgetragen. Das schöne Werk und die vollendete Darstellung ließen gleich in der ersten Stunde den Internationalen Kongreß in einen gewaltigen Sturm tiefer Begeisterung ausbrechen. Nachdem der Beifall ver- klungen war, wurde dem anwesenden Dichter, dem Abgeordneten A. P. Meyer eine stürmische Ovation dargebracht. Dann nahm das Internationale Sozialistische Bureau seine Plätze auf der Tribüne ein, und Vandcrvclde übernahm den Vorsitz mit den Worten: Im Namen des Internationalen Sozialistischen Bureaus erkläre ich den achten Internationalen Sozialistischen Kongreß für eröffnet und erteile sofort das Wort dem Mitgliede des Folkethings, Genossen Stauning im Namen der dänischen Genossen. Genoffe Stauning hielt bann folgende Begrüßungsansprache: Partei- und Kamps genossen I Namens der dänischen Sozialdemokratie heiße ich den ächten Internationalen Sozialistischen Kongreß herzlich willkommen in Dänemark und in Kopenhagen . Es ist das erste Mal, daß die Vertreter der organisierten Arbeiterklasse der ganzen Welt in unserem kleinen Lande versammelt sind, und wir sind stolz auf die Ehre, die hierdurch unserem Lande und der dänischen Sozialdemokratie erwiesen wird. Die Vertreter der internationalen Sozialdemokratie sind also nun die Gäste Dänemarks und ich glaube Ihnen die Versicherung bieten zu dürfen, daß man Ihnen von allen Seiten Gastfreundschaft erweisen wird. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die Beschlüsse, die Sie in unserem Lande fassen werden, uns einige Schritte dem Frieden und der Völkerverbrüderung näher bringen mögen.(Lebhafter Beifall.) Die Sozialdemokratie hier in Dänemark erhob ihr Haupt unter dem Einfluß der Freiheitsbestrebungen draußen in der Welt. Die Jahre 1843 und 1871 hinterließen liefe Spuren in der Geschichte der dänischen Sozialdemokratie. Und sicher sind wir seit 1871 unter der Fahne der Internationale einer Gesellschaftsform entgegen- marschiert, unter der Freiheit, Gleichheit und Brüderlich- leit herrschen werden. Im Laufe der vergangenen 40 Jahre haben wir unsere Organisation und unsere Presse auf dem Fels der Internationale aufgebaut. Die Arbeiter der einzelnen Länder können wohl durch ihre eigene Arbeit Verbesserungen er- zielen, aber die große Befreiung der gesamten Arbeiterklasse ist nur durch internationales Zusammenwirken und durch internationale Ver- ständigung, durch den vereinten Kampf gegen den Kapitalismus möglich. Diese Erkenntnis hat sich auch bei den dänischen organr sicrten Arbeitern Bahn gebrochen und deshalb sind wir stolz und be geistert, daß wir beute der Arbeiterinternationale ein herzliches Will' kommen der dänischen Kameraden zurufen können.(Lebhafter Bei- fall.) Wir hegen die Ueberzeugung und haben den ehrlichsten Willen, unseren Platz in der Internationale, dieser weltumspannenden Kette, voll auszufüllen, und wir hoffen und wünschen, daß dieser Kongreß sowohl Eurer wie unserer Arbeit, unserer hehren Sache förderlich sein wird. Dänemark ist nur ein kleines Land. Wir haben nichts Großartiges, was wir unseren Gästen zeigen können, wir haben nichts Kolossales, nicht die großen Zahlen an Stimmen und Mitgliedern wie unsere Genossen in den großen Ländern. Gleichwohl dürfen wir behaupten, daß die von uns ausgeführte Arbeit nicht vergebens gewesen ist. Unsere 100000 Stimmen, unsere 28 FolkethingSabgeordnete, die Hälfte der Sitze in der Stadtverwaltung von Kopenhagen , unsere 33 sozialistischen Blätter und unsere 120 000 Abonnenten, unsere 120 000 gewerkschaft- lich organisierte Mitglieder und die Hebung der ökonomischen und kulturellen Lage der dänischen Arbeiter, das ist das, was wir unseren ausländischen Kameraden zeigen können, das sind die aügenschein- lichen Erfolge unserer Arbeit, Erfolge, welche durch unsere Arbeit auf der Basis der internationalen sozialistischen Idee erzielt worden sind.(Lebhafter Beifall.) Die dänischen Arbeiter fühlen sich durchaus als Teilnehmer an der größten und bedeutungsvollsten Bewegung unserer Zeit, sie verstehen die weltgeschichtliche Mission, die die Arbeiterklasse zu ersüllen hat. Sic werden zu jeder Zeit ihren Mann stellen im Kampfs gegen das kapitalistische Joch. Man kann nicht verlangen, daß die arbeitende Bevölkerung deS kleinen Däne- mark an der Spitze marschieren soll. Aber Sie werden die dänischen Arbeiter gleichwohl stets kampfbereit finden und beseelt von dem besten Willen, ihre Pflicht den übrigen Klassengenossen gegenüber zu jeder Zeit zu erfüllen, indem das von uns erstrebte Ziel dasselbe ist, was unseren Bruderorganen in allen Ländern vor Augen steht. In diesem Sinne entbiete ich Ihnen unseren WillkommenSgruß zur Arbeit auf diesem Kongreß. Nochmals willkommen in unserem kleinen Land. Laßt den Geist der Einigkeit über Euren Beschlüssen walten, laßt unS kämpfen gegen gesellschaftliches Unrecht mit ver- einten Kräften. Wir scharen uns in diesem Augenblick um das schöne Ziel deS Sozialismus. Gehen wir in den Kampf. Kapitalismus ist Sklaverei, Sozialismus aber ist Freiheit und Friede.(Stürmischer wiederholter Beifall.) Im Namen der sozialistischen Internationale dankt Landcrvelde den dänischen Genossen aufs herzlichste für den brüderlichen Geist der Freiheit, die sie dem Kongreß offenbaren. Als wir beschlossen haben, diesen Kongreß in Kopenhagen abzuhalten, Ivaren wir von dem Bestreben geleitet, der dänischen Bewegung unsere Huldigung darzubringen, der Bewegung, die mit die ernsthafteste, fleißigste und unermüdlickiste ist, deren wir uns in der Internationale erfreuen können. Genosse Stauning hat Ihnen nicht alles gesagt, worauf die dänische Bewegung stolz sein kann. Bewundernswert ist der Dertschritt von 700 Stimmen im Jahre 1878 zu den 93000 Stimmen im Jahre 1910. Aber wenn tvir auch die Stimmen bei den Parlamemswahlen als kräftigen Ausdruck für die innere Stärke der sozialistischen Parteien nehmen, so gewähren diese 93 000 Stimmen, abgegeben von Männern über dreißig Jahre, doch kein volles Bild von der Kraft und Intensität der dänischen Sozial- demokratie. Ihre höchste Bedeutung gewinnen sie erst, wenn wir sie zusammenstellen mit den wirtschaftlichen und geistigen Fortschritten, die durch die dänische Sozialdemokratie errungen worden sind. Neben diesen 98 000 Stimmen stehen in Däneniark 120 000 Gewerkschaftler und 120 000 Leser der Parteiprcsse.(Stürmischer Beifall.) Mit Stolz kann die dänische Sozialdemokratie darauf himveisen, daß jeder sozialdemokratische Wähler hier zugleich Gewerkschaftler und Leser der sozialdemokratischen Preise ist. Aus diesem Grunde haben wir geglaubt, dem Kongreß der Internationale, der mehr ein Kon- greß gründlicher Kleinarbeit als feuriger KampfeSankündigung sein wird, auf keinem günstigeren Boden als dem dänischen abhalten zu können.(Bravo I) Genossen I Es war früher Sitte, den Kongreß der Internationale mit den Berichten der einzelnen Länder über ihre Fortschritte im letzten Jahre zu eröffnen. Um Zeit zu sparen, sind wir auf den letzten Kongressen davon abgekommen und auch diesmal werden Ihnen die Berichte der nationalen Sektionen über den Stand der Bewegung in einem stattlichen Bande gedruckt vor- gelegt werden. Sie werde» ,aus diesen Berichten ersehen können, daß der Internationale heute 33 Nationen angeschlossen sind, namentlich alle Länder Europas , die wichtigsten Staaten Nord- und Südamerikas , ferner Japan , Südafrika und Australien . Die Berichte sind nicht ganz vollständig, aber Sie werden daraus entnehmen können, daß die Weltmacht der Internationale im gegenwärtigen Augenblick' 8 Millionen Anhänger umfaßt.(Beifall.) Wir sind nicht nur eine gewaltige, sondern eine ständig wachsende Macht. Mit wenigen Ausnahmen sehen wir über- all ein erfreuliches Anwachsen der sozialistischen Parteien. In den letzten drei Jahren, seit dem Stuttgarter Kongreß, hat die Bewegung nur in Finnland , Nußland ,�U ngarn und Argentinien Rückschläge erlebt, aber der Rückgang der organisierten Mitglieder in diesen Ländern ist nur Schein, nicht Wirklichkeit; denn überall, wo er eingetreten ist, beruht er nur auf der Anwendung brutaler Gewalt durch den herrschenden Kapitalismus, auf der heuschlerischen Gewalt in den bourgeoisen Republiken, auf der unverhüllten nackten Roheit im Machtbereich der russischen Autokratie, aber jedenfalls auf Gewalt.(Sehr wahr!) Gewalt aber kann uns nicht dauernd zurück- halten, denn auf Bajonnetten kann man nickit sitzen, besonders dann nicht, wenn diese Bajonnette intelligent werden.(Stürmischer Beifall.) Auch in den vier genannten Ländern hat die Gewalt die Kampfeslust des klassenbewußten Proletariats nur gesteigert. Unter dem Ausnahmezustand wuchsen die sozia» listischen Organisationen in Argentinien , machte die Bewegung für das allgemeine Wahlrecht in Ungar n gute Fortschritte und das Blut der Arbeiter, das die russische Erde getränkt hat, tvird den Boden nur fruchtbar machen für die Ernte der sozialen Revolution.(Lebhasier Beifall.) In allen anderen Ländern ist die Bewegung weiter fortgeschritten. Amerika konnte uns in Stutt- gart zum erstenmal über die Stimmenzahl von einer halben Million berichten. Glänzende Wahlfeldzüge haben seitdem bestätigt, daß die Kraft deS internationalen Sozialismus weiter wuchs. Aus England konnte zuerst in Stuttgart die neugegründete Labour Party , die nichts weiter ist als die Resultate der Gärung der sozialistischen Hefe in den englischen Arbeitermassen, berichten, daß sie mit mehr als 40 Abgeordneten in das Unterhaus eingezogen war. Einzelne kleine Verluste, die sie bei den letzten Wahlen erlitten hat, sind weit mehr als ausgeglichen worden durch den Anschluß der kompakten Masse der Bergarbeiter. Die ö st e r r e i ch i s ch e n Ge« nossen konnten in Stuttgart über einen Meisterstreich berichten, den sie vollführten, als sie bei den ersten Wahlen unter dem allgemeinen Stimmrecht die stärkste Fraktion der sozialistischen Internationale schufen. Seitdem haben sie die Zahl ihrer Abgeordneten noch weilcr gesteigert. In Stuttgart mußten wir auch Bericht entgegennehmen von Wahlniederlagen der sozialistischen Parteien in den einzelnen Ländern. Aber gerade in diesen Ländern hat seitdem die sozia- listische Bewegung die raschesten Fortschritte gemacht. In der Schweiz waren wir zur Zeit des Stuttgarter Kongresses auf zwei Mitglieder im Bundcsparlament herabgesunken. Jetzt haben wir deren mehr als je zuvor. In Belgien ist die Zahl unserer Ab- geordneten von 25 auf 35 gestiegen. In Italien hat sich die FraltionSstärke nahezu verdoppelt. In Frank- reich haben wir bei den letzten Wahlen einen schönen Sieg errungen und die Wahl von 75 geeinigten Sozialisten und der endgültige Verfall der unabhängigen sozialistischen Bewegung ist der glänzendste Beweis für die innere Kraft unserer Methode des Klassenkampfes. WaS dem französischen Sieg die besondere Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, daß wir ihn der sozialistischen Einigkeit verdanken. DaS ist ein mächtiges Argument für die Länder, in denen noch heute die Kraft der sozialistischen Bewegung gespalten ist, und das muß auch sie mächtig hinweisen aus die Notwendigkeit der Einigung des gesamten Proletariats.(Lebhafter Beifall.) Als wir in Stuttgart zusammenkamen, hatte aber auch die deutsche Sozialdemokratie die größte Wahlniederlage seit den Zeiten der Bismarckschen Reaktion erlitten. Gleichwohl empfingen uns die deutschen Genossen mit fröhlicher Sicherheit. Wußten sie doch, daß die Stimmenzahl und die innere Kraft der Partei gewachsen waren. Heute steht es vor aller Welt fest, daß die deutsche Sozialdemokratie stärker und machtvoller ist als jemals. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung hat ihre Mitgliederzahl so ver« mehrt, daß sie die der englischen Trade-Unions überflügelt hat. DaS gleiche Wahlrecht ist in einzelnen Bundesstaaten bereits zum Siege gelangt und in den anderen, vor allem in Preußen, wird der Kampf dafür mit aller Energie weitergeführt. Gerade die Wahlrechtsbewegung in den einzelnen Bundesstaaten beweist uns, daß gegenüber den lächerlichen Anmaßungen eines mittelalterlichen Gottesgnadentnms die Zukunft der Souve« ränität des Volkswillens gehört. Selbst die bürgerlichen Politiker prophezeien heute der deutschen Sozialdemokratie für die Wahlen des nächsten Jahres vielleicht 100 Mandate und etlva vier Millionen Stimmen.(Allgenieiner lebhafter Beifall.) In dieser Zeit großer Siege geziemt es uns, der Veteranen unserer Bewegung zu gedenken, die heute nicht hier sind. Ich denke dabei nicht nur an unsere deutschen Genossen, sondern vor allein auch an unseren früheren Präsidenten Andreas Costa, der für immer von uns gegangen ist. Ich gedenke derjenigen, die wir sicher wieder sehen werden, unseres lieben Genossen Singer, dessen ruhige Energie so oft Ordnung in unseren erregten Debatten ge« schaffen hat und der hoffentlich recht bald von seinem Leiden ge- nesen wird. Vor allem aber drängt sich uns der Name des großen Abwesenden auf die Lippen, der Name eines Mannes, der durch die lange Zeit seiner Dienste für das internationale Proletariat durch sein unvergleichliches Talent und durch die Leistungen, die er für die Sozialdemokratie vollbracht hat, heute die glänzendste Verkörperung der internationalen Arbeiterbewegung ist: A u g u st Bebel. (Stürmischer Beifall.) Indem Sie Bebels Namen Beifall zu- jubeln, jubeln Sie Beifall zu der reinsten Verkörperung unseres sozialistischen Ideals, der Willensstärke des Arbeiters, der sich selbst emporringt, und der schönsten Verwirklichung des sozialistischen Intellektualismus, der den großen Schatz seines Wissens ganz in den Dienst der proletarischen Bewegung stellt, dem leidenschaftlichen Kämpfer für tie Befreiung der Frau, dein typischen Ausdruck für das kämpfende und siegende Proletariat über- Haupt, dem Mann, der zwei Jahre seines Lebens im Gefängnis der Sache des Friedens und des Protestes gegen den ruchlosen Krieg vor 40 Jahren geopfert hat.(Erneuter stürmischer Beisall.) Indem Sie dem Namen Bebel zujubeln, feiern Sie die internationale Ar- beiterbewegung des sozialistischen Proletariats, in deren Namen ich den Kongreß für eröffnet erkläre.(Stürmischer anhaltender Beifall.) Der internationale Sekretär Huysmans machte eine Reihe ge- schästlichcr Mitteilungen. Die Verlesung der eingelaufenen Adresse» und Telegramme wird in der Plenarsitzung am Mittwoch erfolgen. Zu Vorsitzenden des Kongresses hat das Internationale Sozialistische Bureau bestimmt den Dänen Klausen, den Schweden B r a n t i n g und den Norweger I e p p e s e n. Für die Vorbereitung der Tagesordnung werden fünf Kom- Missionen gebildet. Die Tagesordnung selber lautet: 1. Die Beziehungen zwischen G eno ssensch a ften und polt» tischen Parteien. 2. Die Arbeitslosenfrage. 3. Schiedsgerichte und A b r ü st u n g. 4. Die internationalen Ergebniffe der Arbeiterschutz» gesetzgebung. 5. Die Organisation einer internationalen Kundgebung gegen die T o d e s st r a f e. 0. Verfahren für die rasche Ausführung der B e- s ch I ü s s e der internationalen Kongresse. 7. Die Organisation der internationalen Soli« d a r i t ä t. 8. Resolutionen über die gewerkschaftliche Einheit- lichkeit in Oesterreich , über die Einigung in Frank» reich, die Lage in Finnland und die Lage in P e r si e n. Die Kommissioneu werden eingesetzt; 1. für die Genosse n> schaftsfrage.
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